John Petrucci zu ‘Images And Words’ von Dream Theater
von Matthias Mineur,
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Als am 30. Juni 1992 die amerikanische Prog-Metal-Band Dream Theater ihre zweite Scheibe ,Images And Words‘ veröffentlichte, veränderten sich innerhalb weniger Monate wichtige Parameter der Musikindustrie. Das anspruchsvolle Werk verkaufte sich wie geschnittenes Brot, auch weil – zur Überraschung aller Beteiligten – die Album-Nummer ,Pull Me Under‘ sogar im Radio gespielt wurde, obwohl sie mit einer Länge von mehr als acht Minuten alle gängigen Hörfunkformate sprengte.
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Songs wie ,Pull Me Under‘ bedeuteten den weltweiten Durchbruch für Dream Theater und sind bis heute die erfolgreichsten Veröffentlichungen der Band. Anlässlich des Jubiläums ihres Überraschungs-Coups feiert die Band den Klassiker zurzeit auf einer gezielt darauf ausgerichteten Tournee namens ,Images, Words And Beyond‘ . Wir trafen Gitarrist John Petrucci bei einer Show in Lingen und verglichen mit ihm Gegenwart und Vergangenheit ihres wichtigsten Karriereschubs.
John, welche Erinnerungen hast du an die Produktion von ,Images And Words‘? Das müssen aufregende Zeiten gewesen sein, im Herbst ‘91.
John Petrucci: Ja, es waren in der Tat sehr spannende Monate. Für mich bedeuteten die Aufnahmen zu ,Images And Words‘ die ersten wirklich professionellen Studioarbeiten. Wir hatten zwar bereits zwei Jahre zuvor unser Debüt ,When Dream And Day Unite‘ aufgenommen, dafür aber lediglich drei Wochen Zeit gehabt. Für ,Images And Words‘ dagegen gab es erstmals ziemlich konkret ausgearbeitete Demo-Aufnahmen zu allen Songs, zudem existierten drei professionell aufgenommene Demo-Tracks, die wir bei unserer Plattenfirma abgeliefert hatten, was dann zu unserem Vertrag führte.
Welche Songs konkret meinst du?
John Petrucci: Soweit ich mich erinnere waren es ,Metropolis‘, ,Pull Me Under‘ und ,Take The Time‘. Wir hatten mit James einen neuen Sänger und die Plattenfirma wollte hören, wie die neue Besetzung klingt. Natürlich besaßen wir nicht allzu viel Studio-Erfahrung, und auch nicht sonderlich viel Equipment. Ich spielte damals einen Mesa/Boogie-Quad-Preamp und einige kleine Effektgeräte. Aber unser Engineer Doug Oberkircher und der Produzent David Prater hatten ihre eigenen Sound-Vorstellungen. Also nahm ich meine Gitarren über eine kleine 1x12er-Box auf, die dem Studio gehörte. Ich hatte keine Ahnung, um welche Marke es sich handelte und welcher Lautsprecher sich darin befand. Generell besaß ich damals noch sehr wenig Wissen über Technik. Ich wusste zwar, was mir gefällt, aber nicht, wie man zum gewünschten Resultat kommt. Doug und David waren jedoch sehr kreativ und hatten einige tolle Ideen.
Wie zum Beispiel den sagenhaften Sound im Intro von ,Pull Me Under‘.
John Petrucci: Tatsächlich ein sehr gutes Beispiel, übrigens mit einer Technik, die ich noch heute gelegentlich anwende. Doug ließ mich den Intro-Part insgesamt sechs Mal spielen und verlangsamte bei jedem Durchgang die Bandmaschine ein klein wenig stärker. Damals wurde ja noch auf analogen Bändern aufgenommen. Durch diese minimalen Veränderungen des Tempos entstand ein sagenhafter Chorus-Effekt, der noch zusätzlich gesteigert wurde, weil Doug mich den Part anschließend auch noch mit einer Akustikgitarre spielen ließ. Ich besaß gar keine eigene Akustikgitarre, aber Doug besorgte mir eine alte Gibson aus seinem Bestand. Der Sound der Akustikgitarre stammt aus einem kleinen Zoom-Effektgerät. Es waren damals also eher Studiotricks anstatt eines riesigen Racks mit tausend Möglichkeiten, die den Sound der Scheibe bestimmten. Für mich eine sehr lehrreiche Produktion.
Gab es damals auch schon deine legendäre Ibanez-Picasso-Gitarre?
John Petrucci: Ja, sie wurde mir explizit für dieses Album zur Verfügung gestellt.
Weil sie niemand anderes wollte, richtig?
John Petrucci: Du kennst die Geschichte? Ja, es stimmt. Ich bat Ibanez um Unterstützung für die Produktion von ,Images And Words‘ und bekam als Antwort: „Nun, wir helfen dir gerne. Es gibt hier ein ziemlich hässliches Exemplar in Pink, das wir dir schicken könnten.“ Ich erwiderte: „Die Farbe ist mir egal, Hauptsache die Gitarre klingt gut.“ Als ich im Studio zum ersten Mal den Koffer öffnete, war ich von der Picasso sofort total begeistert. Anschließend tourte ich sogar mit dieser Gitarre, die obendrein zu meinem ersten Signature-Modell wurde.
Für wen wurde deine erste Picasso eigentlich ursprünglich gebaut?
John Petrucci: Ehrlich gesagt weiß ich es gar nicht so genau. Die Gitarre war auf jeden Fall custom-made, die Lackierung wurde per Hand aufgetragen. Ich glaube, es handelte sich um den Alleingang eines Mitarbeiters.
Auf welchem Level war deine Spieltechnik?
John Petrucci: Schon sehr weit vorangeschritten. Ich war damals 25, spielte bereits seit meinem 12. Lebensjahr und hatte mir in dieser Zeit eine Menge Fingerfertigkeiten angeeignet.
Bild: Matthias Mineur
Bild: Matthias Mineur
Wie viel Zeit hattest du für die Gitarrenaufnahmen?
John Petrucci: Das ist schwer zu sagen, denn wir nahmen die Gitarren nicht in einem Rutsch, sondern mit diversen Unterbrechungen auf. Ich spielte ein paar Tage, dann wurde an anderer Stelle der Produktion weitergemacht, anschließend spielte ich wieder. Ich lebte damals in Long Island, New York, und das Studio war in Rockland County, nur eine knappe Stunde entfernt, sodass ich zwischendurch immer mal wieder nach Hause fuhr. Ich erinnere mich daran, dass ich für ,Under A Glass Moon‘ die Rhythmusgitarren bereits aufgenommen hatte und zu Hause bei meiner Frau im Wohnzimmer saß, um ein Solo für den Song auszuarbeiten. Die Gitarren-Parts wurden also Stück für Stück eingespielt.
Hast du zu allen deinen Parts noch eine emotionale Beziehung? Hat sich dein Geschmack geändert? Gibt es Passagen auf ,Images And Words‘ , die dir heute nicht mehr gefallen?
John Petrucci: Ich habe den emotionalen Bezug zu diesen Songs nie verloren. Auch heute noch, wenn ich sie spiele, weiß ich immer ganz genau, woher die Inspirationen für bestimmte Parts stammen. Wir alle waren damals große Iron-Maiden- und Rush-Fans, außerdem stand ich total auf das Buch „Chord Chemistry“ von Ted Greene. Einige Akkorde in Songs wie ,Take The Time‘ , ,Learning To Live‘ oder auch in ,Pull Me Under‘ stammen daraus. Ich weiß natürlich nicht, ob ich heute noch genauso spielen würde, denn in der Zwischenzeit habe ich neue Dinge entdeckt, darunter die siebensaitige Gitarre, tiefere Tunings, ich weiß mehr über Studios, über Harmonielehre, über Mesa/Boogie-Amps. Mein Sound ist heavier geworden und hat heute mehr eigenen Charakter, wie ich finde. Wenn ich das Album heute noch einmal aufnehmen würde, hätten die Gitarren sicherlich einen dickeren und härteren Sound. Trotzdem mag ich den Klang der Originalscheibe auch heute noch.
Hörst du Unterschiede zwischen deiner damaligen Ibanez-Gitarre und den heutigen Music-Man-Modellen?
John Petrucci: Oh ja, natürlich. Die Music Man klingt tausendmal besser. Damals verwendete ich auch noch dünnere Saiten, ich glaube es war ein normaler .009er-Satz.
Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Musiker John Petrucci damals und heute?
John Petrucci: Gute Frage, darüber muss ich kurz nachdenken … Ich vermute, dass mein Melodieverständnis größer geworden ist. Man kann das sehr gut auf den neueren Dream-Theater-Alben nachvollziehen. Ich nenne es immer meine „Post-G3-Entwicklung“, weil ich durch Kollegen wie Joe Satriani und Steve Vai lernen durfte, welch wunderbar melodisches Instrument die Gitarre ist. Bei ihnen konnte ich mir abschauen, wie man die Gitarre durch eine melodischere Spielweise mehr in den Vordergrund rücken kann. Auf ,Images And Words‘ kann man dies nur sehr vereinzelt entdecken. Außerdem basiert mein Songwriting seit der G3-Erfahrung stärker auf Riffs, wie man in Songs wie ,Dark Eternal Night‘ (vom Album ,Systematic Chaos‘, 2007) oder Stücken meiner Soloscheibe, wie etwa ,Jaws Of Life‘ oder ,Damage Control‘ hören kann. Sie alle haben am Anfang dieses riesige GitarrenRiff, das den Song bestimmt. Auf ,Images And Words‘ gab es so etwas noch nicht.
Bild: Matthias Mineur
Spielst du auf der aktuellen Tour die Songs von ,Images And Words‘ zu 100% wie auf der 1992er Vorlage?
John Petrucci: Das war unsere Vorgabe, als wir entschieden haben, das Album komplett auf die Bühne zu bringen. Alle Parts, sämtliche Melodien, Riffs, Soli sind haargenau wie auf der Vorlage. Allerdings: Wir fügen ein paar Extrateile hinzu, die es im Original nicht gab. Manchmal jammen wir am Ende eines Songs, mitunter gibt es einen zusätzlichen Solo-Part, der früher nicht existierte.
Unterscheiden sich die heutigen Live-Versionen von denen der ‘92/93er Tour?
John Petrucci: Ja, definitiv. Als wir damals das Album auf die Bühne brachten, machten wir uns über die essentiellen Parts der Songs nicht allzu viele Gedanken. Wir spielten die Stücke einfach so, wie wir sie vor den Studioaufnahmen geprobt hatten. Jetzt, nach 25 Jahren, achten wir viel genauer auf das exakt richtige Tempo, auf das richtige Grundgefühl, das die Studio-Versionen besitzen. Wir wollen, dass die neuen Live-Versionen exakt wie die 1992er Studiofassungen klingen. Als wir jünger waren, spielten für uns solche Aspekte nur eine untergeordnete Rolle …
Hinsichtlich der Shows haben wir uns entschieden, etwas zu präsentieren, was beim Publikum in jeder Hinsicht einen tiefen Eindruck hinterlässt. Die Leute sollen uns spielen sehen und denken: „Unglaublich! Wie machen die das? Diese technische Perfektion, dieses tighte Zusammenspiel.“ Aber wie gesagt: Von Zeit zu Zeit verlassen wir dieses stringente Muster. Es gibt ein Schlagzeugsolo, in ,Take The Time‘ fügen wir dem originalen Arrangement am Ende einen zusätzlichen Solopart hinzu, bei dem ich ein paar Sachen aus meinem Solo-Album zitiere.
Hat dich die dagegen vergleichsweise disziplinierte Vorgehensweise auf der langen Tour zu ,The Astonishing‘ müde gemacht?
John Petrucci: Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe die Tournee zu ,The Astonishing‘ von Anfang bis Ende genossen. Es war die am besten vorbereitete und am genauestens strukturierte Show, die wir jemals auf die Bühne gebracht haben. Ich habe die außerordentliche Beständigkeit geliebt, denn so gab es nicht einen einzigen Abend, an dem ich vor Show-Beginn nervös war. Ich wusste immer in jeder Sekunde, was passieren würde, dadurch war ich noch selbstsicherer als gewöhnlich …
,The Astonishing‘ war eine sehr dramatische, fast Broadway-mäßige Aufführung. Dagegen gibt es auf der aktuellen Tour keine Video-Screens, sondern nur einen großen Backdrop und viel Licht. Wir spielen alte und neue Songs, zwischendurch erzählt James kleine Geschichten über die Zeit, in der ,Images And Words‘ aufgenommen wurde, darüber wie es damals im Studio war. Es gibt Soli von Schlagzeug, Bass, Keyboards und Gitarre, diese Konzerte sind wie eine Feierstunde. Derzeit heißt es bei Dream Theater nur: Lasst uns Spaß haben und eine große Party feiern!