Let there be Jazz...

Geschichte und Konstruktion der Archtop-Gitarren

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Beim Thema Archtops hat man schnell Bilder von berühmten elektrischen Klassikern wie z. B. der Gibson L-5CES im Kopf. Und genau dieses Instrument, diese Ikone der Archtop-Gitarren, ist das Ergebnis einer langen Evolution, die mit einem rein akustischen Modell ihren Anfang nahm. Das Schöne dabei ist: akustische Archtops sind nach wie vor – oder besser gesagt – wieder gefragt.

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Im Nachhinein betrachtet, kann man  den Börsencrash im Oktober 1929 als einen Wendepunkt betrachten: Damals löste die Jazzgitarre das Banjo ab, das zuvor eine ganze Ära geprägt hatte. Der erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise machten den namhaften amerikanischen Herstellern damals schwer zu schaffen, obendrein waren Gitarren kaum angesagt. Martin rettete sich durch den Ukulelenbau, Gibson überlebte mit den damals populären Mandolinen und im Hause Epiphone waren es die Banjos. Die 20er-Jahre waren einerseits die Zeit der singenden Hollywood-Cowboys, des Country und Bluegrass, auf der anderen Seite entwickelte sich aber auch ein neuer Jazzstil. Langsam verschob sich das Metrum vom 2er-Takt zum 4/4-Swing und spätestens in den 30er-Jahren verlangten Bigbands nach Timekeepern, die sich akustisch durchsetzten und gemeinsam mit den Bassisten eine groovende Einheit bildeten. „Four-To-The-Floor“ war das große Ding. Count Basie heuerte 1937 den „Mr. Rhythm“ Freddie Green an, der zum Rückgrat seines Ensembles wurde und bis heute als Prototyp für Rhythmusarbeit an der akustischen Archtop gilt.

Gibson hat den Bogen raus

All die neuen Stilistiken hatten gemeinsam, dass vor allem mehr Lautstärke gefordert war. Das hatte nichts mehr mit den zierlichen, zartbesaiteten Instrumenten zu tun, die zur Jahrhundertwende im Salon, im „Parlor“, vornehmlich von Damen gezupft wurden. Die Instrumente wurden größer und  ihre Konstruktion wurde hinterfragt. Anstatt moderne Ideen wie National/Dobro mit Metall-Resonatoren zu verfolgen, besann sich Orville Gibson schon vor der Jahrhundertwende auf die ehrwürdige Tradition des Geigenbaus. Er selbst war ein souveräner Gitarrist, zugleich handwerklich geschickt und baute Mandolinen und Violinen. Später entwickelte er Gitarren, bei denen Decke und Boden gewölbt geschnitzt waren. Der Erfolg trug die Früchte seiner Mühe, aus der kleinen Werkstatt wurde 1902 die ‚Gibson Mandolin Guitar Manufacturing Company’. Patent und Namen gab er dafür her und wurde vom Unternehmer zum Berater. Doch erst als nach seinem Tod Lloyd Loar zwanzig Jahre später zu Gibson kam, wurde daraus der Prototyp, den wir heute kennen. Loars Spezialität war die Mandoline.  Zunächst entwickelte er die F-5 Mandoline, um dann im nächsten Schritt der großen Gitarrenschwester L-5 einige ihrer Merkmale zu vererben: die Materialien, die Flowerpot-Einlage in der Kopfplatte, das Schlagbrett und sogar die parallele Beleistung. Das Auffälligste dabei sind  jedoch die F-Löcher. Nur die vergleichsweise modernen Mandolinen-Details wie Schnecke und Zacken blieben ihr vorenthalten. Ob die Gitarristen wohl schon damals so konservativ waren wie heute?

Orville Gibson
Orville Gibson

Konstruktion und Bauformen

Der traditionelle Geigenbau gab klar die Richtung vor: Hals und Korpus aus Ahorn kombiniert mit Fichtendecke und Ebenholzgriffbrett. Decke und Boden wurden ausgestochen, die Wölbung also aus einem massiven Block herausgearbeitet und nicht einfach gebogen. Das bedeutete neben sehr viel zeitraubender Mühe aber auch, dass die Fasern nicht verletzt wurden, die Decke nach innen dicker werden konnte und am Rand eine kleine Kehle für mehr Schwingfreudigkeit umgesetzt werden konnte. Jedes bisschen Holz, das beim Bau entfernt wird, lässt die Resonanzfrequenz etwas tiefer werden. Damit die Fichtendecke des fertigen Instruments frei schwingen kann, hat sie keinen Kontakt zum nach hinten geneigten frei schwebenden Hals, auch Saitenhalter und Schlagbrett sollen keinen Kontakt zur Decke haben. Selbst die Pickups werden am Hals befestigt und stören nicht die Schwingung. Der Steg steht auf der Decke, meist zweiteilig und in der Höhe verstellbar. Vom Geigenvorbild fehlt eigentlich nur der Stimmstock. Warum ist man nicht eher auf diese riesigen Geigen in Gitarrenstimmung gekommen, wo ist der Haken?

Konkurrierte mit Gibson L5 um die Gunst der Jazzer: Epiphone Zenith, hier von 1939

Geniestreich oder Fehlkonstruktion?

Um die Sache mit den F-Löchern zu verstehen, kann man sich fragen, warum die Geige nicht auch ein mittiges Schallloch unter den Saiten hat? Ganz einfach: ein Geiger erwartet, dass die Geige aufhört zu schwingen, wenn er den Bogen stoppt. Damit sind wir schon bei der Energieübertragung auf die Saite. Der Gitarrist kann nur Impulsenergie bieten und hoffen, dass es nachklingt, während der Streicher fortwährend Energie zuführt, solange der Bogen in Bewegung bleibt; damit bringt er das Instrument zum Singen. Der entscheidende Punkt dabei ist, wie sich die Schallwellen in der Fichtendecke fortbewegen. Die geschieht entlang der Maserung (also entlang der Saite) etwa doppelt so schnell wie quer zur Maserung, wodurch die Impulsenergie ohne viel Sustain verpufft. Ein mittig gelegenes Schalloch würde den Fluss entlang der Maserung unterbrechen und mehr tiefe Frequenzen und einen längeren Ton begünstigen, die F-Löcher unterbrechen die Schwingung quer zur Maserung zu Gunsten der schnellen, hohen Frequenzen und zwar umso mehr, je näher sie am Steg sind. Die gewölbte Decke mit F-Löchern produziert also ein kurzes, trockenes, lautes Klangbild mit sehr schneller Ansprache und hoher Tragfähigkeit durch den obertonreichen Klang. Mit anderen Worten: genau richtig, um einen Rhythmusgitarristen in einer Bigband auf größere Distanz hörbar zu machen. Die parallele Beleistung der Decke verstärkt das noch. Die Leisten sind dabei härter als das Deckenmaterial und sorgen nicht nur für Stabilität, sondern sollen auch die Schallwellen weiterleiten. Dennoch: parallele Beleistung bietet die höchstmögliche Stabilität, für eine Kreuzbeleistung müsste die Decke in der Mitte etwas dicker sein. Damit hat Gibson anfänglich bei der L-5 experimentiert und später noch mal bei der Super 400, um anschließend wieder davon abzusehen. Vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif für diesen heute durchaus üblichen, etwas dunkleren, fetteren Sound, der zwar vielseitiger ist und mehr Ton-Volumen bietet, aber auf Kosten der Durchsetzungsfähigkeit im Freddy-Green-Style geht.

Eine Stromberg Master Cut 400 von 1953

Die Geschichte geht weiter

Als Epaminondas „Epi“, Sohn des griechischen Instrumentenbauers Anastasios Stathopoulo, in die Fußstapfen seines Vaters tritt, wird der neue Firmenname Epiphone kreiert und bis zum Ende der 20er-Jahre hat sich die New Yorker Firma einen sehr guten Ruf als Banjo-Hersteller erarbeitet. Während Gibson die L-5 von 1922 noch nicht erfolgreich unter das Volk bringen kann und verzweifelt auf Banjos setzt, ahnt Epi als aktiver Musiker früh genug, dass der Trend in Richtung Gitarre geht, obwohl seine ersten kleinen, gewölbten Modelle der Recording-Serie ignoriert werden. Immerhin hatten diese Gitarren damals schon Cutaways. Um ehemalige Banjospieler wie Nick Lucas oder Eddie Lang zu überzeugen brauchte es große Modelle á la L-5. 1931 kam eine Reihe von L5-orientierten Epiphone Archtops auf den Markt, aber ein klein wenig mehr verziert mit dem stolzen „Masterbuilt“ in Perlmutt auf der Kopfplatte. Gibson konterte mit der größeren Super 400 und ersten Cutaway-Modellen.  Von da an übertrumpfen sich die beiden Firmen fortwährend, bis Ende der 50er-Jahre Epiphone von Gibson übernommen wird und ab 1960 beide Marken aus demselben Werk kommen. Firmen wie Guild und sogar Martin mischten eifrig im Wettbewerb mit, während im preislich günstigeren Bereich Harmony/Kay von Chicago aus oftmals auch gute Instrumente lieferten.

Der Meister himself: John D’Angelico

Ende der 30er-Jahre setzt Benny Goodman auf den Gitarristen Charlie Christian mit moderner elektrischer Verstärkung, während Freddie Green bei Count Basie die exquisite Stromberg Master 400 bevorzugt und mit 19“-Mammutgröße puristisch akustisch bleibt. Spätestens nach dem 2. Weltkrieg wurde zwischen akustischen und elektrischen Archtops unterschieden und bis heute liegen Letztere am Markt in Führung. Weitere bedeutende akustische Archtop-Gitarristen der ersten Stunde waren Eddie Lang, Carl Kress und der Multi-Instrumentalist Roy Smeck, der wie kaum ein anderer jeweils das angesagte Instrument der Zeit spielte, egal ob Ukulele, Banjo, Steel Guitar oder eben Archtop.

 

D’Angelico New Yorker von 1963 (Bild: Unspecified)

New York, New York

Abgesehen von Gibson stammen viele namhafte Archtops aus dem Großraum New Yorks: Epiphone, Guild, Gretsch, Martin oder, 300 km entfernt, Elmer Stromberg in Boston. Häufig stecken europäische Immigranten hinter diesen heutigen, amerikanischen Traditionsfirmen. In das Schema passt auch eine Reihe von Italo-Amerikanern, allen voran John D’Angelico, der bei seinem Großonkel Raphael Ciani lernte, bis er dessen Betrieb übernahm. Auch er nahm sich die L-5 zum Vorbild und veränderte vorwiegend optische Details. Seine Modelle New Yorker und Excel sind auf höchstem Niveau, häufig ist sogar von den „Stradivaris“ unter den Archtops die Rede. Qualität geht hier vor Innovation, das passt zum konservativen Klientel. Sein Mitarbeiter Jimmy D’Aquisto führt nach dessen Tod ab 1964 das Erbe weiter, vollendete zehn angefangene D’Angelicos und verbesserte im Laufe der Zeit die Modelle. Die Ausstattung wurde zunehmend schlichter, Kunststoff wurde eliminiert und Metall vermieden. Er stirbt 1995 wie sein Mentor im Alter von 59 Jahren und gilt bis heute als der Beste seiner Zunft. John Monteleone wurde 1996 die Ehre zuteil, die letzte D’Aquisto-Gitarre zu vollenden. Dabei setzte er auf neue Merkmale wie seitliche Schalllöcher in der Zarge und moderneres Design. Für die Blue Guitar Collection von Scott Chinery baute er ein Modell mit schrägem, ovalem Schallloch. Chinery besitzt eine der letzten D’Aquisto Centura Deluxe in blau und beauftragte zweiundzwanzig der besten Gitarrenbauer, ebenfalls eine blaue Archtop zu bauen, je nach Belieben –  solange die Farbe stimmt. Das daraus entstandene Buch ‚Blue Guitar’ von Ken Vose ist sehr empfehlenswert und liest sich wie ein Who-is-who des Archtop-Baus. Daran beteiligt ist auch der unabhängige Gitarrenbauer Robert Benedetto. Ursprünglich aus New Jersey, folgt er den Ansätzen von D’Angelico und D’Aquisto, vereinfacht, beziehungsweise minimalisiert sie weiter und besinnt sich noch stärker auf traditionellen Geigenbau. Auch von ihm gibt es ein hervorragendes Praxis-Buch zum Thema Archtop-Bau, das seine führende Stellung unter den jüngeren amerikanischen Archtop-Spezialisten zusätzlich manifestiert. Gitarristen wie Bucky Pizzarelli, Jimmy Bruno und Kenny Burrell lieben seine Instrumente.

Picken wir noch einige weitere Luthiers aus dem Blue Guitar Buch heraus: In Providence, Rhode Island finden wir den vielversprechenden Gitarrenbauer Mark Campellone. Er verbindet sozusagen das Erbe D’Angelicos mit der großen Stromberg-Form. Inzwischen auf Hawaii, ist der Gitarrenbauer Steve Grimes aktiv. Seit 1972 gehören Larry Coryell und George Benson zu seinen Kunden, dessen Ibanez-Modelle er mitgestaltete. Die vielseitige Kanadierin Linda Manzer ist spätestens seit ihrem Pikasso-Modell für Pat Metheny bekannt und baut hervorragende Archtops. Zu erwähnen wären noch Archtops aus Texas von keinem Geringeren als dem Hersteller Collings.Die moderne Manufaktur mittlerer Größe ist vor allem durch feinste Flattops bekannt und fertigt neben E-Gitarren auch Mandolinen und Archtops.

Zweiter Boom

Nachdem die akustische Archtop auf den großen Bühnen ab Anfang der 40er-Jahre zunehmend verdrängt wurde, führte sie ein Schattendasein, bis sie ab Ende der 80er-Jahre bis in die 90er hinein wieder beliebter wurde und bis heute den Spezialisten eine geliebte Nische geblieben ist. Die Bigband-Tradition lebte wieder auf und Gitarristen wie Marty Grosz, James Chirillo oder hierzulande Uli Hoffmeier bei Max Raabe und seinem Palast Orchester, führen die Rhythmusarbeit im Stile eines Freddie Greens weiter. Auf der anderen Seite gibt es zunehmend Solisten und Musiker in kleinen Ensembles wie Howard Alden, John Pizzarelli und sein Sohn Bucky Pizzarelli, die bei der Vorliebe für siebensaitige Archtops an George Van Eps anknüpfen. Außerhalb der puristisch, traditionellen Bigbands werden gern akustische Archtops mit zusätzlichem Floating-Pickup am Hals eingesetzt, quasi „best of both worlds“. Auch Firmen wie Gibson reagieren mit akustischen Modellen, wie der Super V BJB, die zwischen L-5 und Super 400 liegt und der L7C im traditionellen Stil.

Außerdem bringt die heutige Fertigung in kleineren Manufakturen in Fernost inzwischen sehr beachtliche Qualität und bietet endlich auch für Nischenprodukte Verkaufschancen ohne große Stückzahlen. The Loar und Eastman sind vielleicht die bekanntesten Firmen mit akustischen Archtops zu moderaten Preisen und die berühmten Namen D’Angelico und D’Aquisto wurden mit hochwertigen Instrumenten aus Fernost wiederbelebt.

Schlaggitarre

Wenn es schon um die Besinnung auf den Geigenbau geht, so lässt sich hierzulande natürlich aus dem Vollen schöpfen. Der Anfang wurde schon zu Kriegszeiten gemacht und im geteilten Deutschland der Nachkriegszeit erlebten die vollmassiven Archtops einen Boom. Hersteller wie Hoyer, Höfner und Framus kamen aus dem Vogtland nach Franken und bauten Schlaggitarren, während jene, die im Musikwinkel blieben, wie Hans Bräuer und Herbert Wurlitzer, ihre Archtops eher Plektrumgitarre nannten. Noch heute gesuchte Modelle sind zum Beispiel ‚Herr im Frack’ von Arnold Hoyer oder die Attila-Zoller-Modelle von Höfner aus den 50er-Jahren. Unter Sammlern sind die alten Modelle von Artur Lang legendär, deren Qualität auf dem Niveau amerikanischer Highend-Instrumente liegen soll. Hierzulande konnte sich mittlerweile eine beachtliche Reihe ganz hervorragender, unabhängiger Gitarrenbauer etablieren, die hier mindestens erwähnt werden sollen, auch wenn mancher von ihnen inzwischen nur noch durch seine Instrumente präsent ist: Henning Doderer, Stefan Hahl, Tom Launhardt, Klaus Röder, Stefan Sonntag, Johannes Striebel, Max Strohmer und Jürgen Volkert z.B.. Ebenfalls interessant sind unsere holländischen Nachbarn Frans Elferink und Heeres Guitars sowie Andreas Neubauer aus Österreich und Claudio Pagelli, der zeigt, dass es auch funktionierende Archtop-Wege abseits der Tradition gibt.

Wer sich selbst einen Überblick verschaffen möchte, sollte 2017 das Archtop-Forum.org besuchen, das alle zwei Jahre stattfindet.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ein netter historischer Blick auf die Archtops. Zur Unterscheidung hätte man noch stärker herausstellen können, was das Alleinstellungsmarkmal der ‘Archtops’ ist: die gewölbte Decke. Zur Abgrenzung parallel oder später verlaufendender, anderer Entwicklungslinien der E-Gitarren fehlen mir aber einige wichtige Eckpunkte und Namen. Dazu gehören unbedingt Chet Atkins und Brian Setzer mit Gretsch, oder aber auch Django Reinhardt mit Selmer.

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