Weltruhm erlangte Tom Morello in den 90ern als Gitarrist von Rage Against The Machine. Heute – nach Intermezzi bei Audioslave und Bruce Springsteen – ist er traditioneller Protestsänger und Kopf einer Band, die an Radikalität und Schärfe kaum zu übertreffen ist. Ihr Name: Prophets Of Rage. Ihre Mission: Der Sturz der aktuellen US-Regierung. Ihr Sound: Eine unschlagbare Melange aus Hardrock, Soul und HipHop.
Obwohl er inzwischen 51 ist und auf dreieinhalb Dekaden als äußerst erfolgreicher Berufsmusiker zurückblickt: Tom Morello hat sich kaum verändert. Beim Gitarre-&-Bass-Termin im Berliner Hotel de Rome – einer Nobelherberge, die im krassen Gegensatz zu seinem Image als Sprachrohr der amerikanischen Arbeiterklasse und erklärter Revoluzzer steht – präsentiert er sich als tiefenentspannte Plaudertasche in Jeans und T-Shirt. Ein zweifacher Familienvater mit angewachsener Baseballkappe, der viel lacht, zahlreiche Anekdoten auftischt, aber auch klare Worte findet und immer noch Spaß an der Musik hat – vor allem an lauten, harten Tönen.
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Genau die serviert er mit Prophets Of Rage: Eine Supergroup aus Mitgliedern von Rage Against The Machine (Brad Wilk, Tim Commerford), Public Enemy (Chuck D) und Cypress Hill (B-Real), die sich 2016 zusammengefunden hat, um der Wahlkampf-Propaganda von Donald Trump Einhalt zu gebieten, den Menschen die Wahrheit zu sagen und für gefährdete demokratische Grundrechte zu kämpfen. Woraus binnen eines Jahres eine starke, tighte Band geworden ist, die nicht nur soziopolitische Ziele verfolgt, sondern auch richtig gute Musik macht. Nachzuhören auf dem selbstbetitelten Album, das Mitte September erscheint. Und auf das Morello – so wird schnell klar – stolz wie Oskar ist.
interview
Tom, was ist das für ein Gefühl, nach Jahren als Nightwatchman, als akustischer Protestbarde, wieder mit einer richtigen Band zu spielen?
Tom Morello: Na ja, wenn ich ehrlich bin, gibt es in der Welt des Rock’n‘Roll nicht vieles, das aufregender wäre, als mit Tim und Brad zu spielen – und diese Kraft zu spüren, die wir gemeinsam entwickeln. Hinzu kommt, dass es mir eine wahnsinnige Ehre ist, die Bühne mit zwei meiner absoluten HipHop-Helden zu teilen. B-Real von Cypress Hill und Chuck D von Public Enemy waren die allerersten, die Rage Against The Machine mit auf Tour genommen haben – als Vorgruppe. Und B-Real ist im Video zu ‚Killing In The Name‘ aufgetreten. Von daher haben wir eine lange gemeinsame Geschichte.
Und das aktuelle politische Klima in den USA hat euch als Prophets Of Rage nun wieder zusammengebracht?
Tom Morello: Wir konnten das nicht teilnahmslos verfolgen und uns darauf beschränken, gelegentlich darüber zu twittern, sondern hatten das Gefühl, etwas tun zu müssen. Wir wollten unsere Songs, unseren Ruf und unser Können nutzen, um unsere Überzeugung zum Ausdruck zu bringen.
Trotzdem ist es euch nicht gelungen, die Wahl von Trump zum US-Präsidenten zu verhindern. Wie enttäuscht bist du?
Tom Morello: Ziemlich. Aber es ging nicht nur darum, ihn zu stoppen. Eines unserer Anliegen war auch, ein paar alternative, frische Ideen in den aktuellen Politzirkus einzubringen. Es war uns einfach wichtig, Stellung zu beziehen.
Haben euch die Fans der 90er nicht zugehört, oder wie konnte so etwas wie Trump überhaupt passieren?
Tom Morello: Nein, so sehe ich das nicht. Es kommt täglich vor, dass mich Leute auf der Straße ansprechen – in Los Angeles wie in Berlin – und Dinge sagen wie: „Deine Musik hat mein Leben verändert.“ Das zeigt, dass die vielen kleinen Saatkörner, die wir über die Jahre ausgelegt haben, aufgegangen sind – dass wir nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. Aber wir wissen auch, dass man als Rock’n‘Roll-Band die Welt nicht wirklich verändern kann. Das obliegt vielmehr jedem einzelnen, indem er das Beste gibt, was in ihm steckt – abhängig von seinen jeweiligen Talenten. Ich bin zum Beispiel einfach nur ein Gitarrist, mehr nicht. Aber ich weiß, dass ich etwas leisten muss, das über den Einsatz meines Instruments hinausgeht.
Demnach bist du noch genauso idealistisch und kämpferisch wie in den 90ern?
Tom Morello: Ich hoffe. Gleichzeitig ist es aber auch ein Riesenspaß, aggressive Rock-Musik und HipHop zu spielen. Das hat etwas von einer kollektiven, spirituellen Explosion – und das ist der Grund, warum ich diese Musik immer geliebt habe. Ganz abgesehen davon, dass sich damit wichtige Inhalte transportieren lassen. Die Musik ist so etwas wie der Zucker, der dir hilft, die bittere Medizin zu schlucken.
Mittlerweile habt ihr euer erstes Album mit zwölf eigenen Songs am Start. Wie viele Rage-Klassiker befinden sich noch im aktuellen Live-Repertoire?
Tom Morello: Bei unseren ersten Gigs waren es ausschließlich Songs von Rage, Public Enemy und Cypress Hill. Wobei ich sagen muss: Die Rage-Songs passen unglaublich gut zur heutigen Zeit. Deswegen ist es auch richtig und wichtig, sie zu bringen. Aber wir haben auch von Anfang an versucht, eigene Songs zu schreiben, um unsere Chemie als Band auszuloten und kein Nostalgie-Act zu sein. Wir sind ja nicht in den 90ern stehengeblieben, sondern leben und arbeiten im Hier und Jetzt.
Die Songs von Prophets Of Rage weisen ähnliche Monster-Riffs wie bei Rage auf. Ist das etwas, das du als Nightwatchman vermisst hast?
Tom Morello: Oh ja. Es macht wahnsinnigen Spaß, solchen Krach zu machen, keine Frage.
Wobei sich dein Equipment in den letzten 28 Jahren kaum verändert hat – stimmt das?
Tom Morello: Im Prinzip ja. Ich habe schon lange nichts mehr verändert, weil ich alles habe, was ich brauche. Aber auf diesem Album habe ich mich ein wenig geöffnet, einfach, weil ich der super-teuren 1958er Stratocaster unseres Produzenten Brendan O‘Brien nicht widerstehen konnte. Die musste ich ausprobieren – während ich gleichzeitig aber auch wieder zu meiner allerersten Gitarre, einer billigen Kay SG, gegriffen habe. Das ist nicht die beste Gitarre der Welt, aber sie tut ihren Dienst und hat mich nie im Stich gelassen. Außerdem – das konnte ich mir einfach nicht verkneifen – habe ich noch eine Ovation Breadwinner und eine Spielzeuggitarre verwendet.
Wie bist du auf die Spielzeuggitarre gekommen?
Tom Morello: Durch meine Kinder, die es toll finden, Papa auf so einem Teil nachzuahmen oder zu begleiten – je nach Sichtweise. Und nachdem ich mittlerweile ungefähr 17 Alben aufgenommen habe, hielt ich das für eine willkommene Abwechslung. Etwas Neues, das nicht ganz so ernst gemeint ist, das muss schließlich auch mal sein.
Aber die legendäre Hippo-Gitarre ist nach wie vor dein Hauptinstrument?
Tom Morello: Und daran wird sich, wenn nichts Schlimmes passiert, auch nichts ändern. Ich habe sie immer dabei. Sie ist so etwas wie mein Excalibur – mein magisches Schwert.
In den letzten Jahren gab es immer wieder Gerüchte über eine mögliche Rage-Against-The-Machine-Reunion. Warum ist es nie dazu gekommen?
Tom Morello: Wir tun einfach nicht, was die Leute von uns erwarten. So haben wir es schon immer gehandhabt. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass wir immer noch existieren. Denn die Band gibt es nach wie vor und es könnte durchaus passieren, dass wir irgendwann noch einmal Musik machen. Wir reden oft miteinander, und ich bin der größte Rage-Fan auf Erden.
Wünschst du dir nicht manchmal, ihr hättet mehr als lediglich vier Alben aufgenommen?
Tom Morello: Nein, denn das sind die Alben, die wir machen wollten – während unsere Plattenfirma ständig mehr und mehr forderte. Sie wollten, dass wir im Studio schneller arbeiten und öfter auf Tour gehen, dass wir mehr Videos drehen und den Markt – so haben wir es empfunden – regelrecht überfluten. So wie viele Bands, die zu der Zeit aktiv waren und die es heute nicht mehr gibt. Während wir immer noch hier sind. Insofern denke ich nicht, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben. Mehr noch: Wir haben vieles anders und richtig gemacht. Aber: Wer weiß, vielleicht gehen wir ja morgen wieder ins Studio.
Hast du nicht das Gefühl, dass die moderne Welt dringend eine Band wie Rage Against The Machine braucht? Und sei es nur, um sie wachzurütteln?
Tom Morello: Klar, wäre das heute die perfekte Zeit für Rage. Aber vor zehn Jahren war das nicht viel anders und in zehn Jahren wird es bestimmt ähnlich sein. Es ist immer eine gute Zeit für eine Band wie uns, aber es ist auch kein einfacher Weg. Wenn man ein erfolgreicher Musiker sein will, ist es definitiv leichter Songs über Drogen und Frauen zu schreiben, als darüber, wie abgefuckt die Welt ist. Die meisten Leute kommen viel besser mit einer netten Melodie und einem seichten Text klar, als mit einer wütenden Melodie und einem bissigen Text.
Lass uns zum Schluss noch über Stationen und Aspekte deiner Karriere reden. Zwischen 2001 und 2007 hast du z. B. sieben Jahre bei Audioslave gespielt – an der Seite des kürzlich verstorbenen Chris Cornell. Wie sehr hat dich sein Selbstmord überrascht – oder auch nicht?
Tom Morello: Oh, das ist eine Tragödie und unglaublich traurig. Er war ein wahnsinnig netter Kerl und einer der talentiertesten Musiker, mit denen ich je gearbeitet habe.
Warst du nicht sauer, dass er Audioslave einfach so – und dann auch noch per Fax – aufgelöst hat?
Tom Morello: Nur kurz. Wir haben uns ausgesprochen und waren wieder richtig gute Freunde. Außerdem habe ich wahnsinnig gerne Musik mit ihm gemacht. Wie im Januar, bei unserer ersten Audioslave-Show seit 12 Jahren. Wir haben bei dem Anti-Amtseinführungsball gespielt – einer Protestveranstaltung gegen Donald Trump. Und dann haben Chris und ich noch einen Gig in Seattle bestritten – bei einem Nightwatchman-Konzert, bei dem er mich in meiner Forderung unterstützt hat, den gesetzlichen Mindestlohn auf 15 Dollar die Stunde aufzustocken. Es ging also beide Male um eine gemeinnützige Sache. Und da war er wirklich toll – er hat regelrecht gestrahlt. Er hat gut gesungen, sah prima aus und war glücklich. Weshalb wir noch mehr machen wollten. Das Letzte, was er zu mir gesagt hat, war: „Ich hatte eine tolle Zeit, lass uns das bald wiederholen – wann immer du willst.“
Und wie war es, Bruce Springsteen auf mehreren Alben und Tourneen zu begleiten?
Tom Morello: Grandios! Ich bin wahnsinnig stolz, ihn bei den besten Shows seiner gesamten Karriere unterstützt zu haben. Denn davon gab es einige, gerade bei seiner letzten Tour. Und der Mann ist mittlerweile 67 – was man ihm kein bisschen ansieht. Was er allabendlich auf die Bühne bringt und welche Energie er dabei ausstrahlt, ist einfach irre. Insofern war es für mich wie ein Traum, der wahr geworden ist. Davon werde ich noch meinen Enkelkindern erzählen.
Zum Schluss: Warum übernachten erklärte Rock-Revoluzzer ausgerechnet im ultra-poshen Hotel de Rome? Wäre eine punkigere Absteige nicht angemessener, was Band-Image und -Anspruch betrifft?
Tom Morello: Was soll ich sagen: Man muss halt gut ausgeschlafen sein, wenn man Barrikaden errichten will. (lacht)