Bang statt Twang

Fender Roadworn 72 Deluxe & Custom Telecaster im Test

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Weiße und schwarze Fender Telecaster, liegend / stehend
(Bild: Dieter Stork)

Die Telecaster ist immer noch die Mutter aller Solidbody-E-Gitarren und der Inbegriff eines soliden Arbeitstieres. Viele Gitarristen lieben sie aufgrund ihres unvergleichlichen Twangs. Doch die, die damals statt Twang eher Bang bevorzugt hätten, mussten bis in die 70er hinein warten, bis Fender die passenden Gitarren dafür ins Programm nahm.

 

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Dennoch sind die Telecaster-Modelle, die 1972 der Gitarristen-Schar präsentiert wurden, bis heute eher ein Nischen-Thema geblieben. T steht halt eben immer noch für Twang, und dass Humbucker in einer Tele für Rock’n’Roll stehen sollen, hat einfach nicht jeder begriffen. Obwohl Rock-Ikone Keith Richards auch damals schon mit seiner schwarzen 72er Telecaster Custom bekanntermaßen nicht unerfolgreich zum Bigger Bang ausgeholt hatte.

Allerdings ist in letzter Zeit tatsächlich ein Trend auszumachen, der die Tele-Randerscheinungen mit den dicken Humbuckern wieder an die Oberfläche gespült hat. Viele Musiker aus dem alternativen Rock-Lager, die eben keinen Twang, dafür aber den coolen Look und den fleischigeren Sound einer Humbucker-Tele bevorzugen, haben diese Spezies mehr denn je zuvor ins Scheinwerferlicht gezerrt. Dies haben auch die Fender-Verantwortlichen erkannt und erweitern ihre viel beachtete Road-Worn-Serie um ab Werk gealterte Versionen dieser beiden Rock’n’Roll-Teles. Eine prima Idee!

 

Konstruktion der Fender Roadworn 72 Deluxe & Custom 

Vorweg ein bisschen Geschichte: 1972 hatte Fender das klassische Tele-Design einer gehörigen Revision unterworfen. Schwester Strat war bereits mit einer großen Kopfplatte und der modernen 3-Loch-Halsbefestigung auf dem Markt unterwegs, da sollte das Tele-Lager nicht hinten anstehen und ebenfalls die Segnungen der Neuzeit – oder das, was die Verantwortlichen dafür hielten – erfahren. Wobei man bei den drei Telecaster-Neulingen nicht gerade konsequent zu Werke ging. Die modernste war die 72 Deluxe mit ihren beiden Humbuckern, vier Reglern plus Toggle-Schalter, der großen Kopfplatte, 3-Loch-Halsbefestigung, Strat-Steg mit sechs Saitenreitern und einem Strat-typischen Kontur-Shaping der Korpus-Rückseite. Die 72 Custom durfte hingegen ihre typische, kleine Tele-Kopfplatte und den schräg in der bekannten Brückenplatte mit ihren drei Saitenreitern sitzenden Steg-Pickup behalten, während die 72 Thinline wie eine Art Zwischenmodell ausgestattet wurde: Kleine Kopfplatte, zwei Humbucker, zwei Regler plus „Blade“-Dreiwegschalter, 3-Loch-Halsbefestigung und Strat-Steg mit sechs Saitenreitern. Bei allen dreien war das kleine Schlagbrett der Ur-Tele nun einem riesengroßen gewichen, das mehr als die Hälfte der Decke in Anspruch nahm und neben Pickups auch Schalter und die Reglereinheit trug.

Ihre vier Regler hatten die Custom und die Deluxe nicht umsonst bekommen, denn bei Fender hatte man natürlich die Erfolgsstory der Gibson Les Paul mitverfolgt. Die war als notorischer Ladenhüter 1960 von Gibson ausgemustert worden und erfreute sich seit 1968 eines Revivals, das sich gewaschen hatte. In Kalifornien überlegte man sich nun entsprechende Maßnahmen, einen möglichst großen Teil des Les-Paul-Zielpublikums auf eigene Produkte umzuleiten. Da waren die vier Regler ein Weg, aber viel wichtiger die Einführung des Fender-Humbuckers, für den Hersteller damals ein Riesenschritt in eine neue Richtung. Man meinte, dass die meisten Gitarristen eine Les Paul wohl wegen ihrer Tonabnehmer spielten – Humbucker, die die Verstärker der damaligen Zeit früher zum Zerren brachten und die aufgrund ihrer Doppelspulen-Konstruktion nicht so brummten wie Singlecoils.

Doch Fenders Antwortversuch auf die Les Paul konnte den Gibson-Verantwortlichen nur ein müdes Lächeln entlocken. Hier war keine Konkurrenz für ihr Erfolgsmodell geboren, sondern Gitarren, die allzu sehr nach Fender aussahen – trotz der nicht zu übersehenden Humbucker. So entspann sich um die neuen Teles denn auch nicht wirklich eine Erfolgsstory, sie wurden vielmehr bereits vor dem Beginn des 8. Jahrzehnts aus dem Katalog genommen, gemeinsam mit der Thinline und der Starcaster, die ebenfalls mit diesen neuen Humbucker unterwegs gewesen waren.

Fender hat mit den neuen Road-Worn-Modellen seine eigenen Originale wie immer exakt nachgebaut, zumindest, was das Optische angeht. Und ja – diese Gitarren wirken einfach cool! Der Relic-Job ist dezent und geschmackvoll gemacht, beide Tele-Modelle haben aber den exakt gleichen Alterungsprozess hinter sich gebracht. In Würde gealtert? Nein, mexikanisch, schnell und per Schablone. Denn nur so ist der günstige Preis für einen Roadworn-Look zu erreichen, Relicing von Hand ist heutzutage schließlich teurer als Lackieren. Der Lack ist matt und dünn aufgetragen, und auch das Pickguard mit seinen optischen Macken sieht verdammt alt aus. Bei der Hardware hat man sich etwas zurückgehalten, immerhin zeigen die Brückenplatte der Custom und die Pickup-Schrauben Ansätze von Flugrost, und die Mexikaner haben den Humbuckern sogar dezente Beulen neben dem großen F des in die Kappe gravierten Logos verpasst. D. h., beim Hals-Pickup der Deluxe wurde das Verbeulen vergessen oder absichtlich – und das würde von großem Mitdenken zeugen! – weggelassen.

Beide Hälse sind auch vom mexikanischen Relicmaster behandelt worden, der der Deluxe natürlich auf beiden Seiten. Hinten ist der Lack fast über die ganze Länge bis auf das rohe Ahorn abgeschliffen, wobei die Übergänge zum unbehandelten Lack ein wenig zu krass ausfallen. Die Griffbrettlackierung der Deluxe hat nicht nur ihren Hochglanz eingebüßt, sondern ist an vielen Stellen gänzlich abgeschabt, allerdings sieht dies relativ unrealistisch aus. Überhaupt ist die Basis-Lackierung dieser Hälse eine seidenmatte, doch die der originalen 70er-Jahre-Instrumente waren mit einem sehr dicken Klarlack versehen, der über die Jahre riss und ganz andere Abnutzungserscheinungen aufweist als die beiden Roadworn-Instrumente. Da scheint man sich bei Fender gegen die Historie und für das heute angesagte Spielgefühl entschieden zu haben – meiner Ansicht nach die richtige Entscheidung, denn solche Instrumente werden nicht an die Wand gehängt, sondern auf der Bühne eingesetzt. So lassen sich beide Hälse, aber insbesondere der der Deluxe, sehr gut spielen. Die Bundierung ist erstklassig ausgeführt, der Sattel perfekt gekerbt und ich stelle fest, dass der Radius des Deluxe-Griffbrettes erstaunlich flache 12″ beträgt. Das Palisandergriffbrett der Custom ist dagegen stärker gewölbt (7,25″) und mit schmaleren Vintage-Bünden bestückt, die genauso perfekt eingearbeitet und poliert sind wie die der Deluxe.

Schaut man noch etwas genauer hin, entdeckt man einige Unterschiede zu den echten Modellen aus den 70ern. Den Hals-Lack hatte ich weiter oben schon erwähnt, aber auch die Saitenreiter sind nicht original – was ebenfalls zu begrüßen ist. Sowohl die drei der Custom also auch die sechs der Deluxe sind aus Stahl, bzw. Stahlblech, während die Pendants in den 70ern aus träge klingendem und hässlich aussehendem Gussmaterial waren.

Die Wide Range Humbucker von heute sind ebenfalls nicht baugleich mit den Originalen, sondern wie übliche Humbucker aufgebaut – mit Alnico-Barrenmagneten unter den Spulen und Eisenstiften als Polstücke. Den alten Fender-Humbuckern wird ein fetter, warmer, aber im Gegensatz zu Gibson-PAFs immer transparenter Sound attestiert – mal sehen, wie sich diese neuen, eher konventionellen Fender-Humbucker verhalten.

 

Praxis

Beide Tele-Neulinge fühlen sich natürlich „roadworn“ an – das Halsholz schmiegt sich in die Hand, der matte Lack wirkt sympathisch wie ein alter Kumpel, die Spielbarkeit ist vorbildlich und die Sounds aller Ehren wert. Verweilen wir zuerst bei der radikaleren Tele, der 72 Deluxe. Ihr Steg-Humbucker klingt nicht so pfundig wie der einer Les Paul, ist aber genauso weit entfernt vom Twang eines typischen Tele-Singlecoils in dieser Position. Er wirkt ausgewogen mit schönen, warmen Höhen und nie glasig oder dünn. Das ist schon ein Fender-Ton, den man hier hört, aber ein ungewohnter. Mich erinnert er an den einer Pedalsteel-Gitarre, also nicht so beißend wie ein Tele-Singlecoil, sondern fetter und breiter. Bringt man den Hals-Pickup ins Spiel, wirkt dieser schon eher wie ein typischer PAF, dick, samtig und warm. Der fette Solo-Sound mit einem angezerrten Verstärker garantiert bei der nächsten Blues-Session ein paar Runden mehr auf dem 12-Takt-Karussel, während die Kombinationsstellung einen wunderbaren Parallel-Humbucker-Sound bereitstellt, der Flächen souverän ausbreitet, aber auch originell klingenden Solo-Passagen nicht abgeneigt erscheint. Richtig klasse!

Die 72 Custom, Keiths Nahkampfwaffe, klingt insgesamt rauer, erdiger – und natürlich mit höherem Twang-Faktor. Den konnte ihr auch die Dreiloch-Halsbefestigung nicht austreiben, von der einige Puristen bis heute noch behaupten, dass der Teufel sie erfunden hätte. Nein, sie hat auch ihre guten Seiten, denn sie ermöglicht immerhin „von außen“ die Einstellung des Halswinkels. Der traditionelle Steg-Pickup der Custom bringt typischen Tele- Wind in dieses Rezept, Country, Punk, Rock’n’Roll … you name it! Großartig, wenn der Amp leicht anzerrt, mittelmäßig, wenn ihm im reinen Clean-Betrieb das letzte Schimmern eines guten Vintage-Twangs dann doch abgeht! Wird der Humbucker dazu geschaltet, muss man ein wenig auf die Balance achten, denn er ist lauter als der Einspuler am Steg. Hier machen sich die getrennten Regler pro Pickup bezahlt, denn sie ermöglichen eine perfekte Lautstärke-Anpassung der beiden Tonwandler. Die Kombination mit dem Steg-Pickup legt wie bei der Deluxe warme Flächen oder Arpeggios und konturierte, charaktervolle Solo-Sounds an den Tag, die man dann geschmackvoll bluesig mit dem Hals-Humbucker alleine ausklingen lassen kann. Im direkten Vergleich mit dem Steg-Pickup erscheint er umso fleischiger und fetter, aber hinter all dieser Wolllust ist auch stets ein verschmitzter, geschmeidiger Strat- Knack herauszuhören, der sich äußerst beschwingend auf das Spiel auswirkt. An Les Paul habe ich jedenfalls in keiner Sekunde dieses Testberichts gedacht, und trotz der Tatsache, dass dieser Hals-Pickup grundsätzliche Texturen eines PAFs zu Gehör bringt, hat er gleichzeitig so viele Fender-Elemente zu bieten (bedingt durch Schraubhals, Mensur, flachen Halswinkel etc.), dass sich ein Vergleich mit dem Gibson-Dauerbrenner von vornherein verbietet.

Viel interessanter ist da schon der Vergleich mit einer originalen 72 Telecaster Thinline, die ich mir von einem Freund für diesen Test ausgeliehen habe. Vom ersten Griff an erscheint die alte wie eine komplett andere Gitarre – schwerer, obwohl Thinline, weniger gut verarbeitet (Anpassung von Hals und Korpus) und vor allem mit einer richtig dicken Lackschicht auf dem Hals bietet sie ein ganz anderes Spielgefühl als die Nachfahren aus Mexiko. Klanglich sind die Unterschiede jedoch nicht so groß – die alten Pickups klingen halt eine Idee leiser und nicht so breitbandig. Je verzerrter es wird, desto wolliger wird hier der Sound, ohne aber zu matschen. Insgesamt klingt die alte Tele irgendwie originell und ungewöhnlich – ähnlich hell und warm-transparent wie die Roadworn- Modelle, aber eben nicht so laut und rockig. Auch das noch: Die Road Worn 72 Custom und 72 Deluxe erscheinen in einer limitierten Auflage. Sollte sie bereits vergriffen sein, bietet das große Fender-Programm unter dem Motto „für einen Hunni weniger“ die gleichen Modelle als Non-Roadworn-Versionen in der Classic-Serie an. Hier ist dann auch die 72 Classic Thinline Deluxe erhältlich. Die Classic-Player-Serie hält auch noch Telecaster mit Humbucker-Bestückung parat: Tele Thinline Deluxe sowie Tele Deluxe mit Strat-Vibratosystem.

 

Resümee

Beide neuen Roadworn-Modelle von Fender zeigen, dass diese Tele-Konzepte schon damals ihren Sinn hatten. Doch erst heute scheint die Musikerwelt bereit, diesen zu begreifen. So stellt sich bei der gebotenen Qualität denn auch eigentlich nicht die Frage „Soll ich eine kaufen?“, sondern: „Welche soll ich kaufen?“. Beide Modelle gehören zu den coolsten Rock-Gitarren, die Fender je herausgebracht hat. Sie sind perfekt verarbeitet, recht geschmackvoll gereliced und – das Wichtigste! – sie lassen sich einfach wunderbar spielen. Ihr Sound ist irgendwie einzigartig – nicht ganz Tele, nicht Gibson-typisch, viel erdiger als Gretsch, sondern irgendwo und überall dazwischen. Wenn das nicht inspiriert, was dann?

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