Das große Klangpaket: Boss Katana Artist Gen 3 im Test
von Ulf Kaiser, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Dieter Stork)
Bereits 2016 hob Boss die Katana-Serie aus der Taufe, die seither in etlichen Variationen ein eigenes Segment im Markt abdeckt und sich an Gitarristen richtet, die moderne Funktionalität im traditionellen Format suchen. Die mehrkanaligen Verstärker mit Preset-Speicherplätzen vereinen eine digitale Vorverstärkersektion, die klanglich einer Röhrenschaltung auf der Spur ist, mit einem umfassenden Effektbereich sowie einer Class-A/B-Endstufe. Dabei sieht sich der japanische Hersteller zunächst dem Sound selbst und nicht der Nachbildung existierender Klassiker verpflichtet. Mit dem Katana Artist Gen 3 haben wir uns das Flaggschiff der aktuellen Produktlinie angehört …
Ich will als Liebhaber von Röhrenverstärkern diesen Test ein wenig anders als sonst üblich angehen. Unter der Voraussetzung, dass das Resultat gut klingt, gibt es Dinge, die sich über die Jahre in der Praxis bewährt sowie Neuerungen, die Einzug in die Welt der Verstärker erhalten haben. Vieles davon findet sich in unserem Testgerät.
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Aber zunächst mache ich einen Schritt zurück: Die primäre Aufgabe eines Gitarrenverstärkers ist es, den Klang des Instruments auf die gewünschte Lautstärke zu bringen, um im Idealfall, bei konsistenten Ergebnissen, leise zuhause oder laut in der Band mit anderen Musikern spielen zu können – natürlich mit dem gewünschten Sound. Ein Kopfhöreranschluss und eine integrierte Boxensimulation sowie die Möglichkeit, externe Boxen nutzen zu können, erweitern dieses Spektrum und ermöglichen lautloses Üben, Aufnehmen sowie den Einsatz auf der Bühne. All diese Aufgaben erledigt das Testgerät ohne Murren.
AUSSTATTUNG
Der Katana Artist Gen 3 (Firmware 1.07) ist wie seine Vorgänger 2018 und 2020 ein 100-Watt-Verstärker, der sowohl als Topteil als auch als 1×12″-Combo erhältlich ist. In der letztgenannten Version kommt ein speziell entwickelter Waza-Lautsprecher aus eigenem Hause zum Einsatz.
Clean, Crunch, Rhythm, High Gain, Solo und prägende Effekte – das alles bietet der Katana Artist, ganz ohne Röhren. Eigene Einstellungen können auf acht Speicherplätzen abgelegt und direkt am Gerät, über einen optionalen Fußschalter oder per MIDI abgerufen werden.
Die Basis jedes Sounds bilden sechs Verstärkertypen (Acoustic, Clean, Pushed, Crunch, Lead, Brown), die über einen Variationsschalter insgesamt zwölf Grundsounds liefern. Hinzu kommt noch ein Bloom-Schalter, der den Grundsound noch weiter prägt.
Neu in der dritten Katana-Generation ist der Verstärkertyp Pushed, während die anderen Amp-Modelle teilweise weiterentwickelt wurden. Sie alle arbeiten auf digitaler Ebene und sollen das komplexe Verhalten von Röhrenverstärkern authentisch nachbilden (Tube Logic). Vorbilder nennt Boss nicht. Für den eigentlichen Pegel sorgt eine abgestimmte 100-Watt-Transistorendstufe in Class A/B-Arbeitsweise mit zusätzlichen Möglichkeiten zur Klangformung.
BOOST, SOLO, EFFEKTE
Ergänzend dazu bietet der Katana Artist Gen 3 mehrere Sektionen, um das Signal aufzumotzen. So stehen neben einem Noise Suppressor im Eingangsbereich die Bereiche Boost, Modulationseffekte, FX (eine universelle Effektauswahl), Delay und Reverb zur Verfügung – alle gleichzeitig nutzbar. Ergänzend kommt noch eine Solo-Sektion hinzu, die eine zweite Lautstärke und ein zusätzliches Delay bereithält.
(Bild: Dieter Stork)
MEHRTEILIGES BEDIENKONZEPT
Die Bedienung des Gerätes orientiert sich an herkömmlichen Verstärkern. Es gibt die typischen Regler für die Vorverstärkung, die Klangregelung und die Endstufe. Ergänzend finden sich aber auch Möglichkeiten, die Intensität der Effekte und der erwähnten Solosektion einzustellen. Teilweise verwendet Boss dafür gestapelte Regler, um Platz zu sparen.
Sehr schön ist die Möglichkeit, pro Effektslot drei Effekttypen/-varianten zu hinterlegen, zwischen denen man durch wiederholten Tastendruck und wechselnde Farbcodierung umschalten kann. So kann man in der Boost-Sektion zwischen Treble Boost, Overdrive und Fuzz wechseln, in der Mod-Sektion zwischen Chorus, Phaser und Slicer und in der Delay-Sektion zwischen BBD-, Tape- und Reverse-Delay. Genial!
Wer noch tiefer in die Möglichkeiten des Katana Artist Gen 3 eintauchen möchte, schließt den Verstärker per USB-C an seinen Computer an und nutzt die kostenlose Win/Mac-Software Tone Studio. Dort öffnet sich eine grafische Bedienoberfläche, die Zugriff auf die Speicherplätze und alle Einstellungen des Gerätes bietet. Hier finden sich alle Effekttypen mit ihren zum Teil umfangreichen Parametern.
Insgesamt verfügt der Katana Artist Gen 3 über 60 Effektalgorithmen. Dazu lässt sich die Reihenfolge der Sektionen im Signalweg per Software verändern, inklusive des vorhandenen realen Effektweges. Hinzu kommen zusätzliche Equalizer, besagter Noise Suppressor und ein Expression Pedal, das mit der gewünschten Funktion belegt werden kann.
Wer jetzt noch in das optionale Bluetooth-Modul investiert, kann diese Editierungen über eine kostenlose App auch direkt am Smartphone vornehmen. So gelang es mir tatsächlich mühelos, die Sounds des Katana Artist Gen 3 ferngesteuert über mein iPhone zu bearbeiten. Sehr komfortabel und selbst kurz vor einem Live-Gig noch in Würde zu erledigen.
Der Bluetooth-Adapter (Bild: Dieter Stork)
ENDSTUFE UND LAUTSPRECHER
Wie bereits erwähnt, setzt der Combo auf einen Waza-Custom-Lautsprecher, der laut Hersteller den Sound der alten Greenbacks imitiert, jedoch ohne deren Leistungsbegrenzung. Ohne hier einen A/B-Vergleich angestellt zu haben, kann ich den Lautsprecher in seinem großen, halboffenen Gehäuse als gute Wahl bezeichnen, der mit der großen Soundauswahl gut umgehen kann und zudem ausreichend Pegel liefert.
Bei Bedarf können aber auch externe Boxen angeschlossen oder die Stereo-Expand-Funktion genutzt werden, mit der sich zwei Verstärker zu einem Stereosystem koppeln lassen. Außerdem gibt es einen Endstufeneingang, über den externe Geräte wie Modeling- oder Röhrenvorverstärker an den Katana angeschlossen werden können. Ein zusätzlicher Aux-Eingang ermöglicht es, Signale von Zuspielern als Playback über den Verstärker auszugeben.
(Bild: Dieter Stork)
Im Gegensatz zu typischen Röhrenverstärkern ist die Transistorendstufe leicht auf Zimmerlautstärke zu bringen. Sie liefert aber bei Bedarf auch bühnentaugliche Pegel.
Ein Combo-Line-Ausgang im Klinken- und XLR-Format sowie ein Kopfhörerausgang bieten weitere Wiedergabemöglichkeiten. Schließlich kann die USB-C-Schnittstelle genutzt werden, um den Verstärker direkt mit einem Computer zu verbinden und eine Aufnahme zu realisieren. In allen Fällen kann eine konfigurierbare Lautsprechersimulation zugeschaltet werden.
Praxistest, Markteinordnung und Resümee auf Seite 2 …
(Bild: Dieter Stork)
PRAXIS
Der Katana Artist bietet, wie bereits erwähnt, mehrere Bedienebenen. Zunächst kann man den Verstärker einschalten und sich über die Bedienelemente direkt zum gewünschten Sound bewegen. Nach kurzer Eingewöhnungszeit entdeckt man die zahlreichen Schalter für verschiedene Voicings und wählt und pegelt die hinterlegten Effekte. Im Handumdrehen kann man die entstandenen Sounds auch direkt am Gerät in 2 x 4 Kanälen ablegen. Im dritten Schritt wählt und justiert man mit der Software die Effekte, konfiguriert die Speakersimulation und die Pedale und bringt die gespeicherten Sounds in die gewünschte Reihenfolge.
Die Pegelsteuerung selbst ist durchaus praxistauglich. Man kann die Endstufe nicht nur zur Verstärkung nutzen, sondern auch klanglich vielfältig verändern und damit den Klangcharakter weiter prägen. So gibt es eine Leistungsumschaltung, die den Sound eines aufgedrehten Verstärkers bei leisen Pegeln ermöglichen soll. Außerdem bietet die Endstufe eine Klangregelung in Form von Presence- und Resonance-Reglern sowie drei virtuelle Gehäusetypen (Vintage, Modern, Deep). In der Praxis lassen sich mit der Kombination aus acht umfassend voreingestellten Sounds, separat schaltbaren Effekt- und Solo-Sektionen ganze Konzerte variabel gestalten.
(Bild: Dieter Stork)
In Kombination mit dem passenden Controller funktioniert das meiner Meinung nach sehr gut. Daher ist der optionale Foot Controller GA-FC oder GA-FC EX sehr zu empfehlen. Letzterer bietet mit sechs Fußtastern und zwei Expression-Pedal-Anschlüssen mehr Bedienkomfort. Das Umschalten aller Kanäle ist damit ebenso möglich wie schnelle Moduswechsel, das Aktivieren einzelner Effekt-Sektionen, des Effekt-Loops oder die Nutzung der Tap-Funktionen für die Delay-Bereiche. Fehlt da eigentlich noch irgend etwas? Ja, ein integriertes Stimmgerät!
KLANG
Unterm Strich zählt natürlich der Klang. Sofern man kein 1:1-Imitat vorhandener Verstärker erwartet, möchte ich dem Katana Artist eine hohe Klangqualität und -vielfalt bescheinigen. Dazu ist der Verstärker rückwärtskompatibel zu seinen Vorgängern und erlaubt somit den Zugriff auf die bisherigen Klänge der Online-Nutzergemeinschaft.
Mit dem Waza Artist Gen 3 kann man nahezu jedes Genre abdecken und gleichzeitig durch die zahlreichen Optionen und Effekte eine eigene Stimme finden, wenn man sich mit dem Gerät auseinandersetzt.
Tatsächlich gefällt mir dieser Ansatz. Es gibt genügend Marshall-, Fender- und Boogie-Imitate. Warum nicht einfach einen guten Klang finden, der zur Musik passt? Das sollte mit etwas Einarbeitung bestens gelingen. Und so wandelte sich meine anfängliche Zurückhaltung irgendwann in Begeisterung.
Zu hören gibt es hervorragende Clean-Sounds, geboostete Crunch-Klänge oder mehr Gain für das Solo, natürlich mit Delay-Fahne. Alles ist schnell am Gerät justiert, mit der App verfeinert und ruckzuck gespeichert.
Die Grundklänge decken ein breites Spektrum ab und agieren durchaus unterschiedlich, dynamisch und mit Charakter. Mit Hilfe der Voicing-Schalter bewegt man sich fließend zwischen uneingeschränkt clean, über angezerrt in verschiedenen Variationen bis hin zum High-Gain-Metal- oder Solo-Sound und in die Sound-Effekte-Abteilung.
Neben den genannten klangformenden Möglichkeiten für Vor- und Endstufe verfügt der Katana Artist sogar über zwei Equalizer pro Kanal zur Klangoptimierung und zusätzlich über einen wahlweise grafisch oder parametrisch ausgeführten globalen EQ, mit dem der Klang nochmals überformt und an die aktuelle Raumsituation angepasst werden kann.
Wenn ich nicht ein bisschen oldschool wäre, könnte ich mir kaum ein kompakteres, autarkes Verstärkersystem für die Bühne wünschen. Klingt es gut? Auf jeden Fall! Klingt und fühlt es sich an wie ein Röhrenverstärker? Eher nicht!
Na und? Wer mit dem Katana Artist Gen 3 nicht vernünftig Musik machen kann, der ist entweder ein totaler Spezialist, ein elitärer Feinschmecker oder voreingenommen.
Zugegeben: Die Lautsprechersimulation fällt eher einfach aus, klingt aber gut. Für Demoaufnahmen würde ich sie einsetzen, im Studio eher weniger. Boss verzichtet auf die Möglichkeit, mit wählbaren Impulsantworten zu arbeiten, sondern bietet drei Szenarien (Studio, Blend, Live) an, für die man dann eine virtuelle Doppelmikrofonierung mit unterschiedlichen Mikrofontypen konfiguriert.
Schließlich darf bei der Beurteilung des Sounds auch die Preisklasse nicht außer Acht gelassen werden. Der Katana Artist Gen 3 vereint für rund 800 Euro einen Modeler, ein Effektgerät, eine Endstufe und eine Box in Personalunion. Damit kostet er rund hundert Euro mehr als ein Kemper Player, ein Line 6 HX Stomp XL und weniger als der hauseigene GT-1000, die alle ohne Endstufe und Box daherkommen. Und damit kämen wir zur …
MARKTEINORDNUNG
Der Katana Artist Gen 3 besetzt ein eigenes Marktsegment. Er liegt preislich unterhalb der klassischen Röhrenverstärker und der Oberklasse heutiger Modeler.
Er verbindet auf praktische Weise das Format und die Bedienung eines konventionellen Verstärkers mit der hohen Funktionalität eines digitalen Systems. Ein cleverer Schachzug, denn sicher gibt es Scharen von Gitarristen, die gerne ein Kabel in den Verstärker stecken und einfach loslegen.
Zumal zu Hause der geschätzte Röhrenverstärker aufgrund seiner ruppigen Pegelsteuerung oft genug einen Strich durch die Rechnung macht. Da kommt ein Katana Artist gerade recht!
Ich stelle auch die These auf, dass viele Musiker sich nicht mit den unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen Alleskönner auseinandersetzen wollen. Nun, der Katana hat auch viel zu bieten, aber man kann ihn in wenigen Minuten in Betrieb nehmen und glücklich werden. Dazu braucht es keine App und kein Display.
Aber wer den Forscherdrang in sich trägt, kann auch diesem Wunsch folgen …
Mit diesem Funktionsprofil kann der Katana-Serie ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis bescheinigt werden. Die vorliegende Artist-Version ist günstig genug für qualitätsbewusste Einsteiger, aber auch für Fortgeschrittene, Heimspieler und Musikschulen sicherlich ein sinnvolles und spaßbringendes Arbeitsgerät.
Schließlich kann man sich mit diesem Verstärker je nach Genre auch im Proberaum und auf der Bühne so richtig austoben. Nur eines ist dieser Verstärker mit Sicherheit nicht: Eine endgültige Lösung für Liebhaber edler Röhrenverstärker oder überzeugte Rocker.
RESÜMEE
Der Katana Artist ist für mich ein Wolf im Schafspelz. Im Gewand eines konventionellen Combos entpuppt er sich als enorm flexibel einsetzbarer und extrem vielseitig klingender Gitarrenverstärker mit jeder Menge Effekten und Extras. Mit diesem Amp kann man ohne ein weiteres Pedal fast jede Aufgabe erledigen und auch gleich die passenden Aufnahmen dazu machen. Dabei fällt der Preis mit knapp unter 800 Euro ausgesprochen attraktiv aus.
Ein- und Aufsteiger, Musikschulen, Heimspieler, Top-40- und Live-Musiker haben eine gute Chance, einen Haufen Equipment in einem Gerät vereint vorzufinden.
Dabei kann und will der Katana Artist nicht mit Röhrenverstärkern der Boutique-Klasse konkurrieren. Diese sind in der Regel nicht nur deutlich kostspieliger, sondern gleichzeitig auch klanglich begrenzter. Boss hingegen geht das Thema Gitarrensound mit moderner Transistor- und Digitaltechnik selbstbewusst an. Dementsprechend würde ich das Testgerät nicht als Spezialisten für bestimmte Sounds bezeichnen, sondern als Universalisten mit einem völlig anderen Konzept.
Den typischen Roland-Clean-Sound liefert der JC-120 in überlegener Form, bei klassischem Marshall-Crunch liegt ein 1959 oder JCM800 2203 vorn und der Schwermetaller wird vielleicht mit einem EVH 5150III glücklicher. Mit der Katana-Serie geht Boss seit Jahren einen erfolgreichen, eigenständigen Weg in Form von praxisgerechten, klanglich vielseitigen und clever designten Geräten zu fairen Preisen.
Der aktuelle Katana Artist Gen 3 richtet sich an anspruchsvollere Kunden, die sich aus verschiedenen Gründen bewusst nicht für einen Röhrenverstärker oder einen Modeling-Alleskönner entscheiden wollen. Die Gründe dafür sind nicht unbedingt im Geldbeutel zu suchen. Vielmehr bietet das Testgerät eine Fülle von Szenarien, in denen dieser Verstärker sinnvoll und mit überzeugenden Ergebnissen eingesetzt werden kann. Bravo!