Ein kritischer Leser unserer Pawnshop-Reihe wird mir an dieser Stelle vermutlich einen gewissen „Osteuropa-Tick“ unterstellen, aber keine Sorge: Wir werden auch noch die Vintage-Schönheiten anderer Länder erkunden. Dieses Mal jedoch zieht es uns noch ins Nachbarland Polen.
Wer die Reihe aufmerksam verfolgt, ahnt es schon: Auch dort gab es in der Ära des Kalten Krieges eine (einzige) Instrumentenfabrik, die versuchte, den nicht zu unterdrückenden Bedarf an Rock-Instrumentarium zu befriedigen – die „Dolnoclzska Fabryka Instrumentów Lutniczych“ („Niederschlesische Lauteninstrumente Fabrik“), bekannt unter dem Brand „Defil“ (aus der Abkürzung DFIL).
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Wie so oft im Vorkriegs-Gitarrenbau und der Geschichte der Instrumentenfabriken im Ostblock hatten die Deutschen ihre Hände im Spiel: Basis der 1947 gegründeten Defil waren die Gebäude der „Fa. Langer und Co.“, die sich in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts im damals preußischen Lubin ansiedelte, um Klavierteile zu bauen. Das Unternehmen florierte, ging allerdings wie so viele in den Wirren des Zweiten Weltkriegs unter – zuletzt wurden dort wie überall Munition und Waffenteile hergestellt. In den 1960er-Jahren begannen die Betreiber von Defil, auch recht abgefahrene E-Gitarren zu bauen, und ein besonders charmantes Exemplar wollen wir uns nun zu Gemüte führen: Die „Melodia 2“, gebaut in den späten 1970er-Jahren. (Und ja, es gab auch eine „Melodia 1“ – so viel zur Kreativität in der Entwicklung von Modellbezeichnungen … )
Aus größerer Entfernung könnte sie als ES-335-Klon durchgehen, aber je näher man ihr kommt, desto mehr schwinden die Ähnlichkeiten dahin. Immerhin ist der laminierte Korpus der Melodia gewölbt (und nicht flach wie bei der bulgarischen Orfeus). Der Ahornhals hat 22 (inklusive Nullbund) Bünde und ein extrem flaches Griffbrett – wie bei einer Konzertgitarre! Neben diesem Prügel wirken dicke 1950s- Hälse wie Zahnstocher. Im Inneren befindet sich angeblich ein Halsstab, der allerdings nicht von außen zugänglich und einstellbar ist. Die Mechaniken laufen wie bei bulgarischen und sowjetischen Gitarren „verkehrt“ herum, was beim schnellen Stimmen für Verwirrung sorgen kann – ein Austausch ist ratsam, auch wenn sie die Stimmung etwas besser halten als die ihrer Ostblock-Schwestern. Insgesamt ist die Verarbeitung der Melodia (wie bei allen Defil-Gitarren, die ich bisher restauriert habe) solides Handwerk, aber doch sehr grobschlächtig im Vergleich zu DDR-Fabrikaten oder tschechischen Jolanas.
Bild: Christopher Kellner
Bild: Christopher Kellner
Ich will nicht zu viel unken, denn die Melodia hat eine Geheimwaffe, die sie zu einem sehr interessanten Werkzeug für Aufnahmen macht: Ihre wuchtigen Pickups, die in Klang und Output an ostdeutsche Simetos oder japanische Goldfoils erinnern – laut, klar, knackig, was will man mehr, wenn man im Studio die Wüste oder den Strand herbeispielen will? Dabei kann man die seltsame Elektronik auf dem riesigen Schlagbrett getrost ignorieren – die drei Slider regeln 1x Volume und 2x Tone für die Pickups, die drei Druckschalter betätigen die Pickups bzw. schalten die Gitarre komplett stumm (roter Schalter).
Die Oktavreinheit ist mit der Brücke leidlich gut einstellbar. Seltsamerweise hat die Gitarre kein Vibrato, wie man bei der Bauart erwarten würde. Die Polen hatten offenbar eine Abneigung gegen den „Jammerhaken“, denn nur einige wenige Defil-Modelle wurden mit einer Vibrato- Einheit ausgerüstet. Bei der Melodia ließe sich allerdings leicht ein Bigsby einbauen, um die starken „Surf“-Pickups zu komplementieren – das kostet aber neu fast so viel, wie man wohl für die Gitarre selbst ausgegeben hat.
Wer eine Melodia sucht, braucht etwas Geduld – sie werden nur selten angeboten und sind, wie ihre Schwestern, so gut wie nie „out of the box“ genießbar. Mit zwischen € 100 und 200 kommt man in den Genuss dieser polnischen Schönheit – mehr sollte man wie immer nur für ein vollrestauriertes Exemplar mit Rückgaberecht ausgeben!
Die Melodia ist robust und würde auch den einen oder anderen Gig zuverlässig mitmachen. Der abenteuerliche Spieler kann auch die Fuzzbox anwerfen und einfach mal schauen, was passiert. Allen anderen rate ich, sich an cleane oder crunchy Sounds und Rhythmusarbeit zu halten, allenfalls mal den Duane Eddy auszupacken – nur hartgesottene Shredder werden auf diesem Baseballschläger den Satriani machen können.