Charvel Pro-Mod So-Cal HSS FR M & FR E im Test: Super Super Strats?
von Christian Braunschmidt, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Dieter Stork)
Kaum ein anderes Modell ist so eng mit dem Namen Charvel verknüpft wie die So-Cal. Diese ikonische Variante ist zusammen mit der San Dimas im Grunde der Inbegriff dessen, was wir im Rückblick auf die 80er-Jahre als „Superstrat“ bezeichnen. Genau diesen Klassiker hat sich Charvel nun noch einmal vorgenommen.
Dabei sind beide Testgitarren auf den ersten, oberflächlichen Blick nicht besonders spektakulär: beide Modelle kommen mit HSS-Bestückung, sind also mit zwei Singlecoils und einem Humbucker von Seymour Duncan ausgestattet. Dazu gibt es ein Floyd-Rose-Vibrato, eine schlichte Elektronik und insgesamt vier unterschiedliche Farben. Warum diese Gitarren doch aber einiges mehr zu bieten haben, als man es auf den ersten Blick vermuten würde, soll der folgende Test erklären.
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VOLLAUSSTATTUNG BITTE!
Zwei So-Cals, beide mit einem Korpus aus Erle, eine in Hochglanz-Schwarz (HSS RF M) mit hellem Ahorn-Griffbrett, die andere in mattem „Pharao Gold“ mit dunklem und mit 6 mm beeindruckend dickem Ebenholz-Griffbrett (HSS FR E). So lassen sich die beiden Testgitarren kurz und bündig auf den Punkt bringen. Dass trotz aller Gemeinsamkeiten ein durchaus relevanter, klanglicher Unterschied besteht, klären wir später. Als klare Abgrenzung zur San-Dimas-Baugruppe, sind beide So-Cal-Testgitarren mit einem Schlagbrett ausgestattet. Handelt es sich bei der goldenen HSS FR E um ein reguläres Kunststoff-Pickguard, hat die schwarze Gitarre ein mit kleinen Torx-Schrauben montiertes Schlagbrett aus fein gebürstetem Aluminium bekommen, was optisch eine Menge hermacht.
Beide Instrument sind mit einem lizensierten Floyd-Rose-Vibrato der 1000erReihe ausgestattet, welches unterfräst wurde und freischwebend eingestellt ist. Bei den Hälsen handelt es sich um eine Konstruktion aus hellem, mit hauchdünnem Urethan-Lack versiegelten Ahorn, die bei beiden Versionen mit einem aufgeleimten Griffbrett versehen wurde und somit keinen Skunk Stripe auf der Rückseite aufweist.
(Bild: Dieter Stork)
Für zusätzliche Stabilität sind die Hälse mit zwei zusätzlichen Streben aus Graphit verstärkt worden, was vor allem Gitarristen zu Gute kommt, die tiefer stimmen und dementsprechend dicke Saiten verwenden. Die Enden der 22 sauber eingelassenen Bundstäbe sind schön verrundet, sodass hier nichts störend übersteht. Natürlich wurde beim Griffbrett ein moderner Compound Radius von 12″ auf 16″ gewählt.
Eine sehr praxistaugliche Angelegenheit ist das „Heel Mount Trussrod Adjustment Wheel“ mit dem sich die Spannung des Halsstabs ganz einfach einstellen lässt, ohne dass der Hals abgeschraubt werden muss oder gar ein größerer Werkstatt-Aufwand von Nöten wäre. Abgesehen von Korpusfarbe und Griffbrettmaterial, unterscheiden sich die beiden So-Cals übrigens noch in einem weiteren Detail: als schönen Kontrast zur Lackierung, wurde der goldenen HSS FR E schwarze Hardware spendiert, während man bei der HSS FR M auf klassisches Silber setzt.
Elektrisch gesehen ist das Herzstück unserer Testgitarren die Tonabnehmer-Bestückung aus dem Hause Seymour Duncan. Während auf der Hals- und der Mittelposition jeweils ein SSL-6 Singlecoil zu finden ist, verrichtet auf der Steg-Position ein kräftiger TB-6 Distortion (also die „Trembucker“ Version des SH-6 mit breiterem Spacing) seinen Dienst, der neben SH-4, SH-1 und SH-5 zu den absoluten Klassikern des Herstellers gehört.
Etwas schade ist, dass die hohe E-Saite nicht über die unteren Pole Pieces der Singlecoils läuft, sondern Diese nur so eben streift. Regelbar sind die Pickups mit einem Volume-Regler und einem No-Load-Tone-Poti. Voll aufgedreht spürt man hier einen feinen Rastpunkt, bei dem der Regler komplett aus dem Signalweg genommen wird. Außerdem wurde für den Lautstärke-Regler eine Push/Pull-Version verbaut, über den sich der Humbucker splitten lässt.
Von dem Floyd-Rose-Vibrato ausgehend laufen die Saiten über den üblichen Klemmsattel zu den sechs sauber arbeitenden Charvel-Diecast-Mechaniken. Insgesamt hinterlassen beide Gitarren einen überaus positiven ersten Eindruck: die mexikanische Fertigung ist – genau wie bei den Fender-Gitarren – auf einem mittlerweile beeindruckend hohen Niveau und muss sich in keinster Weise vor höherpreisigen Instrumenten verstecken.
Soundcheck, Handling und Resümee auf Seite 2 …
(Bild: Dieter Stork)
KNALLHEISSER SOUND
Die Tonabnehmer-Bestückung gibt ja bereits einen Hinweis darauf, dass bei den beiden So-Cals nicht unbedingt süßholzraspelnder Wohlklang im Vordergrund stehen dürfte. Und schon akustisch gespielt zeigen sich beide Gitarren von einer überaus sportlichen Seite – ein knackiges, schnelles Attack mit einem eher ausgedünnten Bassfundament trifft auch kräftige, großzügig verteilte Mitten, die in schön ausgewogene Höhen übergehen. Genau hier hört man den Unterschied zwischen den beiden Instrumenten: während die schwarze HSS FR M ein breitschulteriges Mittenspektrum aufweist, ist es bei der HSS FR E eine deutliche Spitze in den oberen Mitten, die das Attack des Plektrums in den Vordergrund rückt.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich gibt es große klangliche Überschneidungen zwischen den beide Gitarren – trotzdem ist der Unterschied der verwendeten Griffbretthölzer hörbar. Die Spielbarkeit ist so, wie man es von einer klassischen Stratocaster gewohnt ist – beide Instrumente lassen sich sowohl im Sitzen als auch im Stehen wunderbar spielen. Das recht flache D Halsprofil ist natürlich nicht mit den ultra-dünnen Hälsen von einigen Jackson- oder Ibanez-Modellen vergleichbar; trotzdem haben wir hier ein Profil, das für die allermeisten Frauen- und Männerhände völlig problemlos zu handhaben sein dürfte. Die verrundeten Griffbrettkanten sorgen für Komfort über den ganzen Hals hinweg und selbst für mich, als Freund eher dicker Hälse, kommt hier viel Spielfreude auf.
Am clean eingestellten Verstärker dürfen zunächst die beiden Singlecoils brillieren. Der SSL-6 ist völlig zu Recht einer der Brot-und-Butter-Tonabnehmer und macht einen super Job, wenn es darum geht, kraftvolle und doch angenehme, in keinem Frequenzband überbetonte Sounds zu liefern. Etwas schade ist die etwas zu leise hohe E-Saite, die aufgrund des bereits erwähnten Saitenverlaufs minimal unterbelichtet klingt. Der TB-6 Humbucker liefert natürlich keine besonders überragenden Ergebnisse im cleanen Amp-Betrieb – hier ist der Distortion-Kanal gefragt.
In diesem Modus hingegen, explodieren die beiden Pro-Mod So-Cals regelrecht: Die Kombination aus Holz, Konstruktion und Tonabnehmer sorgt für einen ungemein bissigen, aggressiven Sound, der gespickt ist, mit strahlenden Obertönen, einem kräftigen Sustain und ausgesprochen fetten Mitten. Der Seymour-Duncan-Distortion-Humbucker macht wirklich keine Gefangenen und sorgt mit viel Output für einen beeindruckend bissigen Sound mit einem durchsetzungsstarken Höhenspektrum.
Powerchords und Quartgriffe klingen dicht und druckvoll – trotzdem lösen komplexere Akkorde immer noch sehr gut auf. Auch die Singlecoils können verzerrt gespielt voll überzeugen. Hier mag ich vor allem die etwas zurückhaltenden Mitten des Hals-Pickups, der mit viel Punch sowohl auf den tiefen als auch den hohen Saiten überzeugt. Im Gegensatz zu den beiden Einspulern, gefällt mir der Humbucker gesplittet nicht ganz so gut – für einen behelfsmäßigen Singlecoil-Sound auf der Stegposition reicht der Ton dennoch vollkommen aus.
ALTERNATIVEN
In Bezug auf Strat-Style-Gitarren ist die Auswahl an Superstrats mittlerweile unüberschaubar vielfältig. Alleine von Fender/Charvel/Jackson gibt es eine erschlagend große Bandbreite toller Alternativen. Naheliegend wäre beispielsweise, sich einmal die San Dimas Modelle von Charvel anzuschauen. Mit der Pro Mod SD1P bekommt man eine Gitarre, mit einem ähnlichen Feeling, ohne Schlagbrett und mit zwei Humbuckern. Dazu ist der Preis sogar noch ein wenig unterhalb unserer Testgitarren. Wer in erster Linie eine coole HSS-Strat sucht, auf das Floyd-Rose-Vibrato aber verzichten kann, der könnte sich bei Schecters Van Nuys Serie einmal umschauen. Auch hier bekommt man authentisches 80er-Jahre-Superstrat-Feeling zu einem minimal höheren Preis. Zu guter Letzt möchte ich in einem deutlich niedrigeren Preissegment noch die Fusion-III-Modelle aus Harley Bentons Pro Serie nennen. Hier bekommt man für jeweils rund 500 Euro einiges an Modell-Vielfalt und Qualität geboten.
RESÜMEE
Braucht es im Jahr 2023 die viertelvorzwölfte Reinkarnation der klassischen Superstrat? Wenn man es so macht wie Charvel, kann die Antwort nur lauten: Natürlich! Beide Testgitarren können vollends überzeugen und kommen mit einer Ausstattung, bei der man angesichts des Preises von 959 Euro einfach nur staunen kann. Doch nicht nur auf dem Papier handelt es sich bei den beiden Pro Mods um tolle Instrumente – auch die Verarbeitung, die Spielbarkeit und nicht zu Letzt der großartige Sound bringen mich zu der Behauptung, dass es derzeit wahrscheinlich schwer wird, die HSS-FR-Modelle in Punkto Preis/Leistungsverhältnis zu schlagen. Mir bleibt jetzt nur die Frage, wie ich mir selbst klarmache, dass ich wirklich nicht noch eine Strat gebrauchen kann.
Wie viel zu oft bei Fender / Charvel kommen die Hardtail (Super) Strats viel zu kurz. Mit einer festen Brücke bieten die Bretter gleich ein ganz anderes Klangverhalten und Tonvergnügen. Die letzte große Glanztat war 2010/11 die Charvel Wild Card #6 MIJ, oder das Jake E. Lee Signature Modell. Mit freundlichen Grüßen an die Produktentwicklung. 😉
Die faktisch besten Charvel Strats waren die damalig attraktiven San Dimas Pro Mod.-Nature Swamp Ash-Modelle aus Mexico,deren Stabilität und Klangeigenschaften (zwei Seymour Duncan Humbucker) bis dato unerreicht bleibt. Die Saiten wurden wie bei einer Tele durch den massiv hölzernen Korpus eingefädelt,und verblieben dort bombenfest in den Saitenhülsen (Bushings). Kein lästiges Tremolosystem,kein unnötiger Schnickschnack,lediglich ein echtes Allrounder-Arbeitstier zu einem damalig sehr fairen Preis. Eine sehr solide Hardtail Guitar,die man gar nicht mehr aus den Händen legen möchte. Ich besitze solch ein Charvel Hardtail Strat Modell bis heute, und kann sie wirklich sehr gerne weiterempfehlen.
Tolle neue Charvel „Super Strats“ zu einem (noch) fairen Preis,-jedoch ohne „Freud‘ los Trem-System“ wären sie noch viel attraktiver!
Als Hardtail Strats würden sie mir noch bedeutend besser gefallen.
Charvel baut eigentlich ganz gute Gitarren.
Die goldene gibt es ohne Freud’ los Tremolo!
Wie viel zu oft bei Fender / Charvel kommen die Hardtail (Super) Strats viel zu kurz. Mit einer festen Brücke bieten die Bretter gleich ein ganz anderes Klangverhalten und Tonvergnügen. Die letzte große Glanztat war 2010/11 die Charvel Wild Card #6 MIJ, oder das Jake E. Lee Signature Modell. Mit freundlichen Grüßen an die Produktentwicklung. 😉
Die faktisch besten Charvel Strats waren die damalig attraktiven San Dimas Pro Mod.-Nature Swamp Ash-Modelle aus Mexico,deren Stabilität und Klangeigenschaften (zwei Seymour Duncan Humbucker) bis dato unerreicht bleibt. Die Saiten wurden wie bei einer Tele durch den massiv hölzernen Korpus eingefädelt,und verblieben dort bombenfest in den Saitenhülsen (Bushings). Kein lästiges Tremolosystem,kein unnötiger Schnickschnack,lediglich ein echtes Allrounder-Arbeitstier zu einem damalig sehr fairen Preis. Eine sehr solide Hardtail Guitar,die man gar nicht mehr aus den Händen legen möchte. Ich besitze solch ein Charvel Hardtail Strat Modell bis heute, und kann sie wirklich sehr gerne weiterempfehlen.