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Andy Timmons Sound: MI Crunch Box

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Bei einem der vielen Sonntagnachmittag-Workshops der GITEC eV in Regensburg – diesmal ging es um analoge FX-Pedale der Kategorie Distortion & Overdrive, moderiert von Physiker Dr. Wolfgang H. – konnte ich mich nebenbei in interessante Gespräche mit wohlinformierten Teilnehmern vertiefen. Dabei traf ich einen begeisterten Hardcore-Andy-Timmons-Fan, der von dessen dynamischem Sound schwärmte und ein eigenes AT-orientiertes Pedal mitbrachte. Das interessierte mich natürlich…

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Timmons war mir bis dato eher entfernt bekannt – ich wusste zumindest nicht, welche Pedale für seinen Sound verantwortlich sind. Ich wurde also dahin gehend belehrt, dass Andy mittlerweile eine eigene AT-Linie von JHS hat, sein Sound aber grundsätzlich auf der alten MI Crunch Box basiert – die wiederrum war die Basis des JHS Angry Charlie, aus dem schlussendlich die AT-Linie hervorging.

Lediglich die Tone- und Clipping-Einheit der JHS-AT-Serie wurde luxuriöser designt – bei einem Modell ist gar noch ein zusätzlicher Booster dabei, aber ansonsten in der Basis der Crunch Box sehr ähnlich … Also, speziell für die Andy-Timmons-Fans unter den Lesern: Die MI Crunch Box, JHS Angry Charlie und Grundsätzliches.

Bild #1

MI Crunch Box

Gleich zu Beginn schon mal die Anmerkung, dass das Pedal mit True Bypass ausgestattet ist. Damit erübrigt sich auch die Frage, ob wieder einmal ein leistungsschwacher BJT-Emitterfolger als Puffer Verwendung findet – siehe Kolumne in Ausgabe 02/2018.

Der Eingang enthält eine wichtige merkliche Kapazität von 1nF nach Masse, welche die PU-Resonanz-Frequenz etwas erniedrigt, sofern die Gitarre direkt angeschlossen wird. Damit wird der Ton weniger „fizzelig“, er lässt sich akustisch besser übersteuern. Ein solches C wurde auch bei den Klassikern „The Rat“ (die früher Version) und „MXR Distortion+“, in gleicher Position verwendet – überhaupt hat man bei der Konstruktion des Geräts in Richtung Ratte geschielt.

Das ist aber nichts ehrenrühriges, man kann das Rad ja nicht ständig neu erfinden. Jedenfalls gelangt das Signal jetzt auf den OP1a, ein feiner LM833, der auch häufig im besseren HiFi-Segment eingesetzt wurde. Er ist ein mittelschneller, rauscharmer Typ mit feinen Übertragungseigenschaften (gainbandwidth-product 15MHz). Man wird sich sicherlich etwas dabei gedacht haben, nur einen mittelschnellen Chip mit 7V/us slew-rate zu verwenden, anstelle der in der modernen Signalverarbeitung üblichen schnellen OPs (>20V/us).

Im Fußpunkt der Gegenkopplung die für Hi-Gain-Pedale wichtige Hochpass-Funktion, hier mit einer gut bekannten Grenzfrequenz von 720Hz – das ist die bewährte Grenzfrequenz des Tube Screamers.

Bild #2

Der Schleifer des 100kOhm-Gain-Potis ist mit dem Ausgang des ersten OPs verbunden und teilt die Schleiferbahn in zwei Hälften – siehe Bild #2. Durch diese Raffinesse lässt sich die Verstärkung von zwei OPs mit einem Einsteller erledigen – kennen wir so z.B. von Marshalls Bluesbreaker oder dem King Of Tone. Der zweite OP arbeitet bei niedriger Gain-Einstellung ohne Beschneidungen im unteren Grundtonbereich, bei voll eingestelltem Gain stellt sich ein Hochpass mit 160Hz-Grenzfrequenz ein, die untere Oktave der Gitarre wird also leicht bedämpft.

Ein großes Plus dieser Schaltungsart des OP1b ist die mitlaufende Hochpass-Grenzfrequenz mit steigendem Gain. Denn gerade mit hohem Gain neigen alle übersteuerten Systeme zum „matschen“ im Bass. Durch geeignete Wahl der Zeitkonstante lässt sich so ein durchsichtiger Sound generieren. Für dicke Humbucker wäre hier ein C von 47nF an Stelle des 100nF ratsam.

Immer in Betrieb ist der Tiefpass in der Gegenkopplung (1MegOhm parallel 100pF) mit Grenzfrequenz von 1,6kHz. Der Sound wird so cremiger, auch etwas nasaler, ohne aber an Biss zu verlieren, gleichzeitig wird auch höher frequentes Rauschen reduziert – ein willkommener Nebeneffekt.

Gleichzeitig sorgt dieses RC-Glied dafür, dass, wenn der OP in seine Aussteuergrenzen läuft, die Signalecken verschliffen werden, sodass es nicht so sägend klingt. Ausgekoppelt wird das so hoch verstärkte, frequenzkorrigierte Signal über einen 2,2uF-Elko zur Potentialtrennung sowie dem 470 Ohm-Strombegrenzungswiderstand, der wichtig ist für das anschließende Clipping-Dioden Arrangement.

Bei der Crunch Box sind es lediglich zwei antiparallel geschaltete rote LEDs, beim Angry Charlie eine aufwendigere Dioden Anordnung … überhaupt wird hier bei verschiedenen Modellen, die auf der Crunch Box beruhen mit den verschiedensten Dioden-Arrangements gearbeitet. Interessant ist auch die Leerlaufposition beim JHS AT Model, bei der keine Dioden für das Clipping sorgen, sondern der LM833 schlicht gegen seine Aussteuerungsgrenzen läuft.

Bild #3

Clipping Dioden

Bei der JHS AT orientierten Kopie des eingangs erwähnten GITEC-Teilnehmers besteht dieses schaltbare Dioden-Arrangement aus einer Leerlaufposition und gar drei Dioden-Zweigen – geschaltet mittels Rotationsschalter. Der erste wäre ein Weg über zwei antiparallele rote LEDs, in zweiter Position zwei Si-Dioden antiparallel, der dritte ein Paar Schottky-Dioden.

Das ist jetzt gerade eine gute Gelegenheit, einmal grafisch die einzelnen Dioden-Typen mit ihren charakteristischen Schleusenspannungen gegenüberzustellen. Am unteren Ende liegt die Schottky Diode mit 0,3V, dann eine Si-Diode mit 0,65V, am Ende steht dann die rote LED mit 1,8V. Die Spitzenströme betragen etwa 2-3mA.

Damit unterscheidet sich die Stromaufnahme in dieser Schaltung deutlich von der Stromaufnahme der Clipping-Dioden in einem Overdrive – die liegen dort unter 300uA. Diese Overdrive Dioden sind aber auch anders verschaltet. Dadurch ergeben sich auch etwas andere Schwellspannungen – also Obacht in Diskussionen darüber: Die darstellbare Schwellspannung ist stromabhängig.

Im Anschluss – dem Gain-OP1b folgend – das Dioden Clipping Arrangement (das in Großserien-Geräten, z.B. mit dem MXR Distortion+, so ab 1978 Einzug in die Szene hielt) ein Tone Controller, in seiner Art „roll-off“ Filter genannt. Es ist ein Tiefpassfilter erster Ordnung, dessen Grenzfrequenz sich stufenlos einstellen lässt. In dieser Art und Weise sehr ähnlich der „The Rat“ von ProCo, sah ich diese aber auch schon in modernen Overdrives – aber wie erwähnt, man hat offensichtlich bei der Konstruktion eben jenen Klassiker im Visier gehabt.

Bei dem einen oder anderen Pedal dieser Strickart folgt im Anschluss an das Roll-off-Filter noch ein weiteres einstellbares spezielleres Tiefpassfilter – siehe Schaltbild #1 (hier ein sog. PD-T1-Glied, siehe z.B. Regelungstechnik).

Die Crunch Box und ähnlich gestrickte Pedale dieses Genres lassen sich als moderne Hi-Gain Versionen der alten „The RAT“ auffassen, wenngleich das der Rat anhaftende Mitten-Timbre bei hohem Gain hier nicht auftritt (Stichwort: gain-bandwidth product des alten LM308 Chip, siehe Ausgabe 12/2015). Ein gutes Distortion-Design für das dritte Jahrtausend.

 

(erschienen in Gitarre & Bass 03/2019)

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