Günstige Arbeitstiere, unterschätzte Underdogs, übersehene Youngtimer und vergessene Exoten: In den „Kleinanzeigen Heroes“ stellen wir euch die Geheimtipps des Gebrauchtmarkts vor, die einen maximalen „Bang for the buck“ liefern.
Marshall 8015
1977 feierte Queen Elizabeth II. das silberne Thronjubiläum. Das Silver Jubilee war eine Reihe von Reisen für die Königin und eine Reihe von Veranstaltungen und Feierlichkeiten im gesamten Commonwealth, mit 4.000 Partys allein im Juni in London, wo das Thronjubiläum zusammen mit dem Geburtstag der Königin gefeiert wurde.
Zehn Jahre später hatte eine Institution ihr Silver Jubilee, die für den Rock’n’Roll erheblich wichtiger war (und ist) als die geschätzte Monarchin – Marshall feierte die Gründung der Firma im Jahr 1962. Dafür wurden nicht nur etliche neue Modelle entworfen, sie kamen in festlichem silbernen Tolex und (meist) verchromten Frontblenden und/oder Gehäusen. Neben Gitarrenverstärkern wie dem 2555, dem legendären Top, das Slash so sehr mochte, dass es später eine Quasi-Reissue als Signature-Modell gab, oder der 25/50 Jubilee Bass Series, den damals hochmodernen Rack-tauglichen Eisenschweinen, baute Marshall auch einen Combo für … Keyboards! Falsches Magazin? Nicht unbedingt …
SILBERBROCKEN
Mir fiel der 8015 ins Auge wegen seines 15”-Celestion-Bass-Speakers. 150 Watt liefert die Endstufe, die der Lautsprecher auch verkraftet. Dazu kommt ein Fostex-Horn, das den Combo wie eine kompakte 15/2-PA-Box wirken lässt. Sah nach breitbandiger Wiedergabe aus, die beim Bass ja nicht verkehrt ist, und der Preis war zu günstig, um ihn stehen zu lassen. Die Vorstufe hat, typisch für Keyboard-Amps, gleich vier Klinkeneingänge – jeder Eingang kann in Gain und Effektanteil geregelt werden. Die zugehörige Effektschleife mit Send und Return ist parallel geschaltet, der Gesamt-Effektanteil wird mit Effect Return festgelegt. Mit Preamp Out und Poweramp In gibt es noch einen zweiten, seriellen Weg, der allerdings hinter dem Master-Volume liegt.
Eine eigene Klangregelung mit Bässen und Höhen gibt es nur für den vierten Kanal. Aber nicht verzagen! Der vierbändige EQ, der für alle Kanäle gleichermaßen zuständig ist, ist erstaunlich Bassfreundlich in den Frequenzen, 80 Hz packt den Punch, 250 Hz die knurrenden Tiefmitten, 2,5 kHz das Attack und 8 kHz die luftigen Höhen. Einen Masterunabhängigen XLR-Ausgang gibt’s leider nicht, dafür aber noch einen Direct Out als Klinken-Ausgang hinter Master und seriellem FX, und einen großen Kopfhöreranschluss.
Mit seinem Silberkleid ist der kleine Brocken ein echter Hingucker, aber was kann man damit denn nun anstellen? Für die große Bühne ist er doch etwas untermotorisiert, eine gepflegte Session geht aber durchaus. Zuhause macht er die beste Figur. Satt kommen die Bässe, strahlend die Höhen, der EQ greift wie erwartet gut ins Geschehen ein. Effekte individuell beimischen zu können, eröffnet Möglichkeiten, zum Beispiel per AB-Box von einem cleanen Kanal auf einen effektierten umzuschalten. Die betont saubere Wiedergabe verträgt sich auch gut mit vorgeschalteten Preamps, die sich wiederum per AB-Box wunderbar miteinander vergleichen lassen.
Auch mehr oder minder akustische Instrumente kommen wunderbar rüber, sei es ein elektro-akustischer Bass, mein BSX-E-Upright, oder die große Hundehütte. Seine Grenzen findet der Combo, wenn man ihm verzerrte Signale füttert, da das Horn nicht regelbar ist, was für Keyboarder auch nicht vonnöten war und ist. Wenn man das nicht als experimentellen Sound genießen mag, hilft nur, wenn man am Zerrpedal selbst per EQ oder Cab-Sim die ärgsten Höhen zähmen kann. Die Genzler-Pedale mit ihrem Low-Pass machten da eine gute Figur.
JUBILÄUMS-SCHNAPPER
Meine Gerätschaften für die Kleinanzeigenhelden versuche ich immer nach den Kriterien günstig und nützlich bzw. Spaß machend (“cheap and cheerful”, wie es auf Englisch so schön alliteriert heißt) auszusuchen, aber auch nach guter Verfügbarkeit. Da passt der 8015, den es für kurze Zeit auch noch in schwarz gab, nicht so recht, ist er doch nur relativ selten zu finden. Aber wenn, dann ist er meist günstig, weil kein Sammlermarkt für ihn da ist. So ist man dann mit 200 bis 400 Euro schon dabei. Eher steht er für die Geräte, die man mit etwas Aufmerksamkeit abseits der üblichen Geräte finden kann. Wie bei allen älteren Amps sollten die Buchsen und die Potis gecheckt und gegebenenfalls gesäubert werden, ansonsten wurde seinerzeit in Milton Keynes, nördlich von London solide (und servicefreundlich) gefertigt.
(erschienen in Gitarre & Bass 03/2024)