Japan Vintage: Ibanez Artist 2630 Rotary Model

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(Bild: Lothar Trampert)

Die populärste Ibanez Semiacoustic der Neuzeit, also nach circa 1978, wurde als Artist 2630, dann als AS200, später als das John-Scofield-Model JSM100 bzw. JSM10 bekannt und geliebt. Ihr Erscheinungsbild behielt sie im Wesentlichen bei, und nur am Rand der großen Produktionsserien wurde etwas experimentiert. Neben dem mysteriösen Ibanez-Halbresonanz-Modell mit durchgehendem Hals ist die hier vorgestellte Artist 2630 mit dem berühmten Bügeleisenschalter aka Rotary- oder Varitone-Switch, eine der seltensten Japanerinnen überhaupt.

Ibanez wurde als Markenname der japanischen Hoshino-Company Anfang der 1970er-Jahre international bekannt durch teils solide, teils hochwertige Kopien klassischer amerikanischer Instrumente, die nach Europa und in die USA exportiert wurden. Sie kosteten maximal die Hälfte ihrer Vorbilder, wobei sie diesen qualitativ zumindest sehr nahe kamen. Ihren guten Namen erarbeitete sich die Marke also erst einmal mit Kopien von Stratocaster, Les Paul, SG, Telecaster, diversen ES-Modellen und den heute sehr gesuchten Flying-V-, Byrdland- und L5-Clones.

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Zwischen 1976 und ‘78 tauchten dann vermehrt auch Ibanez-Eigenkreationen für den internationalen Markt auf. Dazu gehörten, neben der populären Artist-Solidbody, unter anderem zwei Semiacoustics: Die schlichte 2629 (mit Chrom-Hardware und Punkteinlagen im Fingerboard) und die wesentlich aufwendiger gestaltete Artist 2630 mit vergoldeter Hardware, Perlmutt-Einlagen im Griffbrett, das wie der Rest des Instruments von einem dreifachen Binding eingefasst war, einem Sattel aus Messing & Knochen, geschlossenen Stimm-Mechaniken mit Flügeln in Perlmutt-Optik und dem eigenwilligen Antique-Violin-Finish.

Der Steg, die Regler und die Saitenhalterung waren ebenfalls eigene Designs, wobei es hier nicht nur um die Optik ging: So hatte die massive Gibraltar-Bridge auf den Schrauben zur Höhenverstellung noch Muttern zur Fixierung, sie fiel also beim Saitenwechsel nicht mehr auseinander; außerdem war der Einstellweg ihrer dicken Saitenreiter ungefähr doppelt so lang wie bei einem Standard-Tune-omatic-Steg.

Bei Ibanez’ Gibraltar-Tailpiece mussten die Saiten außerdem nicht eingefädelt werden – sie wurden von oben eingehängt – und auch die Gummibereifung der Ton- und Volume-Regler unterstützte die Praxistauglichkeit dieser neuen Semiacoustic.

Eine weitere wichtige Ibanez-Neuerung war fraglos der Verkaufspreis für solche Edelinstrumente: Im August 1978 kostete die Artist 2630 noch 1240 Deutsche Mark, dazu kamen DM 160 für den Koffer, das Ganze minus 20 % ergibt einen Straßenpreis von ca. DM 1120. Eine Gibson ES-335 kostete laut Liste damals DM 2340 und im Laden ca. DM 1990.

Über die Jahrzehnte und vor allem aufgrund von konsequenter Qualitätsarbeit, konnte sich Ibanez mit dem hochpreisigen Segment den Traditionsherstellern etwas annähern, warb aber parallel immer intensiver mit günstigeren Instrumenten um die Einsteiger-Szene. Ein intelligentes Unternehmen, keine Frage.

Zu den Ibanez-Artist-Neuerungen der späten 70er gehörte auch die Eigenentwicklung der Super-80-Tonabnehmer, wegen ihres eingeprägten Emblems bekannt geworden als „Flying Finger Pickups“. Die klangen ganz anders als das klassische Gibson-PAF-Ideal, hatten noch weniger Mitten, mehr Bässe und sehr brillante Höhen. Für cleane Sounds war das großartig; schickte man das Signal allerdings durch einen übersteuerten Amp, fehlte die Direktheit und die Flying-Finger-PUs klangen relativ matschig.

Da half auch der zusätzlich zum Tonabnehmer-Wahlschalter verfügbare TriSound-Switch nichts, mit dem man den Hals-Humbucker auf Singlecoil-Betrieb oder auf einen sehr dünnen Out-Of-Phase-Ton (erreicht durch parallell out-of-phase geschaltete Einzelspulen) umschalten konnte. Ab ca. 1980 schaltete der Tri-Sound-Switch dann den Steg-Pickup auf Humbucker (beide Spulen in Reihe), Humbucker-Parallel (beide Spulen parallel) und Singlecoil (eine Spule des Humbuckers wird abgeschaltet).

 

Das hier zu sehende Instrument ist eine Ibanez Artist 2630 von 1978, die neben den bereits erwähnten Features über das seltene Detail des Rotary- oder Varitone-Schalters verfügt, der, im Gegensatz zu dem in Gibsons ES-345, hier in Position 6 auf Bypass steht, und dann über verschiedene Kondensatoren und Widerstände dem Ton die Höhen entzieht: Position 5 klingt leicht entschärft, 4 und 3 nach einem festgestellten WahWah und 2 und 1 ermöglichen den klassischen Handschuhton des in die Jahre gekommenen Archtop-Jazzers ohne Hörgerät. Diese Anmerkung ist absolut politisch korrekt, da ich sie natürlich auf mich selbst bezogen habe.

Apropos blühende Jugend: Auch die hier vorgestellte 2630 war vom fiesen Zelluloid-Virus befallen, das vom Schlagbrettmaterial ausdünstete und nach ca. 20 bis 30 Jahren begann, meist im länger geschlossenen Koffer, ganz in Ruhe Metallteile anzugreifen und oxidieren zu lassen. Das bei gleichzeitiger Krakelierung des Pickguards, das dann irgendwann komplett auseinanderfiel. Ibanez hatte das bei Instrumenten aus den Jahren 1977 bis ’80 auftretende Problem schnell im Griff – bzw. man hatte, vielleicht auch ohne Problembewusstsein, das Material für die Pickguards verändert.

Kleiner Tipp für Betroffene: Ersatzteile für japanische Instrumente findet man über www.meinlshop.de.

Da das passende Ibanez Pickguard für die Modelle ASF180 und AS200 (4PG00A0033) satte 135 Euro kostet, habe ich es mit dem „Ibanez Schlagbrett in schwarz für AM93/AS93 (4PG12A0032)“ versucht – das kostet nur 29 Euro und passte nach minimaler Anpassung perfekt auf meine 2630 von 1978. Und es sieht mit seiner feinen Binding-Kante wirklich toll aus.

Diese Gitarre wieder in einen einigermaßen ästhetischen Zustand zu bekommen, war etwas Arbeit. Die sich aber durchaus gelohnt hat, denn aus dieser Ibanez Artist 2630 von 1978 ist eine meiner Lieblingsgitarren geworden. Ich habe im weltweiten Web von diesem seltenen Instrument nur vier Modelle entdeckt, was die Gitarre für Ibanez-Sammler natürlich interessant macht.

Allerdings ist der Preis nicht so heiß wie zu vermuten, denn auch diese und die wenigen anderen Variationen der 2630 gehen bereits für Beträge zwischen 2000 und 2500 Euro über den Tisch. Und dafür sind es hervorragende, vierzig Jahre alte Instrumente aus besten Tonhölzern, handwerklich perfekt gefertigt! Dieser hohe Standard wird heute von anderen Herstellern selbst auf doppelt so teuerem Custom-Shop-Niveau nicht immer erreicht.

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2021)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Interessant.Meine Frage an die G&B-Redaktion: Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe,dann kann sich der „glückliche“ Besitzer einer uralten Ibanez,bei der sich das Schlagbrett (Pickguard) alsbald völlig selbstständig in seine Einzelteile auflöst,und alle umliegenden Teile,sowie auch den Lack der Oberflächen durch eben diesen beschriebenen chemisch ätzenden Umwandlungsprozess angreift,seine einst geliebte Gitarre eigentlich nur noch als „Brennholz“ für den Kamin verwenden?!? Hallo,wie bitte,ist das wirklich real? Dies ist doch dann der absolut blanke Horror! Trifft diese schreckliche Begebenheit ebenfalls evtl. auch für die älteren Aria Pro II TA 50 (Titan-Serie/Made in Japan) der Semi-Akustikgitarren zu? Denn diese besagten Aria Gitarren mit Sycamore-Decken-,Zargen,-und Boden
    waren zumindest optisch und technisch (Hardware) den Ibanez Gitarren in eurem Beitrag zumindest sehr ähnlich.Sie besaßen ebenso 3-lagige Schlagbretter,Rotary-Chickenhead Schalter u.s.w. Wie gesagt,es wäre schon sehr aufschlussreich,zu erfahren,ob diese Aria Titan-Modelltypen gleichfalls irgendwann von diesem „Pickguard Virus“ befallen werden.Vielleicht gibt es derzeit unter den Lesern Erfahrungswerte zu dieser Thematik? Wäre sehr interessant zu wissen.
    Im Voraus vielen Dank!

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