Über Bass, Musik & Natur:

Victor Wooten: Der Bass-Guru im Interview

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Victor Wooten Opener

 

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„Um in einer Band Bass zu spielen, musst du nicht viel über das Instrument wissen.“ Das sagt einer, der mit Fug und Recht als einer der versiertesten Bassisten unserer Zeit bezeichnet werden kann. Und trotzdem legt Victor Lemonte Wooten im Interview gerade auf die technischen Aspekte seiner Kunst so gut wie keinen Wert. Wooten ist vor allem Musiker – und nebenbei mit erstaunlichen spieltechnischen Möglichkeiten ausgestattet.

Kein Wunder, spielte der 1964 in Hampton, Virginia geborene Musiker doch schon professionell Bass, als er vermutlich noch in die Windeln gemacht hat. Mit zwei Jahren soll sein sechs Jahre älterer Bruder Regi angefangen haben, ihn mit dem Instrument vertraut zu machen. Ein Jahr später folgten dann schon die ersten Konzerte im Bekanntenkreis mit einer Band, die sich schlicht The Wooten Brothers Band nannte und – wie unschwer am Namen zu erkennen – ausschließlich aus den fünf Söhnen der Eltern Wooten bestand. Ein paar Jahre später feierte diese Formation sogar einige kleine bis mittelgroße Erfolge, zu Berühmtheit gelangte Victor Wooten allerdings erst, als er mit 23 Jahren den Banjospieler Béla Fleck kennenlernte und kurze Zeit später zusammen mit seinem Bruder Roy Wooten die Rhythmusgruppe für Béla Fleck And The Flecktones bildete, was ihm im Laufe der Zeit vier Grammys bescherte.

Doch auch mit seinen Solo-Veröffentlichungen machte er sich nicht nur in Bassisten-Kreisen einen Namen. Allen voran das Referenz-Werk für Bass-Virtuosität ,A Show Of Hands‘ von 1996 festigte seinen Ruf als Bassist mit unfassbarer Technik und als kreativsten Kopf des E-Basses seit Jaco Pastorious. Neben seinen zahlreichen Workshop-Projekten (vor allem sein eigenes Musik-Camp – siehe am Ende des Interviews) ist Victor Wooten zur Zeit mit JD Blair am Schlagzeug und wieder einmal seinem Bruder Regi an der Gitarre als Victor Wooten Trio auf Tour. Und die (Familien)-Geschichte geht weiter: Beim Warwick-Basscamp in Markneukirchen, wo wir Victor Wooten in direktem Anschluss an einen seiner inspirierenden Workshops trafen, gab er zusammen mit seinem Bruder und seinem Sohn Adam ein technisch wie musikalisch beeindruckendes Funk/Soul-Set zum besten. Hier das Protokoll des Gesprächs mit dem Ausnahme-Bassisten.

i n t e r v i e w

Bei deinem Workshop eben ist mir aufgefallen, dass du mehr über Musik an sich als über das Bass-Spielen redest …

Victor Wooten: Ja, das kann sein. Ich habe da kein Konzept oder so, sondern rede einfach über Dinge, von denen ich glaube, dass die Leute sie brauchen können. Und das hängt immer davon ab, zu wem ich spreche. Wenn ich eine Gruppe unterrichte, spreche ich meistens eher über Musik als über den Bass. Alle diese Bassisten in so einer Gruppe sind auf einem unterschiedlichen Level und trotzdem kann jeder von ihnen Hilfe gebrauchen. Ich bin der Meinung, dass die meisten Leute eher beim Thema Musik Unterstützung brauchen als speziell mit dem Bass. Denn Bass zu spielen ist nicht schwierig. Um in einer Band Bass zu spielen, musst du nicht viel über das Instrument wissen. Aber wenn du es schaffst, musikalischer und insgesamt ein besserer Musiker zu werden, dann spielst du auch besser Bass. Viele von uns Bassisten wollen immer noch mehr Tricks und Licks und solche Sachen lernen, dabei sollten wir uns darauf konzentrieren solide Musiker zu sein. Einfach damit wir mit vielen verschiedenen Leuten zusammenspielen können. Die meisten Bands wollen keine Tricks. Sie wollen Groove und Feeling. Das ist es, was du lernen musst.

Wie würdest du dich denn selbst einschätzen, bist du besser als Trickser oder als Groover?

Victor Wooten: Ich würde sagen, ich bin besser als Groover, denn damit bin ich aufgewachsen. Ich fing als R’n’B- und Soul-Bassist an und erst mit Béla Fleck & The Flecktones wurde ich auch als Solist bekannt. Und die Tricks, die ich drauf habe, sehe ich gar nicht als solche. Für mich sind das notwendige Werkzeuge. Meine Daumentechnik zum Beispiel: ohne sie könnte ich nicht das spielen, was ich höre. Ich höre bestimmte Rhythmen, also brauche ich die richtige Technik, um sie umsetzen zu können. Wenn ich alleine spiele, höre ich nicht nur Singlenotes, sondern Akkorde. Deswegen musste ich lernen wie man Akkorde spielt. Und wenn ich Akkorde spiele, höre ich gleichzeitig auch noch eine Melodie, also brauche ich die Technik, diese auch noch dazu spielen zu können… Aber: wenn ich Teil einer Band bin, was meistens der Fall ist, bin ich einfach nur Bassist und unterstütze die Band.

Du hast eine interessante Sichtweise auf das Zusammenspiel von Bassist und Drummer, wie ich in deinem Workshop erfahren durfte…

Victor Wooten: Na ja, für mich sind Bass und Schlagzeug in einer Band wie Mutter und Vater einer Familie, was aber nicht heißt, dass sie wichtiger wären. Die Kinder sind schließlich auch wichtig. Die Eltern einer Familie wollen ihre Kinder unterstützen, damit sie aufwachsen und es eines Tages noch besser machen als sie selbst. Dafür müssen sie zusammenarbeiten und einander zuhören. Und bei Bass und Schlagzeug ist es genau dasselbe. Wir wollen den Rest der Band unterstützen, damit zum Beispiel der Saxofonist im optimalen Licht erscheint. Das ist unser Ziel. Und die Leute, die genau das am besten hinbekommen, bekommen auch die meisten Jobs.

Wie bekommt man Feeling in eine Basslinie?

Victor Wooten: Indem du kein bisschen über den Bass nachdenkst! Wenn du mit jemandem emotional sprichst, denkst du ja auch nicht gleichzeitig über deine Stimme nach. Du denkst dann nicht an dein Zwerchfell, deine Zunge oder deine Lippen. Du kannst nicht mal über deine Worte nachdenken, sondern fühlst einfach nur und lässt dieses Gefühl raus. Deswegen möchte ich mein Instrument, den Bass, so gut kennen, dass ich nicht über ihn nachdenken muss, wenn ich spiele. Ich möchte alles über ihn wissen, über die Töne und wo sie liegen und über die Technik und wann und wie ich sie anwenden muss. Und man muss das alles sehr genau wissen, um es während dem Spielen vergessen und sich nur auf die Emotion fokussieren zu können. Das ist der Schlüssel.

Fühlst du dich im Gegensatz zum Solo-Spiel in einem Band-Kontext nicht in deiner Kreativität eingeschränkt?

Victor Wooten: Das hängt natürlich sehr von der Band ab, denn Kreativität ist individuell. Und manchmal wächst man mehr, wenn man sich einschränkt. Ich habe ja jahrelang in einem Freizeitpark Musik gemacht: Das war damals so eine Country-Show, die wir jeden Tag vier bis acht Mal spielen mussten. Und sie wollten nicht, dass irgendetwas daran geändert wurde. Da musste ich dann lernen, innerhalb der engen Grenzen dieser Show kreativ zu sein. Und in so einem Gefängnis ist das eine große Herausforderung, aber es ist möglich. Sicherlich ist es mit meiner eigenen Band oder als Solo-Bassist einfacher kreativ zu sein, aber manchmal auch zu einfach. Allerdings habe ich das Glück, sowohl in verschiedenen Bands, solo und auch mit meiner eigenen Formation spielen zu dürfen. Das alles zusammen hilft mir, meine Kreativität aufrechtzuerhalten und zu schulen.

Regi Wooten

Kreativität ist also nicht nur eine Frage des Talents, sondern kann trainiert werden?

Victor Wooten: Oh ja! Kreativität kann man lernen. Ich habe sogar spezielle Übungen, die meine Kreativität pflegen und verbessern. Kreativität ist eine Fähigkeit, wie alles andere auch. Du kannst sie lernen und verbessern, aber auch das genaue Gegenteil.

Wie kann man sie denn trainieren?

Victor Wooten: Das wichtigste ist, dass man sich für die Kreativität öffnet. Eine Übung zum Beispiel, die ich selbst immer wieder mache, ist, in ein Loop-Pedal irgendwelche Töne ohne Struktur einzuspielen. Daraus entsteht für, sagen wir, sechs Sekunden Krach. Dann drücke ich auf Play und höre es mir eine Weile an, auch wenn es erstmal einfach nur grauenhaft klingt. Aber meine Aufgabe ist es nun, zu diesem Loop etwas zu spielen, das ihn zu Musik macht. Normalerweise findet man nämlich innerhalb dieses Chaos einen Rhythmus oder Puls oder ein tonales Zentrum. Auf dieser Basis füge ich Töne hinzu und nach wenigen Minuten klingt das ganze wie ein richtiges Musikstück. Das trainiert mich darin, aus Nichts Musik entstehen zu lassen. Aber es gibt noch andere Übungen, die man auch in einer Gruppe machen kann.

In meinen Workshops frage ich zum Beispiel meine Schüler: „Stellt euch vor, wir haben einen blauen Ziegelstein. Wofür kann man ihn verwenden?“ Dann sollen sie mir, ohne groß darüber nachzudenken, zehn Verwendungsmöglichkeiten für diesen blauen Ziegel nennen. Da kommen dann Antworten wie, dass man ihn zum Beschweren von Papier, zum Aufhalten einer Tür oder zum Einschmeißen eines Fensters benutzen kann. Das ist manchmal ziemlich abwegig, aber es trainiert den Kreativitäts-Muskel. Am ehesten kreativ ist man, wenn man jede Art von Bewertung ausklammert. Oder anders gesagt: denke nicht in Kategorien wie „richtig“ oder „falsch“. Die meiste Zeit sind wir nicht kreativ, weil wir zu schnell beurteilen. Sobald wir eine Idee beurteilen, lassen wir sie nicht mehr wirklich zu, und das ist auch der Grund, warum Kinder so kreativ sind. Sie denken nicht, dass eine Idee dumm sein könnte, das machen nur wir Erwachsenen.

Victor Wooten Live

Kommt deine Kreativität dann auch daher, dass du schon als Kind mit dem Bass angefangen hast und somit gänzlich unbefangen an das Instrument herangegangen bist?

Victor Wooten: So früh anzufangen hat auf jeden Fall geholfen. Aber auch die Tatsache von kreativen Leuten umgeben zu sein, die mich nie abgewiesen haben, war ausschlaggebend. Wenn ich mit einer Idee zu meinem Bruder kam, hat er mich nie spüren lassen, wenn er sie nicht gut fand. Also auch wenn eine Idee mal nicht gut war, hat er mich darüber sprechen lassen. Später war dann die Zusammenarbeit mit Béla Fleck sehr prägend. Er ist ein sehr kreativer Typ, sehr authentisch und offen. Auch wenn er der Bandleader ist, so dürfen wir anderen immer unsere Meinung äußern. Er hat uns in unserer Kreativität also nie zurückgehalten.

Du spielst ja immer noch viel mit deinen Brüdern zusammen. Verändern familiäre Beziehungen die Chemie innerhalb einer Band?

Victor Wooten: Ich denke schon, dass es etwas verändert. Manchmal zum Guten, manchmal auch nicht, das hängt vom Verhältnis zu deiner Familie ab. Ich hatte immer einen guten Draht zu meinen Brüdern und wenn ich mit einem von ihnen in einer Band bin, ist es automatisch einfacher. Bei den Flecktones spielt ja mein Bruder Roy Schlagzeug und in meinen eigenen Bands habe ich oft meine Brüder Regi oder Joseph mit dabei. Das ist super und macht es sehr unkompliziert, weil ich mich bei ihnen anlehnen und mich auf sie verlassen kann. Es gibt keinen Wettstreit und den gab es auch nie. Uns ging es immer darum, uns gegenseitig zu unterstützen.

Du betreibst das sogenannte Bass Nature Camp. Worum geht es dabei genau?

Victor Wooten: Wir haben verschiedene Camps: „Bass-Nature“ ist nur für Bassisten, aber es gibt mit dem „Music-Nature“ auch ein Camp für alle Instrumentalisten. Neben der Musik geht es in diesen Camps um die Natur. Denn unser Campingplatz liegt im Wald und mir ist es wichtig, dass bei einem solchen Camp nicht den ganzen Tag Bass gespielt wird, sondern auch andere Dinge gemacht werden, wie Bogenschießen oder Basketball. Darüber hinaus haben wir einen Natur-Lehrer dabei, der den Teilnehmern beibringt, wie man im Wald Feuer macht und wie man die Natur spüren und genießen kann. Mein Gedanke dahinter ist: Alle Tätigkeiten, die wir lernen, wollen wir gerne auf eine natürliche Weise tun.

Wenn du mich interviewst, möchtest du natürlich sein, wenn man Auto fährt, möchte man nicht angespannt sein, sondern will, dass es ganz natürlich geschieht. Wenn ich Bass spiele, möchte ich mich nicht auf meine Finger und die Technik konzentrieren, sondern möchte es ganz natürlich tun. Das Wort natürlich bedeutet, wie die Natur zu sein. Wenn du natürlich bist, bist du Natur. Und das ist das Ziel. Ein Vogel muss ja auch nicht zur Musikschule oder in ein Camp gehen, um singen zu lernen. Und ein Biber muss nicht lernen, wie man Bäume zerkaut und sie dadurch zum Fallen bringt, sie werden mit dieser Fähigkeit geboren. Sie sind natürlich und das sind Menschen auch. Aber oft übersehen wir diese Fähigkeiten.

Aber ist Bass spielen denn etwas Natürliches?

Victor Wooten: Bass spielen nicht, aber Musik schon. Deswegen ist es mein Ziel, nicht Bass zu spielen, sondern Musik zu machen. Der Bass ist nur meine Methode das zu tun. Die meisten Leute konzentrieren sich zu sehr auf das Instrument und kommen nie bis zur Musik durch. Dabei ist es so einfach. Ein Kind, das Luftgitarre spielt, ist schon auf dem richtigen Weg. Das ist Emotion, das ist Musik. Also: Bass spielen kann etwas Natürliches sein, wenn du damit Musik machst.

Ist dein Bass demzufolge nur ein Werkzeug für dich?

Victor Wooten: Na ja, ich sehe das so: Nicht das Instrument macht die Musik, sondern ich. Damit du hören kannst, wie musikalisch ich bin, brauche ich einen Bass. Und ich kann zwar jeden Bass spielen, aber auf meinem eigenen bundierten Viersaiter fühle ich mich am wohlsten. Das ist dasselbe wie bei der Kleidung: Es ist egal, was du anziehst, man wird dich trotzdem erkennen. So ist es auch mit der Musik: Wenn ich mich wohlfühlen will, spiele ich meinen Viersaiter. Wenn die Musik aber etwas anderes verlangt, dann will ich vorbereitet sein. Deswegen muss ich dafür sorgen, dass ich auch mit einem Sechssaiter, einem Fretless, einem Kontrabass oder sogar einem Keyboard-Bass gut klarkomme.

Was sind denn in technischer Hinsicht deine Vorlieben?

Victor Wooten: Ich benutze live und im Studio normalerweise dieselben Bässe. Da wäre zum einen mein viersaitiger Fodera Monarch, allerdings habe ich auch Fünf- und Sechssaiter und auch Fretless-Instrumente von dieser Firma. Größtenteils sind meine Bässe von Fodera, aber ich besitze auch noch Bässe einiger anderer Hersteller. Wie viele es genau sind, weiß ich nicht, aber über die Jahre haben sich einige angesammelt. Was die Amps angeht, so verwende ich seit Jahren schon Hartke Hydrive 4×12“- und 1×15“-Speaker-Cabinets und meistens einen Hartke LH 1000 Amp.

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