Auf einer Reise durch Indien sei ihm George Harrison im Traum erschienen und hätte gesagt, dass die Musiker im Westen wieder mehr Sitar spielen sollen. Und dafür müsse er und seine Firma Electro Harmonix unbedingt etwas tun! Das erzählt der unvergleichliche Mike Matthews in einem seiner YouTube-Clips über den Ursprung seines neuen, ebenfalls unvergleichlichen Effektpedals Ravish Sitar …
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Jedenfalls ging Mike Matthews mit einer Idee zu seinem Chef-Entwickler – und der kam nach einiger Zeit mit dem Konzept des Ravish-Sitar-Pedals zurück. Ravish lässt sich mit „entzückend“ oder „reizend“ übersetzen, aber auch mit „nötigen“ oder noch drastischeren Worten, spielt aber natürlich auch auf den Namen des „Godfather of Sitar“ an, Ravi Shankar. Schauen wir doch einfach mal, was unter dem Strich dabei heraus gekommen ist.
Konstruktion des Electro Harmonix Ravish Sitar
Auf jeden Fall hat man sich richtig Gedanken gemacht und sich zuerst einmal eine richtige Sitar näher angeschaut. Den typischen Sound machen bei diesem Instrument mehrere Faktoren aus. Zum einen das bekannte obertonreiche Schwirren, Schnasseln oder wie man diesen Sound auch immer bezeichnen möchte, das durch einen gekrümmten Steg erreicht wird, den die Saiten bei ihren Auslenkungen ganz leicht berühren. Durch diesen Vorgang entsteht nicht nur das Schwirren, sondern es tritt auch der Grundton zurück, während die Höhenbereiche und Obertöne verstärkt rüberkommen. Dann prägen die stets mitklingenden Bordun- und Resonanz-Saiten, die, je nach Stück, in einem bestimmten Tuning gestimmt sind, den typischen Sound. Eine Sitar verfügt in der Regel, neben ihren vier Melodie-Saiten, über vier Bordun-Saiten, die auf Grundton und Quinte gestimmt sind und meist für rhythmische Akzente eingesetzt werden. Unterhalb der Bünde verlaufen bis zu 13 Resonanzsaiten, die auf die Skalentöne des jeweiligen Stückes gestimmt sind. Sie verstärken den Obertonanteil des Gesamt-Sounds und sorgen mit für den räumlichen, vollen und sphärischen Klang einer Sitar. Natürlich ist auch die Spieltechnik wichtig, und die ist vor allem durch monophone Melodien und manchmal recht extreme Bendings gekennzeichnet. All diesen Faktoren trägt EHX im Ravish-Sitar-Pedal tatsächlich Rechnung, und das ist schon einmal aller Ehren wert!
Am besten lässt sich die Komplexität des Ravish Sitar anhand der Bedienelemente beschreiben. So wird das Signal in der Eingangsstufe in drei Wege aufgesplittet, die in ihrem Mischverhältnis separat einstellbar sind: Einmal das unbearbeitete Eingangs- Signal („Dry“), dann „Lead“, das mit dem Effekt versehene, Melodie führende Signal, und „Sympathetic“, was die Armada der mitklingenden Resonanzsaiten darstellen soll. Zwei Regler, mit „Timbre“ überschrieben, wirken auf den schwirrenden Sitar-Sound-Effekt, der sich für die Lead- und Sympathetic-Signale getrennt einstellen lässt. Die Reihe der oberen Potis beschließt eins mit einer weißen Kappe, das mehrere Funktionen inne hat. Es wählt z. B. die Betriebsarten an (durch Draufdrücken), um in diesen am gewünschten Sound arbeiten zu können. Nicht weniger als sieben Modi stehen hier bereit!
Preset: Zur Anwahl eines der zehn Presets; die Anwahl kann alternativ auch per Fußschalter erfolgen.
Key: Hier wird die Tonart der Skala festgelegt, in der das Sympathetic-Signal, also die virtuellen Resonanzsaiten erklingen sollen. Alle 12 Töne der chromatischen Tonleiter stehen zur Verfügung sowie drei unterschiedliche, aus sieben Tönen bestehende Skalen pro Ton: Dur-, Moll- und die „Exotic“-Skala. Ein Beispiel: Wählen wir als Grundton G, dann erklingen in der Dur-Skala die Töne G, A, H, C, D, E, Fis. Die Moll-Skala beinhaltet die Töne G, A, B, C, D, Es, F, und die G-Exotic-Skala bringt G, As, H, C, D, Es, Fis zum Klingen. So kakophonisch, wie sich das theoretisch anhört, ist das Klangergebnis aber nicht. Denn je nach Intensität des Timbre wird der Sitar-Sound-Effekt verstärkt, der sich insbesondere auf die Höhen und Obertöne auswirkt, was dem Verschmelzen zu einem komplex klingenden Gesamt-Sound entgegenkommt. Wo wir gerade bei Skalen sind: Das Ravish Sitar-Pedal erlaubt auch die Eingabe einer eigenen Skala. Wem also mehr nach mixolydisch oder dorisch als nach exotisch ist, der kann durch Niederhalten des (linken) Fußschalters seine Lieblingsskala eingeben, die bis zu 17 Töne beinhalten kann. Ich bin ja eher einfacheren Gemüts und habe mir eine satt klingende Drone aus Grundton, Quinte, Oktave, Terz und 2. Oktave programmiert – das geht einfach und wirkt Wunder, vor allem, wenn man einen Freeze-Effekt aktiviert, der diese Drone unendlich lange vor sich hin surren lässt, während man sich im Melodiebereich nach Kräften darüber austoben kann. Natürlich lassen sich alle Eigenkreationen in einem Preset abspeichern und bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten abrufen.
Decay: Hier kann die Ausklingzeit des Lead-Signals in einem Bereich zwischen Null und Neun eingestellt werden. Dabei klingt das Signal nicht einfach nur aus, sondern wird von einem sich schließenden Filter verschlungen. Sehr schön.
Modulation: Es kann ein Modulations-Effekt für das Sympathetic-Signal aktiviert und in seiner Geschwindigkeit zwischen Null und Neun eingestellt werden. Dieser Sound soll den Klang einer Tanpura simulieren, die im Indischen oft als Begleitinstrument für eine Sitar eingesetzt wird und für Dopplungen mit dem Sitar-Sound sorgen kann.
Q: Das steht hier als Abkürzung für EQ, was wiederum die Abkürzung für Equalizer ist. Hier lässt sich in vier Stufen die Schärfe der Lead- und Sympathetic-Sounds einstellen.
Pitch Bend: Whammy die Sitar, alles ist möglich! Der Pitch-Bend-Effekt ist allerdings nur dann aktiv, wenn ein Expression Pedal an die entsprechende Klinkenbuchse angeschlossen ist und erlaubt dann Pitchbendings bis zu einer Oktave nach oben, aber nur für den Lead-Sitar-Sound. Mit dem Expression-Pedal lässt sich z. B. das schnelle, tiefe Bending nachstellen, das man von originaler Sitar-Musik her kennt, wo der Musiker die Saiten auf die Bünde und das ausgehöhlte Griffbrett presst.
Aber auch Tom-Morello-Sounds sind möglich – z. B. ganze Akkorde eine Oktave nach oben jagen!
Freeze: Durch Drücken und Halten des linken Fußschalters klingt das Sympathetic-Signal beliebig lange.
Doch das ist noch nicht alles. Denn durch eine komplexe Ausstattung mit Anschlüssen erfährt das Ravish-Sitar-Pedal noch größere Vielseitigkeit. So gibt es neben den Standards In- und Output noch einen zweiten Output, der allein für den Sympathetic-Sound vorgesehen ist. Den könnte man also alleine herausführen und separat verstärken, z. B. durch eine satte Stereo-Verstärkung, frei nach dem Motto: Wir bauen uns eine Wall of Sitar Sound!
Neben dem Expression-Pedal-Anschluss für den oben beschriebenen Pitch-Bending-Effekt lässt sich auch die Lautstärke des Sympathetic-Signals durch ein Expression-Pedal dynamisch mit dem Fuß regeln. Bei vollem Durchtreten des Pedal tritt dann ebenfalls der Freeze-Effekt ein.
So, erst mal durchatmen! Das sind doch eine Menge Features, die in dieses kleine Pedal gepackt wurden. Aber alle machen Sinn, und alle sind recht gut im beiliegenden, englischen Manual erklärt.
Das Electro Harmonix Ravish Sitar in der Praxis
Eins vorweg: Natürlich klingen die Ergebnisse des Ravish Sitar nicht nach echter Sitar, bedeutet „ravish“ also doch „Nötigung“? Nein, ganz im Gegenteil! Denn nach sorgfältigem Einstellen aller Parameter – und dafür sollte man sich wirklich Zeit lassen – kann man nicht nur Sitar-ähnliche Sounds erzeugen, sondern auch in Sitar-ähnliche Spielweisen verfallen. Und das ist doch gar nicht mal so schlecht, kommt dies doch tatsächlich der Eingebung nahe, die Mike Matthews in Gestalt von George Harrison erschienen war. Schwirrende Klangteppiche in für unsere Ohren fremdartigen Skalen, meditative Sound-Wolken, aber auch an Gitarrensynthesizer erinnernde Solo-Sounds sind u. a. möglich. Sitar-untypisches polyphones Spiel ist ebenso möglich, was ganz eigene Sounds ergibt. Kurz und gut, das Ravish-Sitar-Pedal ist eine großartige Spielwiese für jede Menge abgefahrener Sounds, die nicht alle zwangsläufig an Indien erinnern müssen. Aber durchaus können.
Hier einige wenige Experimente, für mehr reicht einfach unser Platz nicht. Zuerst sollte man sich die drei Signale einzeln anhören. Der „Dry“-Sound wird 1:1 ohne hörbare Klang- oder Dynamikverluste wiedergegeben. Bei Vollauslenkung seines Volume-Reglers wird das Signal um ca. 2 dB geboostet. Der Lead-Sitar-Sound, auch polyfon spielbar, wirkt alleine für sich wie ein Gitarren-Synthesizer-Sound, der eben nach Keyboard klingt und mit einem schließenden Filter ausklingt. Per „Timbre“-Regler wird so was wie Noise hinzugefügt, was das Sitartypische Schwirren simuliert. Mit den Klangbearbeitungsmöglichkeiten lassen sich einige klassische Gitarren-Synth-Sounds einstellen. Will man nur diese hören, dreht man die Level von Dry und Sympathetic auf Null!
Will man z. B. nur einen fetten Klangteppich, programmiert man sich zuerst eine passende Skala für den Sympathetic-Sound. Der kann dann mit ein wenig Modulation in ein hypnotisch wirkendes Wabern gebracht werden und als Grundlage für ein Gitarren-Solo dienen. Dazu wird dann „Dry“ aufgedreht, „Lead“ aber auf Null gestellt. Und so weiter und so fort … the sky is the limit, sang einmal Tom Petty.
Alternativen zum Electro Harmonix Ravish Sitar
Sitar-Sounds gibt es viele, z. B. in den üblichen Gitarren-Synthis, aber auch in der Variax von Line 6 und in etlichen Multieffekten. Danelectro brachte mal ein eigenes Effektgerät für diesen Sound namens Sitar-Swami auf den Markt, das aber etwas halbgar geraten war. Doch die mir bekannten Sitar-Sounds beziehen sich immer nur auf die Lead-Stimme, andere Parameter des Sitar-Sounds wie z. B. die als Drone fungierende (und stimmbare) Resonanzsaiten-Simulation, fallen unter den Tisch.
Resümee
Ob das Ravish Sitar das Zeug zum Kult hat? Ich behaupte: Ja! Nicht nur der halbwegs authentische, elektronisch gefärbte Sitar- Sound, sondern auch die vielen Parameter, mit denen man diesen Sound bearbeiten kann, werden das Pedal bekannt werden lassen. Es macht Spaß, dieses Gerät zu erkunden, die vielen Möglichkeiten zu vergleichen. Electro Harmonix hat die verrückte Idee ihres Chefs einmal mehr sehr gut umgesetzt, George Harrison wäre vielleicht stolz auf ihn! Das Preis-/Leistungsverhältnis ist auf jeden Fall hervorragend, vor allem dann, wenn man den Ladenpreis von ca. € 190 zugrunde legt.