Ein Gerät für den Schreibtisch das einfach alles kann, was man als Gitarrist so braucht? Die Idee ist nicht neu, aber Line6 will sie noch konsequenter verfolgen als viele Firmen bisher. Bluetooth, App, USB, alles am Start!
Die Amplifi-Serie von Line6 ist für unsere Leser natürlich nichts neues. So könnt ihr den Test des Amplifi 150 von Kollege Thomas Berg gratis auf unserer Website lesen. Und da es sich hier grob gesagt „nur“ um den kleineren Vertreter der gleichen Gerätegattung handelt, ist in dem Test auch schon fast alles erklärt. Hier also nochmal der Schnelldurchlauf:
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Konzept
Beim Amplifi 30 handelt es sich um einen kleinen Desktop-Verstärker, der sich unaufdringlich, aber doch mit eigener optischer Note, in jedes Wohnzimmer integrieren lässt. Mit einem sehr ähnlichen Konzept ist Yamaha seit Jahren mit der THR-Serie erfolgreich. Da Yamaha nun seit rund drei Jahren der neue Eigentümer von Line6 ist, bot es sich vermutlich an, das hauseigene Erfolgskonzept auch auf die Tochterfirma auszurollen. Der Amplifi 30 verstärkt so nicht nur eine eingestöpselte Gitarre, sondern nimmt auch Signale per Bluetooth entgegen. Hier kann er sich mit Android- (ab 4.2) und iOS-Geräten (ab iPhone 4S) verbinden. Zudem ist ein Kopfhöreranschluss vorhanden, der komplett stilles Üben ermöglicht. Vervollständigt wird das Paket durch eine USB-Buchse, welche aktuell Firmware Updates ermöglicht und in Zukunft auch direkt zum DAW-Recording genutzt werden können soll. So macht der Amplifi sowohl als kleine BT-Box für jedes beliebige Zimmer, als auch als „Ideenbox“ und schnelle Aufnahmemöglichkeit für den (Recording-) Schreibtisch eine gute Figur.
Sounds und Umsetzung
Line6 weiß auf jeden Fall mit einer einfachen Bedienung zu überzeugen. Die Bedienoberfläche des Amps ist klar gestaltet und dank der vier Presets, die direkt auf der Oberseite angewählt werden können, muss man auch nicht immer die App bemühen. Letztere ist übrigens recht selbsterklärend, sodass es nicht weiter ins Gewicht fällt, dass sie in der Anleitung nicht vorgestellt wird. Generell ist das Manual sehr kurz geraten und weist mehrere Fehler auf. Das abgebildete Panel der Bedienelemente ist leicht falsch und es werden Potis erwähnt, welche es nur beim großen Bruder gibt. Sei’s drum. Wichtiger: Wie funktioniert das Teil und was kann nun rauskommen aus den zwei kleinen Vierwege-Speakern? Also laut können sie auf jeden Fall werden. Das kann schon mal für eine kleinere Hausparty reichen. Leider klingt abgespielte Musik immer etwas indirekt und bedeckt. Das kann man natürlich über einen EQ und die Aufstellung kompensieren, aber andere Bluetooth-Speaker machen das deutlich besser. Diese Eigenschaft bleibt auch im Gitarrensignal präsent. Allerdings kann man hier mit sämtlichen Möglichkeiten der Tonregelung eingreifen und erzielt so einen – für diese Gerätegröße – durchaus akzeptablen Sound. Für den kleinen Jam im Wohnzimmer und das Ausprobieren von Ideen auf jeden Fall geeignet.
Line6 hat sich große Mühe mit der Bereitstellung von guten Presets gemacht. Und dies ist wirklich positiv hervorzuheben. Die Sound- Vorschläge sind hierbei in diverse Kategorien gegliedert. So gibt es Presets, welche sich an berühmten Songs orientieren, Presets die Amps abbilden, oder auch Presets für bestimmte Stilrichtungen (Indie, Rock, Acoustic … ). So kann man sich einfach erste Inspirationen holen und dann mit Hilfe der App den Sound feintunen. Das hat in meiner Anwendung auch schnell und zuverlässig geklappt. Natürlich hat man bei einer Bluetooth-Verbindung immer einen gewissen zeitlichen Versatz zwischen der Einstellung eines Reglers und der Auswirkung auf den Sound. Aber wenn man sich daran erst mal gewöhnt hat kann man die Sache ganz entspannt vom Sofa aus vornehmen (jetzt noch ne Funkanlage für die Gitarre … ).
Die E-Gitarrensounds kommen zwar nicht in die Nähe aktueller Top-Of-The-Line- Modeler (wie bspw. das hauseigene Helix System, ein Axe Fx II oder ein Kemper Profiling Amplifier), aber hier steht auch mehr der kurzfristige Spaß oder der günstige Einstieg in die weitreichenden Modeling- Möglichkeiten im Vordergrund. Dementsprechend sind auch nicht die gleichen Amps und Effekte an Board wie beim Helix. Das könnte ein Amplifi vermutlich schlichtweg nicht rechnen. Leider ist die großartige Gibson EH-185 Simulation des Helix somit auch nicht verfügbar. Das hört sich nun aber negativer an, als es ist: Twin, AC30 und Co. klingen schon in etwa so wie man sich das vorstellt. Untereinander etwas ähnlicher und weniger dynamisch als die Originale, aber man muss auch immer den Preis im Auge behalten. Die Acoustic Presets funktionieren sowohl mit E-Acoustics, als auch mit Piezo Systemen, wie bspw. aus meiner Parker Fly, ziemlich gut und geben einen authentisch verstärkten Klang wieder. Die Effekte wissen positiv zu überraschen. Gerade die etwas abgedrehteren Sachen, wie der Synth oder das Sample&Hold wissen zu überzeugen.
Was mich persönlich gestört hat ist, dass die App bei der Installation sehr viele Rechte möchte. Und will man dann Musik per BT über den Amplifi abspielen, muss man sich auch noch bei Line6 einloggen. Warum? Vermutlich, damit einem zum Song passende Presets vorgeschlagen werden können. OK, verstanden. Die Presets sind mal mehr, mal weniger hilfreich. Als ich „Swerve City“ von den Deftones abspielte, gab es ein Preset genau für diesen Song – und das war gar nicht mal so übel. Auch für Billy Talent (die Billy Talent III gab es ja sogar direkt ohne Gitarrentracks zum Mitspielen) finden sich brauchbare Presets. Bei exotischeren Bands kommt der Algorithmus naturgegeben nicht mehr mit, aber was soll‘s. Wenn sich ein passender Sound findet hast du Glück, wenn nicht, hast du Spaß und die Herausforderung, einen eigenen zu bauen und kannst ihn direkt mit allen teilen.
Resümee
Es gibt bessere Bluetooth Boxen als den Amplifi. Es gibt bessere Gitarrenamps als den Amplifi. Aber eine so umfangreiche Kombination aus beidem, mit dieser einfachen Bedienbarkeit ist nicht so leicht zu finden. Der Amp liefert brauchbare Sounds, die vielen für das Wohnzimmer und erste Songentwürfe ausreichen werden. Auch durch die schiere Anzahl an Amps und Effekten wird sich der Amplifi viele Freunde machen. Hier kann man Stunden mit dem Einstellen seines Sounds verbringen – oder einfach ein Preset wählen.
Die Möglichkeit, ein Line6-Floorboard anzuschließen wertet den Amp sogar zum Notfall(!)-Gig-Begleiter auf. Und auch wer eine externe Audioquelle analog per Aux-In anschließen möchte kann das natürlich tun. Dazu noch die Möglichkeit, per Kopfhörer zu proben oder (potentiell zukünftig) per USB aufzunehmen: Vielseitigkeit ist hier eindeutig Trumpf. Und bei der Größe gibt’s auch keinen Ärger, weil man „schon wieder neues Musikzeug gekauft hat“.