Als der grüne Schreihals 1979 das Licht der Welt erblickte, war er noch sportlich schlank und mit zwei ICs gerüstet. In Form des TS-808 35TH kann man nun erstmalig ein Reissue-Modell dieser ersten „Narrow Box“ Version kaufen.
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Auch wenn Ibanez regelmäßig den Markt mit neuen, oder auch neuen alten Versionen des Tube Screamers bereichert, so konnte man in den Genuss der „Narrow Box“ bislang nur kommen, wenn man eines der seltenen, inzwischen sehr teuer gehandelten Originale ergatterte. Diese ursprüngliche Version unterschied sich sowohl äußerlich als auch schaltungstechnisch von den späteren „regulären“ TS808 und TS9, deren Sounds inzwischen Generationen von Gitarristen-Ohren geeicht haben. Nun bringt Ibanez anlässlich des Jubiläums ein ziemlich detailgetreues Reissue-Modell der damals nur ein knappes Jahr erhältlichen Version des TS-808 (noch mit Bindestrich) heraus. An der Seltenheit dieser schmalen Kiste ändert sich dadurch leider nicht viel, denn Ibanez hat das Jubiläums-Teil auf weltweit 3500 Stück limitiert.
k o n s t r u k t i o n
Die Wiederauflage ist dem Original auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich und somit leicht vom populäreren „normalen“ TS808 bzw. dessen Reissue-Modell zu unterscheiden. Da wären: Das schmalere Gehäuse (6 statt 7 cm), die Balance- (statt Level) und Overdrive-Beschriftung über den originalgetreuen Poti-Knöpfen, die seitlichen Rallye-Streifen samt fliegendem Schmetterlings-Viech, der noch neben derEingangsbuchse befindliche 9-V-Miniklinken- Anschluss und die fehlende Batterie- Klappe. Im Inneren kann die Batterie lose im vorderen Freiraum des Pedals platziert werden, und wird dabei durch Schaumstoff am Platz gehalten. Daneben thront, eingeschoben in eine isolierende Plastik-Kassette, die kleine Schaltung, bei der das Platinen-Layout und die Art der Bauteile (inkl. authentischer, günstiger Kohleschicht-Widerstände und Tantal-Kondensatoren) bis auf die ICs 1:1 vom Original übernommen wurden. Die Ur-Version kam noch mit einem zweiten Doppel-OP-Amp, um – im Gegensatz zum Nachfolger – auch die I/O-Buffer per IC zu realisieren.
Eigentlich super, aber leider hatte der ursprüngliche „MP1458“-IC bei dieser Aufgabe unerwünschte Nebenwirkungen, weshalb Ibanez die Schaltung des ersten Tube Screamers etwas „drosseln“ musste. Vermutlich aus diesem Grund ist Ibanez bei dem Reissue-Pedal nicht ganz konsequent geblieben und setzt für die beiden Doppel-Operationsverstärker lieber auf den langzeiterprobten JRC4558, welcher eigentlich erst bei der nachfolgenden Überarbeitung 1980 im TS Einzug hielt. Naja, ein JRC4558 ist bei einem Tube Screamer ein relativ leicht verschmerzbarer Kompromiss. Bernd Meiser wird in einer seiner nächsten „Effektiv!“-Kolumnen gezielt auf diese Feinheiten des Ur-TS eingehen, sodass ich mich an dieser Stelle wieder ausklinke. Soviel sei aber noch angemerkt: Eigentlich hätten die Japaner den noch unverändert produzierten MP1458 ruhig nehmen können, denn sie haben ja auch die Schaltung beibehalten, bei der sich die Probleme (Störgeräusche beim An-/Ausschalten) ohnehin nicht äußern. Und wie TS-Spezis ja wissen, haben an sich kompatible ICs gerne schon mal entscheidende, mystische Klangeigenheiten vorzuweisen. Aber egal, Hauptsache das Pedal klingt – am besten natürlich „originalgetreu“ – aber dazu kommen wir gleich noch. Greifbarere Differenzen zum Original (ich habe hier das Pedal von Dieter Roesberg zum Vergleich) sind das fehlende „(r)“ über dem Ibanez „z“, ein etwas höheres Gehäuse an der Pedal-Vorderseite, das CE-Zeichen und das Gravur-Emblem auf der Bodenplatte sowie ein je nach Lichteinfall leicht dunkleres Grün – alles Kleinigkeiten, die man selbst als TS-Nerd erst auf den zweiten Blick registriert.
Ansonsten ist dieses Reissue-Modell schon mit allen geliebten TS-Merkmalen ausgestattet, welche für den typischen „Green Sound“ verantwortlich sind: Verzerrt wird erst ab etwa 700 Hz, und auch nach oben hin wird der Overdrive gefiltert. Das bringt den typischen Mitten-Fokus wie bei einem alten (etwas irreführend bezeichneten) Treble- Booster. Entscheidend ist auch die TSEigenheit, dass der Tube Screamer im Ausgangssignal noch einen Anteil des unverzerrten Direktsignals mitführt, wodurch Dynamik und Ansprache schön organisch bleiben. Die Sättigungs-Kurve der Schaltung mit weichem, symmetrischem Dioden-Clipping weist eine gelungene Ähnlichkeit zum Verhalten einer Vorstufenröhre in einem ordentlich angepusteten Amp auf, sodass der TS-Sound schon bei seiner Markteinführung vertraut und „richtig“ klang, und das nahezu unabhängig von Gitarre und Verstärker. Dadurch kam man auch die letzten 35 Jahre so gut mit den gerade mal drei Reglern für Verzerrung, Lautstärke und EQ aus, wobei Letzterer mit seiner aktiven, eleganten Wirkungsweise ebenfalls einen Beitrag für den Erfolg des Pedals geleistet hat.