Zuerst schickte Electro-Harmonix den Orgeltreter B9 ins Rennen. Technisch größtenteils identisch, wurden die Effektpedale C9, Mel9 und Key9 mit weiteren Sounds bekannter Tasteninstrumente gefüttert. Muss der Keyboarder nun um seinen Platz in der Band fürchten?
Alle vier „Keyboards in a Stompbox“ verwenden die Pitch-Shifting- und Wave- Shaping-Technologie des HOG (Harmonic Octave Generator) von Electro-Harmonix. Welche Tricks außerdem eingesetzt werden, um mit diesen Effektpedalen ohne hexaphonischen Pickup, MIDI und Samples polyphone Orgel-, Streicher-, Chor-, Bläser- und E-Piano-Sounds ertönen zu lassen verrät der Hersteller natürlich nicht. Aber wir verraten Folgendes: Auch Gesang und andere Instrumente lassen sich damit „verkeyboarden“.
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Gemeinsamkeiten & Unterschiede
Gehäuse, Regler-Layout und Anschlüsse aller drei Probanden – sowie der B9 Organ Machine, deren Testbericht in Ausgabe 11/2014 zu finden ist – sind identisch aufgebaut. Auch Innenleben und Platine ähneln sich stark, hier stecken die Unterschiede wohl im Detail, einem geheimnisvollen Parameter- und Sound- Chip auf der Platine. Alle genannten Pedale sind mit vier Reglern sowie einem neunstufigen Drehschalter für die Preset- Anwahl ausgestattet. Bei einigen Presets übernehmen die beiden rechten Regler Spezialaufgaben, die die Bedienungsanleitung erklärt. Dem Instrumenteneingang rechts liegen links zwei Ausgänge gegenüber; über den Dry-Output lässt sich bei Bedarf das unbehandelte Signal separat abgreifen. Zum Lieferumfang gehört ein Standard-9V-Netzteil.
Die C9 Organ Machine bietet (genau wie ihr B9-Bruder) Orgelklänge, in erster Linie von Hammond-B3- und -C3-Modellen. Die Mellotron-Flöten des C9 dienen dabei möglicherweise als Appetithäppchen für das Mel9-Pedal, die sogenannte Tape Replay Machine. Als Klangvorlage dient hier das erste Sampling-Keyboard der Musikgeschichte, das Mellotron. Beim dritten Pedal im Test, dem Electro- Harmonix Key9 dominieren E-Piano- Klänge, von Fender Rhodes und Wurlitzer. Ergänzt werden diese u. a. durch Nachbildungen von Vibraphon und Steel Drums.
Spielweise & Reaktion
Natürlich kann und darf jeder über diese originellen Pedale E-Gitarre spielen wie er mag. Möchte man jedoch einigermaßen authentisch nach Keyboarder klingen, so sollte man auf Bendings und Vibratos aller Art verzichten. Ein clean eingestellter Gitarrenverstärker sollte als Grundlage dienen, bei einigen Orgel- Sounds darf’s auch gern mal etwas angezerrt und leicht knurrig rüberkommen. Bei allen Presets der drei Probanden ist eine Latenz vorhanden, die man spürt und hört. Inwiefern sie einen stört, ist eine andere Sache. Spielt man sehr schnell und nicht besonders sauber, verschluckt die Elektronik schon mal einige Töne und setzt sie nicht in Keyboard- Klänge um. Und bei komplexen Akkorden oder bei Akkordfolgen mogeln sich auch schon mal einige falsche Töne ins Klangbild. Bei Orgel-Presets wirkt die obere Oktave oft etwas künstlich, wenn man genau hinhört. Im Bandgefüge oder bei zugemischtem Gitarren-Sound geht dieses Manko jedoch meist unter. Beachten sollte man auch, dass gehaltene Akkorde irgendwann auseinanderfallen, d. h. einige Noten sterben ab. Echte E-Pianos reagieren anschlagdynamisch, Orgeln und das Mellotron nicht. Die Presets der drei Pedale reagieren jedoch alle anschlagdynamisch.
All das sind Hinweise, aber keine Warnungen vor dem EHX-Trio. Denn wer sich auf diese einzigartigen Exoten einlässt, dem öffnen sich interessante Klangwelten. Erlaubt ist, was gefällt und so darf man gern auch mal ein Mikrofonsignal auf den Eingang schicken und versuchen zu singen. Auch aus einem Billig-Keyboard zaubern diese Electro-Harmonix-Pedale im Handumdrehen richtig gute Klänge. Mit einem E-Bass lassen sich die drei Pedale zwar ebenfalls einsetzen, die tiefen Register werden jedoch nicht exakt umgewandelt. Im folgenden Abschnitt stelle ich einige besonders markante Presets vor.
Orgeln, Mellotron und E-Pianos
C9 Organ Machine: In erster Linie mit Hammond-Style-Presets bestückt, bringt das C9-Pedal bekannte Orgel-Sounds zu Gehör, die dem B9 nicht zu entlocken sind. Tone Wheel klingt besonders mit etwas Key Click, Leslie und wenn vom Amp noch etwas Overdrive kommt beeindruckend. Prog strahlt im Stile von Keith Emerson, wenn man mit dem Click-Regler zwei weitere virtuelle Zugriegel ins Spiel bringt. Ähnliches gilt auch für die fetten Presets Lord Purple und Blimp (Led Zeppelin). Regelt man bei Compact die oberen Register und etwas Modulation hinzu, tönt es aus dem Pedal ziemlich authentisch nach der Vox Continental Organ, die Ray Manzarek (The Doors) nicht nur bei ‚Light My Fire’ einsetzte. Zu gefallen wissen auch die „Beatles-Orgel“ Press Tone (‚Let It Be’) und das Telstar-Preset. Letzteres imitiert den originellen Klang des Claviolines, einer seltenen elektronischen Orgel.
Mel9 Tape Replay Machine: Es ist wirklich erstaunlich, wie nah viele der Preset-Sounds an die Originalklänge kommen. Viele leiern zwar kräftiger als eigentlich nötig, im Zusammenspiel mit dem Gitarrenklang oder der Band ergeben sich auf diese Weise jedoch interessante und ungewöhnliche Akzente. Die Presets Orchestra, Strings und High Choir werden nicht nur Genesis-Fans erfreuen, besonders wenn man den Sustain- Regler aufdreht, das Gitarrensignal hinzumischt und Arpeggien spielt. Sehr gefällig lassen sich die Presets Cello und Flute spielen. Clarinet, Saxophone und Brass klingen recht gewöhnungsbedürftig und treffen zumindest nicht meinen Geschmack. Durch die größtenteils weich einsetzenden Sounds macht sich die Latenz beim Mel9 weniger stark bemerkbar.
Das Mellotron debütierte 1963 als elektromechanisches Tasteninstrument. Jeder Taste ist dabei in einem auswechselbaren Bandrahmen ein dreispuriger Tonbandstreifen zugeordnet, der beim Tastendruck an einem Tonkopf vorbeigezogen wird. Die Tonbänder enthalten Aufnahmen von Streichorchestern, Chören, Bläsern etc. Zu den bekanntesten Mellotron-Nutzern zählten u. a. Genesis, Yes, Moody Blues und King Crimson. Unvergessen sind auch die Mellotron-Flöten des Beatles-Hits ‚Strawberry Fields Forever’. Markenzeichen des Mellotrons war und ist sein warmer, melancholischer und durch Gleichlaufschwankungen meist etwas leiernder Sound.
Key9 Electric Piano Machine: Dieses Pedal bedarf mehr Übung als die beiden anderen Kandidaten. Die kräftige Anschlagdynamik lässt sich nur beim Vibes- Preset regeln und steht so einer lockeren Spielweise anfangs im Wege. Die Regler CTRL 1 und CTRL 2 bedienen bei so gut wie jedem Preset andere Parameter, über welche die Anleitung Aufschluss gibt. Außerdem liefert der Hersteller für alle Preset nützliche Einstellvorschläge mit. Die virtuellen E-Pianos klingen über einen glasklar eingestellten Verstärker am authentischsten. Bei Dynamo, Suitcase und Eighty Eight stehen der unverkennbar glockige Attack eines Fender Rhodes Piano im Vordergrund, teils mit regelbarem Tremolo bzw. Phaser. Wurli – ebenfalls mit regelbarem Tremolo – trifft den schnarrenden Ton eines Wurlitzer Pianos recht gut, wobei der Basisklang jeweils keine Offenbarung darstellt, jedoch durchaus brauchbar ist. Mallets, Vibes und Steel Drums passen gut ins Sortiment, zumal diese ansprechend klingenden Presets für Abwechslung sorgen und trotzdem etwas nach E-Piano klingen. Tri-Glorious ist kein virtuelles Keyboard, sondern eine füllige und lebendige Nachbildung des Dytronics Tri-Stereo Chorus-Effekts. Und mit Organ lässt sich eine perkussive Orgel, die etwas nach Steel Drums klingt imitieren.
Resümee
Die drei alternativlosen Dosenkeyboards machen Spaß, trotz einiger Unzulänglichkeiten. Allein die Tatsache, aus der Gitarre völlig artfremde Klänge herausholen und bei Bedarf mit dem Gitarrenklang mischen zu können, fasziniert und inspiriert zugleich. Die polyphon spielbaren Orgel-, Mellotron- und E-Piano-Sounds sorgen zudem für Abwechslung, wenn es darum geht, Keyboard-Backings in ein Looper- Pedal einzuspielen und über einen Gitarren- Amp zu verstärken.