Extended Range Guitars: Mehr als die Summe ihrer Teile?
von Simon Hawemann, Artikel aus dem Archiv
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Extended Range Gitarren gibt es in allen möglichen Formen und Ausführungen. Dafür, dass es sich hier um eine Nische in der Gitarrenindustrie handelt, muss man sagen, dass das Angebot mit einem unglaublichen Umfang aufwartet.
Von der breiten Masse an verfügbaren Tonhölzern über verschiedenste Mensuren bis hin zu allen erdenklichen Hardware- Varianten und Pickup-Konfigurationen bleibt nur ein Fazit: The Sky is the Limit! Im heutigen Teil geht es um genau diese Vielfalt und darum, welches Instrument für welchen Anwendungsbereich am besten geeignet ist. Ich stelle euch außerdem mein „ideales“ Instrument vor und spreche darüber, mit welchen Specs ich die besten Erfahrungen gemacht habe.
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Der gute Ton
In der Debatte um Tonhölzer wird in der ERG-Szene mindestens genauso heißblütig diskutiert, wie auch unter Liebhabern regulärer Gitarren. Von „Tonhölzer haben keinerlei Einfluss auf den Ton!“ bis hin zu „Tonholz XY ist das einzig Wahre!“ ist so ziemlich jede nur denkbare Meinung vertreten.
Fakt ist: Von den gut 20 Gitarren, die ich in meinem Leben so besessen habe, haben viele dank gleicher Pickups zwar ähnlich, aber durchaus nicht gleich geklungen. Um das mal zu konkretisieren sei gesagt, dass ich ein Gewohnheitstier bin. Wenn mir ein Pickup gut gefällt, dann verbaue ich ihn in nahezu allen meinen Gitarren, besonders in denen, die live und im Bandkontext benutzt werden sollen. So hatte ich eine Zeit lang in allen meinen Live-Gitarren und in ihren Backups DiMarzio D-Activator verbaut – und zwar von 6 bis 8 Saiten. Und wenn auch die Konstruktion oft dieselbe war (geschraubter Hals, Tremolo mit Locking Nut, etc.), klangen Gitarren mit unterschiedlichen Tonhölzern im A/B Vergleich schlichtweg nicht identisch – nicht mal bei High-Gain-Sounds.
Nicht umsonst werden Tonhölzern also individuelle Klangeigenschaften attestiert. Jeder noch so Ungläubige sollte sich deshalb über diese, trotz aller Zweifel, pro Forma informieren und für seine Gitarre Hölzer auszuwählen, die nicht kontraproduktiv für den erhofften Sound sind. Denn Extended Range Gitarren setzen gewisse tonale Qualitäten voraus, die mit der zunehmenden Zahl an Saiten (oder bei besonders tiefen Tunings) nur an Relevanz gewinnen. Ganz logisch sollte dabei sein, dass der tiefe Frequenzbereich einer 8-String z. B. mit besonders warm klingenden Hölzern nicht transparenter und durchsetzungsfähiger wird. Ein Mahagonikorpus und – hals könnte in diesem Falle also z. B. problematisch werden und sich spätestens im Band-Mix mit der Durchsetzungsfähigkeit schwer tun. Bei einer 7-Saiter im Standard Tuning ergeben sich hingegen eventuell je nach Einsatzbereich und Musikstil bei diesen Spezifikationen keine großen Nachteile.
Bild: Simon Hawemann
Bild: Simon Hawemann
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Grundsätzlich sollte die Lage allerdings klar sein: Je tiefer das Tuning, desto hilfreicher ein Tonholz, dem ein offener, transparenter Klang und ein tightes Low End zu eigen sind. Esche erfreut sich bei ERGs demnach beispielsweise großer Beliebtheit. Ob Sumpf- oder Nordesche, beide sorgen für ein sehr aufgeräumtes High End, bissige Hochmitten und ein perkussives Single-Note-Attack! Sumpfesche ist darüber hinaus ein recht leichtes Holz und dank der dramatischen Maserung auch optisch sehr gefragt. Auch bewährte Kombinationen wie Mahagoni- Korpus mit Ahorn-Top in Verbindung mit einem Ahornhals funktionieren gut. An sich kann man so viel gar nicht falsch machen, aber wie gesagt: Man ist gut beraten, sich von Gitarren aus ausschließlich warmen Tonhölzern fernzuhalten.
Zu guter Letzt sei gesagt, dass nicht jedes schick aussehende Top zwangsläufig für die Verbesserung des Klanges sorgt. Manche Hölzer, wie das spektakulär gemaserte Buckeye Burl oder das durch kontrollierte Holzfäule mit schwarzen Streifen durchzogene Spalted Maple, sind enorm weich und tragen bestenfalls gar nicht zum Ton bei. Manch ein Gitarrenbauer wird euch sogar sagen, dass es den Ton im schlimmsten Falle etwas verschlechtert. Also informiert euch auch über die Klangeigenschaften der schönen exotischen Tops, die ihr für euer Extended Range Instrument ins Auge gefasst habt und überlegt euch gut, wo ihr eure Prioritäten setzt. Natürlich wird ein stark komprimierter Hi-Gain-Sound so manche Schwäche in der Tonholzauswahl ausbügeln, aber man muss es ja nicht drauf anlegen.
Das Konstrukt
Im Gegensatz zu den weit auseinandergehenden Meinungen bei Tonhölzern, sind sich viele beim folgendem Punkt einig: Soll es mit dem Tuning in den Keller gehen, wird eine Bariton-Mensur zwingend notwendig. Selbstverständlich gibt es Unmengen von 7-Strings mit 25,5″ Mensur und sogar siebensaitige Gibson/ Epiphone Les Pauls mit 24,75″ Hälsen – und all diese Varianten haben ihren Einsatzbereich und damit auch eine Daseinsberechtigung. Sobald man sich aber unterhalb des Standard 7- String Tunings (HEADGHE) bewegt, rate ich dringend zur Anschaffung eines Instruments mit Bariton-Mensur. 26,5″ ist hier das Minimum, nach oben hin sind die Grenzen bis 30″ weitestgehend offen. Darüber hinaus dürfte es wohl mit der Bespielbarkeit schwierig werden.
Die verlängerte Mensur erzeugt jedenfalls einen höheren Saitenzug und damit einen strafferen, transparenteren Ton und sorgt darüber hinaus noch dafür, dass auch wirklich tiefe Tunings sauber intonierbar sind. Der Nachteil ist allerdings, dass man bei einer längeren Mensur Gefahr läuft, dass die höheren Saiten anfangen schrill zu klingen. Bei einem 30″ Hals bewegt man sich da sprichwörtlich auf dünnem Eis.
Abhilfe schafft hier die von mir in den vorherigen Teilen dieser Kolumne schon mehrfach angesprochene Multiscale- Konstruktion, die mit sogenannten gefächerten Bünden dafür sorgt, dass die Mensur auf den tiefen Saiten verlängert ist (in der Regel liegt sie dort zwischen 27″ und 30″) und sich auf den hohen Saiten je nach Saitenanzahl eher im üblichen Bereich um 25.5″ abspielt.
Die Vorteile sollten auf der Hand liegen: Neben einem aufgeräumten Low End bleibt das High End auf den unumwickelten Saiten etwas smoother. Soli und Bends sollten den virtuos veranlagten Gitarristen unter uns so ebenfalls etwas leichter von der Hand gehen als auf einer straighten Bariton-Mensur. Natürlich muss man sich ein bisschen neu orientieren und an die gefächerten Bünde gewöhnen – der Unterschied zu einer regulären Mensur mit parallelen Bünden ist in den meisten Fällen aber nicht so frappierend, wie es sich einige vielleicht vorstellen.
Zu guter Letzt hält sich auch wacker die Meinung, dass geschraubte Hälse für mehr Attack und Transparenz sorgen als durchgehende, oder, für ERGs eher unüblich, eingeleimte Hälse. Ich habe diese Erfahrung zwar bisher nicht persönlich machen können – so klang z. B. eine meiner Ibanez RGs mit Lindekorpus und geschraubtem Ahornhals/-Fretboard besonders im Attack deutlich zahmer als meine RGT mit Sumpfesche Korpus und durchgehendem Ahornhals/Rosewood- Griffbrett. Eine Audiodatei dieses Vergleiches kannst du dir als kurzen DI-Clip auf der Gitarre & Bass Soundcloud anhören. Ich vermute, dass der Sumpfeschekorpus hier den größeren Unterschied im Vergleich zur Hals-Konstruktion macht. Ich habe mittlerweile drei aus diesem Korpusholz gefertigte Gitarren und allesamt verfügen sie über diese spezifischen Klangeigenschaften. Was mich zum nächsten Punkt bringt …
Meine perfekte ERG
Auch wenn meine zweite E-Gitarre in den frühen 2000ern bereits eine 7-String war, so richtig intensiv spiele ich ERGs erst seit ca. 2010 wieder. Seitdem habe ich allerdings so ziemlich alles an Extended Range Instrumenten in den Händen gehabt, was der Markt hergibt. Von der Standard 7-String mit 25.5″-Mensur bis hin zur Headless Fanned Fret 8-Saiter aus dem letzten Teil dieser Kolumne. Von typischen Massenware Specs wie Lindekorpus und Ahornhals bis hin zu exotischen Tonholz-Kombinationen wie Black Limba und Buckeye Burl konnte ich wirklich eine große Bandbreite auf Herz und Nieren testen. Dabei haben sich über die Jahre ein paar klare Favoriten abgezeichnet. Wer bisher aufmerksam mitgelesen hat, kann es erahnen: Sumpfesche ist für mich die Basis für den perfekten ERG-Sound.
Von sechs bis acht Saiten haben alle meine Gitarren aus diesem Tonholz immer am besten geklungen. Der vorzeitige Höhepunkt in Sachen ERG-Sound war für mich erreicht, als mir Jeff Kiesel 2014 einen Kiesel K8 Prototyp mit Sumpfesche Korpus, Makassar-Ebenholz-Top und einem durchgehenden, fünfteiligen Walnuss/Koa-Hals mit Ebenholzgriffbrett baute. Die Gitarre zersägte einfach alles, was ich bis dato in meinem Arsenal hatte und wurde somit für mich zur Vorlage für den perfekten Ton!
Ich muss aber gestehen, dass ich in der Zwischenzeit etwas bequem geworden bin und Gitarren mit 7 Saiten denen mit 8 vorziehe. Selbst nach etlichen Jahren mit achtsaitigen Gitarren fordern diese von mir deutlich mehr Konzentration beim Spielen, als 6- oder 7-Strings, zwischen denen ich quasi keinen Unterschied mehr spüre. Vielleicht ist es dem jahrelangen Fokus auf 8-Saiter zu verdanken, dass mir siebensaitige Gitarren jetzt so komfortabel vorkommen und ich würde auf jeden Fall auch grundsätzlich sagen, dass mich diese massiven Gitarren im Endeffekt auch zu einem besseren Gitarristen gemacht haben. Aber Komfort und Spielfreude sind mir wichtig, besonders live. Also habe ich mir den K8 Prototyp als Vorlage genommen und auf dieser Basis eine Kiesel DC7X aus folgenden Tonhölzern bauen lassen:
Sumpfeschekorpus
Sumpfesche-Top
27″ Walnuss/Ahorn-Hals, durchgehend
Royal-Ebenholzgriffbrett
Ansonsten geht es sehr minimalistisch zur Sache: Mehr als Hipshot fixed Bridge, Steg-Humbucker und Volume-Poti findet man auf dem Korpus nicht. Das Finish ist ebenfalls lediglich ein hauchdünnes – von Kiesel Guitars das sogenannte „Raw Tone Finish“ – in mattem Schwarz. Gestimmt ist die Gitarre wie eine 8-String ohne hohe E-Saite. In dem Tuning habe ich grad ein ganzes Album für meine Band Nightmarer geschrieben und da ich nicht der große Virtuoso bin, kann ich ohne die extra hohe Saite leben. Die Maxime beim Zusammenstellen dieser Gitarre lautete jedenfalls ganz klar „Reduce to the Max“ – und das Ergebnis trifft den Nagel auf den Kopf! Die Gitarre klingt ungemein aggressiv, hat ein brutales Single-Note- Attack und überträgt selbst Akkorde in den tiefsten Lagen transparent und ausgewogen. Darüber hinaus ist die Gitarre sehr leicht, was zusätzlich für Komfort sorgt. Aber …
Welche ERG ist die richtige für mich?
Eigentlich ist die Frage kurz und knapp beantwortet! Sollte dein Fokus auf dem Rhythmus-Spiel in sehr tiefen Tunings liegen, schaff dir eine ERG mit Bariton-Mensur und hell klingenden Tonhölzern an. Als Lead-Gitarrist oder Shredder bist du auf einer 7-String mit Standard-Mensur hingegen sicherlich komfortabler unterwegs – auch die Auswahl der Tonhölzer wird in diesem Falle etwas flexibler. Wenn man nun aber beides möchte – ein tiefes Tuning mit straffem und transparentem Low-End in Verbindung mit komfortabel zu spielenden und cremig klingenden Leads, ist ein Multiscale-Instrument uneingeschränkt zu empfehlen!