Retro Tube die Dritte: Nach den Topteilen mit 100 und 50 Watt steht nun seit kurzem auch der 1×12-Combo in den Läden. Im Focus der Konzeption: Maximale Tonfülle. Fällt der Engl deswegen besonders schwergewichtig aus? Ja, er bringt satte 27 Kilogramm auf die Waage. Das macht lange Arme und dicke Muckis beim Tragen. Aber ob sich die Schlepperei auch lohnt?
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Konstruktion des Engl Retro Tube 50 Combo
Wir hatten unlängst in kurzer Folge die beiden Topteile im Test. Insofern dürften die Eckdaten bekannt sein, bzw. wir brauchen wohl Konstruktion und Technik nicht mehr bis ins letzte Detail auszuleuchten. Im Prinzip entspricht der Combo dem 50-Watt-Topteil. Einziger wesentlicher Unterschied ist, dass er mit einem Reverb-Effekt ausgestattet ist. Klar, wo Retro draufsteht, da muss die klassische Hallspirale antreten (langes System, Accutronics by Belton). Genauso selbstverständlich ist sie von einer Röhrenschaltung umgeben. Ein digitales Hallmodul, wie es inzwischen häufig verwendet wird, kam für Horst Langer, den Entwickler, gar nicht erst in Betracht.
Die beiden voneinander unabhängigen Kanalzüge sind identisch ausgestattet. Dreiband-Klangregelung, Gain, Volume, und ein Reverb-Regler; die Intensität des Effekts ist also je Kanal separat regelbar. Channel 1 hat im Weiteren einen Bright-Schalter zu bieten, im CH2 kann man mit dem Tone-Switch das Mittenspektrum verändern, während der (kräftige) Gain-Boost auf beide Kanäle wirkt. Außerdem stehen zwei Master-Volumes zur Verfügung. Bei den Topteilen liegt der Threshold-Regler des Noise Gates an der Rückseite, beim Combo ist er in das Bedienfeld integriert. Das Gate wird ausschließlich im Channel 2 aktiv und dort auch nur, wenn der Gain-Boost aktiviert ist. An der Rückseite liegen neben fünf Lautsprecherausgängen (2×4 Ohm, 2×8 Ohm o. 1×16 Ohm) die Anschlüsse des Einschleifwegs. Dank des Balance-Potis kann er sowohl in serieller als auch paralleler Konfiguration genutzt werden. Typisch für Engl-Amps ist, dass es neben normalen Footswitch-Buchsen den S.A.C. Port gibt, für das hauseigene Schaltpedal Z9 bzw. den MIDI-Switcher Z11. Das Z9 ist MIDI-fähig und erlaubt mit seinen sechs Tastern den direkten Abruf der vier Soundmodes: CH1, CH1/Gain Boost, CH2, CH2/Gain Boost. Beim zweiten Drücken eines CH-Tasters wechselt das Master-Volume, bei dritten erneut u.s.w. Die übrigen beiden Taster können nach Wunsch konfiguriert werden, wie auch die Unterfunktion der CH-Taster variabel definierbar ist. Die Footswitch-Anschlüsse kann man zusätzlich, parallel nutzen. Die fernbedienbaren Schaltfunktionen sind im Einzelnen: Channel-1/2, Gain Boost, Master-A/B, Tone, FX-Loop, Reverb.
Ein weiteres nützliches Extra der Engl-Verstärker ist die Endröhrenschutzschaltung. Ein Defekt – „Tube-Failure“ – wird durch eine LED an der Frontplatte angezeigt. Die außen liegenden Sicherungshalter ermöglichen eine schnelle Reparatur, so man sich vorher mit passenden (Engl-) Ersatzröhren versorgt hat (anhand der Grading-Angaben kann man sie problemlos ordern).
Ungewöhnlich ist, wie Engl den Aufbau des Amps konzipiert hat. Die umfangreiche Ausstattung bedingt natürlich einen ziemlich großen Aufwand. Sprich im Chassis geht es einigermaßen gedrängt zu. Damit aufgrund dessen Service-Arbeiten nicht zu umständlich werden, ist das Stahlblechchassis so konstruiert, dass man die Frontplatte ausfahren kann. Sie ist in Schienen fixiert, die nach Lösen von je zwei Schrauben an den Seiten beweglich werden. Klasse, vorbildlich gelöst. Wie Engl verlauten lässt, wird man in den neuen Amp-Generationen das Thema weiter optimieren. Bedeutet, dass auch ältere Modelle in kommenden überarbeiteten Versionen entsprechend neu gestaltet werden. Beim Retro Tube 50 Combo kann man die Neuerungen bereits sehen. Fast alles, was bislang gelötet war, ist nunmehr über Steckkontakte miteinander verbunden. An der sprichwörtlichen Solidität des Aufbaus ändert sich dadurch natürlich nichts; wie nicht anders von Engl gewohnt, ist auch der Retro 50 Combo rundum sorgfältig gefertigt. Ein schönes Detail ist, dass das Lüftungsgitter an der Rückseite nicht einfach mit Holzschrauben fixiert ist, sondern eigens dafür Gewinde in das Holz eingesetzt sind. Dass nicht gespart wird, verdeutlicht auch der verwendete 12″-Speaker. Engl hat sich für den „sündhaft“ teueren G12-65 aus der Heritage-Serie entschieden.
Das hohe Gewicht rührt im Übrigen weniger vom Amp-Chassis her, als von dem Gehäuse. Samt Speaker bringt es bereits ca. 18 Kilogramm auf die Waage.
Der Engl Retro Tube 50 Combo in der Praxis
Die beiden Retro-Topteile haben eine exzellente Performance vorgelegt und im Test Bestnoten abgeräumt. Da man sie naturgemäß an größeren Cabinets spielt und bewertet, können sie ihre klanglichen Qualitäten optimal entfalten. Hartes Brot für den Combo, sich dagegen zu behaupten. Na klar, wenn man da einfach 1:1 die Technik vom 50er-Top reinpflanzen würde, hätte das Köfferchen echt keine guten Karten. Horst Langer hat die Elektronik aber extra überarbeitet und neu abgestimmt. Mit beeindruckendem Erfolg: Der Retro-Combo produziert ein Maximum an (Clean-)Lautstärke und Klangvolumen. Damit ist er unter seinesgleichen sozusagen der Größte auf dem Markt. Tatsache, man möchte gar nicht glauben, dass so satter Bass und kräftige Tiefmitten aus einem derart kleinen Gehäuse kommen können. Auf diesem soliden Klangfundament hat der Combo natürlich keine Mühe, sich bestens in Szene zu setzen. Ein Cleansound, so weich, warm und transparent, lebendig in der Dynamik, und gleichzeitig sehr angenehm im Attack- bzw. Spielgefühl. Ein bisschen von dem leckeren Hall obendrauf … edel, edel, das klingt richtig teuer. Wer braucht da noch einen alten Fender Twin Reverb oder Pro Reverb?! Gain-Boost zuschalten und schon hat man bei gleicher Einstellung der Klangregelung energiereiche britisch kratzende Crunch-Distortion zur Verfügung. Schöne Auflösung von Akkorden, perfekt dynamisch spielbar, Rock- und Bluessounds par excellence. Falls der Lautstärkesprung nicht passt, kann man ja mit dem zweiten Master-Volume die passende Balance herstellen.
Auch im Channel 2 steht der Combo seinem Topteil-Bruder in nichts nach. Getragen von einem facettenreich singenden Mittenspektrum, entwickeln sich die markanten Klangfarben auch hier zu voller Blüte. Weil der Combo wieder seinen Trumpf des großen Klangvolumen ausspielt. Integraler Bestandteil des Sounds sind unterschwellige Interferenzen in den tiefen Frequenzen. Dieses leichte Grummeln bei Mehrklängen gehört hier einfach zum Retro-Charakter. Retro, gleich Vintage, gleich verhaltene Distortion-Reserven? Ja, viele Amps mit dem Label agieren im Gain gebremst. Das Tolle an Engls Konzept ist, dass man auf Knopfdruck ins Hier und Jetzt wechseln kann, sprich: der Gain Boost katapultiert die Tonformung auf ein modernes High-Gain-Niveau, wahlweise noch unterstützt vom Tone-Schalter. Wobei der markante, leicht grobe (Retro-) Charakter – zum Glück – grundsätzlich erhalten bleibt. Die oberen Mitten treten lediglich weiter hervor und die höhere Intensität der Röhrensättigung sorgt für eine sehr tragfähige, das Sustain unterstützende Distortion. Obertöne drängen sich förmlich ins Klangbild, die Ansprache ist in der Dynamik wie im Klang äußerst lebhaft und die Tonformung ganz allgemein musikalisch maximal ausdrucksstark. Nein, man findet partout nichts zu meckern. Zumal die Klangregelungen in beiden Kanälen sehr variabel arbeiten und die Peripherie, der FX-Weg und das Noise-Gate, das Konzept praxisfreundlich ergänzen. Für und Wider sind bei diesem im wahrsten Sinne des Wortes großartigen Combo nur noch eine Sache des persönlichen Sound-Geschmacks.
Resümee
Mit dem Retro Tube 50 Combo hat Engl einen großen Wurf gelandet. Einen energiereicheren und voluminöser aufspielenden 1×12″-Koffer wird man (nicht nur) in seiner Leistungsklasse kaum finden. Auch die Tonformung an sich ist qualitativ bis ins Letzte ausgereizt und glänzt obendrein mit großer Variabilität. Das Spektrum fächert sich daher, nicht zuletzt dank der hohen Gain-Reserven, weit auf. Da ist viel mehr als „nur“ Retro drin: das Noise Gate, ein universeller FX-Weg – das Paket ist luxuriös und stimmig geschnürt, lässt insofern kaum Wünsche offen. Da Substanz und Verarbeitung ebenfalls satt im Plus punkten, muss man das Preis-Leistungsverhältnis als ganz und gar ausgewogen betrachten.
Übersicht
Fabrikat: Engl
Modell: Retro Tube 50 Combo (E768)
Gerätetyp: E-Gitarrenkofferverstärker, zwei Kanäle
Röhrenbestückung: Class-A/B-Gegentaktendstufe m. 2 × EL34; Vorstufe: 4 × ECC83
Leistung: max. ca. 50 Watt, (Herstellerang.)
Lautsprecher: 1 × G12-65 v. Celestion, 12″, 65 Watt, 8Ohm, von vorne montiert
Gehäuse: hinten offen, Schichtholzplatten (ca. 19 mm), Lüftungsgitter a. d. Rückseite, Streckmetallgitter an der Front nicht abnehmbar, Kunstlederbezug, Metallkappen an allen Ecken, Gummifüße, Tragegriff a. d. Oberseite
Chassis: Stahlblech, hängend montiert, Röhren mit übergestülpten Federklammern bzw. Sockelklammern gesichert
Regler: Front, je Kanal: Gain, Bass, Middle, Treble, Reverb, Volume; Master-A, Master-B, Noise-Gate-Treshold; Rücks.: (FX-) Balance
Schalter/Taster: Front: Ch.-1-Bright, Ch.-2-Tone, -Gain-Boost, Channel (Kanal-wechsel), Standby, Power
Optische Anzeigen: Status-LED f. d. Funktionen: Tone, Gain-Boost, Channel, Master-A/B, Power Tube Fuse, AC-On/Off („winged tube“-Symbol)
Effekte: Federhall mit Röhrenverstärkung
Einschleifweg: ja, seriell/parallel, FX-Balance regelbar, Status fernbedienbar; Pegel: nom. –20 bis –10 dB, max. 0 dB (775 mV)
Besonderheiten: zwei per Fußschalter aktivierbare Master-Volume-Regler, Noise-Gate, Endröhrenschutzschaltung (zwei Sicherungshalter v. außen zugänglich)
Gewicht: ca. 27 kg
Maße: ca. 565 × 440 × 296 BHT/mm
Vertrieb: Engl Marketing & Sales GmbH
44803 Bochum,
www.englamps.de
Zubehör: Netzkabel, sehr umfangreiches u. informatives Handbuch; optional Schaltpedal u. MIDI-Switcher zur Fernsteuerung