Zwischen dem Erfolg von ,Firepower‘ und der Krankheit von Glenn Tipton
Interview: Ian Hill & Judas Priest
von Matthias Mineur,
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Judas Priest im Wechselbad der Gefühle: Während die britische Metal-Legende erst vor wenigen Wochen ihr exzellentes neues Album ‚Firepower‘ veröffentlicht hat, sitzt den Fans dennoch der Schreck in den Gliedern. Denn Gitarrist und Originalmitglied Glenn Tipton musste noch vor Veröffentlichung der Scheibe bekanntgeben, dass er an Parkinson erkrankt ist und nicht mit auf die 2018er-Tour kommen kann. Wie sieht nun die Situation in der Band aus, wie geht es weiter? Wir haben Bassist Ian Hill dazu befragt und bei ihm neben echtem Mitgefühl für seinen erkrankten Kollegen auch eine große Portion Stolz und Optimismus hinsichtlich der aktuellen Studioproduktion gespürt.
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Interview
Ian, angesichts des großartigen neuen Judas-Priest-Albums musst du mächtig stolz sein. Wie ist diese Leistungsexplosion zu erklären?
Ian Hill: Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Das Ziel war wie immer, das bestmögliche Album zu schreiben, ein paar Veränderungen zur vorherigen Scheibe vorzunehmen und Kleinigkeiten zu optimieren. Dieses Ziel setzen wir uns allerdings jedes Mal, vor jeder neuen Scheibe.
Was war diesmal anders?
Ian Hill: Komponiert wurden die Songs ausschließlich von unseren Gitarristen Glenn Tipton und Richie Faulkner in Kooperation mit unserem Sänger Rob Halford. Zu Beginn einer Produktion sammeln Glenn und Richie immer Riffs, Hooks und Akkordfolgen und treffen sich dann, um ihre Ideen abzugleichen und erste konkrete Songstrukturen festzulegen. Dann stößt Rob dazu, der stets eine ganze Reihe an Texten im Köcher hat und die eine oder andere Idee zu den Songfragmenten ausprobiert. Wenn das grobe Skelett der Stücke steht und Demos vorhanden sind, bekommen unser Schlagzeuger Scott Travis und ich eine Kopie davon. Scott beginnt dann, seine Drum-Parts auszuarbeiten, ich mache das Gleiche für den Bass.
Anschließend schicken wir die ersten Ideen hin und her, und wenn wir uns zu fünft im Studio treffen, hat jeder bereits eine ziemlich klare Vorstellung davon, was er zu tun hat. Diesmal wurden große Teile der Scheibe live eingespielt, übrigens zum ersten Mal seit ‚Painkiller‘. In den letzten Jahren haben wir meist Track by Track aufgenommen, wie das heutzutage üblich ist. Aber diesmal haben Richie, Scott und ich uns im Studio getroffen. Ursprünglich waren Richie und ich nur als Unterstützung für Scott gedacht, damit er eine bessere Orientierung hat. Doch dann zeigte sich, dass die Konstellation super funktionierte und viel lebendiger klang, als wir vermutet hatten. Also schalteten wir den Clicktrack ab und Scott trommelte einfach nach seinem eigenen Rhythmusgefühl.
Das scheint generell das Geheimnis dieser überaus gelungenen Scheibe zu sein: Sie lebt, klingt natürlich und strotzt vor Dynamik.
Ian Hill: Danke, das Lob freut mich natürlich. Unsere Produzenten Tom Allom und Andy Sneap hatten viele großartige Ideen, wie man das Album so authentisch und natürlich wie irgend möglich klingen lassen kann. Andy hat ja auch für einen unglaublich guten Bass-Sound gesorgt. Ich bin total glücklich damit, auch wenn er auf eine Weise zustande gekommen ist, die ich vorher wohl niemals akzeptiert hätte.
Nämlich?
Ian Hill: Andy hat an meinem Bass die Saitenlage tiefergelegt und mir ein extra hartes Plektrum verordnet. (lacht) Bislang habe ich gerade diese Kombination immer tunlichst vermieden, um einen möglichst cleanen Ton zu bekommen. Doch als ich das Ergebnis gehört habe, war ich total überzeugt, denn der Unterschied ist enorm. Tom sagte sofort zu mir: „Okay, egal was du davon hältst, dieses ist der Bass-Sound, den wir brauchen.“ Er hatte Recht, der Sound funktioniert hervorragend.
Hast du dein bewährtes Equipment verwendet, also wie gewohnt Spector- Bässe und SWR-Amps?
Ian Hill: Ja und nein. Die Bässe sind nach wie vor meine Spector-Signature-Modelle. Sie erzeugen einfach einen großartigen Grund- Sound und lassen sich hervorragend spielen. Mein Amp ist im Grunde genommen immer noch der gleiche SWR wie seit Jahren, allerdings wurde der Bass auf ‚Firepower‘ über weite Strecken direkt ins Pult gespielt. Andy hat dann den Sound im Nachhinein mit einem Profiler bearbeitet, er konnte also unterschiedliche Amps und Boxen gegeneinander vergleichen und dann für den jeweiligen Song die beste Kombination auswählen.
Hatten die Veränderungen der Saitenlage und das härtere Plektrum Auswirkungen auf deine Spielweise?
Ian Hill: Eigentlich nicht. Natürlich musste ich mich vor allem an das härtere Plektrum erst einmal gewöhnen, weil man dadurch beim Anschlag etwas weniger Flexibilität hat. Aber generell habe ich so gespielt wie immer.
Wäre Profiling für dich eine Variante auch für die Live-Situation?
Ian Hill: Nein, ich bleibe bei meinem Equipment mit dem SWR SM-900 als Herzstück, auch wenn der Amp leider nicht mehr hergestellt wird. Er funktioniert tadellos und klingt super, ich werde ihn so lange spielen wie er hält. (lacht)
Apropos: Vor wenigen Tagen kam die Pressemeldung, dass Glenn nicht mit euch auf Tournee gehen wird, weil er zunehmend stärker unter seiner Parkinson- Erkrankung leidet. War diese bittere Entscheidung absehbar?
Ian Hill: Im Grunde genommen haben wir es bereits seit geraumer Zeit befürchtet. Glenn kämpft ja schon seit zehn Jahren mit Parkinson, vermutlich sogar noch länger, ohne es jedoch zu wissen. Vor Beginn der letzten Tour hat er dann einen Spezialisten aufgesucht, um herauszufinden, was bei ihm nicht in Ordnung ist. Dabei wurde die Krankheit diagnostiziert. Anfangs war es ja auch nur ein Vorstadium, das sich nicht so dramatisch auf seinen körperlichen Zustand ausgewirkt hat. Außerdem bekam er Medikamente, mit denen er die Parkinson-Symptome unter Kontrolle hatte. Dadurch konnte er das komplette Album ‚Redeemer Of Souls‘ aufnehmen und auch mit uns auf Tournee gehen. Leider kann man diese Krankheit noch immer nicht heilen, sondern nur die Symptome lindern.
Wann hat sich seine Krankheit für euch Bandmitglieder erstmals bemerkbar gemacht?
Ian Hill: Ich erinnere mich an die ersten Live-Proben für die ‚Redeemer Of Souls‘-Tour, nur Glenn, Richie, Scott, Rob und ich in einem Raum, um die Setlist festzulegen und zu testen. Als wir anfingen, klang sein Spiel ungewohnt wackelig und rau, überhaupt nicht so, wie man es von ihm gewohnt war. Allerdings wurde es von Tag zu Tag besser, und am Ende der zweiten Woche war alles wie früher und Glenn stand wieder voll im Saft. Auch die anschließende Tournee mit ihm war großartig, Glenn lieferte Abend für Abend eine glänzende Performance ab. Wir dachten, dass alles in Ordnung sei und wir auch zukünftig zu 100% auf ihn zählen können. Seitdem sind jedoch vier Jahre vergangen und seine Krankheit hat sich leider nicht gebessert.
Wie war die Situation jetzt, während der Produktion von ‚Firepower‘?
Ian Hill: Es ging ihm nicht gut, man konnte es sehen. In der Mitte der zweiten Aufnahmewoche rief er uns zu sich in den Regieraum und traf die tapferste Entscheidung, die ein Musiker treffen kann: Er sagte uns, dass er nicht mit auf Tournee gehen kann. Wir konnten es verstehen, denn wir sahen ja, was mit ihm los ist, wie sehr er kämpft. Wir spielten jede Note mit ihm und spürten selbst den Schmerz, den er beim Spielen hat. Man konnte ja sehen, dass es einfach nicht besser wurde.
Hat er auf ‚Firepower‘ überhaupt noch gespielt?
Ian Hill: Oh ja, natürlich! Im Studio konnte er arbeiten, denn zehn Minuten lang, oder vielleicht auch ein paar Minuten länger, reichte seine Kraft. Dann merkte man, dass es zunehmend schwieriger wurde und er erst einmal eine Pause einlegen musste.
In einer solchen Verfassung ist an eine kraftraubende Tour nicht zu denken.
Ian Hill: Nein, nicht im Geringsten. Glenn hat auf dem Album gespielt und wie immer einen tollen Job gemacht. Aber für eine zweieinhalbstündige Show reicht es nicht einmal ansatzweise.
Das bedeutet: Die lange Spielzeit eines Konzerts ist das größte Hindernis für ihn, jeden einzelnen Song für sich alleine könnte er aber immer noch spielen?
Ian Hill: So sieht es aus. Seine Kraft lässt zu schnell nach, um eine solch lange Show durchzustehen. Wir konnten es bei den Proben ja sehen, und jeder hat im gleichen Maße mit ihm mitgelitten. Aber er hat die einzig richtige Entscheidung getroffen. Er wird sich in Zukunft eben stärker auf andere Dinge konzentrieren und Judas Priest in einer anderen Rolle behilflich sein.
Glenn hat die Band also nicht verlassen?
Ian Hill: Nein, Glenn ist weiterhin festes Mitglied von Judas Priest. Er wird garantiert auch zukünftig Songs schreiben und eine Menge Ideen für ein weiteres Priest- Album beisteuern. Und sicherlich auch darauf spielen.
Auf der Bühne mit Judas Priest wird man ihn aber nie wieder sehen?
Ian Hill: Das steht noch nicht endgültig fest. Tatsache ist: Sein gesamtes Equipment wird mit auf Tour genommen und Abend für Abend verfügbar sein, sodass Glenn jederzeit zu uns auf die Bühne kommen und ein paar Songs mitspielen könnte, wenn es ihm gut geht. Wir können das natürlich nicht versprechen, da man immer seinen jeweils aktuellen Gesundheitszustand berücksichtigen muss. Aber zumindest gibt es diese Option. Glenn ist ein Kämpfer, der nicht so schnell aufgibt. Ich weiß, dass er alles Menschenmögliche versuchen und garantiert nicht aufgeben wird.
Unter welchen Gesichtspunkten habt ihr Andy Sneap zu seinem Ersatzmann erklärt?
Ian Hill: Glenn selbst hat Andy vorgeschlagen. Wir haben ja gerade erst mit Andy an ‚Firepower‘ gearbeitet, dementsprechend kennen und vertrauen wir ihm. Wir wissen, dass er ein exzellenter Gitarrist und toller Bühnenmusiker ist. Außerdem ist er Fan von Judas Priest, insofern kann man sich sicher sein, dass Andy die Band genauso erhalten möchte, wie er sie kennengelernt hat und liebt. Andy wäre der Letzte, der irgendetwas an Priest ändern würde. Er wird einfach die Parts übernehmen, die bislang Glenn gespielt hat. Ich schätze, dass es reibungslos funktionieren wird.
Vielen Dank, Ian, für das nette Gespräch, und viele Grüße, vor allem an Glenn, verbunden mit den besten Genesungswünschen!