Kaum zu glauben, 25 Jahre ist Reinhold Bogner mit seiner Firma inzwischen schon im Business. Er selbst begeht das Event mit einer Hommage an sein eigenes Werk: Mit Marshall-Tuning ist Bogner groß geworden, zwei „Repro“- Modelle, die den Geist dieser vergangenen Tage wiederbeleben, zeigen zum wiederholten Male seine Kompetenz in dem Metier.
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Rückblende: Wir schreiben das Jahr 1989. Reinhold Bogner hat sich zumindest in Süddeutschland einen Namen als versierter Amp-Tuner gemacht. Doch damit ist er nicht zufrieden. Wie soll es weitergehen? In Deutschland sieht er keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten. Wer in der Branche weiterkommen will, muss sich in die musikalische Metropolen begeben, ist seine Schlussfolgerung. Gesagt, getan, er schnappt sich einen seiner modifizierten Marshalls und siedelt nach Los Angeles um – alle Achtung, ein mutiger Schritt. Aber es dauert nicht lange, bis Reinhold Bogner für die VIPs der Gitarrenszene zu arbeiten beginnt. Dass Amp-Customizing zu der Zeit gerade schwer angesagt ist, hilft natürlich. Der Rest ist Geschichte. Bogner ist heute im Amp-Business unbestreitbar eine der allerersten Adressen. Er hat unter anderem für Eddie Van Halen, Steve Stevens, Jerry Cantrell, George Lynch, Michael Landau und viele andere gearbeitet.
k o n s t r u k t i o n
Nicht wahr Kollegen, ihr kennt alle die Gruselgeschichten von den „aufgebohrten“ Plexi-Marshalls? Nein, nicht alle?! Okay, das ist verständlich, denn die Jüngsten unter uns waren ja noch nicht einmal geboren, als das Amp-Customizing seine Hochzeit hatte, geschweige denn als die Amps als Neuware auf dem Markt waren . Die Marshall-Modelle 1959 (100 Watt aus 4× EL34) und 1987 (50 Watt aus 2× EL34) mit den Plexiglas-Blenden an Front und Rückseite, wurden nur bis Ende der 1960er- Jahre gebaut. Ihr Ruf ist legendär. Zu Recht muss man sagen, ihr Klangverhalten, kraftvoll mit eigentümlich intensiven, aber warmen Höhen, wird nicht nur nach Auffassung erklärter Enthusiasten bis heute als Referenz betrachtet.
Dennoch waren Gitarristen damals mit diesen Verstärkern nicht rundum zufrieden. High-Gain-Distortion, womöglich umschaltbar zwei Kanäle und ein Einschleifweg, davon konnten sie nur träumen. In Serie gab es solche Leckereien erst als Randall Smith Ende der 1970er- Jahre mit seinem Boogie Mark I auf den Markt kam. Also entwickelte sich schon lange zuvor ein Markt für Tuning/Modifikationen. Wobei eben nicht zuletzt auch die Plexis umgebaut wurden und diverse Löcher zusätzlich ins Chassis kamen – aus heutiger Sicht für viele bedauerlich. Weil Marshall erst spät auf die Linie des Heißermachens etc. einschwenkte, Mitte der 1980er-Jahre mit der zweiten JCM800-Generation, hielt sich der Tuning-Trend lange. Und in gewisser Weise sind die Auswirkungen dessen bis heute präsent. Bogners Modell Ecstasy z. B. stellt doch im Grunde nichts anderes dar, als einen bis zum äußersten aufgerüsteten 100er-Marshall.
Oder man denke an die Hersteller Friedman, Voodoo-Amps etc. deren Modelle zum Teil ebenfalls auf den legendären Plexis beruhen. Zu seinem Jubiläum hat Reinhold Bogner Nägel mit Köpfen gemacht. Er veredelte nicht nur das Konzept des „großen“ 1959, sondern stellte ihm auch gleich die 50- Watt-Version zur Seite. Abgesehen von der Leistung unterscheiden sich der Helios 100 und Helios 50 leicht im Konzept. Der stärkere Amp hat eine 100/30-Watt Leistungsumschaltung, der schwächere einen sogenannten Variac-Schalter. Beiden liegt eine Leistungsreduktion zu Grunde, bei der die Arbeitsspannungen verändert werden.
Beim Helios 100 werden zugleich auch zwei Endröhren abgeschaltet. Für die technisch Interessierten: Bei voller Leistung, im JMP- 100-Modus, liegen an den Anoden der EL34 ca. 490VDC mit -44 VDC Gitterbias an, im JTM-30-Modus nur ca. 409VDC bei einer Biasspannung von -54VDC. Die Konzeption der Vorstufe zeigt gegenüber dem Urahnen erhebliche Modifikationen. So kann man sich über die beiden Inputs Plexi und Hot für zwei unterschiedliche Gain-Ebenen entscheiden. Ein wichtiges Feature ist außerdem, dass ein zweiter Kanal für cleane(re) Sounds vorhanden ist. Volume I regelt seine Lautstärke, für Sound- Veränderungen steht allein ein Bright- Schalter (Dreiweg) mit zwei unterschiedlich intensiven Höhenanhebungen zur Verfügung.
Diesen findet man auch im Channel II. Daneben gibt es dort einen 70/80-Voicing Switch, der den Grund-Sound verändert, sowie die Möglichkeit, die passive Dreibandklangregelung abzuschalten, was bekanntlich nicht nur den Klang verändert, sondern auch einen Boost der Signalstärke bewirkt. Der Helios 100 hat vorne auch den klassischen Presence-Regler. An der Rückseite gelegen, variiert das Bottom-Control-Poti die Bassdynamik der Wiedergabe. Der Punch- Schalter hebt die Mitten hervor, und zwar umso deutlicher, je höher Bottom Control eingestellt ist. Ferner hat der Helios 100 einen seriellen Röhreneinschleifweg mit einem Pegelregler im Return-Weg. Neben dem Kanalwechsel ist auch der Status des FX-Wegs über die Footswitch-Buchse kontrollierbar. Wer kein Effektgerät verwendet, kann den Einschleifweg benutzen, um eine zweite Lautstärkeebene abzurufen.
Am FX Loop Switch kann der Signalweg manuell ein-/ausgeschaltet werden. Hat jemand gleich zu Anfang auf die Preisangabe geschielt? Dicker Brocken, richtig. Das hat aber seinen guten Grund. Vorhang auf bzw. Chassis ausgebaut, großer Tusch: Bogner baut die Helios-Modelle in traditioneller PTP-Verdrahtung, sprich: das hier ist Handarbeit. Und in welcher Qualität! Superclean und akkurat, die Verarbeitung ist vom Allerfeinsten. Die Qualität der Bauteile − nichts Besonderes, das typische Material dieser Klasse − steht dem natürlich in nichts nach. Und das Gehäuse glänzt ebenfalls mit einem piekfeinen Finish. Der Fairness halber muss aber gesagt werden, dass auch andere High-End-Hersteller so tadellos fertigen. In Deutschland zum Beispiel Müller- Amplification und Gladius, in Holland Hook und Marble-Amps, in den Staaten neben den eingangs genannten noch mindestens ein halbes Dutzend weitere.
p r a x i s
Was aus dem Hause Bogner kommt, muss doch top sein, oder?! Ja, die Erwartungshaltung ist berechtigt, der Name bürgt für Qualität. Was aber nicht verhindern kann, dass im Detail vielleicht doch mal eine Irritation auftritt. Wie es hier beim Helios 100 nämlich der Fall ist. Betrifft den Channel I. Zunächst einmal erfreut der mit einem kraftvoll-stabilen Grund-Sound, dem es an nichts fehlt. Überraschend warm, trotz der klaren, fast analytischen Brillanz, schöne Tiefe, angenehm im Spielgefühl obwohl die Ansprache eher stramm ausfällt. Doch es zeigt sich, dass das völlige Fehlen einer Klangregelung ein Nachteil sein kann. Eine gut im Futter stehende Les Paul entwickelt clean gespielt, über den Plexi-Eingang, eventuell zu viel Pfund (4×12-Cab).
Abhilfe schafft in gewissem Rahmen Bottom Control. Aber kann das die Lösung sein, die Bassdynamik des Amps insgesamt zu reduzieren, nur damit es clean passt? Nicht wirklich. Nachlegen bei Strat, Tele und Verwandten geht auch nicht. Dieses Manko des Kanals hat vermutlich damit zu tun, dass er ja über beide Inputs homogen klingen soll. Und das ist dann wieder beeindruckend, die Bandbreite ist groß. Über den Hot-Eingang entstehen früh leichte Overdrive- Einfärbungen, traditioneller britischer Klangcharakter allererster Güte, explosiv im Attack, in sich ausgewogen, mit sehr harmonischen Oberwellen. Richtig satt und sämig wird es bei höheren Lautstärken, weil sich der Ton in den Mitten aufbläht; erst ab ca. 75Watt/8Ohm setzt die Sättigung der Endstufe ein, das ist laut! Okay, dann schalten wir doch auf den JTM-30-Modus um.
Ja, ist natürlich eine Möglichkeit. Nur zeigt sich das Klangbild hier deutlich dünner, anderer Charakter, schlanker, Mitten längst nicht so dicht, bissiger. Na eben, genauso ist die Power-Umschaltung ja gemeint, nicht per se als Option zur Lautstärkereduzierung, sondern als weitere tonale Dimension. Damit ob der kleinen Meckereinheiten keine Missverständnisse aufkommen, sei hier betont, dass der Channel I sowohl im Ton wie in der Variabilität viel zu bieten hat. Da fragt man sich schon, warum denn nicht per Fußschalter zwischen den beiden Gain- Ebenen gewählt werden kann. Nun, die Änderungen in den Signalstärken würden zusätzliche Volume-Potis notwendig machen, und das ließ Reinhold Bogners Reminiszens- Konzept vermutlich nicht zu.
Hauptsächlich geht es ja auch um den Channel II. Und dort trumpft der Helios 100 denn auch mit Macht auf. Der 70-Modus taucht elegant in die Retro Welt ab. Über dem Plexi-Input wird geboten, was der Name verspricht. Ich habe mindestens schon 20 1959-Superlead-/Superbass Amps zwischen den Fingern gehabt und möchte behaupten, dass der Helios 100 den legendären Klangcharakter in noch verfeinerter Kultur produziert. Nutzt man den Hot-Input, geht erst recht die Sonne auf. Das Klangbild sättigt sich mit voluminösen Tiefmitten, ist sehr dicht und gleichzeitig transparent, die Verzerrung sind sehr harmonisch, die Distortion-Intensität liegt hoch ohne schon highgainig zu sein. Der Spieler kann sich auf einen stabilen Fundament entspannt bewegen und erlebt feinfühlige Rückmeldungen.
Brown-Sound-Deluxe könnte man sagen. Einfach zu spielen ist diese Sound-Ebene nicht unbedingt. Wer sich beim ersten Kontakt unwohl fühlt, sollte sich eine Weile drauf einlassen – es lohnt sich! Der 80-Modus macht es einem leichter. Hohe Gain-Reserven, singender Ton, Sustain-reich und obertonfreundlich, die oberen Mitten betont, was eine modernere Klangcharakteristik erzeugt, trotzdem ist die Sound-Formung weiterhin kraftvoll, dynamisch reaktiv, und im gesamten Tonumfang homogen. In beiden Modi, 70 und 80, dünnt die Distortion allerdings zu den obersten Tönen hin etwas aus. Old school, das gleicht man mit dem Guitar-Volume aus: bei tiefen Tönen bzw. Begleitung mit Akkorden runterdrehen, wenn soliert wird wieder volle Kante geben. Zu der überaus gepflegten Tonformung addiert sich eine überdurchschnittliche Klangvariabilität.
Auf der Bühne lässt sie sich natürlich nur bedingt nutzen, im Studio dafür umso mehr. Allein schon, weil die Klangregler des Channel II, bzw. primär Treble und Mid, sehr intensiv arbeiten. Deren Effizienz potenziert sich durch die beiden Sound- Ebenen 70 und 80. Und dann ist da auch noch die ganz eigene, offensive, leicht fuzzy angehauchte Klangfarbe, die sich beim Bypass der Klangregelung ergibt. Erdiger Ton, ein bisschen Tweed-Fender schwingt darin, jedenfalls musikalisch wertvoll. Aber eingleisig? Im Prinzip ja. Aber: Ich hoffe es geht kein Aufschrei durch die Gemeinde der Puristen, aber ich habe im Einschleifweg einfach mal einen (Halbleiter-) Equalizer angeworfen. Macht schwer was her.
Zumal man den Status des FX-Wegs per Fußschalter bestimmen kann. Man beachte, dass das Signalniveau hoch liegt, bei ca. +4dBV, bei hoher Aussteuerung des Amps sogar noch darüber (Channel I). Pedal-Effektgeräte kommen daher nur bedingt in Frage. Die Klangqualität ist hervorragend. Erfreulich ist auch, dass beide Schaltfunktionen leise, mit nur geringen Impulsgeräuschen vonstattengehen. Wenn es überhaupt etwas zu kritisieren gibt, dann ist es das doch ziemlich kräftige, durchaus störende mechanische Brummen/Schwingen des Netztrafo. Ich habe den Helios 100 im Test bevorzugt an 4×12-Cabs betrieben, wobei mir im Grunde Celestions Vintage 30 am besten gefallen haben. Aber auch über eine 2×12- Box mit gesunder Tieftonwiedergabe macht der Ton des Amp sehr viel Spass.
a l t e r n a t i v e n
Oh ja, wenn es nur um den Toncharakter geht, nicht um das individuelle Ausstattungskonzept, kann man durchaus Produkte nennen, die dem Helios gleichen. Da ist zum Beispiel Friedmans exzellenter Brown Eye zu nennen, von Voodoo-Amps der (einkanalige) V-Plex oder der sehr transparent aufspielende Nighthawk von Mueller- Amplification (waren alle schon bei uns im Test; die Downloads gibt es auf unserer Homepage). Und die Luft ist dünn in der Region. Die hochpreisigen Plexi-Enkel sind qualitativ sämtlich top. Beim Entscheid für und wider kann es daher wie so oft nur darum gehen, wie Nuancen in der Performance dem eigenen Geschmack zusagen. Und ein qualitätsidentisches Produkt zu einem wesentlich günstigeren Preis kann ich jedenfalls nicht nennen.
r e s ü m e e
Die Performance des Helios 100 ist schlicht großartig. Weil der Amp tonal höchstes Format verbreitet und zudem auch noch sehr variabel ist. Dazu gesellt sich ein perfekt funktionierender Einschleifweg. Nicht so schön, aber konzeptbedingt im Sinne der Retro-Ausrichtung und von daher verzeihbar, ist, dass der Channel I in den Bassfrequenzen zuweilen Kompromisse verlangt. Wie die Kostenseite zu bewerten ist? Nun, Handarbeit in dieser Qualität, made in USA fordert halt (leider) ihren Tribut. Und ganz nüchtern betrachtet ist das Preis-/Leistungsverhältnis in Relation zu den Mitbewerbern auch vollkommen in Ordnung.