Das hier ist das genaue Gegenteil von DSP/Modeling und üppigen Soundpreset-Bibliotheken. Gradlinige Röhren-Amps, reduziert auf das Wesentliche. Nicht viel rumschrauben. Einpluggen, Spaß haben. So die Theorie. Na, wir werden gleich sehen, ob in der Praxis ein Smiley oder ein Sadey steht.
Erinnert man sich noch? Blackstar ist daraus hervorgegangen, dass mehrere langjährige Mitarbeiter von Marshall eigene Wege gingen. Das war im Jahre 2004. Moderne und Vintage-orientierte Röhren-Amp-Serien sorgten dafür, dass sich Blackstar schnell auf dem Markt etablierte. Heute ist das Programm sehr vielseitig und deckt auch im Bereich digitale Technik/Modeling und Hybriden unterschiedlichste Anforderungen ab.
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asketisch?
Kleine, kompakte Röhren-Amps/-Combos hat Blackstar durchaus schon herausgebracht. Ich denke da an die Serien HT1 und HT5. Die sind/waren aber alles andere als retro. So reduziert und zumindest vordergründig an alten Zeiten orientiert wie die neuen Studio-10-Modelle, das gab es noch nicht.
Die Basis der Studio-10-Modelle bildet eine Single-Ended-Endstufe, also eine Eintaktschaltung. Die braucht keine Phasenumkehrsektion und gibt sich dank Kathodenbias auch beim Netztrafo genügsam, der nämlich nur zwei Sekundärwicklungen braucht, eine für die Hochspannung und die ca. 6,3 Volt zum Heizen der Röhren. Zum Abstimmen des Sounds stehen lediglich drei Regler zur Verfügung, Gain, Tone und Master.
Beim Studio 10 KT88 ersetzt Blackstars patentierte ISF-Regelung das Tone-Poti. Ein Drive-Schalter erhöht bei Bedarf die Vorverstärkung respektive die Verzerrungsintensität. Ganz ohne Luxus muss man nicht auskommen. Es ist ein (digitaler) Reverb-Effekt integriert und an der Rückseite sind die Anschlüsse eines seriellen FX-Wegs mit Level-Umschaltung (+4/- 10dB) zugänglich. Wie auch der Anschluss für den mitgelieferten (Drive-) Fußschalter und ein Headphones/D.I.-Out (Emulated, mit Frequenzgangkorrektur) – die typische Blackstar-Peripherie, funktional wie gewohnt einwandfrei. Es gilt aber zu beachten, dass die Signalstärke am FX-Send bei hohen Gain-Einstellungen kräftig ansteigt. Pedalgeräte könnten damit überfordert sein.
Der Kick an dem Konzept ist, dass bei den drei Versionen des Studio 10 die Endröhrentypen variieren. Das Design, die Optik der Combos, trägt dem Rechnung: EL34/Black Tolex, 6L6/Blond Tolex, KT88/Green Tolex. Im Prinzip sind sie sich jedoch sehr ähnlich. So kommt auch bei allen drei Modellen derselbe Lautsprecher zum Einsatz, der Seventy 80 von Celestion. Der gut geschützt ist, weil das hinten halb offene Gehäuse unten mit einem nach innen versetzten Lochblechgitter verschlossen ist.
Man möchte meinen, dass bei so einem äußerlich relativ schlichten Verstärker das Innenleben, die Elektronik, eher karg als aufwendig ausfällt – Eintakt-Amps/-Combos kennen wir ja mehrheitlich als technisch reduzierte Vintage-Puristen. Aber weit gefehlt. In dem Stahlblechchassis ruhen zwei dicht besiedelte Platinen, die, obwohl überwiegend mit miniaturisierten SMD-Bauteilen bestückt, den gesamten Raum ausfüllen. Logische Schlussfolgerung: die Röhren, in der Vorstufe sitzt eine ECC83, sind beileibe nicht allein, was die Verstärkung/aktive Bearbeitung der Signale angeht. Es sind diverse Halbleiter-ICs beteiligt.
Aufbau und Verarbeitung der Elektronik folgen modernsten Standards. Die Qualität ist einwandfrei. Auch das Combo-Gehäuse überzeugt in seiner Machart. Hochwertige Substanz, Made in China, „designed & engineered in Northampton/England“, wie es bei vielen Blackstar-Produkten der Fall ist.
ton plus
Ehrlich gesagt war mein erster Gedanke, nachdem ich die Spezifikationen gelesen hatte, ob das mit Einschleifweg und Hall bei diesem Konzept überhaupt gut gehen kann. Denn üblicherweise entscheidet man sich für Single-Ended-Verstärker, weil der besondere Klangcharakter der sättigenden Endstufe lockt. Aber Effekte und Reverb „schön“ verzerrt, will das jemand?! Wohl kaum. So sind die Studio-10-Combos aber gar nicht angelegt, zumindest nicht primär – den Verdacht nährte ja schon die aufwendige Elektronik. Heißt auf den Punkt gebracht: Wir haben es funktional und tonal nicht mit einem Puristen vom Schlage eines Fender Champ zu tun. Den Amp aufreißen und los geht’s, old school, das Klischee greift hier nicht.
Der Kernpunkt ist dementsprechend, dass die Combos relativ lange in der Endstufe clean bleiben. Natürlich kommt irgendwann die Sättigung, doch die schleicht sich äußerst subtil in ganz weichen Übergängen ein. Klanglich exzellent. Abgesehen davon, dass FX-Loop-Effekte (Achtung, es entstehen je nach Betriebssituation hohe Pegel am FX-Send) und der gelungene, weiträumig diffuse Reverb in dem Bereich weiter qualitativ wertvoll bleiben.
Das Spannende an der Sound-Formung ist, dass die Combos ansonsten eben doch „alte“ Werte pflegen. Sie reagieren supersensibel auf das Input-Signal, seien es spieltechnische Details, der Charakter verschiedener Instrumente und ihrer Pickup-Positionen, oder die Arbeit mit den Volume- und Tone-Potis an der Gitarre. Letzteres funktioniert hier sogar sehr elegant. Die Dichte des Klangbilds ist bei höheren Gain-Einstellungen bzw. Lautstärken sehr feinfühlig steuerbar. Es ist ein Leichtes, den Santana-Effekt zu provozieren: Note anspielen, geschickt posend den Feedback-Spot finden, den Combo vielleicht etwas erhöht aufstellen … und ewig steht der Ton – das Instrument muss es natürlich auch hergeben. Und das bei absolut zivilen Lautstärken (das kann die digitale Welt kaum liefern).
Zu den grundlegenden Eigenschaften aller drei Combos ist noch zu sagen, dass sie trotz ihrer geringen Größe eine gute Sound-Balance entwickeln. Die typischen „Problemchen“ kleiner Gehäuse, topfige, nasale Mitten, zu schwache und/oder undifferenzierte Bässe glänzen durch Abwesenheit. Richtigen Tieftondruck entwickeln die Combos natürlich nicht, aber es ist eine gesunde Fülle gegeben. Ein wichtiges Element der Sound-Formung ist der Drive-Schalter. Ist sein Status „Aus“, bewegt man sich quasi im traditionellen „Vintage“-Tonbereich, von Clean bis leicht gesättigten Anzerrungen.
Bild: Dieter Stork
Bild: Dieter Stork
Bild: Dieter Stork
Drive-On ändert die Stimmungslage drastisch. Es stehen erheblich höhere Verzerrungsreserven bereit, die am High-Gain-Bereich kratzen oder fast dort hineinreichen. Dies zunächst unabhängig vom Master-Volume, sprich der Lautstärke! Wenn man hier nun doch höher geht, zeigt sich eine spezielle Fähigkeit der Studio-10-Combos, nämlich dass sich intensive Preamp-Verzerrungen gegen die oben beschriebene Sättigungsreaktivität fein ausbalancieren lassen.
Was machen nun die einzelnen Modelle aus diesen Anlagen? Okay, wir staffeln mal von mild nach wild. Der dezenteste im Trio, weich in den prominenten Höhen und dem Sound der dichten Verzerrungen, im wahrsten Sinne des Wortes singend, ist der 6L6-Combo. War ja fast so zu erwarten, sagt das Klischee, oder? Ein Blues-Amp feiner Güte, die Obertöne schmeicheln und treten gerne hervor, man muss nicht um sie kämpfen.
Deutlich grober benimmt sich der Studio 10 EL34. Die Höhen kratzen, es verbreitet sich eindeutig und markant offensivbritisches Timbre. Im direkten Vergleich scheint der Combo weniger zu verzerren als sein 6L6-Bruder. Dem ist aber nicht so, es fehlen nur die fetten, satten Mitten. Drive-Off trägt den Spieler in Retro-Rock-Gefilde, die Sounds der 1970er-Jahre lassen grüßen. Wird Drive aktiviert, frönt der Studio 10 EL34 dem Brownsound, schön tragfähig, komplex in der Textur der Verzerrungen und – um es ein weiteres Mal zu betonen – so angenehm reaktiv in der Ansprache.
Der KT88-Combo geht Wege, die man nicht unbedingt vermuten mochte. Viel Gain, hohe Verzerrungsreserven, und ein ordentliches Aggressionspotential – härter britisch als beim EL34 geht es zur Sache. Im Drive-Modus hat der Combo fast schon Metal-Ambitionen bzw. er liefert moderne, tragfähig voluminöse Lead-Distortion. Drive-Off ermöglicht einerseits klare, präzise Clean-Einstellungen, stramm im Attack, höhenreich, andererseits formt sich bei hohem Gain kraftvoller Overdrive. Die ISF-Klangregelung ist deutlich effizienter als das Tone-Poti der anderen beiden Combos. Weil es quasi das gesamte Frequenzspektrum bearbeitet, von brillant schlank hin zu gezügelten Höhen, mehr Mitten und Volumen.
alternativen
In dieser Preisklasse sind technisch deckungsgleiche Combo-Modelle derzeit nicht vertreten. Bzw. es dürfte auch absolut gesehen, wenn man bereit wäre mehr Geld auszugeben, schwierig sein, Produkte zu finden, die so variabel das klassische Eintakt-Prinzip interpretieren.
resümee
Nein, die Studio-10-Combos sind keine reinrassigen Röhren-Amps. Puristen mögen dar ob die Nase rümpfen. Sollten sie aber nicht. Denn auf den Punkt gebracht verkörpern die Combos das Gegenteil von Kompromiss-Hybriden, soll sagen, Halbleiter und Röhren gehen hier eine kongeniale Symbiose ein. Die sich in einer austrainierten Tonformung manifestiert. Vorteile und Pluspunkte der Technik zeigen sich in der klanglichen Variabilität, der hohen Leistungsausbeute und der einwandfreien Funktion des FX-Wegs und des Reverb-Effekts. Blackstars Studio-10-Combos sind also unterm Strich zweifelsfrei empfehlenswert. Und im Preis-Leistungs-Verhältnis unkritisch.
PLUS
• Sound, harmonisches u. sehr sensibles Zerrverhalten
• klangliche Variabilität
• Dynamik, Leistungsausbeute
• hohe Gain-Reserven
• Ausstattung: FX-Weg, Reverb, D.I./Headphones-Out
• Verarbeitung/Qualität d. Bauteile
Hinweise zu den Soundfiles:
Für die Aufnahmen kamen zwei Kondensatormikrofone mit Großflächen-membran zum Einsatz, ein AM11 von Groove-Tubes/Alesis und ein C414 von AKG, beide nahe platziert vor dem Speaker des Combo.
Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei.
Ein genereller Hinweis: Wie höhenreich die einzelnen Aufnahmen klingen sollte nicht als bestimmendes Merkmal im Sound (miss-) verstanden werden. Lässt sich in der Regel mit einem kleinen Dreh an der Klangregelung variieren/ändern. Ein Hinweis zum Studio 10 KT88: In den Soundfiles wirken die Gain-Boost-Verzerrungen nicht so intensiv wie man sie beim direkten Hören erlebt.
Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) eine Steinberger GL4T, und eine Gibson Les Paul/P90 (Clip 8) aus dem Custom Shop.
Fragen, Anregungen und ja, auch Kritik sind wie immer stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.
Wo liegt der Unterschied zu den Anniversary-Amps? Ich meine, außer im Preis und in der Farbe…