Der Zauber des Mäuseklaviers: Wren and Cuff Forest For The Trees BM20-Ultra
von Marc-Oliver Richter,
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Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen: Das ist mit der englischen Redewendung „don’t see the forest for the trees“ gemeint. Will der amerikanische Boutique-Hersteller Wren and Cuff sein BM20-Ultra etwa damit bewerben, dass man seinen Sound vor lauter Einstellmöglichkeiten nicht mehr findet?
Die „Forest For The Trees“-Version ist wohl der Höhe- und Endpunkt aller Versuche, den legendären Big-Muff-Sound zu modifizieren: Drei Potis, drei Kippschalter und 20 DIP-Schalter lassen tausende Kombinationsmöglichkeiten zu, den legendären Grenzgänger zwischen Distortion und Fuzz zu tweaken, pimpen und modden.
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(Bild: Dieter Stork)
Was für ein Wahnsinn. Wie soll ich denn bitte das Pedal hier testen? Die einzelnen Eingriffsmöglichkeiten in den Sound sind durch die 20 DIP-Schalter ja so umfangreich, dass jeder Versuch, die Sound-Änderungen zu beschreiben, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Einen ähnlichen DIP-Schalter-Overkill hatte seinerzeit der erste SansAmp zu bieten, der als erster, damals noch analoger, Modeler nicht nur in die Geschichte einging, sondern bis heute noch viele Gitarristen begeistert. Der Anblick eines alten SansAmp muss Mathew Holl, den Mann hinter Wren and Cuff, wohl dazu gebracht haben, die bisher schon erworbene umfangreiche Expertise zum Thema Big Muff nun mit den schier unendlichen Einstellmöglichkeiten zu verbinden. Funktioniert das Sound-Experiment oder überfordert es den geneigten Nutzer, ohne einen erkennbaren Mehrwert zu bieten? Wir werden sehen.
(Bild: Dieter Stork)
TECHNISCHE FEINHEITEN
Also dann mal los. Fangen wir mit den Potis an, die die üblichen Regelungen von Verzerrungsgrad, Lautstärke und Tone ermöglichen. Der geniale Tone-Regler des Muff, der entweder den Bass- oder Höhenbereich betont, kann per Minischalter auch komplett aus der Schalung genommen werden. Die anderen beiden Minischalter links und rechts des True-Bypass-Fußschalters wechseln jeweils zwischen Silizium- und Germanium-Transistoren. Die Funktion der DIP-Schalter ist auf dem Gehäuse beschriftet. Das ist zwar schon mal hilfreich, aber längst nicht aussagekräftig genug, um alle Eingriffsmöglichkeiten an den 20 Punkten der Muff-Schaltung auf Anhieb verstehen zu können. Gut, dass dem Testgerät eine gedruckte Bedienungsanleitung beiliegt, denn auf der Homepage des Herstellers finde ich keine. Die Google-Suche bringt mich zu einer wohl älteren Seite von Wren and Cuff mit User-Manuals. Hier ist zumindest die Anleitung des De la Riva, dem Vorgängermodell des Forest For The Trees, zu finden, mit der man sich schon mal gut über die Möglichkeiten des Pedals informieren kann.
Der Forest For The Trees arbeitet rein analog: Die DIP-Schalter greifen in der Reihenfolge von rechts nach links an den hintereinanderliegenden Punkten der Muff-Schaltung ein. An jeder der vier Gain-Stufen des Big Muff können kleine Bauteiländerungen geschaltet werden, die z. B. den Eingangswiderstand insgesamt oder den Bassbereich verringern, den Verzerrungsgrad erhöhen oder Clipping-Dioden ein- bzw. ausschalten.
Interessant sind vor allem die letzten fünf DIP-Schalter, die sich mit der Tonregelung des Muffs befassen. Hier kann beeinflusst werden, wie sich der Tone-Regler hinsichtlich des berühmtberüchtigten Mittenverlusts (Mid-Notch) verhält. Die Beschreibung jeder einzelnen Klangänderung würde den Rahmen dieses Testberichts bei Weitem sprengen. Daher schließe ich mich den Worten der Bedienungsanleitung an und empfehle einfach selbst zu probieren, wie es für einen selbst am besten passt. Denn am Schluss zählt nur, ob man mit dem Sound selbst zufrieden ist und nicht, ob der Muff jetzt nach der „Civil War“-, „Triangle“- oder „Rams Head“-Variante des Big Muffs klingt.
KLANGLICHER MEHRWERT?
Das Komplizierte an der Sache mit den DIP-Schaltern ist, dass das Ganze interaktiv funktioniert. Eine Änderung an einer früheren Stelle beeinflusst auch die nachfolgenden Einstellungen. Mit dem Pedal muss man sich also beschäftigen, wenn man das ganze Potential herausholen will. Wer das nicht macht, belässt das BM20-Ultra in der Werkseinstellung mit allen Schaltern oben, außer „Clipping Range“ sowie dem zweiten und fünften Tone-Schalter (von rechts), und bekommt einen astreinen Triangle-Sound, mit dem man prima arbeiten kann. Ich wette aber, dass man nach einiger Zeit nicht widerstehen kann und dem Zauber des Mäuseklaviers erliegt.
Wenn man dann erst mal angefangen hat, auszuprobieren, was alles möglich ist, hat einen die Sucht auch schon gepackt. Denn jede Schaltungsänderung wird mit einer deutlichen Klangänderung quittiert. Bis man seinen Big-Muff-Sound gefunden hat, können schon mal ein paar Stunden vergehen. Aber es werden kurzweilige und interessante Stunden. Beginnen wir mit den für den Big Muff typischen Silizium-Transistoren und lassen die Germanium-Variante erst mal außen vor. In der Triangle-Grundstellung fangen wir mit dem Distortion-Poti an und erfreuen uns an der feinfühligen Einstellbarkeit der Verzerrung. Von dem mollig-milden Klang bei kleiner Gain-Einstellung bis zum druckvollen Brösel-Sound bei hohem Gain liegen alle Zerr-Sounds auf klanglich hohem Niveau.
Selbst bei hohem Gain bleiben die Töne klar akzentuiert, so wie sich das für einen guten Big Muff gehört. Der Tone-Regler ist traditionell das beeindruckendste Werkzeug, um den Big-Muff-Sound zu variieren. Auch der Forest For The Trees ist über das Tone-Poti von warm und weich bis zu grell und aggressiv einzustellen. Hier lohnt es sich, einen ersten Blick auf die fünf linken DIP-Schalter zu werfen, mit denen die Tone-Regelung noch wirkungsvoller variiert werden kann.
Zum Bedienen des Mäuseklaviers nimmt man am besten ein Plektrum. Und wenn man schon dabei ist, kann man ja auch die anderen DIP-Schalter mal ausprobieren. Details muss ich mir hier ersparen, aber ich bin schon beeindruckt, wie hier zum Teil drastische Klangänderungen ermöglicht werden. Zum Schluss noch ein Highlight: Wenn der Tone-Bypass aktiviert wird, finde ich einen perfekt ausgewogenen, fetten Fuzz-Sound. Auch wenn man den Lautstärkesprung durch Zurückdrehen des Volume-Reglers ausgleicht, bleibt der Sound direkter und dichter als mit aktivierter Klangregelung. Ich finde den Tone-Bypass-Sound absolut gelungen. Dagegen ist der Klangunterschied zwischen den Germanium- und Silizium-Transistoren geringer als ich gedacht hätte. Nichtsdestotrotz ist auch hier der kleine aber feine Unterschied zwischen weicherem Germanium- und direkteren Silizium-Sound eine sinnvolle Bereicherung des ohnehin schon üppigen Klangspektrums.
RESÜMEE
In Sachen Flexibilität macht dem Forest For The Trees niemand etwas vor! Natürlich wird man nicht dauernd an den DIP-Schaltern herumspielen, dafür ist das Mäuseklavier auch nicht gedacht. Zu filigran und anfällig scheinen mir die kleinen Schalter bei Dauergebrauch oder im Live-Einsatz. Ich denke, das edle BM20-Ultra ist doch eher ein Studiopedal. Hier kann es seine Stärke, die feine Sound-Formung, am besten ausspielen. Die Klänge sind nicht nur außerordentlich vielfältig, sondern auch gut unterscheidbar. Wer Spaß am Experimentieren hat und nicht unbedingt selbst löten möchte, bekommt alle möglichen Mods in dieser Stompbox startklar serviert. Wer hier seinen Big-Muff-Sound nicht findet, braucht keinen Big Muff!