Granulares Delay

Märchenstunde: Walrus Audio Fable im Test

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(Bild: Dieter Stork)

Musik hat viele Facetten. Eine davon ist es, Geschichten zu erzählen. Walrus Audio hat zu diesem Zweck das Fable ins Leben gerufen, ein granulares Delay mit viel Potenzial und spannenden Details.

Um Effektgeräte und ihren Einsatz entstehen häufiger mal Debatten und Kontroversen. Viele Sounds könne man doch auch mit den Fingern erreichen oder der Klang des Instruments würde zu stark maskiert werden. Es lenke von der eigentlichen Musik ab und sei nur Show. Was aber, wenn die Effektkette fester Teil des Instruments oder sogar das eigentliche Instrument ist? In genau diese Kategorie fällt das Walrus Audio Fable. Hier geht es nicht um dezente Slapback-Delays oder authentische Tape-Delay-Simulationen, sondern um das Schaffen von neuen Klangebenen und -dimensionen.

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PROLOG

Walrus Audio ist nicht ganz neu am Markt, und tatsächlich ist das Angebot des Herstellers weit gefächert. Analoge wie auch digitale Effekte jeglicher Stilrichtungen vom Bass-Preamp über Kompressoren und Overdrives bis hin zu aufwändigen Reverbs gehören zum Repertoire. Eine hohe Fertigungsqualität sowie die oftmals verspielten, aber immer geschmackvollen Designs ziehen sich als roter Faden durchs Sortiment. Das Fable stellt hier keine Ausnahme dar. Blickfänger ist sicherlich das mystische Baumwesen auf der Front des bedruckten Alu-Gehäuses. In dessen Herzen arbeiten zwei Signalprozessoren (DSP), die mit ihrer Rechenleistung fünf verschiedene Programme mit granularen Delay-Effekten bereitstellen.

Bedient werden diese über die acht Potis und Encoder der Bedienfläche, wobei die Regler in Abhängigkeit des gewählten Programms teilweise andere Funktionen zugewiesen bekommen. Unabhängig vom gewählten Patch arbeiten jedoch die beiden Fußtaster für Bypass und Tap-Tempo. Dank digitaler Steuerung lässt sich das Fable durch das Gedrückthalten des Bypass-Tasters während des Anschaltvorgangs in den Trails-Modus versetzen. Hier wird das Effektsignal beim Deaktivieren des Effekts nicht abrupt abgeschnitten, stattdessen klingen Delay- und Hallfahnen auf natürliche Weise aus. Ab Werk ist dieser Modus bereits aktiviert, für ein auf Soundscapes zugeschnittenes Gerät sicherlich eine sinnvolle Entscheidung. Zum besseren Verständnis der Potis gibt ein Flussdiagramm Aufschluss über die Verkettung zwischen den Prozessoren.

Obwohl beide Signalprozessoren kaskadiert verschaltet sind, führen die Feedbackpfade lediglich zum ersten der beiden DSP. Auf diesem Wege können die DSP jeweils als Prä- oder Postprozessor verwendet werden, je nach Menge des Feedbacks.

Verantwortlich für die erste Feedbackschleife ist der „Feedback“- Regler, für die zweite der „Regen“-Regler. Mittels „Time“ wird der Abstand zwischen den einzelnen Wiederholungen der Delay-Engine eingestellt. „Mod“ fügt dem Signal eine weiche, tiefe Modulation hinzu, deren Geschwindigkeit durch das Gedrückthalten des Bypass-Tasters beim gleichzeitigen Drehen des Mod-Reglers eingestellt werden kann. Hinter „Tone“ verbirgt sich in Drehrichtung entgegen dem Uhrzeigersinn ein weit herunterreichendes Tiefpassfilter zum Abrunden und Entschärfen des Effektsignals. In die andere Richtung gedreht räumt ein Hochpassfilter den Bassbereich der Wiederholungen auf und sorgt so für glasklare Repeats.

Klangeindrücke und Resümee auf Seite 2

(Bild: Dieter Stork)

EINGETAUCHT

Besonders ist am Fable aber nicht nur der Aufbau aus zwei DSP, sondern die Kombination aus klassischen Delays mit granularen Effekten. Granular heißt, dass kleine Soundschnipsel aufgenommen und stark manipuliert wiedergegeben werden. Der „x“-Regler stellt dabei die Länge dieser Soundschnipsel, der Grains, ein. Je nach Reglerstellung ertönt das Signal nur als kurze Blips und Blops oder als zwar kurze, aber klar erkennbare Schnipsel des Eingangssignals.

Programm I besteht aus einem Reverse-Delay im ersten DSP und abermals rückwärts abgespielten Grains im zweiten. Hieraus ergibt sich ein Teppich aus sich abwechselnd erklingenden Transienten und den verschleppten Fades des Reverse-Delays. Obwohl dieser Modus im Vergleich zu den anderen vieren noch recht gemäßigt klingt, gehören die erzeugten Klänge längst nicht mehr in den Bereich der klassischen Delay-Sounds. Akkorde mit dem Fable zu spielen, ist ein gewagtes Unterfangen, gerade auch durch die Pitch-Effekte der anderen Programme. Mit etwas Vorsicht lassen sich so jedoch beeindruckende, cinematische Flächen kreieren.

Modi zwei, drei und fünf fügen den Grains durch schnellere bzw. verlangsamte Wiedergabe Pitch-Effekte hinzu, was bei sehr kurzer Länge der Grains auch mal in einer Mischung aus Laserpistole und Vogelgezwitscher enden kann. Stark reingedrehtes Feedback ermöglicht aber auch Shimmer-Verb-artige Klangsphären, die sich durch das Spielen mit den „x“- und Time-Potis kontinuierlich modulieren lassen. Steht der Regler für die Grain-Größe links der 12-Uhr-Stellung, ergeben sich durch das Hinzugeben weiterer Modulation mittels des entsprechenden Potis schnell Sounds, die z.B. an den Silent-Hill-Soundtrack von Akira Yamaoka erinnern. Es ist eine wahre Freude, zu hören, wie durch das Fable selbst aus simpelsten, repetitiven Melodien, sich auf- und abbauende Erzählungen werden. Ob offen und freundlich oder düster und beklemmend, liegt dabei natürlich an der Tonauswahl am Instrument selbst.

Damit das Fable nicht nur auf dem Tisch liegend oder in kauernder Haltung über dem Pedalboard vollumfänglich eingesetzt werden kann, hat Walrus Audio dem Tap-Taster noch eine Hold-Funktion spendiert, die im Prinzip den Einsatz eines Expression-Pedals simuliert. Nach einer kurzen Verzögerung von geschätzten 300-400ms sorgt der durchgedrückte Tap-Taster für das Hoch- oder Runterfahren des Time-Parameters. Beim Loslassen fährt der Parameter dann wieder auf den per Poti eingestellten Wert zurück, so wie bei einer manuellen Faderfahrt. Schön ist dabei der wirklich sanfte und durch die Haltedauer kontrollierbare Anstieg bzw. Abfall des Wertes, der zwar nicht ganz so präzise wie das Drehen am echten Poti, für den gedachten Einsatzzweck jedoch absolut angemessen feinfühlig ist.

Angenehm warme bis hin zu fast düsteren Klängen lassen sich am besten mit Programm III realisieren, das auf DSP A ein analoges Delay simuliert und die Grains auf DSP B mit halber Geschwindigkeit abspielt, was zu einem Octave-Down-Effekt führt. So werden hoch gespielte Melodien schnell mit beeindruckend groß klingenden Sphären hinterlegt, die zumindest bei mir Assoziationen zu Science-Fiction-Soundtracks wecken.

Ist das Verhalten der Grains in den Programmen I bis III noch recht vorherseh- und planbar, geht es in Programm V deutlich wilder zu. Nun werden die einzelnen Grains nach dem Zufallsprinzip schneller, langsamer oder auch rückwärts abgespielt, als einzige Kontrolle bleibt der „x“-Parameter. Über diesen wird nun zusätzlich zur Größe der Grains auch die Häufigkeit der Geschwindigkeitswechsel beeinflusst. Dezent zum normalen Signal beigemischt eignet sich dieses Programm gut zum interessanten Verzieren von Melodien.

Als Sound für den Vordergrund ist mir der Modus persönlich zu chaotisch, aber auch da mag es Einsatzmöglichkeiten geben. Aus der Reihe der Kombinationen aus Delay plus Granulizer fällt Programm IV etwas heraus, denn hier sind nicht nur einer sondern beide DSP damit beschäftigt, das Signal in Kleinteile zu zerlegen. Mit sehr wenig Feedback ergibt das eine Art Kammfilter, ein recht harter, metallischer Klang. Je stärker das Feedback der beiden DSP reingedreht wird, desto eher klingt das Ergebnis nach einem Reverb mit „stillstehender“ Hallfahne. Wobei ein Vergleich mit einem Synth-Pad beinahe passender wäre. Mittels Time-Poti werden nun die Länge sowie der Ton der Grains und damit die „Härte“ des Klangs eingestellt. Mit fast endlosem Feedback und Modulation klingt das Fable nun schon wie ein selbstständiges Instrument. Wer schon einmal die „seifigen“ Sounds von Boards of Canada gehört hat, wird hier auf vertraute Klänge stoßen.

Für sich genommen ist das Fable bereits beeindruckend. Durch das Kaskadieren mit anderen Pedals tut sich aber erst das eigentliche Potenzial auf. Im Test habe ich Reverbs vor statt hinter das Gerät geschaltet, nur deren Wet-Loop damit bearbeitet, Verzerrer für intensivere Klangflächen hinzugefügt, Bitcrusher für Lo-Fi-Sounds nachgeschaltet, mit Loopern die entstehenden Teppiche gelayert …

RESÜMEE

Eigentlich müssten den sich bietenden Möglichkeiten deutlich mehr Zeit und Zeilen geschenkt werden, als es mir hier möglich ist. Natürlich funktioniert das Pedal an Gitarre und Bass sowie Synth gleichermaßen gut. Spielerisch werden einfache Melodien mit sich wandelnden Texturen untermalt oder aus simpelsten Akkorden monumentale Klangteppiche. Walrus Audio hat das Fable mit einem kreativen Potenzial ausgestattet, das ein weites Spielfeld abdeckt, auf dem mit Boards of Canada, Hans Zimmer oder beklemmenden Soundscapes à la Silent Hill die Homebase gerade erst verlassen wird. Anders als einige andere granulare Effektpedale beherrscht das Fable sowohl aufgeregte Glitchyness als auch warme Pads zum Wohlfühlen oder melancholisch sein. Ein Fest für alle Liebhaber:innen des Sounddesigns und ich freue mich auf die Geschichten, die mit dem Fable in freier Wildbahn erzählt werden.

PLUS

  • Verarbeitung
  • Konzept
  • Sound

MINUS

  • versteckte Funktionen sehr versteckt


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2024)

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