Bariton-Instrumente sind die dunklen Ritter unter den elektrischen Gitarren. Man findet sie vor allem in den heftigeren Stilarten, aber auch bei kleinen Besetzungen machen sie mit ihrer hybriden Klangpositionierung zwischen Gitarre und Bass Sinn.
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Wozu aber den Einsatzbereich überhaupt einschränken – wenn es passt, dann passt es. So kann man das auch mit der Stimmung selbst sehen. Offiziell sind Bariton-Instrumente eine Quarte oder Quinte tiefer gestimmt als Gitarren-Standard. Aber hey, Regeln hin, Regeln her, das kann doch jeder halten wie er will, nur dass die lange Mensur schon nach dickeren Saiten verlangt und wir mit so einem Instrument ja sowieso ein tieferes Voicing legen wollen.
Konstruktion der Hagstrom Viking Baritone Deluxe
Zum Vorwort kam es überhaupt erst, da die Testgitarre nur eine kleine Terz tiefer als normal gestimmt zum Test eintrudelte. Da sie damit wunderbar funktionierte, blieb es zunächst einmal dabei, dann aber wurde runtergestimmt auf H und das kam sogar noch besser. Bei der als semiakustische Konstruktion angelegten Viking Baritone Deluxe handelt es sich um eine großformatige Double-Cutaway-Thinline der ein etwa 10 cm breiter Mittelblock eine solide Basis verschafft. Dieser massive Kern wurde an Decke und Boden aus laminiertem Ahorn mit geriegelter Optik schlüssig angepasst, was sich durch die gebundenen f-Löcher leicht inspizieren lässt. Decke und Boden sind ansonsten umlaufend mit cremefarbenen Bindings besetzt.
Der in Höhe des 19. Bundes in den Korpus eingeleimte extralange Hals aus kanadischem Ahorn (Mensur 711 mm) bietet von der Ausstattung her zwei originäre Hagstrom-Standards: das Griffbrett aus Resinator Wood (nicht wirklich Holz, aber ein festes Verbundmaterial auf Holzbasis mit guten Schwingeigenschaften) und den eingelegten H-Expander, ein speziell konstruierter Stellstab. Dieser macht hier wohl ganz besonders Sinn, da der überaus feste Halsstab den extralangen Hals besonders gut stabilisiert. 22 mittelstarke Bünde – ja Rudi, nur 22, denn die liegen ja der langen Mensur wegen auch weiter auseinander, kapiert? – und großzügige Blockeinlagen aus Perloid teilen sich das Griffbrett mit seinem flachen 15″-Radius. Eine leichte Schärfe ist zu fühlen, wenn die linke Hand über die Griffbrettkante gleitet. Nicht schlimm, könnte aber besser. Der große Kopf im klassischen Hagstrom-Design ist mit firmeneigenen gekapselten Mechaniken samt Griffen im Art-déco-Stil ausgestattet und präsentiert auf schwarzer Front die bekannte Lilie und das charakteristische Script Logo. Die Saiten werden über einen Sattel aus Black Tusq (Graph Tech) hinüber zur Long-Travel-Tune-o-matic-Bridge mit beweglichen Einzelreitern geführt und schließlich von einem Stop Tailpiece gekontert.
Die elektrische Ausstattung umfasst zwei neu entwickelte, jeweils von Metallfassungen eingerahmte Pickups mit Alnico-Magneten unterschiedlicher Bauweise: Am Hals sitzt der Hagstrom „P-Urified Pickup“, ein P-90-Typ im Humbucker-Format; am Steg finden wir den „Custom 58C“-Humbucker. Der oben ins Horn gesetzte Toggle Switch schaltet die Tonabnehmer einzeln oder zusammen. Griffige Knöpfe geben für jeden einzelnen Pickup individuellen Zugriff auf die Stärke des Ausgangssignals und die Tonfarbe.
Das klaglos sauber gefertigte Instrument kam perfekt eingestellt zum Test und ist in geschmackvollem Tabacco Sunburst hochglänzend lackiert. Weitere verfügbare Farben sind Black Gloss und das coole Cosmic Black Burst.
Die Hagstrom Viking Baritone Deluxe in der Praxis
Mit dem langen Giraffenhals nimmt die Viking Baritone Deluxe trotz der großen Korpusdimensionen eine leicht kopflastige Position am Spieler ein. Das lässt sich mit aufgelegtem Arm aber ganz gut ausgleichen. Die allgemeine Spielhaltung ändert sich ebenfalls, denn die ersten Bünde sind schon etwas weiter weg, als wir das vom Standard her kennen. Schnell geht das aber in Gewöhnung über und weicht der Freude über den zwar kraftvoll ausgelegten, aber bestens zu spielenden Hals. Die ersten strammen Akkorde demonstrieren dann auch sofort akustisch tief reichende Brummbär- Kompetenz.
Problem bei dickeren Saiten, hier wurde ein Satz mit Stärken von .013 – .063 inklusive umsponnener G-Saite aufgezogen, ist bekanntlich das Tracking, also das etwas trägere Einschwingverhalten. Kein großes Problem bei der Viking, man kriegt das sofort in den Griff, ohne ein Gefühl von hörbarer Differenz. Vielleicht ist es ja sogar ganz in Ordnung, wenn der Ton nach dem Anschlag dieses Gran weiter hinten sitzt, aber grundsätzlich kommt die Viking gut aus dem Quark und markiert den rhythmischen Anschlagspunkt mit klarem Akzent. Was schon akustisch so gut knurrend auf den Bauch einwirkt, das beeindruckt auch über den Verstärker gespielt mit tiefem kraftvollem Schub, dank der bestens an den Tieftonbereich angepassten Pickups.
Schauplatz Klarklang: Der P-Urified am Hals zeigt einen enormen Tiefgang, sonore Breite in der Klangspreizung mit allgemein bemerkenswert klarer Definition. Der Humbucker am Steg erweist sich clean gespielt als deutlich schlanker und insgesamt kompakter, verfügt aber dennoch über ordentliche Höhen und einen hübschen Schmack im Anschlagsverhalten.
In Zerre kommt der P-Urified-Singlecoil mit einem machtvollen Ton an den Start, der bei aller Fülle aber auch immer noch eine scharf umrissene Kontur aufweist. Dieser irgendwie knorpelige Sound sorgt für einen immensen Druck im Tieftonbereich, dass einem die Hosenbeine nur so um die Waden flattern. Der Sound ist mächtig, raumfüllend und dominant, da wünsche ich viel Spaß mit dem Bassisten, in dessen Revier du mit diesem fetten Bariton-Wikinger wilderst. Beide Pickups zusammen tönen immer noch höchst voluminös, bringen aber etwas mehr Licht ins Geschehen. Die Trennschärfe der Saiten erhöht sich noch einmal, Klänge bekommen dadurch etwas plastisch Dreidimensionales.
Schalten wir auf den Humbucker in Stegposition, so geht unser Pferdchen in die Zügel, als hätte man ihm die Sporen gegeben. Ganz genau, der Ton bäumt sich förmlich auf, alle verfügbaren Truppen werden sozusagen nach vorn ins Gefecht geworfen … hm, nicht ohne Grund neigt man da wohl zur martialischen Sprache. Auch der Humbucker artikuliert ansonsten bemerkenswert klar und offen, selbst bei heftigen Gain-Schaltungen. Die semiakustische Konstruktion gibt dem Ton dabei immer etwas Luft unter die Flügel, was Powerchords oder Riffs mit saftigem Pumpen unterstützt.
In allen Schaltpositionen der Pickups fliegen im Übrigen bei gehaltenen Noten im Overdrive bei gehobener Lautstärke die harmonischen Obertöne locker ein. Das lässt sich bestens nutzen, verlangt aber auch nach Kontrolle durch gezieltes Dämpfen der Saiten. Mit kurz gepacktem Plektrum sind natürlich auch Pinch Harmonics leicht zu erzeugen, wie man auch sonst auf alle Artikulationsformen gehobener Spieltechnik problemlos zurückgreifen kann.
Wechselt man dann nach längerer Spielzeit zur Gitarre mit Standardmensur zurück, kommt die einem vor wie ein Spielzeug. Da merkt man dann schon, dass durch das größere Korpusformat, die längere Mensur, die dickeren Saiten und den kraftvolleren Hals doch eine ganz andere Flasche entkorkt wird. Der Inhalt jedenfalls schmeckt richtig gut, aber natürlich müssen wir vor der drohenden Suchtgefahr warnen.
Resümee
Die Viking Baritone Deluxe ergänzt das Programm von Hagstom mit einem funktionstüchtigen Vertreter dieser dunklen Klangdimension. Die Gitarre lässt sich mit ihrem kraftvoll ausgelegten Hals nicht nur lässig spielen, sondern setzt das sonore Klangbild über ihre gut angepassten Pickups auch bestens in Szene. Die erzielbaren Sounds machen Druck und sind vor allem in High-Gain-Einstellungen schlagend. Die semiakustische Konstruktion sorgt für einen gewissen Bauch im Ton und ein federndes Anschlagsverhalten, was gerade dem Tieftonbereich effektive Kontur verschafft. Mit der Baritone Deluxe hat man ein recht großes Instrument unter dem Arm, aber hat man sich erst einmal an die Dimensionen gewöhnt, so vermittelt sich auch schnell ein Gefühl von Macht und Souveränität, das man so schnell nicht mehr missen möchte. Wenn du bis hierher gelesen hast, ist es vielleicht eh schon zu spät – dein Drogenberater bei Hagstrom erwartet dich jedenfalls schon.