Für viele Prog-Rock-Fans ist das neue Opeth-Album ,Pale Communion‘ eines der besten Veröffentlichungen der zurückliegenden 40 Jahre. Ein Wunderwerk voller Tiefgang, Vielschichtigkeit, gespickt mit klassischen Zitaten und unglaublich eindringlicher Melancholie, die vor allem im finalen Track ,Faith In Others‘ kulminiert. Dieses Album ist deshalb so ungewöhnlich, weil es von einer Band stammt, die bis vor wenigen Jahren noch derben Metal zelebriert und sich erst ab ,Watershed‘ (2008) in erstaunlichem Tempo zu einer traditionellen Progressive-Rock-Gruppe gewandelt hat.
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Neben dem herausragenden Songwriting von Opeth-Boss Mikael Åkerfeldt begeistert vor allem die geschmackvolle Kombination aus Orgel/Mellotron-Klängen und einer bis ins Detail ausgefeilten Gitarrenarbeit, die von Åkerfeldt und Fredrik Åkesson übernommen wird. Wir trafen uns bei einem Opeth-Konzert im Hamburger Club Große Freiheit 36 Anfang November mit den Beteiligten, schauten uns ihr sorgsam zusammengestelltes Equipment an und unterhielten uns anschließend mit Fredrik Åkesson über ein Album, das schon jetzt Geschichte geschrieben hat.
Fredrik, ,Pale Communion‘ klingt unglaublich komplex, ist toll produziert und geradezu perfekt gemischt. Kannst du ein paar Sätze zu deiner Rolle in dieser glänzenden Produktion erzählen?
Opeth: Gerne. Für mich als Lead-Gitarrist von Opeth bestand die größte Herausforderung natürlich darin, zu den vielschichtigen Songs die passenden Soli beizusteuern. Soli, die das betreffende Stück unterstützen, gleichzeitig aber auch virtuos und mit Shredding-Anteilen ausgestattet sind. Ich wollte unbedingt eine ausgewogene Balance zwischen Musikalität und Technik finden. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Zeit mit der Ausarbeitung eines Solos verbracht wie etwa bei dem Stück ,Moon Above, Sun Below‘. Einen kompletten Monat lang experimentierte ich mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten.
Normalerweise tendiere ich dazu, die Soli zu improvisieren und einfach meiner momentanen Stimmung Ausdruck zu verleihen. Aber bei ,Moon Above, Sun Below‘ war dies grundlegend anders. Das Solo von ,Cusp Of Eternity‘ war dagegen von Anfang bis Ende eine reine Improvisation. Ich fuhr einfach ins Studio und spielte das, was mir einfiel. Das Problem mit allzu detaillierten Demos ist, dass man sich an diese Version gewöhnt und sie im Studio dann nur noch reproduziert. Bei der eigentlichen Recording-Session sollte man ja eigentlich versuchen, eine noch bessere Version aufzunehmen. Manchmal musste ich mir etwas neu aneignen, was ich bereits auf den Demos gespielt hatte, weil es improvisiert war und ich teilweise selbst nicht mehr genau wusste, was ich da gespielt hatte.
Letztendlich hat es aber ja glänzend funktioniert.
Opeth: Stimmt, es war aber nicht immer einfach. Die Akustikgitarren-Parts von Mikael hatten es wirklich in sich. Sie zu lernen war harte Arbeit, denn diese Fingerpicking-Stile sind mitunter ziemlich komplex. Aber mittlerweile spiele ich schon seit acht Jahren mit Mikael, dadurch kenne ich seine Eigenarten natürlich besser und habe mich darauf eingestellt.
Wodurch die Aufenthaltsdauer im Tonstudio vermutlich deutlich gesenkt werden konnte, oder?
Opeth: Ja, das war so, dafür wurde in den ,Rockfield Studios‘ in Wales aber sehr viel Zeit für einen A/B-Vergleich zwischen unterschiedlichen Gitarrenverstärkern und Boxen verwendet. Es gab fünf verschiedene Amps: einen Marshall Yngwie Malmsteen Plexi 100, einen Bluetone Handwire für die cleanen Sounds, dazu den JVM Joe Satriani, einen Marshall Vintage Modern und einen 50 Watt JCM- 800-Combo, den Angus Young auf ,Back In Black‘ und Zakk Wylde auf ,No Rest For The Wicked‘ gespielt haben. Am Ende blieben dann aber nur der auf 50 Watt abgesenkte Plexi-Marshall in Verbindung mit einem P90- Pickup und drei verschiedenen Mikrofonen an der Box übrig.
Welcher Sound schwebte dir genau vor?
Opeth: Auf ,Heritage‘ hatte ich bei den harten Rhythmen eher einen Singlecoil-Ton, dieses Mal wollten wir einen etwas fleischigeren Humbucker-Ton. Auf den meisten Songs hört man – bezüglich der harten Rhythmen – mich mit einem P90 auf der rechten Seite und Mikael mit einem regulären PAF-Humbucker auf der linken Seite. Die P90 sind klanglich ja irgendwo in der Mitte zwischen Singlecoil und Humbucker angesiedelt. Es hat wunderbar funktioniert, weil wir diesmal kein Metal-Album veröffentlichen wollten, sondern uns stärker an Hardrock-Sounds orientiert haben.
Wie viel Zeit hat die neue Scheibe insgesamt in Anspruch genommen?
Opeth: Die Aufnahmen selbst waren relativ schnell im Kasten, aber die Vorbereitungen und die Sound-Suche mit dem Toningenieur Tom Dalgety waren lang und intensiv. Es war eine interessante und sehr inspirierende Suche, denn obwohl Tom erst 28 Jahre alt ist, kennt er sich unglaublich gut aus. Wir sprachen oft über den typischen Michael-Schenker-Ton als Referenz. Die eigentlichen Aufnahmen aller Rhythmusgitarren dauerten dann nur noch einen einzigen Tag – übrigens für Mikael und mich zusammen.
Erstaunlich schnell!
Opeth: Die Akustikgitarren nahmen dann noch einmal weitere anderthalb Tage in Anspruch. Für die Recordings nahmen wir übrigens wie schon auf ,Heritage‘ eine Kombination aus der normalen sechssaitigen PRS Angelus, die im Studio brillant klang, und einer Taylor in Nashville-Tuning, die perfekt dazu passte und einen wunderbar breiten Sound erzeugte. Für die Soli wurden dann noch einmal zwei weitere Tage angesetzt.
Klingt nach einer insgesamt sehr sorgsamen Vorbereitung.
Opeth: Ich traf mich vorher zweimal mit Mikael und wir gingen alle Riffs und Hooks durch. Martin Mendez und Martin Axenrot, also Bassist und Schlagzeuger, probten zusammen etwa eine Woche lang, wir anderen bereiteten uns zu Hause auf die Recording-Session vor. Mein Trick, um alles zu behalten: Ich filme bei meinen Treffen mit Mikael die einzelnen Parts, auf die wir uns vorbereiten wollen, sodass ich zu Hause in meinem kleinen Homestudio immer nachschauen kann, wenn mir etwas entfallen ist. Ich habe den Vorteil, dass ich neue Sachen sehr schnell lerne, anschließend geht es dann nur noch darum, sich an die Details zu erinnern. Das ist allerdings auch notwendig, denn auf der Bühne übernehme ich noch weitere Parts, die Mikael im Studio eingespielt hat, weil er sich in den Konzerten stärker auf den Gesang konzentrieren muss.
Gab es im Studio spontane Aktionen, auf die du nicht vorbereitet warst?
Opeth: Im Großen und Ganzen nicht, allerdings haben wir im Studio intensiv mit dem Supa Puss Analog Echo-Effektgerät von Way Huge experimentiert, um einige schöne Feedback- Effekte zu bekommen, die man an mehreren Stellen auf dem Album hören kann. Ich habe einfach den Gain-Regler auf der Repeat- Funktion verändert, dadurch entwickelte der Distortion-Sound ein Eigenleben − sehr psychedelisch.
Deine Effektpedale haben sich im Vergleich zur ,Heritage‘-Tour sichtbar verändert.
Opeth: Stimmt, die größte Änderung ist, dass ich jetzt ein Fractal Audio Ultra Axe FX II im Rack habe, das ich für spezielle Delays und Echos einsetze. Dazu kommt ein Expression-Pedal, um zwischen den Songs kleine Feedbacks für bestimmte Atmosphären erzeugen zu können. Allerdings nehme ich das Expression- Pedal mitunter auch für Soli oder Lead-Parts, um kleine Variationen zu bekommen.
Außerdem habe ich zum Beispiel den neuen MXR Plexi Booster für die Soli hinzugefügt. Ich testete ihn im Proberaum und merkte, dass er den Parts mehr Bottom und mehr Juice gibt. Das macht beim Spielen sehr viel Spaß und erleichtert es mir, die richtige Stimmung zu treffen. Neu ist auch ein Compression-Pedal, das ich allerdings nur einmal bei einem Picking-Part verwende. Dann gibt es jetzt ein Boss Octaver- Pedal, das braune aus den Achtzigern, das ich bei ,The Moor‘ spiele. Für die cleanen Sounds nehme ich ein Reverb, manchmal mit etwas Delay. Wichtig sind auch die Lehle-Pedale für die MIDI-Kontrolle.
Brandneu und sozusagen noch in der Erprobungsphase ist die Isolation-Box von Box Of Doom, die – wenn ich es richtig verstanden habe – vorgestern in Holland von dir und heute in Hamburg von Mikael getestet wird.
Opeth: Wir hatten ein Treffen mit Sylvester Vogelenzang de Jong von Box Of Doom und ich machte gleich abends beim Konzert in der Amsterdamer Heineken Hall einen A/B-Test. Das Ding ist super, denn man kann innerhalb einer Minute den Speaker austauschen. Wenn du also einen Green- Back-Speaker gegen einen Vintage-30 wechseln willst, geht das ruckzuck. Ich habe die Box mit drei verschiedenen Lautsprechern ausprobiert und mich dann für den Green- Back entschieden. Ich stand vorne am Bühnenrand und verglich meine 4x12er-Box mit der Isolation-Box: Der Unterschied war in meinen Ohren riesengroß, denn alles war viel klarer, viel druckvoller, wärmer und mit deutlich weniger grellen, zischelnden Höhen.
Und eben konstant und berechenbar, denn während sich sonst jeden Abend der Gitarren-Sound durch die unterschiedlichen Räumlichkeiten verändert, hat man mit dieser Isolation-Box einen immer gleichen Grund-Sound. Vorsichtshalber wurde gestern auch noch meine 4x12er-Box mikrofoniert, sodass ich den direkten A/B-Vergleich hatte und zusätzlich jederzeit hätte wechseln können, wenn ich unzufrieden gewesen wäre. Ich denke, dass wir demnächst eine zweite Isolation-Box für Mikael anfordern werden, vermutlich sogar eine dritte für den Bass. Es hilft sowohl dem FOH-Sound als auch unserem In-Ear-Sound. Es scheint, als ob wir auf dieser Tour hinsichtlich eines professionellen Equipments einen großen Schritt vorwärts machen.
Was war vor acht Jahren, als du in die Band kamst, anders als heute?
Opeth: Die gesamte Band war vor acht Jahren eine andere, musikalisch, aber auch in Bezug auf die generelle Stimmung. Für mich war es damals eine riesige Herausforderung, mich mit Mikaels Stil auseinanderzusetzen, ihn zu verstehen und zu ergänzen. Mikael hat bei Riffs ein ganz eigenes Rhythmusgefühl, er ist fast immer auf dem Backbeat oder auf einem Beat, der einem zunächst komisch vorkommt. Auch zählt er mitunter völlig anders als ich. Die Musik hat sich seit dem Album ,Watershed‘ mit seinen Death-Metal-Anteilen natürlich stark verändert, heute machen wir mehr oder minder traditionellen Progressive Rock.
Gefällt dir das?
Opeth: Ich mag beides. Und da wir auf der Bühne eine Menge älterer Stücke spielen, bekomme ich immer meine gewünschte Dosis an Metal. Ich bin beeindruckt, dass wir tatsächlich den Mut zu diesem radikalen Wechsel hatten. Für Mikael als unseren Haupt- Songschreiber ist die völlige künstlerische Freiheit von allergrößter Bedeutung. Er hasst es, wenn man ihm versucht zu erzählen, was er zu tun und zu lassen hat. Er muss seinen Visionen folgen können. Ich muss zugeben, dass ich mich an den Wechsel von ,Watershed‘ zu ,Heritage‘ erst gewöhnen musste, zumal ich mir Sorgen machte, ob es angenommen wird. Gleichzeitig bin ich aber sehr stolz, dass es irgendwie auch eine Art ,Metal- Haltung‘ war, den Mut zu haben, ein solches Album zu veröffentlichen.
Gab es negative Reaktionen seitens der Fans?
Opeth: Natürlich haben sich manche beschwert, zumal auch jetzt noch die Grundlage unserer Anhängerschaft aus dem Metal zu stammen scheint. Aber wie auch wir, sind unsere Fans ebenfalls älter geworden und haben heute einen größeren Horizont als zu Zeiten des Opeth-Debüts. Grundsätzlich haben Opeth eine sehr breit gefächerte Zielgruppe, ich würde sagen: von 18 bis 80. Aber für uns ist es natürlich trotzdem eine spannende Reise, in der es allein in den acht Jahren, in denen ich nun dabei bin, unglaublich viel zu erleben gab. Ich mag das, ich spiele sehr gerne mit der Band, eben weil sich die Musik aus so vielen verschiedenen Zutaten zusammensetzt. Für einen Gitarristen öffnen sich dadurch immer wieder neue Möglichkeiten.
Letzte Frage: Wie sieht deine Zukunftsplanung aus?
Opeth: Im Dezember touren wir drei Wochen mit In Flames in Amerika, im Januar ist Pause, dann folgt eine weitere US-Tour plus Südamerika, Australien und Japan, und dann beginnt ja schon die Festival-Saison.
Du wirst also keine Zeit für dein Nebenprojekt Krux haben?
Opeth: Vermutlich nicht, denn Mats (Levén, der Krux-Sänger) hat ja momentan wegen Candlemass auch keine Zeit. Ich habe ein Solo auf dem neuen Bloodbath-Album gespielt, allerdings aus vertraglichen Gründen nicht unter meinem richtigen Namen. Es hätte zu lange gedauert, bis ich die Freigabe bekommen hätte. Ansonsten nehme ich Ideen auf, um sie vielleicht eines Tages als Solo-Gitarrenalbum zu veröffentlichen. Zuerst dachte ich, eine reine Instrumentalscheibe zu produzieren, aber ich singe zunehmend mehr bei Opeth, also warum sollte es nicht auch bei meinen eigenen Songs funktionieren? Ich bin selbst ziemlich gespannt, was sich daraus mal entwickelt.
Ich wünsche dir alles Gute dabei, und vielen Dank fürs Gespräch.