Hölzer aus der Nachbarschaft: Thermo-Optimierung bei Baton Rouge
von Carlo May, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Dieter Stork)
Das ist kein Gitarrentest, wie man ihn in Gitarre & Bass gewohnt ist. Diese beiden Gitarren von Best Acoustics Reinhardt in Tübingen – oben die Baton Rouge XO-170, rechts die XO-10 – kann man noch nicht kaufen, es sind Prototypen. Sie sollen Erkenntnisse liefern, ob man mit einheimischem Holz, das vor dem Bau einer speziellen Behandlung unterzogen wurde, Klangergebnisse erzielen kann, wie man sie von Gitarren aus Tropenhölzern kennt. Es geht darum, technische Verfahren zu entwickeln, um künftig exotische Materialien weitgehend durch Hölzer aus der Nachbarschaft ersetzen zu können.
Das erinnert so ein bisschen an frühere Epochen, als Generationen von Alchemisten versuchten aus Blei Gold zu machen. Warum diese Versuche scheitern mussten, wissen die Chemiker erst seit dem 19. Jahrhundert. Naturgesetze lassen sich halt nicht so einfach überlisten. Das braune Gold der Instrumentenbauer war und ist Palisander aus dem brasilianischen Regenwald. Die Möbel- und Furnierindustrie hat so lange extensiv Gebrauch davon gemacht, bis Rio Palisander so gut wie ausgerottet war. Heute tauchen ab und zu noch alte Lagerbestände auf, aus der Natur kommt nichts mehr.
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Bei der ungebremsten Vernichtung der globalen Regenwälder muss man damit rechnen, dass irgendwann auch andere klassische Tonhölzer wie Mahagoni oder Ebenholz nicht mehr zur Verfügung stehen. Auf nachhaltigen Anbau und verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen wird immer noch nicht genügend Wert gelegt. Der schnelle Profit steht im Vordergrund.
WAS KANN MAN TUN?
Tropenhölzer im Gitarrenbau zeichnen sich durch ihre molekulare Dichte bei relativ geringem Gewicht aus. Die Struktur und Härte scheinen für die hervorragenden Klangqualitäten ausschlaggebend zu sein. Europäische Hölzer, Kirsche, Birne, Erle etc. haben diese Eigenschaften nicht im gewünschten Maß. Gelänge es, diese Hölzer zu optimieren, könnte man eigentlich Gold herstellen, zumindest für die Gitarrenbauer. Sicher wird wohl immer exotisches Holz für teure Instrumente verfügbar sein, für Gitarren im mittleren und unteren Preissegment wäre allerdings ein Ausweg aus dem Problem mit der Holzverknappung segensreich.
(Bild: Dieter Stork)
Die Firma Best Acoustics Reinhardt aus Tübingen befasst sich in unterschiedlichen Ansätzen seit gut 20 Jahren mit thermischer Behandlung von Holz zur Klangverbesserung. Bis zum 31. Januar 2017 wurde drei Jahre lang wissenschaftlich nach Methoden der Holzoptimierung geforscht. Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft, arbeiteten Wissenschaftler der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde in Brandenburg an der Problemstellung. Es ist seit einiger Zeit bekannt, dass sich Klangeigenschaften von Holz durch Wärmebehandlung verbessern lassen. Der Einsatz von speziellen Öfen zur schnelleren Trocknung von frisch geschlagenem Holz ist in der Industrie Standard. Das ist hier nicht gemeint.
Bei der sog. Thermooptimierung wendet man ein anderes Verfahren an. Das aufgesägte Holz wird unter Sauerstoffentzug bei mehr als 150 Grad Celsius in einem Autoclav behandelt (Ein Autoclav – gr./lat. Selbstverschließend – ist ein gasdicht verschließbarer Druckbehälter, der für die thermische Behandlung von Stoffen im Überdruckbereich eingesetzt wird). Danach haben sich die Zellen im Holz verändert. Das Volumen ist reduziert, die Oberflächen sind härter und die Zellen nehmen danach keine Feuchtigkeit mehr auf. Gleichzeitig verändert das Holz seine Farbe, es wird in der Regel dunkler. Das liegt am Zucker in den Zellen, er karamellisiert. Eine Fichtendecke, die normalerweise strahlend weiß aussieht, ist plötzlich hellbraun wie eine Zederndecke. Dass sich in den Zellen etwas verändert hat, sieht man auch, wenn man die Decken durchleuchtet. Bei einer unbehandelten Fichte scheint das Licht durch, bei einer thermooptimierten nicht.
VOM LABOR IN DIE GITARRENWERKSTATT
Versuche mit wärmebehandeltem Holz gibt es nicht nur in Deutschland. In den USA kann man Tonholz unter dem Begriff Torrefied Wood kaufen. Es wird gern für Solidbodies verwendet, denn es soll der Gitarre den Charakter eines jahrelang eingespielten Instruments verleihen. Decken aus wärmebehandeltem Holz gibt es seit Jahren bei akustischen Gitarren diverser Hersteller.
Auch für Palisander oder Ebenholz als Griffbrettmaterial soll ein „hölzerner“ Ersatz gefunden werden, denn Versuche mit synthetischen Werkstoffen waren bislang wenig befriedigend. Eine neue Möglichkeit bietet nun das sog. Blackwoodtek. Es wird aus einem Nadelholz gewonnen, das unter Hitze gekocht und anschließend komprimiert wird. Wird es dann noch eingefärbt, sieht es fast wie Tropenholz, z. B. Palisander aus. Allerdings gibt es noch Probleme bei der Bundierung. Die Bünde wollen mitunter nicht recht halten.
Best Acoustics Reinhardt hat nun eine akustische Stahlsaitengitarre komplett aus wärmebehandelten Tonhölzern bauen lassen – erstmalig auch die Zargen. Hier musste ein großes Problem gelöst werden, denn normalerweise werden die Zargen mit Hilfe von Wasser in Form gebracht. Wie das hier gelöst wurde, ist z.Z. Geschäftsgeheimnis. Hals, Boden und Zarge bestehen aus heimischer Erle, die Decke aus heimischer Fichte. Alle Hölzer wurden vor dem Bau thermooptimiert. Das Griffbrett ist aus Blackwoodtek gefertigt, das indischem Palisander zum Verwechseln ähnlich sieht. Um die Klangqualität einschätzen zu können, wurde eine zweite Gitarre aus unbehandelten Hölzern gebaut: Decke aus Fichte, Hals aus Cedro, Boden, Zargen und Steg aus zertifiziertem Rio Palisander (die entsprechende CITES-Bescheinigung liegt der Redaktion vor). Beim Griffbrett hat man hier Ebenholz gewählt.
JETZT SIND DIE OHREN AN DER REIHE
Natürlich will man beide Gitarren vergleichen. Kann das Exemplar aus behandeltem Holz klanglich mit der Schwester aus heiligem Rio-Palisander konkurrieren? Nach dem Wunsch und den Vorstellungen der Gitarrenbauer sollten beide Instrumente von exzellenter Qualität sein. Wäre das so, könnte behandeltes Erlenholz eine Alternative zum teuren, seltenen Rio-Palisander sein, und die Gitarrenbauer bräuchten sich keine Sorgen mehr um hochwertigen Holznachschub zu machen. Vielleicht ist das aber auch zu viel verlangt. Erlenholz wird nie wie Palisander klingen. Holz ist ein komplexer organischer Werkstoff, der durch nachträgliche Eingriffe nicht grundlegend zu verändern ist. Möglicherweise ist die Gentechnik eines Tages in der Lage, Palisander zu synthetisieren. Tonholz aus der Retorte, in beliebigen Mengen herstellbar? Ob wir das wollen?
Zurück in die Gegenwart. Ein Vergleich der beiden Gitarren ist auch deshalb schwierig, weil einige Baudetails jenseits des Holzes zu unterschiedlich sind. Der Palisanderboden ist dreiteilig, die Erle zweiteilig, Hals- Griffbrett- und Stegmaterial sowie die Halsprofile sind unterschiedlich, somit ist ein verlässlicher A/B-Vergleich schwierig. Außerdem sind beide Gitarren nagelneu und nicht eingespielt. Eine qualitative Aussage ist dennoch möglich, denn die Erle scheint sehr ähnliche Resonanzeigenschaften wie Palisander zu haben. Beide klingen offen, klar und nuancenreich. Die (noch?) fehlende Wärme im Klang kann sich nach der Einspielphase entwickeln.
Bild: Dieter Stork
Bild: Dieter Stork
Der Boden aus thermobehandelter Erle
Die Erlengitarre ist vom Gewicht her etwas leichter und im Klang ausgewogener. Während das Palisander wahrnehmbar die Mitten hervorhebt, verteilt die Erle das Klangspektrum deutlich gleichmäßiger. Beide Instrumente sprechen federleicht an und sind recht laut. Die Erle sogar noch etwas mehr als die Kollegin aus dem Regenwald. Es ist ein echtes Vergnügen sie zu spielen und die Fähigkeiten der beiden zu erforschen. Vergessen wir nicht, es sind Prototypen, die von Hand gebaut wurden Die Gitarrenbauerin Franziska Kössl aus Süddeutschland hat hier hervorragende Arbeit abgeliefert.
Bild: Dieter Stork
Bild: Dieter Stork
Dreiteiliger Boden und Zargen aus Rio-Palisander, Hals aus Nato
Bild: Dieter Stork
Der Boden besteht aus drei Teilen Rio Palisander; für das Holz liegt eine CITES-Bescheinigung vor, da es vor 1992 nach Europa eingeführt wurde und daher als Vorerwerbsware gehandelt werden darf.
Einen biologischen Unterschied kann die Thermooptimierung allerdings nicht beseitigen: Im Gegensatz zum optisch höchst attraktiven Palisander sieht die behandelte Erle recht schlicht aus. Keine auffällige Farbe, Maserung oder Holzstruktur. Zusammen mit der dunklen Fichtendecke ist die Gitarre ungefähr so schick wie ein Bundeswehrparka. Eine schöne Sunburst-Lackierung könnte sicher helfen.
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Best Acoustics Reinhardt hat sich auf ein bemerkenswertes Experiment eingelassen, Mut zum unternehmerischen Risiko inbegriffen. Die Gitarren sollen künftig unter dem Namen Baton Rouge angeboten werden und es soll zwei Modellreihen geben: Gitarren aus massiven Hölzern und Gitarren aus gesperrten Hölzern, in beiden Fällen aus thermooptimierten Werkstoffen. Die Preise sollen bei den massiven Versionen deutlich unter € 1.000 liegen, bei den gesperrten unter € 500.
Bild: Dieter Stork
Die Decken beider Gitarren sind aus demselben Stück deutscher Fichte gefertigt. Die thermobehandelte Decke ist dunkel ...
Bild: Dieter Stork
... die unbehandelte hell, so wie man es kennt.
Die Forschungen in Eberswalde werden weitergehen, denn – wie immer in der Wissenschaft – mit jeder gefundenen Lösung tauchen zehn neue Fragen auf. Es gibt längst noch nicht genügend Erfahrungswerte. Wie lange muss das Holz in den Ofen? Bei welcher Temperatur? Welche Bedingungen für welche Holzsorte? Das Feuer unter den Holzkochern wird so schnell nicht ausgehen.
Sehr guter Artikel – danke für das Aufgreifen dieses Themas!
So unschön wie beschrieben finde ich den abgelichteten Erlekorpus nun aber nicht – Schönheit liegt im Auge des Betrachters 😉