Ein-Mal-Alles-Power-Strats: Harley Benton ST Modern Plus HSS im Test
von Christian Braunschmidt, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Dieter Stork)
Zeitsprung: Guitar Summit 2023 in Mannheim. Unzählige Hersteller zeigen, was das Portfolio so hergibt, und natürlich wird auch die ein oder andere Neuheit vorgestellt. Da er leider nicht vor Ort sein konnte, waren mehrere Kollegen so freundlich, ihm von ihren Eindrücken zu berichten. Dabei kam ein Instrument auffällig oft vor …
Ja, der Prototyp der ST-Modern-Plus-HSS war für einige der Kollegen DER Renner auf dem Guitar Summit 2023. Seien wir mal ehrlich: Ohne auch nur im Geringsten etwas gegen die Marke zu haben, ist Harley Benton nicht unbedingt der erste Hersteller, dem man ein solches Messe-Highlight zuschreiben würde. Unsere Testgitarren zeigen mal wieder, dass es sich lohnt, genauer zu schauen, was die Jungs und Mädels bei Harley Benton so treiben. So ein Paket wie bei den ST-Modern-Plus-Modellen ist mir bis dato jedenfalls noch nicht unter die Finger gekommen.
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VOLLAUSSTATTUNG, BITTE!
Aus Versehen hat mir das Musikhaus Thomann (dem Harley Benton ja bekanntlich gehört) innerhalb weniger Tage zweimal die gleichen Testgitarren geschickt. Ich habe also in doppelter Ausführung die ST-Modern-Plus in Lake Placid Blue mit Wacholder-Griffbrett und die gleiche Gitarre in Shell Pink mit Roasted-Maple-Griffbrett zum Test vorliegen. Machen wir uns doch dieses kleine Versehen zum Vorteil und schauen im Verlauf unseres Tests einmal, wie es denn um die Serienstreuung bei diesen Instrumenten bestellt ist.
Allen weiteren Beschreibungen der Gitarren möchte ich an dieser Stelle einmal den Preis voranstellen, an den ich mehrfach erinnern werde: 399 Euro sind für diese Instrumente fällig – also absolutes Einsteiger-Segment. Im Grunde handelt es sich bei den ST-Modern-Plus-Modellen um klassische HSS-Strats, die ein wenig an die ersten Hot-Rod-Modelle der späten 70er-Jahre erinnern. Die Basis stellt ein Korpus aus Erle und ein Hals aus geröstetem, kanadischen Ahorn dar, dem ein hauchdünnes, seidenmattes Finish verpasst wurde. Neben den Dots auf dem Griffbrett sorgen die seitlich eingelassenen Luminlays für die nötige Orientierung.
Die 22 Edelstahlbünde sind nicht nur präzise abgerichtet, sondern an den Enden auch so verrundet, wie ich es sonst nur bei sehr (SEHR!) viel teureren Gitarren zu sehen bekomme. Für mehr Komfort in den hohen Lagen sorgt zum einen der Compound Radius von 12″ auf 16″ und zum anderen der ergonomisch gefräste Hals-Korpus-Übergang, sodass die Hand im unteren Cutaway etwas mehr Platz hat.
Um die Krümmung des Double-Action-Halsstabs mal eben „on the fly“ einstellen zu können, befindet sich unterhalb des letzten Bundes ein kleines Trussrod-Wheel, mit dem der Hals im Handumdrehen eingestellt werden kann. Ich persönlich halte dieses Feature gemeinhin für massiv unterschätzt und freue mich umso mehr, dass Harley Benton hier mitgedacht hat. Neben der Lackierung ist das Material des Griffbretts der wesentliche Unterschied unserer Testgitarren.
Während das Modell in Shell Pink mit einem Griffbrett aus Roasted Maple ausgestattet wurde, bekam die blaue ST-Modern-Plus ein Griffbrett aus dunklem Wacholder spendiert. Was auf den ersten Blick einem klassischen Palisander-Fretboard gar nicht so unähnlich sieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als etwas grobporiger und von nicht ganz so dichter Maserung, wie wir es von Rosewood kennen. Auch die Farbe des Holzes ist bei den beiden blauen Gitarren nicht ganz identisch: Während bei der einen ein gleichmäßiger, dunkler Braunton zu sehen ist, wirkt das Griffbrett bei der zweiten Testgitarre etwas „fleckiger“. Rein optisch kann das verwendete Holz nicht so sehr punkten wie ein echtes Palisander-Griffbrett.
Angesichts des Preises und des Klangs (gleich mehr dazu) finde ich die Wahl dennoch völlig in Ordnung. Die ab Werk aufgezogenen Elixir-Saiten laufen über ein freischwebend eingestelltes Babic FCH 2-Point-Vibrato aus der Z-Serie schnurgerade über einen Graphitsattel bis hin zu den Sung-Il-Locking-Mechaniken.
Für die elektrische Übertragung dürfen bei den ST-Modern-Plus-Gitarren die in ein mintgrünes Schlagbrett montierten Pickups des koreanischen Herstellers Tesla ran – ein VR-Nitro-AlNiCo-5-Humbucker (splitbar) mit Chrom-Cover sowie zwei TV-S1M-Singlecoils sorgen dafür, dass es etwas zu hören gibt. Geregelt werden die Gitarren mit je einem Master-Volume- und einem Master-Tone-Regler, die in hochgezogenem Zustand den Steg-Humbucker in einen Singlecoil verwandeln.
(Bild: Dieter Stork)
Die grundsätzliche Verarbeitung der ST-Modern-Plus-Strats kann ich – vor allem angesichts des Preises – nur als beeindruckend bezeichnen. Was hier an Genauigkeit abgeliefert wird, kenne ich sonst nur von Instrumenten, die um ein Vielfaches teurer sind. Vor allem die wirklich sehr saubere Bundierung habe ich in dieser Preisklasse noch nie gesehen. Wo so viel Licht ist, entsteht natürlich unweigerlich Schatten: Die Verschraubung der Schlagbretter wirkt bei allen vier Testinstrumenten etwas unsauber; manche der Schrauben sitzen etwas windschief in ihren Löchern.
Beim ersten Anspielen war bei zwei Modellen bei Bendings auf den Diskantsaiten ein deutliches Knacken im Bereich des Sattels hörbar – ein Zeichen für eine etwas zu enge Kerbung. Etwas irritierend finde ich, dass auf der Rückseite der Kopfplatte nicht wie eigentlich üblich eine Angabe zur Herkunft zu finden ist. In Zeiten, in denen Transparenz von Produktionsstätten eine zunehmende Rolle bei Kaufentscheidungen spielt, hätte ich diese Information gerne gehabt. Nichts desto trotz bleibt in Bezug auf Verarbeitung und Material ein überaus positiver Eindruck hängen.
Praxistest und Resümee auf Seite 2 …
(Bild: Dieter Stork)
PRAXIS
Was bringt die beeindruckendste Zutatenliste, wenn am Ende das Essen nicht schmeckt? Schauen wir mal, ob Harley Benton hier ein leckeres Süppchen gekocht hat. Die solide geformten D-Hälse liegen satt in der Hand, haben aber natürlich nichts mit den halbierten Baseball-Schlägern der 50er-Jahre-Fender-Gitarren zutun. Mit einem Gewicht von 3,4 kg sind die ST-Modern-Plus-Gitarren weder besonders leicht noch übermäßig schwer und sollten für so ziemlich jede/n gut spielbar sein. Wie immer knöpfe ich mir alle vier Gitarren zunächst unverstärkt vor und stelle fest, dass es zwischen den beiden Griffbrett- bzw. Farbvarianten einen Unterschied zu hören gibt.
Das Modell in Lake Placid Blue zeichnet sich durch eine schöne Strahlkraft in den Höhen und ein knackiges Attack aus, das zwar betont wird, sich aber nicht übermäßig in den Vordergrund drängelt. Die fokussierten Mitten sorgen für eine schöne Auflösung der tonalen Information, während das Bassfundament zwar gesund, jedoch ein wenig zurückgestellt klingt. Die pinke Variante klingt im direkten Vergleich etwas „holziger“ und ich habe den Eindruck, zwar etwas weniger Betonung im Attack, dafür aber durch ein breiteres Mittenspektrum, mehr tonale Information zu hören.
Alle vier Gitarren sind ab Werk so eingestellt, dass das freischwebende Vibrato einen knappen Halbton nach oben benden kann. In der Handhabung entpuppt sich das Babic FCH 2-Point-Vibrato als sehr weich laufend und dank der großen, runden Reiter als ausgesprochen bequem spielbar. Von spitzen Madenschrauben gepeinigte Handballen sind hier absolut kein Thema. Den Gitarren liegen übrigens unterschiedlich geformte Vibrato-Hebel bei, sodass hier jeder ganz nach seinem Geschmack modulieren kann. Außerdem gibt es einen Stab zum Justieren des Spokewheels.
(Bild: Dieter Stork)
Verstärkt rücken alle vier Gitarren klanglich noch etwas näher zusammen und die eben beschriebenen Unterschiede reduzieren sich. Zwar macht das Griffbrettmaterial weiterhin einen Unterschied; dieser spielt jedoch vor allem bei verzerrtem Spiel keine so große Rolle mehr. Zunächst wollen wir mal schauen, was die vier ST-Modern-Plus im Clean-Betrieb zu bieten haben. Auf dem Hals-Singlecoil liefern alle vier Modelle einen schönen, „glucksenden“ Ton, der hier mit Fug und Recht als Strat-Sound in Reinkultur durchgehen kann. Die etwas zurückgenommenen Mitten und die strahlkräftigen Höhen lösen Akkorde mit viel Detailgenauigkeit auf und auch Singlenotes haben die nötige Tragkraft.
Richtig gut haben mir alle vier Instrumente mit einem minimal zerrenden Preamp oder aber einem dezenten Boost gefallen, sodass bei etwas härterem Anschlag ein leichtes Knistern hörbar wird. Die beiden Zwischenpositionen liefern indes Sounds, die Mark-Knopfler-Fans nostalgisch werden lassen, wobei natürlich die hintere Schalter-Zwischenstellung zusammen mit dem Humbucker ein wenig aus der Art schlägt. Ein Kritikpunkt, der jede Schalter-Stellung betrifft, ist das Fehlen einer Treble-Bleed-Schaltung: Dreht man den Lautstärke-Regler zurück, wird der Sound in den Höhen leider sehr stark gedämpft, sodass der dynamische Umfang der Pickups auf diese Weise nicht so richtig nutzbar ist.
Für hemdsärmelig zupackende Rock-Sounds ist der verbaute VR-Nitro-Humbucker eine goldrichtige Wahl. Spritzige Höhen treffen hier auf rüpelige Hot-Rod-Mitten und ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich Riffs der ersten beiden Van-Halen-Alben in die Saiten schmettere. Hier können alle vier ST-Modern-Plus-Gitarren ihre große Stärke ausspielen. Der Sound auf der Steg-Position hat genau das richtige Maß aus kräftigem Output, ohne aber übermäßig laut oder mittig daherzukommen. Natürlicherweise gibt es verglichen mit den Singlecoils einen gewissen Lautstärke-Sprung zu verzeichnen – dieser ist jedoch immer noch in einem vertretbaren Rahmen.
Was die Unterschiede zwischen den beiden Griffbrett-Varianten angeht, bestätigt sich mein Eindruck aus dem Trockentest weitestgehend. Letztendlich ist es einfach eine Geschmacksfrage, was einem mehr liegt. Ich persönlich konnte dem klar umrissenen Attack der Wacholder-Version schon einiges abgewinnen. Trotzdem hat der holzig-mittige Charakter des Ahorn-Griffbretts natürlich ebenfalls seine Vorzüge, vor allem was den Sound im verzerrten Betrieb auf den Diskantsaiten anbelangt.
Bitte nicht falsch verstehen: Die Unterschiede sind bei weitem nicht so groß wie beispielsweise nach dem Auswechseln eines Tonabnehmers. Wir reden hier eher von Nuancen, die aber eben doch einen feinen Unterschied machen. Egal für welche Variante man sich entscheidet: beiden Versionen kann man attestieren, dass sie absolute „go-everywhere-do-everything“-Instrumente sind.
KENNSTE EINE, KENNSTE ALLE?
Durch den oben beschriebenen Versandfehler hatte ich ja die Möglichkeit, beide Testgitarren zweimal hier vor Ort zu haben. Im Preissegment von unter 400 Euro ist es nicht unüblich, eine gewisse Streuung in der Qualität vorzufinden. Natürlich ist meine Auswahl von vier Instrumenten nicht repräsentativ für eine komplette Batch-Order des Herstellers. Trotzdem finde ich es interessant, dass alle vier Gitarren nicht nur gleichermaßen gut verarbeitet waren, sondern auch allesamt vollkommen überzeugend klangen. Lediglich in der Werkseinstellung hatte interessanterweise das zweite Pärchen die Nase klar vorne. Die etwas niedrigere Saitenlage und das besser eingestellte Vibrato sorgten im Test für noch mehr Spielspaß. Ansonsten waren im Fit und Finish absolut keine Unterschiede feststellbar.
RESÜMEE
Hätten mir die Kollegen aus der Redaktion die Gitarren mit der Ankündigung zugeschickt, dass es von Edelmarke XY nun auch eine etwas bezahlbarere Import-Serie gibt – ich hätte es geglaubt. Eine Strat mit dieser Ausstattung und Verarbeitung für 799 Euro? Sensationell! Für 1399 Euro? Kein Schnäppchen, aber immer noch okay. Für 399 Euro? Es ist mir schlichtweg unbegreiflich, wie das geht. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viel Gitarre für so wenig Geld in den Händen gehalten zu haben.
Alleine die Liste der Features liest sich so beeindruckend, dass man eigentlich misstrauisch werden muss. Aber auch die rundum gelungene Verarbeitung (mit ein paar kleinen Abzügen in der Kür) und die sehr gute Spielbarkeit sorgen bei mir für schiere Begeisterung. Bei aller Begeisterung muss man aber natürlich sagen, dass die ST-Modern-Plus im Grunde eine Kopie der Fender Stratocaster ist. Dennoch: Harley Benton hat gezeigt, was in dieser Preisklasse möglich ist – jetzt fehlt nur noch ein eigener Touch. Mal sehen, was da noch kommt!