Joe Knaggs hat eine große Verbundenheit zur Natur und pflegt diese auch. So benennt er z. B. seine Gitarrenmodelle nach Flüssen – der Kenai River fließt durch die gleichnamige Region in Alaska, eine Halbinsel, auf der sich auch die Kenai Mountains, die Stadt Kenai, der Kenai Nationalpark und der Kenai Lake befinden. Und Kenai hat natürlich nichts mit Kenia zu tun, sondern ist ein indianischer Name.
Knaggs hat sein Portfolio grundsätzlich in die Chesapeake- und die Influence-Serien aufgeteilt. Während die Chesapeake-Instrumente eher in Richtung Fender gehen, aber ganz offensichtlich auch viele eigene Aspekte aufzeigen (siehe Test in Ausgabe 05/2011), erweist sich die Influence-Serie beeinflusst vom anderen Giganten der E-Gitarrenhistorie. Dass es sich bei beiden Richtungen um alles andere als Kopien handelt, versteht sich bei einem so renommierten Gitarrenbauer wie Knaggs aber von selbst, hat er doch bekanntlich jahrelang an der Seite des vielleicht innovativsten Geists der modernen Gitarrengeschichte, Paul Reed Smith, gearbeitet. Beide Serien zeigen aber auch, dass Knaggs mehr mit der Tradition verbunden zu sein scheint als sein ehemaliger Chef. Und genau das will die Knaggs Kenai beweisen, die zum Test in der Tier-3-Version vorliegt.
Konstruktion der Knaggs Kenai
Jede Knaggs-Gitarre kommt in drei Ausstattungs-Varianten: Tier 1, Tier 2 und Tier 3 (tier = engl. für Rang). Tier 3 stellt die sogenannte working-man’s-Version dar, bei der auf allen überflüssigen Tand verzichtet wurde und nur die Gitarre als pures Instrument und Handwerkszeug übrig bleibt. Vielleicht die beste Art, die Arbeit von Joe Knaggs unter seiner eigenen Flagge kennenzulernen.
Sieht man sich die Korpusform näher an, schießen Assoziationen zur Gibson Les Paul und zur PRS Singlecut durch den Kopf. Joe Knaggs, der für PRS eben jene damals viel diskutierte Singlecut entwickelt hatte, hat seine Form einer Single-Cutaway-Gitarre noch konsequenter von der Les Paul weggeführt, sodass sie nun wirklich wie ein eigenes Modell daher kommt.
Die Konstruktion entspricht in einigen Details der der PRS Singlecut, z. B. was den flacheren Winkel der Kopfplatte angeht. Aber die Mensurlänge und die Auswahl der Hölzer zeigt sich beeinflusst von der Les Paul: 628-mm-Mensur, Mahagoni-Body mit Ahorndecke und Mahagonihals mit 12″-Palisandergriffbrett, in das 22 Medium-Jumbo-Bünde eingelassen und perfekt abgerichtet sind. Die Saiten laufen von den hinten offenen Gotoh-Mechaniken über einen sauber gekerbten Knochensattel, dessen Kerben tendenziell den leicht schrägen Saitenverlauf zu den Mechaniken nachvollziehen – ein Detail, das man nicht oft sieht! Am anderen Ende hängen die Saiten in einer neuartigen Bridge-Tailpiece-Konstruktion, eine eigene Kreation, die demnach auch nur auf Knaggs-Gitarren zu finden ist. Mit dieser Konstruktion soll die klangliche Qualität eines Einteiler-Steges mit der Stabilität eines Tune-o-matic-/Stop-Tailpiece-Systems verknüpft werden. So ist die Saitenhalterung fest mit den Schrauben verbunden, auf denen die Brücke sitzt, und bildet dadurch einen Quasi-Einteilersteg. Als Saitenreiter werden Messingtypen verwendet, die natürlich für eine perfekte Oktavreinheit einstellbar sind. Interessant, dass Knaggs sowohl in der Chesapeake- wie auch der Influence-Serie trotz aller Hingabe an alte Bau-Rezepte auf neue, eigene Steg-Konzepte setzt. Er wird schon wissen warum, ist doch der Steg, die Schnittstelle zwischen Saitenschwingungen und Korpus, ein immens wichtiger Punkt im komplexen Sound-System einer Gitarre.
Die Decke des Kenai-Bodys ist leicht gewölbt und auch die Rückseite hat im oberen Bereich eine stattliche Kontur bekommen, die die wohlige Nähe zum Spieler sichtlich fördert. Ein Natural Binding – also die zargenseitig nicht farblich überlackierte Decke – lässt nicht nur die Stärke der Decke erkennen, sondern bringt wie auch der Knaggs-Schriftzug und das Inlay der mit naturbelassenem Ebenholz furnierten Kopfplatte einen eleganten Touch in das ansonsten schlichte, auf das Notwendigste reduzierte Design. Die gesamte Gitarre, also auch die Halsrückseite ist in tiefem Schwarz lackiert, Knaggs verwendet Nitro-Cellulose-Lacke.
Zwei Seymour Duncan SH-1-Pickups, also klassische PAF-Kopien, werden von dem typischen Regler-Layout mit je einem Volume- und Tone-Regler pro Pickup verwaltet, während der Dreiweg-Toggle-Schalter zur Pickup-Anwahl nicht an der Gibson-sondern an der PRS-typischen Stelle „way down yonder“ sitzt.
Knaggs Kenai in der Praxis
Wow – trotz oder gerade wegen des recht kräftigen ’59-Halsprofils lässt sich diese Kenai traumhaft spielen. Die leicht verrundeten Griffbrettkanten und die abgeschrägten Bundenden sorgen für dieses gute Griffgefühl, und auch die restliche Ergonomie zeigt dank der Konturen des Bodys eine gewisse Innigkeit, die noch durch die spezielle Bauweise des Korpus erhöht wird, der im hinteren Bereich kräftiger ist als im vorderen. So liegt die Kenai nicht nur perfekt am Körper, sondern auch in einem angenehmen Winkel unter dem Arm.
Die beiden Seymour-Duncan-Doppelspuler fühlen sich sichtlich wohl in dieser Gitarre, die von sich aus einen Klangcharakter produziert, der zwar an den Gibson-Klassiker erinnert, aber eine größere Festigkeit aufweist und dazu etwas beweglicher erscheint. Anders als bei der PSR Singlecut, die u. a. dank ihrer längeren Mensur mehr Präsenzen, Transparenz und Aggressivität als eine Les Paul aufweist, erscheint die Kenai eher als klangliche Interpretation des Gibson-Sounds, aber eine in höchster Güte. Und mit einer klaren Aussage, in der bestimmte Merkmale des bekannten Sounds noch besonders herausgestellt werden. Z. B. das lange Sustain. Oder diese, wie soll ich sagen, geschmeidige Fettheit. Im direkten Vergleich zu (m)einer Gibson Les Paul, die auch mit PAF-Typen bestückt ist, wirft die Knaggs Kenai zwar mehr Lautstärke raus, aber ohne den tonalen Charakter solch einer klassisch gebauten Gitarre mit einem allzu muskulösen Mittenanteil zu verwässern. Selbst bei stark verzerrten Sounds kommt der Hals-Pickup nicht undifferenziert rüber. Ansonsten ist alles da, was man von solch einer Gitarre erwarten darf – die Flöte, die Glocke und das Brett. Alle diese Sounds erscheinen bekannt, haben aber eine große Frische, die sich in einem leicht perligen Unterton und einem direkten Attack-Verhalten äußert. Insgesamt klingt die Knaggs Kenai definitiv weniger nach PRS und mehr nach einer richtig großen Gibson, und das ist wohl auch im Sinne ihres Erfinders.
Resümee
Es ist gewiss nicht einfach, aus dem übermächtigen Schatten eines innovativen Herstellers wie PRS herauszutreten und dann Designs zu präsentieren, die klare Bezüge zur Tradition der E-Gitarrengeschichte als Grundlage bieten – und eben nicht modernistischen Fortschritt. Knaggs hätte es sich einfach machen und auf der PRS-Schiene weiterfahren können – aber das ist nicht wirklich sein Stil. Und war es wahrscheinlich auch noch nie, wenn man bedenkt, dass er vor allem für Gitarren wie die Singlecut, Mira, Starla etc. hauptverantwortlich gewesen ist, die ja mit dem eigentlich typischen PRS-Design recht wenig zu tun haben. Die Kenai ist das beste Beispiel für Knaggs Philosophie, spiegelt sie doch den Respekt vor einer klassischen Konstruktion wie der Gibson Les Paul wieder, aber eben in einer individuellen Form mit deutlichen Verbesserungen wie z. B. dem Influence-Steg, der aber wiederum nicht einen neuen Sound erklingen lassen, sondern typische Les-Paul-Sounds in größtmöglicher Qualität unterstützen will. Und dieser überzeugende Klang erzeugt in Kombination mit der superben Spielbarkeit beim User einen extremen Wohlfühl-Effekt. Die Knaggs Kenai klingt und fühlt sich an wie eine alte Freundin, die man lange nicht gesehen hat und sich nun wundert, wie frisch aus dem Ei gepellt sie rüberkommt! Auch wenn der Preis sicherlich kein Pappenstiel ist, erscheint er mir auch im Vergleich zu anderen, ähnlichen Gitarren auf jeden Fall angemessen.
Übersicht
Fabrikat: Knaggs Guitars
Modell: Kenai
Typ: Solidbody-E-Gitarre
Herkunftsland: USA
Mechaniken: Gotoh open back
Hals: Mahagoni
Sattel: Knochen
Griffbrett: Palisander, Punkteinlagen, keine Einfassung
Radius: 12″
Halsform: C-Profil, ’59 style
Halsbreite: Sattel 43,00 mm; XII. 52,00 mm
Halsdicke: I. 22,50 mm; XII. 25,00 mm
Bünde: 22, Medium-Jumbo-Format
Mensur: 628,7 mm
Korpus: Mahagoni, geflammte Ahorndecke
Oberflächen: Opaque Black, Hochglanz (Optionen: Golden Natural, Hickory Burst, California Sunset, Winter Solstice, Aged Scotch)