Es ist kein Geheimnis, dass ein beträchtlicher Teil von wahrhaft großartiger Musik in den dunkelsten Stunden ihrer Interpreten geschrieben wurde. Denken wir nur mal an den Song “The Show Must Go On” von Queen, der rückblickend auf Freddies Tod einfach nur ein herzzerreißender Abschied ist (“It’s a long story, that song, but I always felt it would be important because we were dealing with things that were hard to talk about at the time, but in the world of music, you could do it.” – Brian May). Oder “Wings for Marie” von Tool, ein persönlicher Abschied des Sängers Maynard James Keenan an seine verstorbene Mutter. Diese Stücke überzeugen nicht nur durch ihren bewegenden Hintergrund, sondern auch durch die unfassbar intensive und dichte Stimmung, musikalische Perfektion und Gänsehaut-Poesie.
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In der ersten Hälfte des Jahres 2014 wurde Daniel Gildenlöw, Sänger und Gitarrist von Pain of Salvation, in ein Krankenhaus eingeliefert. Was harmlos anfing, entpuppte sich bald als ein Ringen um das pure Überleben. Vier Monate lang verbrachte der Schwede in seinem Zimmer. In seinem Rücken ein Loch, durch das man bis auf die Wirbelsäule schauen konnte. Verursacht durch eine Infektion mit fleischfressenden Bakterien. Was der Bandchef aus dieser Erfahrung gemacht hat, lässt sich schwer ohne Superlativen beschreiben.
“In The Passing Light Of Day” ist das wohl brutal-ehrlichste Album der Bandgeschichte. Noch nie um schöne Worte verlegen, gelingt Gildenlöw auf diesem Konzept-Album ein Spagat zwischen ungeschminkter Offenheit und poetischer Schönheit, bei der selbst Plattitüden so geschmackvoll in den Kontext gesetzt werden, dass sie aufhören Plattitüden zu sein. Die klaustrophobische Stimmung seines Krankenzimmers – eine Welt reduziert auf das Krankenbett und die Dusche – sie ist fühlbar real. Man muss einfach den Hut davor ziehen, wie der Mann seine Gedanken, Hoffnungen und natürlich Ängste so verpackt, dass sie gleichzeitig unglaublich persönlich und doch allgemein gültig bleiben. Wie ein roter Faden zieht sich Trotz, Mut und der blanke Wille zum Leben durch diese düstere Geschichte. Und auch stimmlich ist Gildenlöw wieder absolut auf der Höhe – schreit, flüstert, spricht und singt sich durch die Songs, immer theatralisch, oft an der Grenze zum Kitsch und Pathos, niemals diese Linie im Sand überschreitend.
Und musikalisch? Gleiche Achterbahnfahrt. Das Lyrics-Song-Gefüge ist untrennbar miteinander verknüpft, Motive werden sowohl instrumental, als auch verbal wiederholt, miteinander verknüpft, in veränderter Form wieder aufgegriffen. Oft dient die Instrumentalisierung der Betonung der Texte, selten umgekehrt. Was nicht heißt, dass die Songs in den Hintergrund geraten. “In The Passing Light Of Day” ist von vorne bis hinten durchkomponiert, kein Ton, keine Betonung wurde dem Zufall überlassen. Die Produktion sitzt wie ein maßgeschneiderter Anzug, bei Daniel Bergstrand (In Flames, Meshuggah, Devin Townsend) aber auch kaum anders zu erwarten. Ragnar Zolberg, seit 2012 an der Leadgitarre, fügt sich bestens ins Bandgefüge ein und bereichert auch mit seinen schönen Backing-Vocals die Platte. Von hauchzarten Akustik-Anschlägen bis hin zu richtig harten Metal-Riffs, gerne mal vertaktet, schöpft die Band ihre musikalische Vielfalt hier aus dem gesamten Schaffen ihrer Karriere. Und auch hier gelingt der Spagat zwischen Abwechslung und Fokussierung auf das Ganze – zu keinem Zeitpunkt wird man gelangweilt oder überfordert.
Ist dies nun das beste Album der Band? Das kann und sollte man nicht beantworten. Es ist anders. Fans der alten Sachen werden bestimmte Elemente vermissen, Fans der neuen Sachen werden sich über alte Elemente wundern. Wer dieser Platte eine Chance geben möchte, sollte dies richtig machen. Mit Kopfhörern, dem Lyric-Blatt vor sich und mit Zeit.
Wie wundervoll, wenn aus einer so dunklen Erfahrung durch Kreativität so viel Licht gewonnen wird. Der Schmerz der Erlösung – Pain of Salvation eben.
“You’re watching me slowly slip away
Like the passing light of day
Watching the colors turn to grey
Like the passing light of day“
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