Während die Hamburger Melodic-Metaller Helloween derzeit die Veröffentlichung des neuen Albums ‚Live At Budokan‘ feiern, bastelt ihr Gitarrist Sascha Gerstner im Studio schon wieder an den ersten Aufnahmen für die in 2025 angekündigte nächste Studioscheibe. Wir haben den 47-Jährigen zur aktuellen Situation befragt und ihn bei der Gelegenheit auch gleich um ein paar Empfehlungen für unsere monatliche Serie „Top Gear Check“ gebeten.
Interview
Sascha, mit gleich drei Gitarristen sind Helloween sowohl Riffals auch Solo-technisch üppig besetzt. Kannst du bitte mal die Aufteilung zwischen dir und deinen Kollegen Michael Weikath und Kai Hansen beschreiben?
Wir sind ein super Trio mit unterschiedlichen Stärken. Kai hat eine wilde und kraftvolle Spielweise, die ideal für die harten Riffs und eindringlichen Soli ist. Weiki bringt eine ganz eigene charmante melodische Note mit rein, die gerade in den Soli gut zur Geltung kommt. Außerdem hat er einen sehr eigenständigen Charakter als Mensch und in seinem Spiel, den ich sehr schätze.
Ich versuche, die Balance zu halten und Akzente zu setzen, die das Ganze verbinden. Unsere Parts teilen wir meistens so auf, dass jeder seine Energie einbringen kann – daraus entstehen eine spannende Dynamik und lebendige Songs. Wobei man sagen kann, dass wir in Stil und Geschmack eine große Schnittmenge haben.
Hat sich dein Gitarrenspiel durch Helloween verändert?
Ja. Als junger Musiker war ich oft auf Geschwindigkeit und Technik fixiert, im Endeffekt war es ein Ausprobieren, was mir liegt und wo meine Grenzen sind. Heute setze ich dagegen stärker auf Sounds, Atmosphäre und Dynamik. Ich schätze nach wie vor das kraftvolle Riffing und schnelle Läufe, aber ich lege mehr Wert darauf, was sich innerhalb der Parts abspielt.
Einiges von dem, was ich früher ständig gemacht habe, spiele ich heute seltener, weil einfach sehr viel mehr Dinge in mein Vokabular am Instrument dazugekommen sind, auch welche, die ich an mir wiederentdeckt habe, wie zum Beispiel meine Liebe zu Fusion, zu New Wave, Rock und Pop.
Ansonsten zählt für mich am meisten die Energie, aber es ist gut, wenn man dort wo es eben passt auch mal sportiver auf dem Instrument losfetzen kann. Am liebsten kombiniere ich alles zusammen, dann ist es für mich perfekt.
Bitte stelle für unsere Serie „Top Gear Check“ dein derzeit bevorzugtes Equipment vor und erkläre im Detail seine Vorzüge!
Gerne. Momentan setze ich im Studio auf eine Mischung von Gitarren, die mir Spaß machen und charaktervoll klingen. Da ist zum Beispiel meine Fender Telecaster, eine Custom Shop Nocaster, die ich vor zwei Jahren entdeckt habe und die einen wunderbar eigenständigen Sound hat. Die Nocaster ist derzeit meine Hauptgitarre, mit der ich bei Helloween fast alles spiele, von clean bis super heavy.
Dann gibt es da noch mein Signature-Modell von VIV Guitars, dessen ursprüngliche Idee auf mein Soloprojekt Palast zurückgeht. Bei Palast handelt es sich bekanntlich eher um Elektronik-Rock mit 80er Einfluss, für den ich nach einem visuellen Bühnengimmick gesucht habe. Deshalb habe ich mir zunächst eine Roland-Synthie-Gitarre aus den Achtzigern gekauft, was beim Palast-Publikum tatsächlich sehr gut ankam.
Allerdings nicht bei Helloween, da hieß es nur: „Das Ding kannst du aber nicht zum Videodreh mitbringen!“ Ich suchte aber auch für Helloween ein Instrument, das optisch auffällt und für beide Welten kompatibel ist, also sowohl für Metal als auch für Pop.
So ist die Idee eines VIV-Guitars-Signature-Modells entstanden, wobei die Entwicklung dieser Gitarre nicht ganz problemlos war. Es gab mehrere Prototypen, die nur sehr schwer zu spielen waren oder ergonomisch auseinanderfielen.
Auf der letzten Helloween-Tour habe ich beispielsweise noch einen Prototyp mit 22 Bünden gespielt, der aufgrund der Korpusform mit dem Cutaway in den hohen Lagen nur sehr mühsam zu spielen war. Deshalb haben wir den folgenden Prototyp auf 24 Bünde erweitert, dabei ist es geblieben, auch beim Serienmodell, das voraussichtlich 2025 auf den Markt kommt.
Bei den Vibratos haben wir verschiedene Modelle getestet und sind schließlich bei Schaller gelandet, bei den Pickups handelt es sich um einen Seymour Duncan SH4 in der Bridge- und einen Sustainiac-Single-Coil in der Halsposition. Die VIV-Gitarre klingt modern und sehr sauber und kommt im Studio hauptsächlich in meinen Soli zum Einsatz. Live ist sie mein Hauptinstrument. Ich mag Soundvariationen, da ich stilistisch sehr breit aufgestellt bin.
Bei Verstärkern stehe ich grundsätzlich auf einen möglichst britischen Sound, jedenfalls wenn es um verzerrte Signale geht. Für meine Demos verwende ich vor allem einen Blackstar St. James 50 6L6, den für mich besten bislang gebauten Blackstar-Amp. Er verfügt über eine eingebaute Load Box, die ich über XLR-Kabel ansteuern und daher mit der Gitarre direkt in den PC spielen kann, was vor allem bei Demoaufnahmen ausgesprochen praktisch ist.
Hinzu kommen ein paar alte Marshalls, vorzugsweise Endsiebziger 2203-Master-Volume-Modelle, die ich deshalb so liebe, weil der 2203 mein erster Profi-Amp war, den ich mir mit 16 Jahren leisten konnte. Damals war er bereits relativ alt und bei Gitarristen nicht sonderlich beliebt, aber mir gefiel von Anfang an dieses sehr britische Flair. Ich finde, dass zum Beispiel ein 2203 von 1979 runder klingt als die späteren JCM-800-Marshalls.
Hinzu kommt ein alter ENGL Rackhead aus den 90ern, den ich schon zu meinen Zeiten bei Freedom Call für Albumaufnahmen verwendet habe. Der Amp stammt aus den späten Achtzigern oder frühen Neunzigern und ist – für mich unverständlich – ein wenig in Vergessenheit geraten. Man findet ihn nicht einmal mehr auf der ENGL-Website. Der Rackhead hat zwar diese typische ENGL-Verzerrung, klingt aber etwas britischer als moderne ENGL-Amps. Bei Clean-Sounds bevorzuge ich allerdings mehr die amerikanischen Vibes von Fender.
Im Studio nutze ich aktuell hauptsächlich ein Hybridsystem aus Retro-80er-Jahre-Effekten, wie beispielsweise meinem heiß geliebten Eventide H3000 und Lexicon PCM 70. Beide sind bei Helloween-Aufnahmen permanent im Einsatz. Als Jugendlicher war das H3000 für mich unerschwinglich.
2016 habe ich dann ein bezahlbares, gebrauchtes Exemplar gefunden und um es herum ein reguläres Rack-System zusammengestellt. Das H3000 klingt unfassbar musikalisch und lebendig und ist für mich immer noch state of the art. Das PCM 70 verwende ich meistens nur für ein Delay-Preset, das allerdings zu den kleinen Details gehört, die man im Studio benötigt, um sich von der Masse klanglich abzuheben.
Erwähnen muss ich in diesem Zusammenhang auch den dbx 160X, den Kompressor-Klassiker, der nur einige wenige Knöpfe besitzt, an denen es riesigen Spaß macht zu drehen, und der bei Clean-Sounds oft im Einsatz ist.
Als modernes Gegenstück zum dbx 160X nehme ich das Axe-FX III von Fractal Audio, dessen Presets ich selbst kreiere. Ich benutze auch eigene Impulse Responses, die wir im Studio von einem echten Amp mit Box aufnehmen. Alles ist so verschaltet, dass ich sämtliche Variationen an Sounds zur Verfügung habe und unserem Produzenten Charlie Bauerfeind „Wet/Dry/Wet“-Signale anbieten kann. So haben wir die Möglichkeit, die Effekte separat zum trockenen Amp-Signal zeitgleich aufzunehmen.
Der dbx 160X war in den Achtzigern das absolute Go-To, es schwingt also auch ein wenig Nostalgie mit, wenn ich ihn benutze. Das Signal ist analog und klingt daher dichter, ich nenne dies immer den „Feenstaub“, der aus einer „normalen“ Produktion ganz besondere Aufnahmen macht. Um noch mehr Soundvielfalt aus den Gitarren rauszukitzeln nutze ich verschiedene Pedale, die dann nochmal spürbar in die Sounds eingreifen.
Ich bin aktuell sehr begeistert von JHS Pedals, speziell vom Superbolt und dem Haunting Mids. Das Haunting Mids ist ein parametrischer Equalizer, der Einfluss auf die Mitten nimmt, den Bassbereich straffer macht und den ich als Booster verwende. Ich stehe total auf diesen nasalen Michael-Schenker-mäßigen Klang, diese Art mittigem Wah-Wah-Effekt. Auch das Haunting Mids verfügt über nur einige wenige Knöpfe ohne Frequenzanzeige, das gefällt mir, man dreht und muss mit seinen eigenen Ohren hören, ob sich der Sound in die gewünschte Richtung verändert.
Das Superbolt wiederum verwende ich zusammen mit einem Octaver für Fuzz-Sounds, übrigens auch bei Palast. Ich mag, dass es bei meinen ziemlich akkurat gespielten Soli für etwas Chaos sorgt und dem Sound ein wenig „Dreck“ hinzufügt.
Last but not least nutze ich zwei verschiedene Pickup-Modeller: Der Pickup ExChanger von Keyztone ist sozusagen der heilige Gral, ein Bodenpedal mit Pickup-Simulator, mit dem man von Single-Coil- auf Humbucker-Sound und umgekehrt switchen kann und der somit eine Art Booster-Funktion hat, ohne dass sich der grundsätzliche Charakter der Gitarre ändert. Bei meinen verzerrten Sounds mit der Telecaster ist der Keyztone immer eingeschaltet.
Etwas Ähnliches liefert auch der Pickup Booster von Seymour Duncan für meine Telecaster, nur halt mit anderen Voicings. Eine perfekte Kombination! Plektren spiele ich von der deutschen Firma Pick Me, meine Saiten stammen von D‘Addario.
bekommt man als Rockstar die Gitarre
kostenlos ?