Wie man hört, haben manchmal auch die Härtesten unter den Harten keinen Bock, fette Stacks mit sich herumzuschleppen. Für kleine Gigs, spontane Jams und anderes ein korrekt „böser“ Amp im Kompaktformat, das wär‘s doch. Ja klar, hat sich Engl auch gedacht. Naheliegend, schließlich ist die bayerische Firma seit Jahren im Heavy-Genre zu Hause. Na, und wenn die so was machen, muss man – natürlich im positiven Sinne – mit dem Schlimmsten rechnen.
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Sie feiern dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum, unten in Tittmoning. Aber anstatt sich ein bisschen zurückzulehnen, scheinen die Herrschaften gerade besonders fleißig. Eben erst kam der Retro-Tube-50-Combo auf den Plan, schon ist die nächste Neuheit am Start. Gleichzeitig wird das bestehende Programm überarbeitet. Das heißt, die hauseigenen Klassiker wie z. B. der Invader werden wohl auch recht bald als aufgefrischte Versionen auf den Markt kommen. Nun gut, wir quetschen jetzt erst einmal diesen Zwerg hier aus und schauen, ob er mit seinem großspurigen Namen hält was er verspricht.
Konstruktion des Engl Ironball
Man sieht dem Ironball von vorne gar nicht an, dass er ein breitbandig nützliches Konzept aufweist; weil die Leckerchen an der Rückseite liegen. Bei näherer Betrachtung fällt eine gewisse Ähnlichkeit zum Gigmaster auf, schon wegen des großen Drehschalters, hinter dem sich eine Powersoak-Schaltung zum Reduzieren der Ausgangsleistung verbirgt. Vier Positionen stehen zur Wahl: Full, 5 Watt, 1 Watt, Speaker-Off. Für die Direktabnahme des Sounds ist ein elektrisch symmetrierter Line-Output mit Speaker-Simulation vorhanden. Auch auf einen Halleffekt muss man nicht verzichten. Wegen der kompakten Bauweise kam natürlich kein analoges Federsystem in Frage, das nicht nur Platz kostet, sondern auch technisch wegen der notwendigen Aufsprech- und Aufholverstärkerstufe Aufwand verlangt. Ein digital arbeitendes Reverb-Modul macht den Job, alles andere ist Vollröhrentechnik. Zwischen dem erwähnten Line-Output und dem Reverb-Regler liegt ein Kopfhöreranschluss (Headphones). Sein Signal wird hinter der Endstufe bzw. der Speaker-Simulation abgegriffen und ist mono. Ein praktischer Nebeneffekt ist, dass man anstelle eines Kopfhörers auch zwei kleine Lautsprecherboxen anschließen kann.
Im Weiteren sind an der Rückseite ein hochpegelig ausgelegter serieller FX-Weg (max. ca. 0 dB) zugänglich, sowie drei Lautsprecheranschlüsse (2× 16, 1× 8 Ohm), und zwei Stereo-Klinkenbuchsen, über die von extern, z. B. per Fußschalter, vier Funktionen des Amps kontrolliert werden können: Der Kanalwechsel Clean/Lead, der Gain-Boost (beide mit LED-Anzeige am Front-Panel), der Status des Reverb-Effekts und ein Master Volume Boost, kurz MVB genannt. Es stehen also, wie bei den großen Engl-Amps schaltbar, zwei Lautstärkeebenen zur Verfügung. Auf die Intensität des MVB hat man keinen Einfluss. Der Pegelsprung ist fest eingestellt.
Womit wir zur den Details der Klangformung kommen. Die beiden Kanäle teilen sich eine gemeinsame Vierbandklangregelung, bestehend aus den Bereichen Bass, Middle, Treble und Presence. Insofern stellt sich für den Praxisabschnitt schon einmal die große Frage, ob man denn zu ausgewogenen Sound-Verhältnissen kommt. Was die Pegelverhältnisse angeht, sind keine Probleme zu erwarten. Dank des Master-Volume kann der Clean-Kanal mittels seines Gain-Potis nach Herzenslust in den Overdrive-Bereich „überdreht“ werden. Die Lead-Sektion verfügt mit dem Regler Lead-Volume über einen zusätzlichen eigenen Lautstärkeregler, der sich dem Master-Volume unterordnet bzw. davor liegt. In dieser Konstellation sollte man im Prinzip freie Hand über die Pegelverhältnisse haben. Von den vier oben genannten Schaltfunktionen sind an der Frontplatte nur die beiden wesentlichen bedienbar, der Kanalwechsel und der Gain-Boost, der übrigens in beiden Kanälen nutzbar ist.
Engl hat bereits 2012 einen gewissen Umbruch in seinen Fertigungsmethoden bzw. der technischen Konstruktion eingeleitet. Ein unübersehbares Merkmal ist, dass in der Verkabelung der Baugruppen kaum noch Lötstellen zu finden sind. Das geht nun nahezu komplett über Steckkontakte. Hier beim Ironball ist (soweit erkennbar) nur noch die Inputbuchse mit einem angelöteten Kabel angeschlossen. U. a. ist ein Verstärker so natürlich erheblich schneller montiert. Und auch demontiert: Gerade im Service werden sich viele über die Steckkontakte freuen, zumal der Aufbau eng und gedrängt ist. Im Weiteren zeigt die Ironball die firmentypisch akribische Verarbeitung und eine solide Gehäusekonstruktion.
An neuralgischen Stellen verwendet Engl auf besonders hohe Qualität selektierte Röhren. Prüfung und Auswahl finden im eigenen Hause statt (siehe auch das Firmenportrait in Ausgabe 02/2013). Engls elegante Endstufenschutzschaltung musste bei dem Konzept schon aus Platzgründen außen vor bleiben. Aber immerhin sorgen zwei Feinsicherungen in eigenen Haltern dafür, dass diese Sektion im Falle eines Defekts keine Folgeschäden provoziert. Zwei EL84 arbeiten hier im Gegentakt-Betrieb mit statischem Gitterbias und erzeugen als Höchstleistung nominal ca. 20 Watt. Bei den übrigen Röhren handelt es sich um vier 12AX7. Alle sind mit Engls typischen Federblechen fixiert, die in der Montage kinderleicht zu handhaben sind, obwohl sie an den Glaskolben sehr stramm zupacken. Die Gleichrichtung der Netzspannung erfolgt über Halbleiterdioden.
Abgesehen davon, dass das äußere Gehäuse aus Stahlblech besteht, ist der Ironball aufgebaut wie seine großen Brüder. So ruht die Elektronik in einem eigenen Chassis, das nach dem Entfernen der Rückwand (easy, dank Steckkontakten am Powersoak) und sechs Schrauben am Boden herausgezogen werden kann. Der verchromte Tragegriff an der Oberseite lässt sich bei Bedarf nach innen einschieben.
Der Engl Ironball in der Praxis
Was ein Engl ist, der hat innen eine kuschelige Beleuchtung. Auch dieser Mini-Head. Zwei LEDs tauchen die Endröhren schummrig in sündiges Rot. Moment, war nicht Engl 1993 mit dem Savage sogar der erste Hersteller, der dieses optische Detail einführte? Ich glaube schon. Wie auch immer, in Ermangelung einer Pilot-Lamp o. ä. erfüllen die LEDs hier auch einen praktischen Zweck, nämlich den einer Betriebsanzeige. Inzwischen ist das Kerlchen vorgewärmt, es kann losgehen.
Beginnen wir mit den harmloseren Klängen. Cleansounds, diesbezüglich hat Engl bislang immer hohe Maßstäbe gesetzt. Kein Wunder also, dass auch der Ironball viel Format in dieser Sparte freimacht. Nein, untertrieben, er brilliert geradezu, benimmt sich kultivierter und tiefschürfender als man das von einem designierten Schwermetaller erwarten möchte. Die Ansprache ist entschlossen, aber nicht übermäßig stramm, insofern äußerst angenehm im Spielgefühl. Wer aufmerksam den Attack variiert, wird zudem erleben, dass der Amp sensibel und feingliedrig antwortet. Nicht nur in der Lautstärke, sondern vor allem im Klang. Amps, die in dieser Art mit dem Spieler interagieren, liefern ein Maximum an Ausdrucksstärke. Und es hagelt weiter Lob für die Clean-Sektion. U. a., weil der Ironball einen schwierigen Spagat schafft: Die freundlich-frische Brillanz wechselt beim Aufdrehen des Presence-Reglers nicht in giftigen Biss, sondern gewinnt ganz am oberen Ende des Spektrum einen fast schon seidigen Anstrich. Und diese vorteilhafte Eigenart der Clean-Wiedergabe braucht nicht einmal einen defensiven Speaker. Selbst über den eher aufdringlichen Vintage 30/Celestion gespielt, kommt der angenehme Klangeindruck zum Tragen.
Ein weiteres Aha-Erlebnis bereitet die Clean-Sektion durch ihre Bandbreite. Sie hat mehr auf der Pfanne als nur die ganz sauberen Ariel-reinen Töne. Einigermaßen kräftige Tonabnehmer vorausgesetzt (über Vintage-Singlecoil-Niveau) kann der Kanal wahlweise schöne Anzerrungen erzeugen. Die schleichen sich zunächst unterschwellig ein, werden im Klang aber schnell fordernd und offensiv. An dieser Stelle verlässt der Ironball den Schmusekurs. Die harte Seite kommt zum Vorschein. Aber der Amp agiert nach wie vor mit Kultur. Die Gain-Reserven reichen locker für harte Akkorde-Riffs oder offensiven Lead-Overdrive. Die feingliedrige Detaildarstellung bleibt erhalten.
Sein Bestes kann der kleine Engl indes nur geben, wenn er ordentlich aufgedreht ist. Zu laut? Wie, zu laut? Bei 20 Watt, gibt‘s das? Nun ja, die beiden EL84 machen doch schon reichlich Alarm. Macht nix, zum Glück kann man die satte Aussteuerung mit dem Powersoak zähmen. Die Reduktion auf fünf Watt mindert die Lautstärke deutlich und verändert die Klangfarbe nur wenig; sehr gut. Bei einem Watt dünnt sich die Wiedergabe ein wenig aus, die Brillanz wird eine Spur zahmer. Sind wir dann wohnzimmerkompatibel? Bedingt. Der Amp lässt sich bei dezenter Lautstärke so hoch aussteuern, dass er tief durchatmet, also richtig aus den Puschen kommt. Wenn man ihn aber wirklich weit bis voll aufdreht, werden die Nachbarn kaum „amused“ sein.
Das Thema hohe Aussteuerung spielt auch im Lead-Kanal eine bedeutende Rolle. Die Wiedergabe bläht sich ab mittleren Master-Volume-Stellungen auf, wird dichter, kompakter, und gewinnt erheblich an Dynamik im Bassbereich. Darunter ist die Wiedergabe luftiger, bleibt aber, dank der hohen Gain-Reserven in der Vorstufe, tragfähig. Moment, tragfähig ist vielleicht etwas untertrieben. Gain auf 13 Uhr, und man hat unter allen Umständen dieses fette, kompakte Brett im Ohr, eine moderne Distortion, mittenbetont, mit farbenreichen Obertonwellen und zuweilen böse grummelnden Intermodulationen im unteren Mittenbereich. Klingt komprimiert, hat aber reichlich Kraft, und glänzt nebenbei damit, dass die Nebengeräusche überraschend gering sind. Angenehm, in Spielpausen keinen Wasserfall rauschen zu hören (nur bei Humbuckern u. ä. natürlich bzw. bei zugedrehtem Guitar-Volume). Im Klangcharakter trifft der Ironball also die Genre-typischen Merkmale der harten Fraktion auf den Punkt und beweist mit seinem Ton Charakterstärke. Der kleine Kerl hat nicht die Power eines gewalttätigen Muscle-Amps, aber er klingt so.
Der Gain-Boost bewirkt neben dem Anstieg der Zerrintensität und einem leichten Lautstärkesprung eine Akzentuierung der Mitten. Der Sound wird schärfer, eindringlicher, bissiger, die fiependen Obertöne kommen leichter. Das hier ist die eigentliche Lead-Ebene. Gain-Boost-Aus wirkt dagegen durchsichtiger, obwohl auch so der Lead-Kanal schon reichlich kompakt im Ton wirkt. Der Gain-Boost-Schalter kann insofern genutzt werden um zwischen Rhythm-Lead und Solo-Lead zu wechseln. Im Clean-Kanal ist seine Funktionsweise ähnlich, es bieten sich aber mehr Optionen. Entweder kann man 1. zwischen zwei Overdrive-Intensitäten wechseln (Clean-Gain hoch eingestellt) oder 2. zwischen Clean und ganz leichter Anzerrung, oder 3. zwischen zwei cleanen Sound mit Lautstärkesprung und mehr/weniger Mitten.
Das alles ist mit nur einer Klangregelung natürlich nur dann funktionsfähig, wenn die Kanäle im Grund-Sound penibelst abgestimmt sind. Diese Aufgabe ist Horst Langer überzeugend gelungen. Der Wunsch, nach dem Umschalten nachzuregeln, kommt sicher nicht unmittelbar auf. Das Konzept ist in diesem wichtigen Punkt nicht kompromissbehaftet. Andererseits bietet die Klangregelung vor allem im Lead-Kanal sehr hohe Effizienz. Die hohe Variabilität zahlt sich z. B. in der Recording-Situation aus. Womit wir beim Thema wären: Was leistet der Line-Out? Vorbildliches kann man nur sagen. Die Frequenzbalance ist bestens gewählt. Das Line-Signal ist präsent und durchsetzungsfähig. Nervige Klanganteile glänzen durch Abwesenheit. Dicker Pluspunkt. Gleiches gilt für den Kopfhörerausgang. Wobei man sich natürlich darüber im Klaren sein muss, dass es immer ein spezielles Erlebnis ist, massiv verzerrte Sounds direkt in den Gehörgang geschossen zu bekommen. Zumal, wenn sie mono ankommen. Außerdem gilt es zu beachten, dass die Sound-Ergebnisse auch je nach Kopfhörer differieren und mancher in der Konstellation sogar ungünstig arbeitet. Grundsätzlich ist die Qualität des Headphones-Signals aber positiv zu bewerten. Schön, aber wünscht man sich dann nicht gleich einen Line-In zum Einspielen von Playbacks o. ä.? Nun, die dafür notwendige Verstärkermischstufe würde den Rahmen sprengen. Ist ja jetzt schon kaum noch Platz da drinnen.
Im Kopfhörer wird sehr deutlich wahrnehmbar, welche Struktur der Reverb-Effekt hat. Er besteht einerseits aus einem reinen Hallsignal, zum anderen liegt darüber ein abebbendes Shattern, das Reflexionen im Raum darstellt. Es klingt ein wenig nüchtern, wenn man den Reverb so hört. In der normalen Spielsituation, über eine Box, wirkt der Effekt viel vorteilhafter, unterm Strich ziemlich feingliedrig und elegant. Unter anderem, weil er bei lang ausklingenden Tönen/Akkorden ein leichte Modulation à la Chorus in den Sound zu schmuggeln scheint. Die Intensitäts-Balance zwischen den Kanälen ist wie die Dosierbarkeit sehr gut abgestimmt, sprich unterm Strich punktet der Reverb ganz und gar im Positiven. Unauffällig und problemlos versieht der FX-Weg seinen Dienst. Der wohldosierte Lautstärke-Kick des MVB-Master-Volume-Boost ist ebenfalls nur zweckdienlich.
Alternativen zum Engl Ironball
Klar, wenn in der Brotbüchsenkompanie nach anderen leistungsfähigen Kandidaten gefahndet wird, tritt ad hoc Hughes&Kettners TubeMeister auf den Plan, hier der TM18. Keine Frage, der hat auch ein sehr leistungsfähiges Konzept, ist aber tonal anders gestrickt, weicher, weniger energisch, eher Schöngeist, alles andere als martialisch. Im Gegensatz zum Ironball, der Wert legt auf resolute, ehrliche Tonformung, bei High-Gain-Distortion erdig-massiv mit Präzision und Doom-Verve. Ergo sind die beiden nicht wirklich vergleichbar. Im Grunde gibt der Markt auch sonst keine unmittelbaren Kontrahenten her.
Resümee
Ironball, der Name suggeriert die Power einer Abrissbirne. Einverstanden, das passt wie die Faust auf‘s Auge. Zumindest was die Klangfarbe der High-Gain-Distortion angeht. Mit mächtigem, facettenreichen Ton langt der Amp hier zu und überzeugt bei Riffs wie Leadlines. Konzeptbedingt ist die Dynamik begrenzt. Der entscheidende Vorteil der kleinen Endstufe ist aber, dass der Ironball bei ziviler Lautstärke hoch ausgesteuert werden kann.
Zwei Faktoren sorgen dafür, dass der Amp nicht nur auf harte Gangarten festgelegt ist: der überaus kultivierte Clean-Kanal und die tendenziell britisch-crunchigen Overdrive-Qualitäten. Die günstige Abstimmung des Ironball sorgt im Verbund mit den Schaltoptionen dafür, dass man im Prinzip auf vier Soundmodes zurückgreifen kann. Dazu addieren sich weitere Pluspunkte in Form der umfangreichen, funktional einwandfreien Peripherie. Der Line Out sticht hier besonders hervor.
So klein, so kompakt, und doch überaus variabel und leistungsfähig, dazu sehr solide verarbeitet, made in Germany: Preis und Leistung stehen zweifelsfrei in einem gesunden Verhältnis. Prädikat sehr empfehlenswert.
Übersicht
Fabrikat: Engl
Modell: Ironball (E606)
Gerätetyp: E-Gitarren-Verstärker, Topteil, zwei Kanäle
Herkunftsland: Deutschland
Technik: Vollröhrenbauweise m. mit digitalem Reverb, Halbleitergleichrichtung
Röhrenbestückung: Class-A/B-Gegentaktendstufe m. 2× EL84; Vorstufe: 4× ECC83
Leistung: max. ca. 20 Watt, (Herstellerangabe)
Gehäuse: Stahlblech, schwarz lackiert, Frontgitter zur Belüftung, kleines Lüftungsgitter u. einschiebbarer Tragegriff a. d. Oberseite
Chassis: Stahlblech, stehend montiert, Röhren mit übergestülpten Federblechen stabilisiert