Nach der erfolgreichen Wiedereinführung von Modellen wie Viking oder Swede sind nun auch weniger prominente Designs auf der Rebirth-Liste der schwedischen Firma gelandet. Unter dem Begriff Retroscape Series stellt Hagstrom neben den Modellen H-II und H-III mit Schraubhals die Set-Neck-Varianten Impala und Condor vor.
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In der Zeit des elektrischen Erwachens der Gitarre gab es in Europa viele lustige Designs, immer bemüht modern und auf der Höhe der Zeit zu erscheinen, aber letztlich doch nur den amerikanischen Vorbildern hinterher hechelnd. Viele davon sahen nicht nur nicht besser aus, sondern waren auch noch erbärmlich verarbeitet und als „Eierschneider“ schlecht zu spielen. Was nicht heißt, dass es keine Ausnahmen gab, originäre Entwürfe mithin, die sich im Einzelfall sogar zu begehrten Sammlerstücken gemausert haben. Immerhin schaffte es Höfner zu Paul und Framus zum rollenden Bill. Auch Hagstrom gehörte zu den wenigen europäischen Herstellern, deren Gitarren immer schon von prominenten Musikern gespielt wurden, darunter Größen wie Hendrix, Zappa oder gar Neil Young.
Konstruktion
Die aktuell neu aufgelegten Hagstrom-Modelle Impala und Condor sind Remakes der gleichnamigen 60er-JahreGitarren, bei denen man zwar unbedingt die Seele der Originale einfangen, aber natürlich auch Verbesserungen in Richtung moderner Spielpraxis realisieren wollte. So wurde etwa das Halsprofil abgerundet, die Balance zwischen Hals und Korpus für besseren Tragekomfort am Gurt optimiert und die „Vintage Tremar“-Vibratoeinheit auf Stimmstabilität getrimmt. Im Wesentlichen baugleich, abgesehen von der Ausstattung mit zwei, bzw. drei Pickups, können wir die Beschreibung zunächst einheitlich für beide Instrumente vornehmen und lediglich Elektrik und Schaltung am Ende differenzieren.
Bei den vorliegenden Retro-Hagstroms haben wir es jeweils mit Set-Neck-Modellen zu tun, obwohl der flache, asymmetrisch gestaltete Double-Cutaway-Korpus mit seinen Komfortkonturen an den bekannten Stellen ja durchaus Anleihen bei der Schraubhals-Stratocaster macht. Im Gegensatz zu Letzterer setzt Hagstrom aber auf das Tonholz Mahagoni. Der ebenfalls aus Mahagoni gefertigte Hals unserer Schwestermodelle ist etwa in Höhe des 18. Bundes mit fließendem Übergang in den Korpus eingeleimt. Das Griffbrett von 15″ Radius, jeweils aus dem Verbundmaterial Resinator gefertigt (ein aktueller Hagstrom-Standard) wurde mit 22 Medium Jumbo-Bünden bestückt; Pearl Dots kennzeichnen die Lagen.
Die leicht abgewinkelten Kopfplatten tragen 6-in-Reihe montierte Hagstrom-15:1- Ratio-Die-Cast-Mechaniken. Als Sattel dient ein GraphTech Black Tusq XL, dahinter ist der abgedeckte Zugang zum H-Expander Trussrod für mögliche Halskorrekturen zu finden. Auch am Korpus sehen wir gemeinsame Ausstattung mit der Long Travel TOM Roller Bridge und dem „Vintage Tremar“ Vibrato, eine aktualisierte Messerkantenkonstruktion mit fixierbarem Einsteckarm. Bei beiden Modellen sind HagstromAlnico-5-„Retro-S“-Singlecoil-Pickups direkt auf das Holz geschraubt – zwei bei der Impala, drei bei der Condor. Ein einzelner Volume-Regler mit „R/C Tone Circuit“ wurde etwas weiter nach außen auf ein schwarz-weiß geschichtetes Pickguard platziert. Absolut Retro ist die überarbeitete Schalterleiste in Vintage-Optik.
Die Schiebeschalter bekamen allerdings eine verlässliche und ergonomisch griffige Funktion mit differierenden Zugriffsmöglichkeiten. Bei der 2-Pickup-Version Impala liegt folgendes Schaltschema an: Pos1 Neck Pickup On/Off, Pos2 Neck Tone On/Off, Pos3 Bridge Pickup On/Off, Pos4 Bridge Tone On/Off, Pos5 Mute On/Off, Pos6 Top (Bass Cut) On/Off. Bei der Condor finden wir das Schaltschema: Pos1 Neck PU On/Off, Pos2 Middle PU On/Off, Pos3 Bridge PU On/Off, Pos4 Master Tone On/Off, Pos5 Mute On/Off, Pos6 Top (Bass Cut) On/Off. Die Condor ist in Schwarz, die Impala in dunklem Brown Burst rundum hochglänzend lackiert. Die klassischen erhabenen Hagstrom-Embleme auf Korpushorn und Kopfplatte sorgen für unverkennbare Firmenidentität.
Praxis
Hagstroms Intention für diese Neuschöpfungen alter Designs war es, den Klang der Urversionen Impala und Condor so authentisch wie nur möglich zu reproduzieren, also den essentiellen 60s Sound der originalen Tonabnehmer perfekt rüberzubringen, die Tür aber dennoch für moderne Klangwelten offen zu halten. Zunächst einmal wurde das Ziel verbesserter Balance am Gurt erfüllt. Beide Gitarren hängen bei 3,3/3,4 kg mit guter Ausrichtung am Strap. Die Hälse sind von eher kraftvollem Zuschnitt, unterscheiden sich wohl auch leicht in den Maßen, was aber nicht wirklich ins Gewicht fällt. Der tendenzielle Big Neck weist angenehme Verrundung im Schulterbereich auf, nimmt allerdings nach oben hin noch ordentlich zu, sodass das Spielgefühl oberhalb des siebten Bundes schon nach der kräftigen Hand fragt.
Das gilt es also auf persönliche Vorlieben zu prüfen, aber natürlich sorgt so ein Ast auch für ein Plus an Tonsubstanz. Ein gutes Augenmerk hatte man für angenehm gerundete Griffbrettkanten. Vom akustischen Sound her sind diese Hagstroms schon Schwestern, aber dennoch tönt die Impala etwas runder und voller, die Condor dagegen leicht crisper, metallischer. Recht laut und kantig treten beide jedenfalls auch unplugged schon auf. Nun aber ab in den Amp mit euch Nordlichtern – lasst hören, zum Thor, wo der Hammer hängt: Die Switcherei ist gewöhnungsbedürftig und so richtig übersichtlich ist das alles auch nicht, aber dafür stehen uns die Pickups neben den Einzelschaltungen in allen denkbaren Kombinationen zur Verfügung und der ein oder andere Spieler wird auch den Mute-Schalter begrüßen, obwohl der das Signal nicht gänzlich stumm schaltet (warum eigentlich nicht?). Das ist aber natürlich bei Einzelschaltungen mit den On/Off-Switches möglich.
Die Retro-S-Pickups bieten nun nicht wirklich Überraschendes, aber tonfarblich starken Charakter und tolles Singlecoil-Flair muss man ihnen unbedingt zugestehen. Sie wandeln satt, ehrlich, ja kernig, in Stegposition auch bissig und geben glasklar offene Sounds raus. Sounds, die so frisch und angriffslustig erscheinen, dass es Spaß macht, sie rhythmisch umzusetzen und Akkorde oder Hooklines damit zu inszenieren. Die Gitarren klingen im Übrigen recht ähnlich. Die Impala hat in Sachen Vitalität die Nase leicht vorn, dafür erlaubt die Condor mehr Kombinationen in der Pickup-Wahl. Schön dabei die Möglichkeit, neben den üblichen Kombi-Sounds mit dem Mittel-Pickup auch alle drei Tonabnehmer anzuwählen.
Grundsätzlich vermitteln die Retro-S-Singlecoils tatsächlich ein spezielles 60s-Flair, das von Beat bis Surf sein helles Licht wirft, und sich doch nicht beschränken lassen will. Authentisch und messerscharf konturiert kommen diese Tonabnehmer dann aber auch in Zerre zu Ehren. Kaum etwas für Tone-Puristen aus dem Blues-Lager, dafür aber von kraftvollem Farbspektrum und mit hohem Prä- senzfaktor gesegnet, also gut für alles, was nach frechem Hook fragt. Die spritzige Angelegenheit lässt sich noch weiter einengen durch den Top-Bass-Cut-Regler, welcher mit gut gewählter Festeinstellung das Klangbild nochmals schlanker und bissiger macht, ohne es aber zu entkernen. Vintage hin oder her, anstelle der Tone-Schiebeschalter, mit ebenfalls fest eingestelltem Muffeltoneffekt, hätte man sich doch eher ein stufenlos regelbares Tone-Poti gewünscht.
So gibt es den angelegten Sound eben nur kross oder gedünstet. Letzterer gibt aber in Zerre, ich muss es leider zugeben, doch ein merkwürdig von innen nach außen boostendes Signal heraus, das auch wieder seinen eigentümlichen Reiz hat. Der in das Volume-Poti integrierte R/CTone-Circuit sorgt auf langem Regelweg dafür, dass die Signalgüte auch beim Runterregeln nicht abschattet. Der Volume-Regler ist wohl etwas weit weg platziert für schnellen Zugriff, aber das haken wir mal, wie auch das Switch Board, unter dem Begriff Vintage Correctness ab. Mit dem funktional recht fest operierenden Vintage Tremar Vibrato lässt sich dann am Ende auch noch mehr als ordentlich arbeiten.
Resümee
Die Vergangenheit lebt! Alte Ideen, auf den Stand der aktuellen Technik gebracht, können sehr überzeugend sein, zumindest wenn man ein Fan dieser recht speziellen Vintage-Ästhetik ist. Das ist in unserem Geschäft nun wirklich nicht neu, aber neben den amerikanischen Erfolgsprodukten – praktisch allesamt in den 1950er-, spätestens 60er-Jahren zu Ruhm gekommene Designs – gibt es die gelegentlich unterschätzten Ableger aus Europa, wie Hagstroms revitalisierte Modelle Impala und Condor beweisen. Die Sounds sind so selbständig wie cool.
Da ist nicht so viel mit Golden Tone, eher gibt es Kante. Hart aber herzlich im Clean-Kanal, erweisen sich die Retro-SSinglecoils dann auch noch als höchst potente Tonwandler im Zerrbetrieb. Knurrig und frech, aber mit erfrischender Attitüde ausgestattet, klingt es originär und eigenständig, dazu braucht es nun wirklich keine Amerikaner. Wer also abseits vom Mainstream kecke Optik und Sounds mit selbstbewusst frechem Charme zu einem Straßenpreis von locker unter € 700 sucht, der sollte sich die Retroscape Modelle unbedingt einmal vorknöpfen. In diesem Sinne: viel Spaß!