US-Gitarrist Joe Satriani (*15.07.1956) hat ab 1986 die Gitarristen-Szene nachhaltig aufgemischt, und – neben seinem ehemaligen Schüler Steve Vai – eine ganze Musikergeneration dazu gebracht, sich eine Super-Strat zuzulegen und sich mit Themen wie Sweep-Picking, Two-Hand- Tapping, Legato-Spiel, ausladenden Akkorden oder teils exotischen Skalen und Arpeggien auseinanderzusetzen.
Bis dahin waren drei Alben erschienen, darunter der Genre-Klassiker ,Surfing With The Alien‘. Die Fans durften gespannt sein, wie Joes erstes Album in den 90ern ausfallen würde, ein Jahrzehnt in dem der Gitarren- Rock durch Kurt Cobain und seine Band Nirvana mächtig auf den Kopf gestellt worden war. Grunge-Bands wie Soundgarden und Alice In Chains klangen ungeschönter, drehten ihre Amps laut auf, schauten zurück auf Punk-Rock und die Riffs von Black Sabbath – glattpolierter Hair-Metal und exaltierte Solisten waren passé, rauer Rock ‘n‘ Roll mit Haltung war wieder angesagt.
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Hierzu stellte im Sommer 1992 ,The Extremist‘ in vielerlei Hinsicht einen Gegenpol dar. Schon die Eröffnungsnummer zeigte, dass sich Satriani von all dem nur wenig bis gar nicht tangieren ließ. Das im Midtempo rockende ,Friends‘ spiegelt mit seinen Dur-Harmonien das Thema des Stücks wieder. Im Mittelpunkt steht eine satte Melodie-Linie, die übergeht in virtuose Solopassagen. Von Beginn an sind Satrianis Fingerton und sein satter Zerr-Sound präsent. Eine andere Stimmung dann im Titelstück, das nach Sitar-artigem Intro abrupt in ein klassisches Heavy-Riff wechselt. Richtig gut kommt der treibende Groove der Rhythmus-Brüder Gregg (dr) und Matt Bissonette (b). Und Harp-Einlagen, ebenfalls gespielt von Satriani, färben das Stück kurzzeitig bluesig ein.
Immer wieder finden sich gitarristische Kabinettstückchen, wie in ,War‘ diese grandiosen „abstürzenden“ Töne in der Bridge. Mit dem scharfen und schnellen ,Summer Song‘ surft Joe erneut mit den Aliens um die Wette. Auch der ,Motorcycle Driver‘ geht straight nach vorne. Schließlich passt auch ,Why‘ in diese Song- Kategorie. Es ist verblüffend, wie hier das Intro-Riff mit dem satten Halleffekt und den Vibratohebel-Einlagen nach Eddie Van Halen klingt. Doch dann übernimmt eine Melodie à la Joe das Kommando. Vielseitigkeit und die für Satriani inzwischen typischen Heavy-Riffs boten und bieten beste Instrumental-Rock-Unterhaltung.
Hiervon hob sich der eher ruhige ,New Blues‘ ab. Nach einem verzwirbelten Bass-Intro, ebenfalls gespielt von Joe, kommen vorsichtig einige Gitarrentöne ins Spiel, die sich nach und nach zu einer Melodie verdichten. Keyboards, Bass und Drums ziehen an und die Gitarre hebt erstmals opulent ab. Dann ein Blues-Rock-Riff, ein paar ultrascharfe Fade-Ins der Gitarre und ab geht‘s mit einem Shuffle-Part, nun befeuert von Simon Phillips (dr) und den Keyboard-Sounds von Phil Ashley. Einfach nur gut, dieser neue Blues, der eigentlich gar keiner ist, sondern mehr ein dynamischer Hybrid, der zwischen Jam- Rock und dem Texas-Blues-Rock von ZZ Top hin und her wechselt. Und einfach nur abgefahren geraten hier die High-Speed-Tappings – kann man mögen oder nicht, aber bei Satriani fällt so etwas immer tragend aus und wirkt wie eine einzige dichte Klangwolke.
Doch der wirkliche Star dieses Albums ist die Ballade ,Cryin’‘: Die Melodie mit ihren dramatisch langgezogenen Tönen über einer leicht jazzig aufgeladenen Keyboard-Fläche strahlt immer noch etwas Zeitloses aus. Im Solo zeigt Joe mit seinem bluesigen Spiel klassische Qualitäten der Marke Jimmy Page. ,Cryin’‘ war für die 90er-Jahre das, was Gary Moores ,Still Got The Blues‘ für die 80er war. In Deutschland lernten Fußball-Fans das Stück als beruhigende Untermalung in der Sat1-Sportsendung „ran“ kennen.
,Cryin’‘ hat für Satriani die Tür zum Mainstream-Markt weit aufgestoßen. In den USA landete ,The Extremist‘ auf Rang 22 der Charts, in England sogar auf Platz 13. Im selben Maße, wie Satriani stets neues musikalisches Gebiet erforschte, hatte er auch durch seine Ideen dem Instrument E-Gitarre einen Evolutionsschub verpasst. Satriani ist bekannt für die von ihm mitentwickelten Ibanez-Signature-Modelle. Live setzte er damals die JS-1, JS-2, JS-3 und JS-6, eine Ibanez Electro- Acoustic und eine Chet-Atkins-Nylonstring von Gibson ein. Zu den Live-Effektgeräten gehörten ein Cry-Baby-WahWah, ein Boss-Distortion, ein Boss-Chorus und zwei Chandler-Digital-Delays. Verstärkt wurde mit einem Marshall-100-Watt-Top und zwei 4x12er- Boxen. Im Studio kamen noch weitere alte Marshall-Amps (darunter auch ein Combo), ein Peavey-Van-Halen-5150 und ein Boogie-Dual-Rectifier zum Einsatz.
Doch noch einmal zurück zur Musik von ,The Extremist‘, die verglichen mit den musikalischen Entwicklungen der 90er-Jahre gar nicht so extrem ausfiel. Und im Vergleich zu Joes Vorgänger- Alben fehlte vielleicht sogar etwas das Überraschungsmoment. Dafür zeigte sich Satriani als gereifter Songwriter und wieder einmal als Rock-Gitarrist, der seine exakte Spieltechnik mit einem großen Spielgefühl ausbalancierte. 25 Jahre später mutet dieses Album geradezu klassisch an.