Seit 2007 befindet sich die ES-339 im Gibson-Katalog. Eigentlich als Zwitter zwischen ES-335 und Les Paul konzipiert, ist das, was sich der Music Store Köln hier zusätzlich hat einfallen lassen, eine wirkliche Überraschung – und das nicht nur wegen des Preises.
Anzeige
Exklusiv für den Kölner Musikladen baut Gibson in seiner Memphis-Division diese spezielle Version seiner ES-339. Da haben sowohl Hersteller als auch Händler wohl die Zeichen der Zeit erkannt, sieht man zurzeit auf den Bühnen dieser Welt doch neben Fender Telecaster in allen Versionen vor allem Semiakustik-Gitarren, auch und vor vor allem dann, wenn junge Menschen dort Musik machen.
Konstruktion der Gibson ES-339 Traditional Pro Exclusive
Die ES-339 wurde 2007 mit der Vorgabe ins Rennen um die Gunst der Gitarristen geschickt, den typischen Ton und die Flexibilität einer ES-335 mit der Handlichkeit einer Les Paul zu verbinden. So entspricht die Korpuslänge exakt der einer Les Paul, während die Breite in etwa zwischen Les Paul und 335 angesiedelt ist. Die Konstruktion ist identisch mit der einer ES-335, also Ahorn-Laminat für Rücken, gewölbte Decke und Zargen inkl. eines massiven Ahorn-Blocks, der durch den gesamten Korpus verläuft und Rücken und Decke miteinander verbindet. So wird nicht nur den Pickups und der Brücken-/Saitenhalter-Konstruktion ein fester Platz geboten, sondern auch erfolgreich rückkoppelndes Dröhnen unterdrückt. Dieser Sustain-Block ist in etwa so breit wie der einer ES-335, hat also im Verhältnis zur Korpusgröße einen höheren Anteil an Gewicht und Klangverhalten als der der großen Schwester. Wenn ich eben „Ahorn-Laminat“ schrieb, so ist das eigentlich nicht ganz korrekt, denn dieses Laminat besteht aus zwei Schichten Ahorn, die eine Schicht Basswood (Linde) umschließen.
Auf der Vorderseite ist der Korpus glänzend lackiert, die Rückseiten von Body, Hals und Kopfplatte sind jedoch matt gehalten. Leider auch die Vorderseite der Kopfplatte; die hätte man analog zur Korpus-Vorderseite vielleicht besser glänzend lackiert. Aber das Matte, zumindest auf der Halsrückseite, hat auch seine Vorteile – so wird man nicht mit dem oft klebrig werdenden Gibson-Hochglanzlack konfrontiert.
Die Pickup-Bestückung ist weniger traditionell, sondern zeitgemäß. Am Hals sitzt, ganz klassisch zwar, ein ‘57-Classic-, am Steg jedoch der lautere ‘57-Super-Humbucker, beides Alnico-II-Aggregate. Geregelt wird wie üblich mit Volume und Tone pro Pickup und einem Dreiweg-Toggle für die Pickup-Anwahl. Aber die Schaltung hält einige Besonderheiten abseits der Tradition bereit. So sind beide Volume-Potis als Push/Push-Versionen ausgeführt und schalten die Humbucker in ihren Singlecoil- Modus.
Das obere Tone-Poti – und das ist für mich die eigentliche Überraschung – wirft mittels Push/Push-Betrieb einen Booster in die Schaltung, der die Lautstärke um maximal satte 10 dB anhebt! Einen Booster in einer Gitarre – das habe ich schon lange nicht mehr erlebt, sieht man einmal von der Fender Eric Clapton Signature ab. Dieser Booster, der seinen Saft durch eine auf der Rückseite einzusetzende 9-V-Blockbatterie erhält, ist über ein Trim-Poti im Inneren des Elektronikfachs in seiner Schlagkraft einstellbar. Ist man schon mal hier zugange, kann man auch schön die Platine sehen, auf der die Pickups einfach mit Steckkontakten angeschlossen werden. Das sieht schon ein bisschen arg modern aus, aber wer weiß: Vielleicht wird diese Art der Verdrahtung in ca. 50 Jahren als „2013th Wiring“ in die Vintage-Gitarrengeschichte eingehen …
Die Gibson-typische ABR-1-Tune-o-matic-Brücke, das dazu gehörende Stop-Tailpiece und Gibson-Backlocking-Mechaniken, allesamt ziemlich glänzend verchromt, runden das ordentliche Hardware-Angebot der ES-339 ab.
Und manchmal hat man doch wirklich Tomaten auf den Augen … Da halte ich diese ES-339 neben meine ES-335 und wundere mich, wie anders (mal abgesehen von der Größe) die 339 aussieht, komme aber partout nicht drauf, woran das denn vorwiegend liegt. Stunden später fällt es dann wie Schuppen von den Augen: Die ES-339 hat ja gar keine F-Löcher!!! Und sieht deshalb so ungewohnt aus. Hintergrund dieser Amputation des klassischen Designs: Ohne F-Löcher und mit Sustain-Block wird es selbst bei richtig lauten, zerrenden Amp-Stacks gar keine Probleme mit dröhnenden Rückkopplungen geben.
Die Gibson ES-339 Traditional Pro Exclusive in der Praxis
Semiakustisch, Singlecoil-Schaltung, Booster … da gibt es jetzt aber eine Menge zu besprechen. Doch fangen wir mit dem Halsprofil an, dem sogenannten 30/60er-Profil. Das soll dem eher schlanken Profil der frühen 60er-Jahre des Herstellers entsprechen, plus einer Zugabe von .030″ (ca. 0,7 mm) – daher auch der Name 30/60. Dass die letztendliche Formgebung des Halses auch in Memphis, wo diese Gitarren gebaut werden, noch per Hand erfolgt, verdeutlicht die unterschiedlichen Halsmaße – siehe die Übersicht.
Beide Gitarren klingen am cleanen Verstärker hier nicht ganz so fett und auch nicht ganz so luftig wie eine gute ES-335, sondern eher etwas zurückhaltend und komprimiert, und das insbesondere auf den tiefen Saiten. Ein insgesamt glockiger, runder Ton wird vom ‘57 Classic am Hals produziert, sehr gut für Blues und Artverwandtes, während der ‘57 Super kerniger, drahtiger, aber schon ganz schön fett die Muskeln am Steg spielen lässt.
Verzerrt entwickelt sich das dann so, wie man es sich in etwa vorstellen kann – es wird ein Sound erzeugt, der irgendwo zwischen ES-335 und Les Paul liegt. Also werden offene, „wendige“ Elemente genauso angeboten wie Druck, Sustain und singende Sounds. Eigentlich eine richtig gute Mischung – the best of both worlds! Da kommt man doch etwas ins Sinnieren, warum die ES-339 neben den beiden Klassikern des Hauses immer noch keine große Rolle spielt. Denn mit diesem Sound hat sie als vollwertiges Bindeglied zwischen ES-335 und Les Paul durchaus ihre Berechtigung.
Und dabei haben wir den Booster doch noch gar nicht aktiviert … Ein Hieb auf das Tone-Poti setzt seine Wirkung frei, und Heissa – dann geht aber auf einmal die Sonne auf! Auf Vollgas eingestellt, erledigt die ES-339 auf Anhieb den cleanen Sound meines armen Fender-Combos und macht aus ihm eine fette, breite und bröselig-böse Vintage-Zerre, die schwer zu bändigen ist. Ob das der alleinige Sinn dieses Boosters sein soll, sei einmal dahingestellt – denn zum einen kann man seine Wirkung ja fein justieren, zum anderen bewirkt er neben optionalem, schierem Output noch andere wundersame Dinge. So wandelt er z. B. das Signal von hoch- auf niederohmig, was bedeutet, dass es nun keine Signalverluste mehr durch das Kabel- und Effektwerk gibt, das zwischen Gitarre und Amp hängt. Damit erhält man mehr Dynamik, mehr Direktheit und mehr Höhen und auch die Effektpedale klingen nun eine Idee intensiver.
Und das Beste: Die Gitarre hängt nun so effektiv an den Volume-Potis, dass sich alles von clean bis zu voll verzerrt mit ihnen regeln lässt. Und das ist richtig klasse, denn der cleane Sound bei heruntergeregeltem Volume und aktiviertem Booster ist deutlich schöner als der mit deaktiviertem Booster und voll aufgedrehtem Volume! Somit verstehe ich diese ES-339 auch als ein Plädoyer für den generellen Einsatz eines Boosters, denn der macht einfach mehr aus dem angebotenen Sound!
Natürlich lässt sich der Booster vielseitig einsetzen, z. B. als Solo-Boost, aber auch, um einen bereits zerrenden Amp noch mehr in die Sättigung zu treiben. Dann fällt der Lautstärkesprung auch nicht mehr so hoch aus wie bei einem clean eingestellten Amp, weil dann ein guter Teil des Outputs in der Sättigung verschwindet. Seine Verstärkung erfolgt, wenn ich meinen Ohren trauen darf, recht linear, er ist also kein typischer Vintage-Treble-Booster. Zudem lässt er sich auch als reiner Sound-Verbesserer benutzen – dafür dreht man das Trimpoti weit nach links auf eine geringe Verstärkung und lässt ihn einfach immer an. Ganz nach links gedreht produziert er keine Lautstärkeanhebung mehr, aber immer noch einen in Nuancen frischeren, dynamischeren Sound als ohne. Und ist dann auch für Stilarten zu gebrauchen, in denen es gar nicht darum geht, aus Zerre noch mehr Zerre zu machen. Blues, Jazz, Pop – alles geht, und zwar sehr gut. Die Singlecoil-Schaltung ist eine nette Dreingabe, die dünnere, brillantere Sounds ermöglicht – wenn man will: Funk-Sounds –, aber der Schwerpunkt dieser Gitarre liegt eindeutig auf den Humbuckern und deren typischer Wirkungsweise.
Resümee
Dass diese für den Music Store Köln exklusiv gebaute Gibson ES-339 solche interessante Überraschungen bereitstellt, hätte ich nicht erwartet. Die zwar optisch mit einer normalen ES-339 nicht ganz mithaltenden Modelle können auf tonaler Ebene umso mehr überzeugen. Klanglich in etwa zwischen dem fetten, transparenten Sound einer ES-335 und dem druckvollen, warmen Sound einer Les Paul liegend, kann die ES-339 durch die Singlecoil-Schaltung, aber vor allem durch den integrierten Booster eine große Flexibilität und gleichzeitig starke Klangmomente setzen, die es in einer Gitarre dieser traditionellen Art nur selten gibt. Hinzu kommt der günstige Anschaffungspreis, der ebenfalls für ein Ausrufezeichen sorgt. Wem eine ES-335 zu groß und zu rückkopplungsanfällig und eine Les Paul zu schwer ist und zu druckvoll klingt, der sollte sich grundsätzlich einmal eine ES-339 näher anschauen. Wer zudem noch auf ungewöhnliche Sound-Varianten aus ist und vielleicht sogar das Arbeiten mit einem Booster zu schätzen weiß, der kommt ums Ausprobieren dieser speziellen ES-339 gar nicht mehr herum!
Übersicht
Fabrikat: Gibson
Modell: ES-339 Traditional Pro Exclusive Cherry (ES-339 Traditional Pro Exclusive Vintage Sunburst)
Typ: semiakustische E-Gitarre
Herkunftsland: USA
Mechaniken: Grover, back-locking Typen mit Tulpenflügeln
Hals: Mahagoni
Sattel: Knochen-Imitat (Corian)
Griffbrett: Palisander, mit Einfassung, Perlmutt-Punkteinlagen
Radius: 12″
Halsform: D-Profil, 30/60-style
Halsbreite: Sattel 43 mm; XII. 51,65 mm
Halsdicke: I. 20,65 mm (21,25 mm); XII. 23,10 mm (23,20 mm)
Bünde: 22, Medium-Jumbo-Format
Mensur: 628 mm
Korpus: Ahorn, semiakustisch, mit Sustain-Block, keine f-Löcher