Heute steht der Boss Power Driver PW-2 auf dem Programm, das von Mitte 1996 bis Herbst 2000 auf dem Markt war und den Sound der Grunge/Alternative-Bewegung anbieten wollte – also schon ein kerniger Distortion-Sound mit viel Gain. Kann sein, dass viele Boss-Kunden von dem Gerät etwas anderes erwartet haben, als sie tatsächlich geliefert bekamen. Deshalb erhielt das Pedal nicht besonders gute Kritiken und war auch nur relativ kurz auf den Markt. Was uns aber nicht davon abhalten sollte, mal nachzuschauen, was es mit der Boss Power von damals so auf sich hat …
eingang
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Als Eingangsimpedanz-Wandler wurde ein JFET gewählt. (Abb.1) Sein Gate-R beträgt 1 MegOhm und bestimmt so die Eingangsimpedanz des Gerätes. Mit diesem Wert wird die Pickup-Resonanzfrequenz nicht merklich bedämpft.
transistor amp
Wie wir aus vergangenen Kolumnen wissen, lassen sich speziell mit „Ein-Transistor“-Schaltungen besondere Übertragungskennlinien (ÜKL) generieren, welche sich recht gut zur Vorverstärkung unseres Gitarrensignals eignen, da diese Schaltungsart eine gewünschte kleine Zerre produziert, wie sie OPs eben nicht erzeugen können. Weiterhin sind an den Bereichsenden der ÜKL wohlwollende Verrundungen festzustellen. Auch das kann der übliche OP nicht leisten, denn er versieht die Bereichsenden mit einem kantigen Hard-clip. All diese Eigenschaften können wir für die Vorverstärkung des Signals nicht gebrauchen.
feinheiten
Der vorliegende Ein-Transistor-Verstärker fällt zunächst durch seine Betriebsspannung von nur 5 Volt auf. Diese geringe Spannung wurde gewählt, um eine kleine Ausgangsamplitude bei Vollaussteuerung zu bekommen, die gerade recht ist, um in voller Größe den nachfolgenden Verstärker direkt anzusteuern. Der Ein-Transistor-Verstärker ist sehr einfach gestrickt. Dessen Eingangsspannung wird frequenzlinear eingekoppelt; wer hier eine Bass-Reduzierung erreichen will, muss einfach den C3 = 1-uF-Input-Kondensator durch einen kleineren Wert ersetzen. Um intern auch keine allzu große Ausgangsspannung zu generieren, wurde der Emitter-R im Verhältnis zum Kollektor-R recht groß gewählt. Der Einfachheit halber hat man dann im Emitter den gleichen Wert verbaut wie der Kollektor-R. Der Emitter-R ist von einem RC-Serien-Glied überbrückt, welches die große Stromgegenkopplung der Schaltung merklich reduziert. Mit dem R10 = 33-Ohm-Widerstand stellt man die AC-Gegenkopplung ein.
Wer möchte, kann hier mit diesem Wert etwas experimentieren. In der Abb. 2 habe ich zusätzlich zu den Werks-33-Ohm (blaue Kurve) noch zum Vergleich mit zwei weiteren Werten gearbeitet. 1 Ohm stellt quasi schon einen Kurzschluss dar, was bedeutet, dass der Transistor ohne AC-GK arbeitet – schwarze Kurve. Diese Kurve ist ziemlich gekrümmt, vielleicht schon zu sehr gekrümmt – aber wem das gefallen sollte, dazu einfach R10 rausreißen und eine Drahtbrücke reinstellen. Mit steigender GK, also mit größer werdendem R10, sinkt auch die Verstärkung des Transistor-Verstärkers. Bei 33 Ohm beträgt diese 28 dB. Jetzt betrachten wir den Wert 100 Ohm (rote Kurve). Die ist schon fast linear im Zentrum der ÜKL und zerrt am geringsten von den dreien. Der werksmäßig verbaute 33 Ohm (blaue Kurve) produziert eine mäßige Krümmung mit angenehmem Zerr. Man erkennt auf dieser Grafik, wie schnell die GK die doch krumme Transistor-ÜKL begradigt. Hier kann ein jeder durch Variation von R10 seinen persönlichen Zerrgrad in dieser Stufe finden.
transistor tripel
Der nun verwendete Transistorverstärker, bestehend aus drei Transistoren, ist uns vom Boss Blues Driver (Ausgabe 09/2016) noch bekannt. Wer eine detaillierte Beschreibung dieses Tripels sucht, wird in dieser Ausgabe fündig. Dieser Verstärker lässt sich auch wieder als rudimentärer OP begreifen, mit Signal- und GK-Eingang und dem Single-ended-Output. Damit auch hier die Ausgangsspannung nicht allzu groß ausfällt, wurde die Betriebsspannung für dieses Arrangement mit 5 Volt festgelegt. Die Verstärkung lässt sich (fast) wie gewohnt mit den Formeln für OPs berechnen. Bei vollem Gain wäre dies etwa der Faktor 107. Die Signal-Einkopplung erfolgt – ebenso wie die seiner GK – frequenzneutral.
ankopplung
Damit der noch folgende Filterblock nicht bei vollem Aufdrehen des Drive übersteuert, wird das Signal auf ein Drittel seiner Größe reduziert, Abb. 3. Jetzt ist aber der Eingang der Filtereinheit niederohmig und auch noch etwas frequenzselektiv von den Toneinstellern abhängig – kurz, eine Entkopplung wäre kein Luxus. Deshalb wurde eine aktive Stufe gewählt, da diese problemlos in der Lage ist, neben dem eleganten Abschwächen alle nötigen Ströme zu liefern. Gut gemacht! Eine rein passive Signalreduzierung wäre dazu schwerlich in der Lage gewesen.
gyrator filter
Obgleich die beiden Toneinsteller, die Boss auf „FAT“ und „MUSCLE“ taufte, etwas anderes als gewöhnlich suggerieren, verbergen sich dahinter übliche Gyrator-Arrangements. Mit FAT ist natürlich der Bass gemeint, hier ein Gyrator mit einer Center Frequenz von etwa 110 Hz. Allerdings ist dieser Filter etwas breitbandiger als gewohnt, sodass es noch in die mittleren Bässe hinein schiebt. Hinter MUSCLE verbirgt sich ein unteres Höhenfilter, welches die Obertöne mit 900 Hz tatkräftig unterstützt. Durch die Anordnung der beiden Peaks ergibt sich ein Scoop von recht wirkungsvollen 300 Hz.
netzteil
Das Gerät ist mit einem aufwendigen Betriebsspannungsteiler ausgestattet. Für das FlipFlop plus Diverses in der Schaltlogik stehen die vollen 9 Volt bereit. Diese werden auch dann sogleich auf 8 Volt reduziert, mit einem Abgang mit 4 Volt, alles schön gefiltert. Doch damit nicht genug: Die 8 Volt werden auf 5 Volt runter stabilisiert, diese dann weiter auf 2,4 Volt geteilt. Eine ganz schön aufwendige Sache. Aber wie heißt es: Ein Gerät ist nur so gut wie seine Speisung! Und damit hat man hier jedenfalls nicht gekleckert … [1646]