Interview mit ...

Gemma Ray: Eine Engländerin in Berlin

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Aus düsteren Twang-Gitarren, dramatischem Gesang und Vintage-Sound-Effekten strickt sich die Exil-Engländerin Gemma Ray ihr ganz eigenes musikalisches Kleid. Das ist definitiv in den Sixties verwurzelt, klingt aber dank Suicide-Elektro-Beats und Orgelklängen nie nach kalkulierter Retro-Masche, sondern extrem eigenständig.

(Bild: Schmidt, Matt Thorpe)

Seit ein paar Jahren wohnt die aus Essex stammende Musikerin in der deutschen Hauptstadt, kollaboriert mit Underground-Prominenz wie Thomas Wydler, Jon Spencer und Matt Verta Ray und verfolgt dort allen Widerständen zum Trotz konsequent ihre eigene musikalische Vision. Nach dem opulent produzierten ,Milk For Your Motors‘ ist diesmal Reduktion angesagt. Gemma Rays neues Album ,The Exodus Suite‘ transportiert den Live- Sound ihres Duos mit Andy Zamit an Drums und Orgel erstmals auf Platte.

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Interview

Gemma, dein neues Album hat einen anderen Sound …

Gemma Ray: Es ging vor allem darum Sachen wegzulassen, die ich nicht wollte. Die meisten Songs haben mit meinem Gitarrenspiel angefangen. Ich wollte, dass diese Platte so live und einfach wird wie möglich und schauen, wie weit ich ohne zusätzliche Instrumente kommen kann. Ingo Krauss, mein Engineer, ist sehr gut darin, Räume zu füllen ohne viel zu benötigen. Das hat mir Selbstvertrauen gegeben, mit wenigen Overdubs auszukommen und ich bin sehr zufrieden mit dieser einfachen Instrumentierung.

Du scheinst zwischen orchestralen und eher am Live-Sound orientierten Alben zu wechseln. Fehlt dir das eine, wenn du das andere machst?

Gemma Ray: Nicht wenn ich dabei bin, denn dann bin ich begeistert vom neuen Ansatz. Aber nach ein paar Wochen ändert sich mein Appetit … zur Zeit würde ich gerne etwas Glänzendes, Produzierteres machen. Das ist ganz natürlich im Leben, wenn du viel Süßes isst, willst du was Herzhaftes.

Wo hast du das Album aufgenommen?

Gemma Ray: In den Candybomber-Studios in Berlin mit Ingo Krauss. Das ist ein tolles Studio mit einem alten Telefunken-Pult, einer großartigen Echo-Chamber und besonderem Sound. Ingo hat viele Bandmaschinen, Bandechos und ist ein unglaublicher Engineer. Die Art und Weise, wie er die Mikros platziert, ergibt einen sehr natürlichen Sound, der aber auch sehr anregend und aufregend ist, mit viel Drama und Atmosphäre.

Der Gibson-Amp aus den Candybomber Studios sorgt für abgefahrene Tremolo-Sounds (Bild: Schmidt, Matt Thorpe)

Wie habt ihr die Songs eingespielt?

Gemma Ray: Wir haben live aufgenommen, mit Gesang, Gitarre und Drums und manchmal Bass. Es gab viele bewusste MikrofonÜbersprechungen. Mein Gesangs-Mikro hatte großen Anteil am Drum-Sound. Es gab kein Zurück, wir haben den Klang des Raums aufgenommen, nicht nur die Songs. Es gab nur ein Minimum an Overdubs, ein paar Chorstellen … aber die Gitarrensoli sind alle live. Das Gesangsmikro hat auch viel vom akustischen Sound meiner Gitarre aufgenommen, sodass ich keine Möglichkeit hatte sie neu einzuspielen.

Hast du die Songs mit der Orgel oder der Gitarre geschrieben?

Gemma Ray: Ich habe versucht, mir das Gitarrespielen zu verbieten (lacht), um zu sehen was passiert, aus alten Gewohnheiten herauszukommen. ,Caldera‘ und ,Come Caldera‘ wurden mit der Orgel geschrieben, sind aber live zu Gitarrensongs geworden, genau wie ,The Machine‘ und ,Shimmering‘. Es hat also funktioniert, denn ich habe so ein paar andere Songs geschrieben.

Hast du beim Schreiben schon bestimmte Gitarren-Sounds im Kopf oder kommt das später, wenn die Struktur des Songs klar ist?

Gemma Ray: Um ehrlich zu sein, bin ich eher so ein „one trick pony“, wenn es um Gitarren- Sound geht. Ich verändere die Einstellung nur geringfügig. Ich habe mit meinem Drummer hart an der Vorproduktion gearbeitet und versucht, nicht nur einfach Rhythmus zu spielen und dann Overdubs zu machen. Das hat sich aus dem Touren als Duo entwickelt, wo ich lernen musste, mehr auf meiner Gitarre zu machen, in einem Track. Im Studio hatte ich einen alten Gibson-Amp aus den Fünfzigern mit heftigem Tremolo und zwei Fender Twins, und ich habe alle Amps gleichzeitig aufgenommen und sie dann zusammengemischt. Mein Haupt-Amp ist ein Reissue Fender Evil Twin, mit 20 Watt extra, der einen weicheren Ton hat, die Höhen klingen nicht so klirrend wie bei den Vintage- Modellen.

Welche Gitarren hast du eingesetzt?

Gemma Ray: Hauptsächlich meine Hagstrom mit einem Gretsch-Pickup und Bigsby-Vibrato. Ohne Hebel fühle ich mich fast ein bisschen behindert, weil ich ihn sehr viel einsetze. Für den Picking-Song ,The Switch‘ habe ich meine Harmony Rocket gespielt.

Welche Stimmung verwendest du?

Gemma Ray: Open D Minor für die ganze Platte, also D A D F A D.

Gemmas Pedalboard v.l.n.r.: Boss DD7, Boss TR 2, Boss Blues Driver, MXR Phase 100, Moers Echolier, Pro Co Rat, Boss DD7, Boss DD7, Boss TU 2 – und zwei Messer für Gemmas Knife-Guitar-Slide-Sounds (Bild: Schmidt, Matt Thorpe)

Wie bist du auf offene Stimmungen gestoßen?

Gemma Ray: Als Teenager habe ich ein paar einfache Akkorde aus einem Buch gelernt, aber das fand ich sehr unbefriedigend und ich war ungeduldig, weil ich schnell Songs schreiben wollte. Ich dachte: „Warum muss ich all diese dummen Finger-Patterns lernen, warum stimmen Leute die Gitarre nicht auf einen Akkord um anzufangen?“ Das erschien mir logisch und dann habe ich acht Jahre in G-Moll gespielt und Millionen Jahre in D-Moll. Mir gefällt die Idee, eine Stimmung ein Jahrzehnt lang zu erforschen, so viele Songs in einer Tonart zu schreiben wie ich kann und dann weiter zu gehen. (lacht) Zur Zeit spiele ich aber auch mehr im Standard-Tuning, weil mich diese Gipsy-Jazz-Akkorde interessieren, ich nehme mir eine Auszeit von D-Moll. Manchmal stimme ich die G-Saite auch auf F#. Judah Bauer von der Jon Spencer Blues Explosion hat mir auch ein tolles hawaiianisches Tuning gezeigt und ich werde eine heftige Hawaii-Phase haben, wenn ich mal frei habe….

Im nächsten Jahrzehnt…

Gemma Ray: Yeah, yeah! Hahaha!!!

Welche Saiten spielst du?

Gemma Ray: Als ich jünger war, habe ich sehr dicke Saiten benutzt und auf C runtergestimmt, aber das hat live immer zu Problemen geführt. Mittlerweile benutze ich .011er Flatwounds.

Gemmas Live-Setup: Hagström, Harmony Rocket und ein Fender Twin (Bild: Schmidt, Matt Thorpe)

Bist du sehr wählerisch was Saiten und Plektren angeht?

Gemma Ray: Ja, ich bin ziemlich nervig und obsessiv. Ich benutze schon ewig Dunlop .088 Picks, die mit dem Textured Grip. Irgendwann haben sie die Form verändert und ich bin ausgeflippt. Mein Bassist sagte, stell dich nicht so an, es ist nur ein Plektrum, aber ich halte das Plektrum sehr seltsam und es ist eine sehr intime Sache. Jetzt gibt es wieder die alte Form und ich bin erleichtert. Ich war kurz davor einen Beschwerdebrief zu schreiben (lacht). In letzter Zeit spiele ich auch viel Lead-Gitarre. Ich habe ein altes Rat-Verzerrer- Pedal bei meinen Eltern gefunden und experimentiere mit härteren Plektren. Ich benutze immer das selbe Slide, ein Chrome-Slide, das kleinste das es gibt – für meinen kleinen Finger.

Live sieht man dich immer mit einem Fender-Twin-Combo und einer Menge Boss-Pedalen. Hast du außerdem noch spezielles Equipment, das du nur zum Aufnehmen benutzt?

Gemma Ray: Ich bin mit einem Watkins Copy Cat Tape- Echo durch die Gegend geflogen. Ich mochte, dass es unzuverlässig und auf eine Art lebendig war, aber irgendwann dachte ich, das ist albern, ein Boss DD3 erledigt den Job genauso. Ich benutze alte analoge Drum-Computer für diesen Alan- Vega-Beat und davon habe ich ein paar in meinem Studio. Außerdem ein paar Band- Echos und eine Teisco-Orgel aus den Siebzigern. Die habe ich auch live benutzt, aber es gab bei jedem Soundcheck Probleme, sie musste auseinandergenommen und gestimmt werden und daher bin ich auf die dunkle Seite gewechselt: Wir benutzen jetzt ein Clavia-Nord-Electro-Keyboard, das ich hasse (lacht). Falls ich eines Tages eine richtige Crew habe, gehe ich zurück zu dem Zeug, das ich vorziehe, aber solange ich alleine dafür verantwortlich bin, habe ich mein Live-Equipment etwas vereinfacht.

Wie mikrofonierst du die Gitarre im Studio?

Gemma Ray: Das habe ich Ingo Krauss überlassen, er ist der Sound-Meister. In meinem Studio benutze ich ein billiges Kondensator-Mikro oder diese Zigaretten-Mikros, die man oft an Drums sieht. Mir geht es mehr um die Performance und mit einem Fender Twin und meiner Gitarre kommt der Sound über fast jedes Mikro rüber.

Wie hast du den verrückten Tremolo- Sound auf ,We Do War‘ gemacht? Analog oder mit einem PlugIn?

Gemma Ray: Es gibt keine PlugIns auf der Platte, nur Bandmaschinen und Hall in Echtzeit. Das Tremolo kommt von dem Gibson-Amp.

Du scheinst sehr auf twangy Gitarren- Sounds zu stehen. Wie hast du die entdeckt, gab es da Vorbilder?

Gemma Ray: Das kam mehr von den Harmony-Rocket- Gitarren, die den ersten E-Gitarren-Ton hatten, den ich geliebt habe. Ihre DeArmond- Gold-Foil-Pickups haben diesen lovely Twang, sie klingen aber auch sehr dicht und haben viel Bass. Es war eher so, dass ich diesen Sound gefunden habe, ihn anregend fand und er mir so eine Art Bildersprache gegeben hat, die ich äußerst befriedigend fand. Vorbilder gab es da keine.

(Bild: Schmidt, Matt Thorpe)

Auf eine gewisse Art klingt deine Musik alt, aber ohne eine bestimmte Ära wieder aufleben zu lassen. Fühlst du dich missverstanden, wenn man dir dieses Retro-Label aufdrückt?

Gemma Ray: Ein bisschen. In den letzten Jahren wurde meine Musik oft sehr interessant beschrieben, da will ich mich nicht beschweren, aber als mein erstes Album rauskam, haben viele Mainstream-Journalisten etwas geschrieben wie: „Hier kommt die neue Duffy, Adele oder Amy Whinehouse.“ Dieser Major-Label-Retro-Kram hat aber nichts mit meiner Musik zu tun. Ich habe eher einen DIY-Punk-Rock-Ansatz Musik zu machen und zu veröffentlichen. Ich hatte nie ein großes Management oder viel Geld hintendran, ich mache einfach Kunst auf meine eigene Art. Das hat mich schon ein bisschen beleidigt. Ich war einfach eine weibliche Person mit ein paar stilistischen Attributen, Kleidern aus den Zwanzigern, Fünfzigern, Sechzigern. Es war ziemlich sexistisch, sie haben sich einfach nur das Presse-Bild angeschaut … Aber jetzt passiert das nicht mehr so oft, meine Musik beginnt langsam für sich selbst zu sprechen.

Heutzutage sind viele Menschen nicht mehr so interessiert an neuer Musik. In Casting-Shows und bei Tribute- Bands wird nur noch reproduziert. Warum schreibst du trotzdem deine eigenen Sachen?

Gemma Ray: Es gibt nur einen Grund dafür: um geistig gesund zu bleiben. Seit ich 14 bin, wusste ich, dass es das ist, was ich mit meinem Leben machen will, es macht mich glücklich, ist mein liebstes kreatives Ventil und es fühlt sich an als ob es die Aufgabe meines Lebens ist, Musik zu schreiben. Es ist sehr persönlich und die beste Art, wie ich es zelebrieren kann, ein menschliches Wesen im Jahre 2016 zu sein. Aber du hast Recht, es ist nicht der einfachste Weg heutzutage, man sieht selten viele junge Leute bei Konzerten, diese Kultur scheint zu sterben.

Ist es hart davon zu leben?

Gemma Ray: Ja, du musst ständig an Sachen arbeiten, die du nicht willst. Mein Album kommt in zehn Ländern raus und ich habe keine große Unterstützung hinter mir, damit es passiert, aber so ist es eben. Es ist viel Arbeit und zeitweise finanziell sehr hart, aber zu anderen Zeiten ist es gut. …

Lebst du nur vom Musikmachen oder machst du noch andere Jobs als Musiker?

Gemma Ray: Nein, ich habe keine anderen Jobs. Das habe ich zu lange praktiziert, um noch irgendwo anstellbar zu sein, ich bin ruiniert (lacht) Ich schreibe Filmmusik, das ist eine neue Sache für mich. Ich mag es, die Vision von jemand anders umzusetzen. Unterrichten könnte ich nicht, ich kenne kaum die Namen meiner Akkorde.

Vor ein paar Jahren bist du nach Berlin gezogen. Was war der Grund und wie gefällt es dir?

Gemma Ray: Das war Zufall. Ich lebte in London, war aber kaum da, weil ich ständig auf Tour war und es machte keinen Sinn mehr dort zu bleiben. Ein Freund hat mir für eine Zeit seine Wohnung in Berlin angeboten und dann bin ich einfach dageblieben, weil ich es geliebt habe. Finanziell ist es einfacher, aber ich habe auch viel Respekt vor der Stadt. Sie hat keine Vorurteile und ist offen, sehr relaxed und langsam, eher wie Dorf-Leben im Vergleich zu London. Berlin hat aber trotzdem viele spannende Kultursachen und große Museen. Es ist ein cooler Ort und ich habe dort mein eigenes Studio, was in London unmöglich wäre.


Aus Gitarre & Bass 01/2017

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