Nirvana, Soundgarden, Alice in Chains – diese US-Bands hatten die Musikwelt zu Beginn der 90er-Jahre hart durchgeschüttelt und dem Rock ‘n‘ Roll einen Tritt in den Allerwertesten verpasst. Die Gegenbewegung aus UK ließ nicht lange auf sich warten. Radiohead, Blur, Suede und Pulp veröffentlichten großartige Alben, die die englische Presse unter dem Stichwort „BritPop“ etikettierte. Der Name sollte zum Ausdruck bringen, dass sich diese musikalisch teils sehr unterschiedlichen Acts deutlich auf die lange UK-Tradition bezogen, die wegweisende Bands wie The Rolling Stones, The Kinks, The Who, Pink Floyd, The Sex Pistols, The Stranglers und The Jam hervorgebracht hatte.
Im August 1994 eroberte eine neue Band aus Manchester den Thron der englischen Album-Charts: Oasis bestand aus den Brüdern Liam (voc) und Noel Gallagher (g), Paul „Bonehead“ Arthurs (g), Paul McGuigan (b) und Tony McCarroll (dr). Und mit ,Definitely Maybe‘ landeten sie einen Erfolg mit Ansage: Nach den Plätzen 31, 11, und 10 in den Single-Charts folgt dann eben die 1 fürs Album und schließlich zwei weitere Top-10-Singles. Diese Songs pack(t)en vom ersten Moment an. Laute, crunchige Gitarren-Akkorde, ein melodiöses Lick, ein anschwellendes Feedback, ab geht‘s und im Refrain singt Liam Gallagher, „Tonight I‘m a Rock ‘n‘ Roll Star“. Beeindruckend, wie dicht und kompakt diese Nummer produziert wurde. ,Shakermaker‘ ist ein rauer und lauter Ausflug in den Beat der 60er-Jahre mit Anklängen an die FabFour. Mit hypnotischen Drums transportiert ,Live Forever‘ psychedelische Einflüsse – 60s go 90s.
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Definitiv scharf kommt immer noch das Gitarren-Intro von ,Supersonic‘, der Übergang in eine monotone Strophe und schließlich der melodische Refrain – eine gute Wahl für die erste Oasis-Single. Und im hart rockenden ,Bring It On Down‘ geschieht dann genau das: „Es war eine Hommage an The Stooges, MC5 und Punk Rock“, kommentierte Noel später den Song. Kann man so stehen lassen. In ,Cigarettes & Alcohol‘ wird T-Rex‘ ,Get It On‘ neu belebt, die derb verzerrten Gitarren- Riffs in Intro und Strophe stehen wirklich kurz vor dem Plagiat. Darüber singt Liam so überbetont aggressiv wie Johnny Rotten. Schließlich drängten dann der pathetische Refrain und die einprägsamen Gitarren- Fills den Song in eine andere, eigene Richtung. Mit ,Definitely Maybe‘ legten Oasis einen sauberen Start hin, mit dem klassische Gitarren- Sounds Made in UK eine Renaissance erlebten. Verzerrung zwischen Crunch und satter Übersteuerung, immer wieder Hall, Delay plus Feedbacks und viel Achtel-Geschrammel prägten ein dichtes Klangbild.
Und was die Instrumente betraf wurde klassischer Kult betrieben: Noel hatte bereits in den Frühtagen seiner Band eine Vorliebe für Les-Paul- und diverse Thinline-Modelle. Anfangs spielte er eine Epiphone Les Paul Standard, aber auch die Originale von Gibson. Daneben wird Gallagher mit semiakustischen Epiphone-Riviera- Gitarren in Verbindung gebracht. Später setzte er auch Epiphone- Sheraton-Modelle ein. Legendär ist die Epiphone Union Jack Sheraton imDesign der britischen Fahne. Kollege Bonehead hatte u.a. ebenfalls eine Riviera am Start. In Live-Mitschnitten stehen hinter beiden Gitarristen meist Amps und Boxen von Marshall. Bassist Paul McGuigan sah man immer wieder mit einem Fender- Telecaster-Bass.
Der Macher im Hintergrund war Noel Gallagher, der alle Songs – Musik und Texte – geschrieben hatte. Vor seinem Einstieg bei Oasis hatte er für Inspiral Carpets als Gitarrentechniker gearbeitet. Jetzt ging er mit seiner Band und dem Debüt-Album nach vorne, das so ganz anders klang als die direkte Konkurrenz aus UK. Wenn man so will, war bei Oasis der ungenierte und starke Retro-Bezug „neu“. So kommentierte Noel einmal ,Shakermaker‘ mit den Worten: „The Beatles, die größte Band der Geschichte, schreiben ,Hey Jude‘ und es hat eine billige Melodie. Unsere Singles sind billige Melodien. Habe niemals Angst vor dem Offensichtlichen, es ist alles schon mal gemacht worden.“ ,Hey Jude‘ eine billige Melodie? Tja, neu war auch die Arroganz und Provokation der Gallagher-Brüder, die in Interviews immer wieder mit deftigen Sprüchen die unmittelbare Konkurrenz dissten und später sich selbst gegenseitig fertigmachten, gerne auch vor oder nach einer Show.
Bekannt waren Oasis auch für ihren ausschweifenden Lebensstil: Die britische Yellow-Press nahm dies alles dankbar auf, der Hype um Oasis war von Beginn an riesig. Zudem definierte die Band – neben weiteren – mit ihrer Musik das neue englische Lebensgefühl unter dem Schlagwort „Cool Britannia“.
Hört man heute ,Definitely Maybe‘, so wirkt es einerseits wie ein Abend auf der Kirmes mit Freunden, inkl. Pommes, Backfisch, Bier, Zuckerwatte, Autoscooter und Schießbude. Macht also einfach mit seinem Pathos und der Rock-‘n‘-Roll-Attitüde richtig Spaß. Andererseits überrascht dann doch die Tiefe in der Musik und den Texten und letztlich die Konsequenz dieser Band. Oasis sind seit 2009 Geschichte, seitdem avancierten die in Interviews wiederkehrenden kontroversen Aussagen der Gallaghers zu einer Oasis-Reunion zu einem beliebten popkulturellen Mythos. Zu einer Wiedervereinigung wird es wohl auch dieses Jahr nicht kommen. Die Gallaghers haben jeweils Solo-Alben angekündigt. Für Noel ist 2017 überhaupt ein besonderes Jahr. Am 29. Mai wird er 50 Jahre alt, zudem spielt er mit seinen High Flying Birds im Vorprogramm von U2. Im Juli/August werden Gallagher und Band u. a. in Berlin, Amsterdam und Brüssel zu sehen und zu hören sein, ganz bestimmt auch mit dem ein oder anderen Oasis- Klassiker.