Champion

Diezel VH2 im Test

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Tube Head

Zwei Buchstaben, eine Zahl. Die schlichte Typenbezeichnung steht für eine nahezu revolutionäre Zäsur auf dem Amp-Markt Mitte der 1990er-Jahre. Nachdem damals Metallica Diezels VH 4 für sich entdeckt hatte, nahm das vierkanalige Luxus-Topteil die US-Metal-Szene im Sturm. Und nun, Jahre später, betritt der VH 2 die Szene. Eine spätgeborene Budget-Version?

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Tatsache, es ist nun schon 25 Jahre her, dass Peter Diezel den VH 4 geschaffen hat. Und der Amp ist nach wie vor im Programm. Ein Dauerbrenner. Was natürlich gute Gründe hat. Vier voll ausgestattete separate Kanäle, in jedem ein schaltbarer Insert-FX-Weg, dazu zwei weitere zwischen Vor-und Endstufe, der eine parallel der andere seriell, alle Schaltfunktionen programmierbar und via MIDI zu steuern … das Konzept war damals seiner Zeit weit voraus und ist heute noch aktuell und modern. Was aber nun manchen überraschen wird: Der VH2 eifert dem nicht, oder nur sehr bedingt nach. Die Ausstattung ist bescheidener, es ist quasi nur das Nötigste vorhanden.

rock solid

Die Zahl hinter dem VH steht unübersehbar für zwei Kanäle. Beide sind mit Gain, Volume, Bass Middle, Treble ausgestattet, hinzu kommen in der Master-Sektion Deep, Presence und zwei alternativ anwählbare Volume-Potis. Input, Power- und Standy-Schalter, insgesamt 17 Bedienelemente, nicht wenig, trotzdem wirken die Regler auf der großflächigen Frontplatte irgendwie ein bisschen verloren. Das Chassis ist halt ziemlich groß, was u. a. darin begründet ist, dass die Elektronik im Inneren einen entsprechenden Platzbedarf hat.

An weiteren Features hat der VH 2 lediglich einen seriellen Einschleifweg zu bieten, sowie einen Fußschalteranschluss für das mitgelieferte Zweifachpedal (LEDs): nur der Kanalwechsel und die Master Volume-Umschaltung können so fernbedient werden, der Status des FX-Weges nicht, schade.

Im Hinblick auf die Verarbeitung gibt der VH 2 das von Diezel gewohnte mustergültige Bild ab. In dem oberflächenveredelten Stahlblechchassis verbirgt sich zwar betont rationelle Platinenbauweise, die Art der Bestückung und die vielfältigen Verdrahtungen hin zu den Potis und Anschlüssen bedingen jedoch immer noch viel Handarbeit (Angelika hat den hier zusammengelötet, sagt die Signatur an der Rückseite). Natürlich finden nur hochwertigste Bauteile Verwendung. Wie üblich sieht man (wieder) eine große Anzahl der von Peter Diezel favorisierten Wima-Kondensatoren. Zu seinem Qualitätsanspruch gehört unter anderem, dass er die Trafos speziell nach seinen Spezifikationen fertigen lässt.

In Sachen Röhren hat Peter für seine Endstufen vor einigen Jahren die KT77 von JJ-Electronics für sich entdeckt. Er sagt, neben den Klangeigenschaften sei die Verlässlichkeit dieser Röhrentypen ein gewichtiges Argument. In der Vorstufe sind wie eh und je selektierte China-Typen der 12AX7B am Start. Nur V1, die erste Röhre im Signalweg hinter dem Input, ist eine 7025/Highgrade vom Tube Amp Doctor. Um Nebengeräusche, Brummen, absolut zu minimieren, werden die Vorstufenröhren mit Gleichspannung geheizt. Was einigen Extraaufwand bedingt, der sich gerade bei Amps mit High-Gain-Kanälen stets auszahlt.

Diezel VH-2
Rationelle Platinenbauweise, jedoch mit hohem Anteil an Handverdrahtung (Bild: Dieter Stork)

souverän

Mein erster Gedanke, als ich hörte, dass der VH 2 hier zum Test eintreffen würde, war: Klar, da muss ich unbedingt den VH 4 zum Vergleich heranziehen. Doch woher nehmen, wenn Diezel gerade keinen vorrätig hat? Kontakte checken, telefonieren. Just Music hier in Hamburg konnte mir weiterhelfen (danke dafür an Nils Finkeisen). Doch so erwartungsfroh ich mich sofort ans Vergleichshören machte, stellte sich die Aktion schnell als vergebliche Liebesmüh heraus. Der Charakter des VH 2 ist deutlich anders als der des VH 4. Eine Gegenüberstellung der beiden macht insofern wenig Sinn. Zwei markante Unterschiede seien aber dennoch genannt.

Der VH 2 tönt im Bassbereich aufgeräumter und erzeugt bei all der Vehemenz, die er entwickeln kann weniger Intermodulationen, unterschwellige Interferenzen. Der zweite Punkt spielt die wesentlichere Rolle. Der Klangcharakter der Verzerrungen differiert. Der Channel 2 des VH 2 wirkt auf eigentümliche Art mächtiger, sehr fett. Was die Lead-Sektion darüber hinaus auszeichnet, ist eine besondere Kraft, Fülle in den obersten Tonregionen. Viele, sehr viele Amps, darunter selbst hochpreisige Boutique-Produkte, magern im Tonbereich oberhalb des zwölften Bundes auf den Diskantsaiten e1, h2, g3 ab. Das hat der Lead-Channel des VH 2 ganz anders, man könnte fast sagen vorbildlich, im Griff. Und erzeugt mit dieser konkreten Artikulation eine besondere Tragfähigkeit. Anders ausgedrückt hilft er dem Spieler, macht es ihm leicht (nicht nur) da oben zu glänzen.

Man muss sich aber auf den VH 2 wirklich einlassen bzw. sich an seinem Benehmen akklimatisieren. Denn eine weitere ausgeprägte, typische Eigenschaft liegt darin, wie präzise und prägnant er die Attacks des Spielers herausstellt (auch im cleanen Channel 1). Das mag auf den ersten Kontakt hin manchen „erschrecken“. Nicht irritieren lassen! Ich kann nur dringend raten, sich beim Einanderkennenlernen etwas Zeit zu nehmen (sollte man eigentlich immer, oder?). Nicht kämpfen, versuchen locker zu bleiben, und, auch wenn man es nicht gewohnt ist, mit eher leichtem Anschlag arbeiten. Zur Belohnung gibt es dann flüssige Legatolinien mit deutlich separierten Einzelnoten. Sehr schick. Dabei verblasst fast schon, dass insgesamt die Sensibilität der Tonformung allen Ansprüchen moderner Spieltechniken sehr entgegenkommt: Obertonbiss, Flageoletts usw. geht alles relativ easy.

Was natürlich damit zu tun hat, dass mit dem modernen Sound-Design des Channel 2 sehr hohe Gain-Reserven einhergehen. Interessant und markant ist in diesem Punkt, dass das Klangbild gar nicht vordergründig verzerrt wirkt. Ja, man kann das mit Aufdrehen des Treble- und/oder Presence-Reglers provozieren, im Höreindruck dominieren dennoch Kraft und gesättigte Fülle, was z. B. Solo-Passagen fett singen lässt. Auch sehr schön und nur willkommen: Wundersamerweise halten sich Nebengeräusche trotz der intensiven Gain-Übersteuerungen relativ weit im Hintergrund (wie hat der Diezel Peter das nun wieder hingekriegt?!).

Diezel VH-2
(Bild: Dieter Stork)

Im Klangcharakter mischt der Channel 2 klassische Toneigenheiten mit modernen Farben. Das ist sprichwörtlich gemeint. Die Distortion-Sounds entwickeln stets einen markanten, im Ursprung britisch angelegten Ton, der andererseits mit seiner hohen Dynamik und Energie, sowie den extremen Gain-Reserven immer super definiert bleibt und damit den Anforderungen moderner Stilistiken perfekt genügt. Schnelle Attacks im Metal-Stil stellt er präzise heraus, und macht bei tiefgestimmten Noten wahre Strongman-Power frei. Das alles sehr variabel, weil Presence und Depth den Energiehaushalt des VH 2 feinfühlig und weitreichend variieren können.

Zudem arbeitet die Klangregelung des Channel 2 überdurchschnittlich effizient. Das Zusammenspiel von Middle und Treble erzeugt in Wechselwirkung einerseits diverse Klangfarben, andererseits packen die Frequenzbereiche an den „richtigen“ Stellen wenn es darum geht, unterschiedliche Instrumente geeignet im Sound anzugleichen, bestens.

Jetzt reicht‘s aber mit dem Jubel über die Distortion-Sektion, da gibt‘s schließlich auch noch einen Clean-Kanal. Peter Diezel hat die Qualitäten der Röhrentechnik auch im Channel 1 weit ausgereizt. Glasklar und transparent, sehr kraftvoll, mit sehr schöner räumlichen Tiefenzeichnung steht die Wiedergabe sozusagen in der Tradition der späten 100-Watt-Twin-Reverbs, ist aber eben erheblich aufpoliert. Kein Schmeichler, diese Clean-Sektion. Die Höhen sind keineswegs „böse“, stehen aber doch entschlossen im Klangbild. Hört der Spieler tendenziell brillante Sounds für sich genommen vor der Box, mag er die tonale Rückmeldung eventuell als ziemlich stramm, offensiv empfinden. Die differenzierende Präzision zahlt sich im Bandkontext und in Tonaufnahmen durch sehr gute Ortbarkeit aus und wirkt dann ganz sicher nicht unangemessen hart. Immer vorausgesetzt, der VH 2 wird in der ihm gebührenden musikalischen Umgebung benutzt. Rock-Stilistiken im weitesten Sinn und natürlich auch Metal sind seine prädestinierten Reviere.

Er kann aber auch ganz gut „bluesen“, wobei sich die gute Reaktion auf das Guitar-Volume auszahlt. Ich hatte im Übrigen den Eindruck, dass ihm im vor allem im Channnel 2 Humbucker-Gitarren und aktive Tonabnehmer (z. B. EMG) deutlich lieber sind als Singlecoils. Es gab einmal Zeiten, da hat selbst bei teuren Verstärkern der FX-Weg nicht vernünftig funktioniert. Das liegt hinter uns, es kommt nur noch selten vor, dass wir in der Richtung bei Testberichten nörgeln müssen. Diezel-Amps betraf dies übrigens noch nie. Auch im VH 2 ist die Technik des seriellen Insertweges einwandfrei. Man könnte sogar sagen, mehr als das. Denn das Pegelniveau ist sehr niedrig angesetzt, niedriger als es derzeit bei den meisten Amps auf dem Markt der Fall ist. Was den Vorteil nach sich zieht, dass dieser FX-Weg wirklich absolut universell nutzbar ist bzw. hier selbst sehr niederpegelige Geräte eingeschleift werden können und optimal arbeiten. Ich muss dazu trotzdem vorsorglich einen Hinweis geben: Weil es keine übergreifende Normierung der Technik gibt, kann es in extremen Grenzfällen doch zu Problemen kommen.

Diezel VH-2
(Bild: Dieter Stork)

alternativen

In dieser Preisklasse findet man durchaus auch andere hochwertige Vollröhren-Amps. Jedoch mit 100 Watt Leistung deutlich weniger als mit 50 Watt. Zack, schon wird der Kreis viel kleiner und nur EVHs 5150III und Engls Victor Smolski Head bleiben in Sichtweite. Tonal sind jedoch beide nicht mit dem VH 2 vergleichbar. Das ist überhaupt der Punkt: Wem Sound und Ansprache des VH 2 hochprozentig zusagen, der wird (zumindest derzeit) auf dem Markt kaum Alternativen finden.

resümee

In der Röhrentechnik wurde jede Karte schon gespielt? Man möchte es meinen. Und doch gelingt es Herstellern immer wieder, Verstärker mit eigenem Charakter zu kreieren. Diezels VH 2 ist ein Beispiel dafür. Ein sehr beeindruckendes noch dazu. Sound-Güte, Markanz, Ansprache und Dynamik stehen auf höchstem Niveau und summieren sich zu einer souveränen Performance. Analog par excellence, dem Erlebnis kommt kein Kemper, kein Fractal Audio, Line6 Helix oder anderes Digitales gleich. Die Ausstattung des VH 2 reduziert sich auf das Wesentliche, ist etwas schlanker als bei manch anderem Produkt seiner Klasse, Mängel traten nicht zutage, Substanz und Verarbeitung sind wie von Diezel gewohnt jenseits jeder Kritik. Ergibt in der Summe ein definitiv gesundes Preis-/Leistungsverhältnis. Wie sage ich gerne in solchen Fällen: Antesten, sonst Bildungslücke. [3376]

Diezel VH-2

Diezel VH-2

 


Hinweise zu den Soundfiles

Für die Aufnahmen kamen zwei Kondensatormikrofone mit Großflächen-membran zum Einsatz, ein AM11 von Groove-Tubes/Alesis und ein C414 von AKG, beide nahe platziert vor einer konventionellen 4×12-Box bestückt mit Celestion Vintage 30.

Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei.

Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) und (clean) eine Steinberger GL4T.

Der Channel 1 des VH 2 ist mehr als nur eine Clean-Kanal bzw. variabler als man es gewohnt ist und erwartet. Die Clips 1 bis 3 zeugen davon (vergleiche auch Clip 9).

Die Clips Nummer 4 bis 8 zeigen, dass auch der Channel 2 klanglich eine sehr respektable Bandbreite erreicht. Trotz hohen Gain-Reserven sind die Nebengeräusche gering. Außerdem separiert der Channel 2 selbst bei intensivstem Gain die Anschläge sehr präzise (Clip 8).

Im Clip 9 hören wir mein Referenz-Riff“ (RefRiff), das ich mit jedem Test-Amp/-Distortion-Pedal einspiele, damit man den Charakter (die Verzerrungen selbst sind hier gemeint, nicht die Frequenzkurve) der von uns getesteten Produkte quasi auf einer neutralen Ebene vergleichen kann.

Ich wünsche viel Vergnügen, und…,  wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! ;-).

Fragen, Anregungen  und  ja, auch Kritik sind wie stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de.  Es klappt nicht immer,  aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2018)

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