Workshop

Repair Talk: Halsflucht & Halswinkel

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Nahtlos an den letzten Repair Talk anschließend, konzentriert sich diese Folge auf die Hals/Korpus-Verbindung unseres Projekts und richtet das Vergrößerungsglas direkt in Richtung Halsflucht und Halswinkel.

Schon als das Projekt vorgestellt wurde, habe ich darauf hingewiesen, dass der dafür ausgesuchte Bausatz teurer als ähnliche Produkte ist, dafür aber einige Vorteile aufweist. Auf diese Vorteile und die resultierenden Möglichkeiten soll nun eingegangen werden.

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BEQUEM IST NICHT IMMER GUT

In vorangegangenen Bearbeitungsschritten hat sich schon gezeigt, dass die Verbindung von Hals und Korpus brauchbar aber dennoch nicht ohne Spiel ist. Durch dieses Spiel, also die Bewegungsmöglichkeit, kann sich beim späteren Einleimen der Hals etwas aus der Flucht (bezogen zur Mittellinie) wegdrücken.

Abb. 1: Wichtig: die Symmetrie der Gitarre (Bild: M. Doc Schneider)

Die Abb. 1 zeigt dies sehr anschaulich. Je nachdem, wie der Hals in der Halstasche sitzt, verändert sich der Verlauf der Mittellinie und damit die optimale (mittige) Position des Stegs. Jeder, der schon mal bei einer Schraubhalsgitarre an der Flucht (Richtung) des Halses gearbeitet hat, weiß dass eine wandernde Sattelposition (gemäß Abb. 1/oben) einen recht signifikanten Einfluss auf die Symmetrie der Gitarre hat.

Es reichen Zehntelmillimeter aus, um den Abstand der Saiten im Bezug zu den Griffbrettkanten in den optimalen Verlauf zu bringen. Die angestrebte Set-Neck-Konstruktion bietet diese Option nicht, und daher muss die Stegposition stimmig sein. Da der Hals in der jetzigen Phase nicht bewegungsfrei in der Tasche sitzt, ist es präziser für die Symmetrie, wenn die Stegposition erst nach dem Einkleben des Halses im Zuge eines Aufmaßes ermittelt wird. Bei den allermeisten angebotenen Bausätzen sind die Fixpunkte für die Stegeinheit bereits vorgegeben und vorgebohrt. Dies ist natürlich bequem aber ggf. nicht die präziseste Option, wenn der Hals beim Einkleben auf „Wanderschaft“ geht.

Abb. 2: Entscheidend: Ansatz mit Winkel (Bild: M. Doc Schneider)

IMPLODIERTE IDEEN

Neben der Kontrolle über die Symmetrie des Instrumentes bietet der ausgesuchte P-90 Bausatz durch die „Blanko“-Decke des Bodys auch Spielraum für eigene Tuning-Ideen. Wie schon im vorangegangenen Repair Talk beschrieben, hat der Halswinkel entscheidenden Einfluss auf die Aufbauhöhe am Steg. Der Projekthals hat einen etwas angewinkelten Halsfuß (Abb. 2), der dem Hals einen leicht nach hinten geneigten Verlauf verleiht. Mit diesem Winkel lässt sich so einiges optimieren. Es lassen sich aber auch Ideen abseits der Bausatzvorgaben verwirklichen.

Abb. 3: Theoretisch realisierbar: alternativer Steg (Bild: M. Doc Schneider)

Abb. 3 zeigt meine erste Idee: eine massive Hardtail-Brücke komplett aus Messing – ein zurückliegender Flohmarktkauf. Einmal aufgelegt kreisten in Windeseile noch andere Tuning-Ideen durch den Kopf. Ein modifizierter Telly-Aschenbecher, oder eine Tune-o-matic mit Stoptail, alternativ mit Bigsby. Ein bisschen Ausmessen und Ausloten lässt Spaß aufkommen, da der Bausatz in diesem Punkt recht flexibel ist, und es eröffnen sich eine Vielzahl von interessanten Möglichkeiten. Ausgebremst wurde mein Ideenanflug jedoch durch ernüchternde Maße/ Vorgaben der Bauteile.

Die favorisierte Hardtail-Variante hat einen Saitenabstand (E-e) von ca. 56 mm. Zum Vergleich: Der Einteiler des Bausatzes misst ca. 52 mm. Die Kontrolle mit dem Lineal bestätigt den naheliegenden Verdacht: Bei einem 56er-Saitenabstand liegen die äußeren Saiten schon sehr nah an den Griffbrettkanten, was zu Komplikationen führen könnte. Leider liegt daher die fette Hardtail-Variante bereits wieder im Schrank. Ein Tune-o-matic-Steg (ggf. ungekerbt) wäre eine mögliche Variante. Mit Sicherheit wären aber auch noch andere interessante Stegoptionen (dann auch vielleicht wieder Hardtail) in den unendlichen Weiten des Internets zu finden gewesen. Nach einigen Gedankenspielen – und das soll jedoch die angestoßene Kreativität beim eigenen Tuning nicht ausbremsen – fiel für das Projekt die Wahl dann doch auf den mitgelieferten Einteiler. Er passt vom Charakter her zum Projekt und überzeugt mich durch seine klar definierte und kompensiert Saitenauflage. Die im letzten Repair Talk aufgezeigte „Eigenart“ mit den recht kurzen Bolzen ist erkannt und wird bei er späteren Montage berücksichtigt.

Abb. 4: Der Halswinkel wird angepasst (Bild: M. Doc Schneider)

WENIGER WINKEL FÜR MEHR NÄHE

Da der Einteiler nun als endgültiger Kandidat feststeht, meldet sich eine andere Problematik aus dem letzten Repair Talk wieder zu Wort. Für meinen Geschmack verlaufen die Saiten etwas zu weit vom Pickup entfernt. Um dies zu optimieren, nehme ich ein wenig Winkel aus dem Halsansatz, sodass die Aufbauhöhe etwas flacher wird. Mit einem kleinen Hobel arbeite ich den Halsansatz so aus, dass er im hinteren Teil (Abb. 4/Pfeil) etwas mehr Material verliert und der Winkel somit etwas kleiner wird. Der Einsatz des Hobels ermöglicht dies, ohne die Auflagefläche uneben werden zu lassen.

Bei einer Schraubhalsgitarre reicht schon das Unterlegen bzw. Entfernen eines nur 0,6 mm dünnen Furniers, um den Halswinkel und damit die Aufbauhöhe merklich zu verändern. Auf das Set-Neck-Projekt übertragen, bedeutet dies, dass mit dem Hobel recht behutsam Material entfernt werden sollte. Es ist ratsam, sich in mehreren Etappen an das gewünschte Resultat heranzutasten.

Abb. 5: Überprüfender Zwischenstopp (Bild: M. Doc Schneider)

Die Abb. 5 zeigt einen prüfenden Zwischenschritt. Der Hals wird mit einer Zwinge fixiert, damit er aussagefähig in der Tasche sitzt und nicht durch einen lockeren Sitz einen falschen Winkel vorgaukelt. Ein aufgelegtes Lineal simuliert die Saite und der gezeigte Zwischenschritt zeigt bei einer Null-Saitenlage – das Lineal liegt auf den Bünden – ca. 3 mm „Luft“ zum aufgelegten Einteiler. Tiefer wird es nicht gehen, da bei der Aufbauhöhe des Einteilers noch die Montagehöhe der Bolzen mitberücksichtigt werden muss.

Der Einteiler liegt ja nicht plan auf dem Korpus, sondern wird in zwei Bolzen gehalten, die ca. 3 mm Aufbauhöhe addieren. Die Zahlen sehen gut aus und am Halsansatz wird somit nichts weiter verändert.

Abb. 6: Ziel erreicht: optimierter Saitenverlauf (Bild: M. Doc Schneider)

Abb. 6 zeigt oben die Situation vor dem Verändern des Halswinkels und unten den simulierten Saitenverlauf nach dem Eingriff (jeweils bei Null-Saitenlage). Bei aufgezogenen Saiten und einer spielbar eingestellten Saitenlage werden so die beiden angestrebten Ziele aus dem vorangegangenen Repair Talk erreicht. Der Einteiler sitzt möglichst flach über dem Korpus und belastet so die Bolzen möglichst wenig und die Saiten liegen etwas näher am Pickup, um eine gute Abnahme zu ermöglichen.

In dem absolvierten Arbeitsschritt habe ich persönliche Finetuning-Ziele umgesetzt, die nicht für alle Tuner die Ziellinie darstellen müssen. Mir war es aber wichtig, an dieser Stelle auf den Einfluss und die Möglichkeiten des Halswinkels hinzuweisen und praktisch auszunutzen. In der Summe bin ich mit dem Erreichten zufrieden, auch wenn die entstandene Stufe am Übergang Hals/Korpus keine Augenweide ist (Abb. 7).

Abb. 7: Kollateral: Stufe am Übergang (Bild: M. Doc Schneider)

Hier unterwirft sich die Optik aber der Funktion, da der Bereich ohnehin durch das Schlagbrett abgedeckt wird.

LEIMEN ODER KLEBEN

Nach dem Anpassen sind Hals und Korpus nun bereit, miteinander fixiert zu werden. Um alle Flächen und Kanten noch gut mit dem Schleifpapier erreichen zu können, schleife ich den Bereich des Halsansatzes vor dem endgültigen Einsetzen des Halses noch einmal fein nach. Der Hals sitzt durch die eingesetzten Furnierstreifen recht fest und nur mit leichtem Spiel in der Tasche. Trotzdem zeigen sich in einigen Bereichen noch offene, wenn auch kleine, Fugen (Abb. 8).

Abb. 8: Kleber gefragt: suboptimale Fuge (Bild: M. Doc Schneider)

An dieser Stelle kommt es zu einer Art Gewissensfrage. Soll der Ansatz weiter optimiert und durch ein erneutes Auffüttern und Anpassen etwaige Fugen weiter geschlossen werden? Oder akzeptiert man die „Ist-Situation“ und sucht nach alternativen Lösungen?

Man sollte aufpassen, dass man sich im Übereifer nicht im Kreis dreht, hier auffüttert und dort wegnimmt, nur um dann festzustellen, dass das ganze Werkeln dann doch nur eine neue Fuge hervorruft. Die Verbindung ist bis hierher gut, wenn auch nicht perfekt, mehr ist aber bei solchen Bausätzen häufig auch nicht drin. Um eine größtmögliche Stabilität zu erzielen, werde ich den Hals nicht einleimen sondern mit einem spaltfüllenden Epoxydharzkleber einkleben. Epoxydharzkleber klingt erst einmal etwas grobschlächtig im Vergleich zum Gebrauch von Leimen, die man eher mit solch einer Holzverbindung assoziiert.

Für mich stellt er aber die zielführendere Lösung dar, da dort, wo sich Hals und Korpus berühren, der Kleber diese Bauteile auch nur mit einer sehr dünnen Schicht verbindet. Da sehe ich im Vergleich zum Weißleim keine Nachteile. Dort wo jedoch die Verbindung nicht geschlossen ist – auch zum Beispiel bei einer grob gefrästen Oberfläche – füllt und verbindet der Epoxydharzkleber. Für meine Einschätzung ist dies bei den genannten Vorgaben der bessere Weg, und somit steht die Entscheidung, Hals und Korpus miteinander zu verkleben und nicht zu verleimen.

Abb. 9: Der Hals wird eingeklebt. (Bild: M. Doc Schneider)

IRREVERSIBLE VERBINDUNG

Nachdem die Klebestelle zum Schutz vor störendem Kleberüberschuss abgeklebt wurde (Abb. 9/links), geht dann alles recht fix. Der Kleber wird angemischt und beidseitig aufgetragen. Eine Schraubzwinge und zwei Zulagen reichen, um den Hals mit dem Korpus zu fixieren, während der Kleber durchhärtet (Abb. 9/rechts).

Abb. 10: Dicht und sauber: Die fertige Verbindung (Bild: M. Doc Schneider)

Überschüssiger Kleber kann mit einem Lappen aufgenommen werden, der zuvor mit Waschbenzin getränkt wurde. So vorgereinigt, kann nach dem Durchhärten des Klebers und dem Entfernen des Klebebandes die Verbindung verputzt und geschliffen werden. Das macht schon einen recht guten Eindruck, wie die Abb. 10 zeigt.

Abb. 11: Woher kommt die sichtbare Fuge? (Bild: M. Doc Schneider)

Als ein wenig störend empfinde ich die sehr gut sichtbare Kleberfuge am Übergang (Abb. 11/oben). Glücklicherweise wird diese Fuge aber mehr oder weniger unsichtbar, wenn der Bereich mit Waschbenzin probehalber angefeuert wird und so einen aufgetragenen Oberflächenabschluss wie Lack oder Öl simuliert. Ich vermute, dass die sichtbare aber geschlossene Fuge wieder den Vorgaben des Bausatzes geschuldet ist. Es treffen hier nicht lehrbuchmäßig akkurate und ebene Flächen mit einer fast unsichtbaren Kante aufeinander.

Abb. 12: Unsaubere Kante als mögliche Ursache (Bild: M. Doc Schneider)

Die Abb. 12 zeigt die „abgeknabberte“ Kante der Pickup-Fräsung beispielhaft für andere Fräsungen am Body des Bausatzes. Eine solch undefinierte Kante hinterlässt nach dem Verkleben unweigerlich eine nicht ganz saubere Fuge. Offensichtlich füllt der Epoxydharzkleber die Fuge auf und schließt die Fläche. Ein brauchbares, wenn auch optisch nicht ganz makelloses Ergebnis.

Da Hals und Korpus nun eine Einheit sind, die es zu einem Instrument zu formen gilt, können im nächsten Repair Talk das Aufmaß und das Ermitteln der Stegposition erfolgen.


(erschienen in Gitarre & Bass 04/2022)

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