Michael Amott und Jeff Loomis von Arch Enemy im Interview
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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Seitdem sich Arch Enemy vor drei Jahren mit dem Nevermore-Gitarristen Jeff Loomis verstärkt haben, ist die schwedische Melodic-Death-Metal-Band mehr denn je eine internationale Allstar-Truppe. Chef und Hauptgitarrist Michael Amott jedenfalls scheint die Aufwertung seiner Gruppe uneingeschränkt zu genießen, ohne eifersüchtig auf die ebenso grandiosen Fingerfertigkeiten seines neuen amerikanischen Kollegen zu schielen. Wir trafen Amott und Loomis bei einem Konzert der Band und konnten uns davon überzeugen, dass sich die beiden Saitenvirtuosen nicht nur auf, sondern auch abseits der Bühne glänzend verstehen.
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Michael, kannst du kurz beschreiben, wie und warum Jeff in die Band kam?
Michael Amott: Jeff war vor drei Jahren obdachlos, also nahm ich ihn bei mir zu Hause auf, gab ihm zu essen und stellte dann fest, dass er Gitarre spielt. Das hatte ich vorher nicht gewusst.
Jeff Loomis: Stimmt, ich pumpte ihn an, und Michael beherbergte mich in seinem Haus.
MA: Nun im Ernst: Als wir 2014 auf der Suche nach einem neuen Gitarristen waren, fragte ich Jeff, ob er Interesse habe. Im Laufe der Jahre hatte ich ihm den Job bereits mehrmals angeboten, doch aus organisatorischen Gründen passte es bis dato nie.
Woher kanntet ihr euch?
MA: Jemand gab mir 1993 die ersten Nevermore-Demos mit Jeff. Ich fand sein Spiel absolut super und habe seitdem seine Karriere verfolgt. 1999 lernten wir uns auf einem Festival in Eindhoven persönlich kennen, unterhielten uns über Musik und stellten fest, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sind. Ein Jahr später waren Arch Enemy in den USA im Vorprogramm von Nevermore auf Tour. Damals teilten wir uns den Nightliner und lernten uns so näher kennen. Im Laufe der Jahre Gitarre gab es dann zwei oder drei weitere gemeinsame Tourneen. 2005 fragte ich Jeff zum ersten Mal, ob er Mitglied von Arch Enemy werden wolle, 2008 zum zweiten Mal. Aber jedes Mal war er zu beschäftigt. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die anderen Bands ihre Musiker ausspannen, dachte aber: Fragen darf man ja, wer weiß, was sich daraus später einmal entwickelt.
2014 fragte ich ihn dann zum dritten Mal, und diesmal passte es. Nevermore existierten bereits einige Jahre nicht mehr. Jeff war zwar in diverse Projekte involviert, aber nirgends so fest gebunden, dass er dort unabkömmlich war. Ich freue mich natürlich über seinen Einstieg, da er ein grandioser Musiker ist. Wann immer er Gitarre spielt, ist es ein echtes Erlebnis. Ich bin nicht nur sein Kollege, sondern auch sein Fan. Umso mehr, da Jeff auch total nett und unkompliziert ist. Auch die menschliche Komponente spielt in einer Band eine große, wenn nicht sogar die größte Rolle. Jeff ist ein cooler Typ, sehr entspannt, das genaue Gegenteil von mir (lacht), und er hat kein Alkoholproblem, kurzum: Er passt perfekt in diese Band. So jedenfalls ist meine Sicht der Dinge!
Und wie klingt deine, Jeff? Musstest du lange darüber nachdenken, als Michael dir vor drei Jahren den Job erneut anbot?
JL: Nein, diesmal nicht. Beim dritten Mal war die Situation endlich so, dass ich zusagen konnte. Ich hatte in meiner Heimat lediglich ein paar lose Projekte. Ich bin seit vielen Jahren Fan von Arch Enemy und freue mich natürlich, dass ich jetzt persönlich dabei sein kann. Allerdings hatte ich vor drei Jahren kaum Zeit zu überlegen, denn es musste alles sehr schnell gehen, da Arch Enemy ansonsten ihre Tournee hätten abbrechen müssen. Ich musste innerhalb kürzester Zeit ihre gesamte Setlist lernen, eine echte Herausforderung. Dabei ging es nicht einfach nur darum, die Songs zu lernen, sondern vor allem darum, sich ihren Stil anzueignen. Die Soli sind feste Bestandteile der Songs und müssen deshalb so gespielt werden, wie sie auf dem jeweiligen Album festgehalten sind. Nachdem ich mir alles draufgeschafft hatte, ging es sofort nach Frankreich auf die Kreator-Tournee.
MA:Wir kamen damals direkt von unserer Amerikatour, flogen über Nacht von Cleveland nach Frankfurt und trafen dort Jeff, der auf uns wartete. Wir erreichten
Frankfurt früh morgens, fuhren direkt weiter in ein Studio in der Nähe von Frankfurt, um dort mit ihm zu proben und stiegen noch am gleichen Abend in einen Nightliner, der uns nach Lyon brachte, wo wir bereits am nächsten Tag die erste Show der Europatournee spielten.
JL: Im Nachhinein denke ich, dass diese hektischen Tage für mich von Vorteil waren, denn so war ich sofort mittendrin im Geschehen. Von da an lief alles absolut reibungslos.
Jeff, was sind die Besonderheiten der Arch-Enemy-Songs und worin lag für dich die größte Herausforderung?
JL: Zunächst einmal bedeutete für mich der Einstieg bei Arch Enemy die Rückkehr zur sechssaitigen Gitarre. Ich hatte zuvor viele Jahre ausschließlich siebensaitige Modelle gespielt. Außerdem musste ich mich auf das Gitarren-Tuning der Band einstellen, um die für mich besten Saitensätze zu finden. Ich schlage relativ hart an und benötige dafür natürlich einen besonders robusten Saitensatz. Ansonsten ging es mir vor allem darum, die Soli so akkurat wie möglich zu spielen und ein klein wenig meiner eigenen Persönlichkeit einfließen zu lassen. Die richtige Mischung zu finden, brauchte natürlich etwas Zeit, aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass es mir gelungen ist.
Liegt dir das spezielle Rhythmusgefühl, das die Riff-Gitarren bei Arch Enemy haben?
JL: Ich gebe zu, dass ich mich erst daran gewöhnen musste, denn man kennt mich ja eher als Lead- denn als Rhythmusgitarrist. Bei Arch Enemy jedoch muss man beides sein, deshalb musste ich gezielt üben, um noch exakter zu werden und so zu spielen, dass es zu Michaels Stil passt.
MA: Auch wenn alle Welt schreibt, dass Arch Enemy super exakt spielen, muss ich zugeben, dass dies nicht immer der Fall ist. Wir sind keine Maschinen und ich bin fest davon überzeugt, dass die Songs an Lebendigkeit verlieren, wenn man sie allzu exakt spielt. Mir geht es darum, dass Jeff und ich die zweistimmigen Harmony-Parts exakt spielen. Bei den Soli trifft Jeff den Nerv der Parts, wie sie von meinem Bruder oder einem der anderen Arch-Enemy-Gitarristen entwickelt wurden. Alles perfekt, also!
Und das war auch schon bei der ersten Probe so?
MA: Natürlich mussten wir zu Beginn an ein paar Details feilen, aber aufgrund der Tatsache, dass wir sofort nach der einzigen Probe die erste Show miteinander spielen mussten, blieb uns anfangs gar keine Zeit, um wirklich tief in die Materie einzusteigen. Aber da die Konzerte sofort gut liefen, konnten wir Jeff die Zeit geben, sich erst nach und nach mit den Details der Songs vertraut zu machen. Wir waren einfach nur froh, dass wir die Tournee fortsetzen konnten und Jeff die Feuertaufe in Frankreich bravourös bestand, obwohl er quasi ins kalte Wasser geschmissen wurde. Im Laufe der Tournee arbeiteten wir dann an bestimmten Voicings und kleinen Details.
Jeff, hört man in den Arch-Enemy-Songs dennoch den typischen Jeff Loomis?
JL: Ich denke schon, obwohl ich natürlich die Rhythmusparts exakt so spiele, wie sie ursprünglich aufgenommen wurden. Wenn ich als Fan in ein Konzert gehe, will ich die Songs so hören, wie ich sie von der CD kenne. Bei den Soli habe ich dann allerdings die Freiheit, ein wenig meiner eigenen Persönlichkeit, mein Vibrato, mein Gefühl mit einzubringen. Aber halt immer nur im Rahmen dessen, was mir der Song an Freiheiten lässt.
Hast du dein Equipment gezielt für Arch Enemy verändert?
JL: Wie du weißt, spiele ich seit vielen Jahren Schecter-Gitarren. Bekanntlich gibt es ein siebensaitiges Jeff-Loomis-Signature-Modell, also bat ich die Firma, mir ein eigenes sechssaitiges Exemplar zu bauen. Das bestand aus einer Strat-Form mit zwei Humbuckern. In der Zwischenzeit habe ich ein neues Modell entwickelt, das deutlich aggressiver aussieht als das vorherige. Mein Setup ist vergleichsweise simpel gehalten: Ich spiele die Gitarre in einen Kemper-Amp mit drei verschiedenen Einstellungen: Rhythmus, Solo und Clean.
In welchem Tuning sind die Songs? Und spielt ihr sie in den gleichen Tunings wie auf den Alben?
MA: Nein, im Konzert spielen wir alle Stücke ausnahmslos im C-Standard-Tuning. Auf den Alben sind manche Songs tiefer, in Low B wie etwa ,You Will Know My Name‘. Für die Tourneen werden diese Songs jedoch umarrangiert und ausnahmslos in C-Standard gespielt, um nicht übermäßig viele Gitarren dabei haben zu müssen. Inklusive der erforderlichen Ersatzgitarren käme man bei unterschiedlichen Tunings schnell auf zehn bis zwölf Instrumente, das wären mir definitiv zu viele. Auf dieser Tour habe ich lediglich drei Gitarren dabei.
Hast du dein Equipment neu justieren müssen, nachdem Jeff bei euch eingestiegen ist. Bei zwei gleichwertigen Gitarristen sind die passenden Frequenzen ja immer ein Thema.
MA: Völlig richtig. Mein Sound ist generell sehr mittig. Ohne jetzt Jeff kompromittieren zu wollen, aber natürlich muss sich jeder neue Gitarrist nach dem Sound der Band und nach meinem Sound richten, und nicht umgekehrt. Alles andere wäre ja unsinnig. Bei uns ordnet sich alles dem Band-Sound unter, und der entsteht bei Konzerten aus einem Zusammenspiel zwischen Jeff und mir, unserem Equipment, unserem Gitarren-Roadie und dem Mann am Mischpult. Für mich ist wichtig, dass die Fans den Sound bekommen, den sie erwarten, alles andere ist mir egal. Ich bin nicht sehr pingelig, was meinen eigenen Sound betrifft, solange er zur Band passt.
Gibt es denn irgendwelche speziellen Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit du dich auf der Bühne wohlfühlst?
MA: Ich muss die gesamte Band hören können, dann ist alles in Ordnung. Natürlich habe ich einen bestimmten Sound, bei dem ich mich besonders wohlfühle. Aber der hat sich über die Jahre verändert. Früher bevorzugte ich offenere Frequenzen, aber mittlerweile ist er stärker fokussiert auf meine Rolle im Gesamtsound, auf meine Riffs und Leads. Natürlich war es früher toll, wenn man ein breites Spektrum an Frequenzen anbieten konnte. Und solange ich alleine spielte, hat mir das natürlich extrem gut gefallen. Aber wenn dann die Band einsetzte, passte es nicht so gut. Ich denke, dass es heutzutage alles deutlich besser ineinandergreift.
JL: Ich weiß noch, dass wir am Anfang intensiv an meinem cleanen Sound gearbeitet haben, da er irgendwie nicht so recht zu Arch Enemy passte. Jetzt, ist er deutlich besser und passt perfekt zur Band.
MA: Unser cleaner Sound orientiert sich generell sehr stark an dem der 80er, also mit viel Delay und viel Chorus. Im modernen Metal findet man einen solchen Sound vergleichsweise selten.
JL: Als Gitarrist ist man sowieso immer auf der Suche nach dem perfekten Sound. Irgendwie kommt man ihm zwar immer ein klein wenig näher, aber ganz erreicht man ihn wohl nie. Das liegt in der Natur der Sache.
Gibt es spezielle Dinge, die du von Arch Enemy lernen konntest?
JL: Ja sicherlich. Vor allem die Art, wie sie zweistimmige Parts spielen und einsetzen. Ich kannte so etwas zwar auch aus meinen früheren Bands, aber bei Weitem nicht in diesem Ausmaß. Bei Arch Enemy gibt es sogar zweistimmige Passagen in den Rhythmusgitarren. Ich mag den Klang solcher Parts, denn ich bin ein riesiger Fan von Brian May, der diese Technik perfektioniert hat.
Kommen wir zu eurer neuen Scheibe ‚Will To Power‘. Hat Jeff schon Songs beigesteuert?
JF: Nein, ich spiele nur einige Soli.
MA: Die meisten Songs stammen von mir, einiges aber auch von unserem Schlagzeuger Daniel. Jeff hat einige sagenhafte Soli eingespielt. Die Fans werden sie lieben, da er nicht die Leads seiner Vorgänger nachempfinden muss, sondern den Songs seinen eigenen Stempel aufdrücken kann. Wenn es um die Soli geht, spielt jeder seinen eigenen Stil, wodurch die Stücke eine andere, abwechslungsreichere Färbung bekommen. Für mich ist das ähnlich aufregend wie damals, als Marty Friedman bei Megadeth einstieg und sich mit Dave Mustaine gegenseitig die Bälle zuwarf. An diese Ära erinnert mich die Zusammenarbeit mit Jeff. Die neuen Songs sind auch ein klein wenig anders als das, was man bisher von Arch Enemy kannte, denn Jeff spielt hörbar anders als ich, was den Stil deutlich vielschichtiger macht.
Hast du neben Arch Enemy zurzeit noch andere Projekte, Jeff?
JL: Ich habe noch einen Vertrag mit Century Media über ein weiteres instrumentales Soloalbum, das sicherlich irgendwann erscheinen wird. Außerdem gibt es noch das Projekt Conquering Dystopia, zu dem auch Keith Merrow gehört. Aber es ist halt ein Projekt, also treffen wir uns nur von Zeit zu Zeit, um neue Songs zu schreiben.
MA: Ich finde es wichtig, dass Jeff nebenbei noch andere Sachen macht und ermuntere ihn dazu, denn es bringt ihn immer wieder auf neue Ideen. Aber natürlich haben wir bei seinem Einstig zur Bedingung gemacht, dass Arch Enemy absolute Priorität genießt und sich die Zeitpläne komplett nach den Aktivitäten der Band richten müssen. Anders würde es auch gar nicht funktionieren, denn wir alle leben von dieser Band. Und man muss aufpassen, dass man sich nicht übernimmt, denn man kann nicht pausenlos auf Tournee sein, ohne dass man körperlich ausbrennt. Man braucht auch Phasen der Erholung, um nicht durchzudrehen.
Letzte Frage: Was gibt es Neues von euch beiden als Entwickler von Gitarren? Sind neue Signature-Modelle in Vorbereitung, oder Modifizierungen eurer bisherigen Instrumente?
MA: Ich spiele schon seit geraumer Zeit Dean-Gitarren. 2009 kam mein Signature-Modell ,The Tyrant‘ auf den Markt und existiert mittlerweile in unterschiedlichen Variationen. Meistens waren es nur Farben und Grafiken, die modifiziert wurden. Allzu viel lässt sich ja auch gar nicht verändern, denn mein Modell ist sehr traditionell, 22 Bünde, Mahagonikorpus, Ebenholzgriffbrett, zwei passive Humbucker, feste Brücke. Meine Tour-Gitarren haben allerdings Ahornhälse, da sie nach meinen Erfahrungen unempfindlicher auf Temperaturschwankungen reagieren. Außerdem gibt es eine kleine Modifizierung: Mein aktuelles Modell verfügt über zwei Volume-Potis, jeweils einen für jeden Pickup. Einen Tone-Regler gibt es dagegen nicht. Für meine eigene Gitarre habe ich den zweiten Volume-Poti allerdings wieder abgeschafft, weil er mich mitunter etwas irritiert hat. Viel mehr gibt es nicht zu berichten, da ich mich selbst gar nicht so sehr als Gitarrenentwickler sehe und die Signature-Serie nur herausgebracht habe, um Arch Enemy damit zu helfen. Für mein Ego bräuchte ich das nicht.
Und wie sieht es bei dir aus, Jeff? Etwas Neues in der Pipeline?
JL: Ich arbeite zurzeit gemeinsam mit Schecter an einer neuen Gitarre, eine Art Weiterentwicklung des bekannten Jeff-Loomis-Modells. Bislang wurden die Schecter-Gitarren in Fernost gefertigt, aber seit Kurzem gibt es einen Custom Shop in Kalifornien, sodass es demnächst eine neue Version meiner Gitarre geben wird, die in Amerika hergestellt ist. Die Gitarre soll 2018 zur NAMM Show erscheinen und eine Strat-Form haben, sowohl als sechsaitiges als auch siebensaitiges Modell. Ich freue mich riesig darauf und bin Schecter wirklich sehr dankbar dafür, dass sie zu einer Art zweiter Familie geworden sind und mich tatkräftig unterstützen.