Vor 21 Jahren präsentierte Blues-Gitarrist und Sänger Sean Costello sein Debüt-Album. Und hört man heute in ,Call The Cops‘ hinein, ist kaum zu glauben, dass er damals gerade einmal 16 Jahre alt war. Die Blues-Szene war beeindruckt und Costello startete eine rasante Karriere.
,Call The Cops‘ erschien 1996 und bot eine Retro- Mischung, die irgendwo zwischen swingendem Blues der Marke T-Bone Walker und dezenterem Rockabilly angesiedelt war. Dieses Album steht stark in der Tradition des Chicago-Blues der 40er/ 50er-Jahre und zudem atmet es den Geist des Swing-Jazz jener Zeit. Costello spielt hier mit Stilbewusstsein und eben sehr beseelt, immer überraschend und geradezu abgezockt. Dies mit einem knackigen, allenfalls angezerrten Sound, der oft mit Hall angereichert wird. Mit Terrence Prather (dr) und Carl Shankle (b) hat er groovende Begleiter am Start, Paul Linden an der Harp setzt als weiterer Solist Kontraste, geht mit der Gitarre in rhythmischen Parts scharf nach vorne oder umspielt in einem Slow-Blues wie ,Sail On‘ den Gesang. Im fantastischen ,Blues Para Mi Angelita‘ spielt Costello schnelle perlende Licks, ähnlich wie Stevie Ray Vaughan.
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Doch Costello orientierte sich mit seinem jazzigen Spiel insgesamt weniger an dem Texaner, der zu Beginn der 80er den Blues wieder in die Charts brachte und für so viele Gitarristen zum großen Idol avancierte. Costello bewegte sich mehr in die Richtung solcher Gitarristen wie SRV-Bruder Jimmie Vaughan oder Hollywood Fats. Der schnelle ,Jelly Roll‘ ist vielleicht die Nummer, wo alles zusammenkommt: eine Virtuosität zwischen klassischem Blues- Spiel und jazzigen Outside-Harmonien, die sich über einem schnellen wie energischen, dabei immer noch swingenden Rock-&-Roll-Groove ausbreitet.
Stil & Sound
Der Einsatz von bluesigen Doublestops, und Bendings sowie jazzigen Licks und Akkorden gehörte zu Sean Costellos Markenzeichen. In Live-Mitschnitten sieht man, wie er häufig die Saiten mit den Fingern anschlägt, wodurch ganz eigene Phrasierungen und Betonungen entstanden, durch die er seine Licks zum Klingen und Schwingen brachte.
Zu Sean Costellos Hauptinstrumenten gehörte eine goldene 1953er Gibson Les Paul. Auf Fotos sieht man ihn auch mit anderen Gitarren, wie etwa Fender Telecaster, dicken Jazz-Archtops oder Thinline-Modellen. Später setzte er auch eine T90 ein, eine Thinline im Telecaster-Design des Gitarrenbauers Stephen Talkovich aus Woodstock. (www.talkovichguitars.com). Auf seinem Debüt-Album spielte Sean folgende Gibson-Modelle: eine 1951er ES-5, eine 1953er ES-175 und eine 1957er ES-125. Außerdem spielte er eine 1990er Fender Stratocaster (57 Reissue), eine ‘54er Gretsch Chet Atkins und eine elektroakustische Gibson Blues King Electro von 1990. Auch was Verstärker betrifft, benutzte Costello auf dem Debüt eniges: 1965er Fender Super Reverb, 1965er Fender Deluxe Amp, 1956er Gibson GA 40T Les Paul, einen 1954er Danelectro Commando und einen Supro Thunderbolt aus den 60ern. An Effekten sind auf ,Call The Cops‘ eine ‘62er Fender Reverb Unit und ein Solid State Echoplex zu hören. Allerdings war Costello auch bekannt dafür, hauptsächlich einen alten Gibson-GA-200-Rhythm-King-Röhrenverstärker zu spielen. Später benutzte Costello auch Röhren-Amps von Goodsell, einem Hersteller aus Atlanta (www.superseventeen.com). Richard Goodsell kommentierte auf Anfrage: „Sean spielte verschiedene Goodsell-Verstärker, darunter die Serien-Nr. 0015 in Light Blue, und einen sehr frühen roten 22-Watt-Amp. Der letzte Verstärker, an den ich mich erinnere, ist ein 33 Watt/2×10-Modell mit Reverb und Tremolo.“
Geboren wurde Sean Costello am 16. April 1979 in Philadelphia. Die Familie zog um nach Atlanta, Georgia, und hier begann er im Alter von neun Jahren mit dem Gitarrespielen. Zu seinen frühesten Einflüssen gehörten zunächst Hardrock-Bands. Dann entdeckte er in einem Plattenladen in einer Angebotskiste eine Kassette von Howlin’ Wolf – und der Blues hatte ihn gepackt. Schon bald spielte Sean in der Band von Atlanta-Blues-Man Felix Reyes (voc/g). Mit 14, laut anderer Quellen erst mit 15 (so oder so beachtlich), gewann Sean den New Talent Award der Memphis Blues Society. Der Preis enthielt einen Studioaufenthalt, der es ihm ermöglichte, sein erstes Album aufzunehmen.
In Memphis traf Sean auch die befreundete Sängerin und Gitarristin Susan Tedeschi wieder. Die Musikerin aus Boston spielte ebenfalls Blues, hatte bereits ein Album veröffentlicht und Costello stieg schließlich in ihre Live- Band ein. Zudem spielte er auch die Lead-Gitarren auf ihrem 1998er-Album ,Just Won‘t Burn‘ ein, dass für Tedeschi den Durchbruch in den USA bedeutete.
Costello verließ Susan Tedeschi und nahm mit eigener Band ,Cuttin’ In‘ auf; das Album erschien am 25. Januar 2000. Den Auftakt machte der Klassiker ,Talk To Your Daughter‘ (Alex Atkins/J.B. Lenoir), der unglaublich nach vorne geht und rauer wirkt, als die zur sicherlich bekanntere Version von Robben Ford. Auffällig ist d er treibende und kompakte Groove, der aus dieser Nummer ein geradezu physisches Erlebnis macht. Und Seans leicht komprimierter Gesang kommt intensiv und auf den Punkt. Das Album brachte dem inzwischen 20-jährigen eine Nominierung für den renommierten W.C. Handy Award ein.
Auch mit seinem 2001er Album ,Moanin’ For Molasses‘ nahm seine Karriere weiter Fahrt auf. Die Resonanz in der Presse war positiv, das Blues-Revue-Magazine brachte sogar eine Cover-Story über ihn. Costello hatte zu jenem Zeitpunkt bereits mit Blues-Größen wie Buddy Guy, B.B. King, Pinetop Perkins und James Cotton auf der Bühne gestanden. 2004 kam ,Sean Costello‘ heraus, ein Album, auf dem sich Sean als Grenzgänger zeigte. Neben dem obligatorischen Blues spielte er auch Songs von Al Green, Russell Jackson und Bob Dylans ,Simple Twist Of Fate‘. Letztere ist übrigens eine von zwei Nummern, bei denen Drummer Levon Helm mitspielte, der mit The Band in den 70ern Dylan begleitet hatte.
Auch als Songwriter war Costello gewachsen, wie etwa das soulige ,No Half Steppin‘ demonstrierte. Mit diesem Album wollte Costello durchstarten, aber sein Label Artemis Records machte einige Monate später dicht. Erst vier Jahre später erschien mit ,We Can Get Together‘ wieder ein neues Album. Und es sollte Sean Costellos letztes Werk werden: Er starb am 15. April 2008, einen Tag vor seinem 29. Geburtstag, an einem unbeabsichtigt überdosierten Drogen- Mix. Zeit seines Lebens litt Costello an einer Bipolaren Störung, die erst kurz vor seinem Tod diagnostiziert wurde. Bei dieser psychischen Krankheit, die auch als Manische Depression bekannt ist, leidet man an extremen Schwankungen der Stimmung, im Denken und des Antriebs: Phasen schöpferischer Produktivität wechseln sich ab mit lethargischen Einbrüchen. Seans Familie gründete später The Sean Costello Memorial Fund For Bipolar Research. Nach Costellos Tod erschienen noch weitere Alben, wie die Compilation ,Sean‘s Blues‘ oder ,At His Best. Live‘, ein Teil der Verkaufserlöse kam dabei der Stiftung zugute.
Hört man heute die Aufnahmen von Sean Costello, transportieren sie nach wie vor eine große Energie und Leidenschaft für den Blues und die Gitarre. In seinem letzten Interview am 14. April 2008, also einen Tag vor seinem Tod, sagte er: „Ich habe mit B.B. King, Buddy Guy, Luther Thomas, Dr. John, Levon Helm, James Cotton, Pinetop Perkins, Hubert Sumlin, Jody Williams, Nappy Brown und Tinsley Ellis gespielt. Also mit den meisten meiner Helden. Ich bin sehr glücklich.“
Get blues!
Unbedingt empfehlenswert ist der Costello- Erstling ,Call The Cops‘. Weitere Tipps sind die posthum erschienenen Alben ,Sean‘s Blues‘ und ,At His Best. Live‘. Ersteres bietet Songs der ersten drei Alben plus bis dahin unveröffentlichte Studio-/Live-Aufnahmen, die zwischen ’98 und 2002 entstanden sind. Die Bandbreite reicht von swingende Chicagound packendem Texa-Blues über langsame Moll-Balladen bis hin zu souligen Songs mit dezentem Pop-Einschlag. Das Live-Album beginnt mit einer scharfen Version des Freddie- King-Instrumentals ,San-Ho-Zay‘. Weitere Höhepunkte sind der unglaublich virtuose ,TBone Blues‘ (Yepp, von T-Bone Walker) und ,All Your Love‘ (Magic Sam) mit intensivem Gesang und eher rockigem Gitarrenspiel. Und Sean spielt packenden Soul/Funk in Klassikern wie ,I Get A Feeling‘ (John Watson) oder ,Check it Out‘ (Bobby Womack). Und mehr Blues als im langsamen ,Doing My Own Thing‘ (Johnnie Taylor) geht wohl kaum. Rock-&-Roll-Energie pur bietet der im rohen Sound eingefangene Little-Richard-Klassiker ,Lucille‘. Zudem kann man auf diesem Album Costello auch in einer Besetzung mit Hammond-Orgel/Piano erleben, was der Musik zusätzliche Tiefe verleiht. Die Aufnahmen entstanden zwischen 2000 und 2007.
Hier eine Auswahl seiner Solo-Discografie: Call The Cops (1996), Cuttin‘ In (2000), Moanin’ For Molasses (2001), Sean Costello (2004), We Can Get Together (2008), WFRG Memorial CD (2008), Sean‘s Blues: A Memorial Retrospective (2009), At His Best. Live (2011), In The Magic Shop (2014)
Zudem tauchte Costello auch auf Alben anderer Musiker auf, hier eine Auswahl:
Susan Tedeschi: Just Won’t Burn (1998)
Jody Williams: Return Of The Legend (2002)
V.A.: Blues On Blonde on Blonde (2003)
Ollabelle: Ollabelle (2004)
Tinsley Ellis: The Hard Way (2004)
Clarence Fountain & The Five Blind Boys Of Alabama: I’m Not That Way Anymore (2004)
The Levon Helm Band: Midnight Ramble Sessions Vol. II (2005)
Durch “Lieblingsplatten: Eddie 9V” bin ich gestern auf SEAN COSTELLO aufmerksam geworden. In meiner 6. Dekade als präferiert Blues Hörender weis ich, daß ich in meinem Leben nur einen Bruchteil all der großartigen Musiker und Gitarristen gehört haben werde. SEAN COSTELLO kannte bisher nicht. Nun ist diese Leerstelle gefüllt und bin ich absolut begeistert von seinem Spiel. Danke Arnd Müller!
Vielen lieben Dank für den tollen, super gemachten Artikel über einen wunderbaren Musiker.
Durch “Lieblingsplatten: Eddie 9V” bin ich gestern auf SEAN COSTELLO aufmerksam geworden. In meiner 6. Dekade als präferiert Blues Hörender weis ich, daß ich in meinem Leben nur einen Bruchteil all der großartigen Musiker und Gitarristen gehört haben werde. SEAN COSTELLO kannte bisher nicht. Nun ist diese Leerstelle gefüllt und bin ich absolut begeistert von seinem Spiel. Danke Arnd Müller!