Tele goes Jazz:

Der Gitarrist Julian Lage im Interview

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Alles neu bei Gitarrenwunderkind Julian Lage! Der in New York ansässige Jazz-Gitarrist hat die Akustikgitarre gegen eine Telecaster eingetauscht und präsentiert auf seiner neuen Platte eine Mischung aus Jazz, Folk und Americana, die trotz aller Reminiszenzen an die US-Musikhistorie vor allem nach ihm selbst klingt.

(Bild: Justin Camerer)

Statt sich auf Bebop oder Fusion zu berufen, lotet Julian Lage die Frühzeiten des amerikanischen Jazz aus und spielt – neben wenigen Eigenkompositionen – vor allem Songs aus den Zwanziger- und Dreißiger- Jahren, die deutlich eingängiger klingen als die Stücke vieler seiner Genrekollegen. Abseits von abstrakter Harmonik swingt und twangt es an allen Enden, Folk- und Country-Elemente lugen um die Ecke und der leicht crunchige Tele-Sound zeigt, wie nah Jazz und Country beieinander liegen … wenn man die Genrescheuklappen zuhause vergessen hat. Wobei in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Jazz-Gitarristen auch Telecaster gespielt haben: Ed Bickert, Mike Stern, Tommy Tedesco, Bill Frisell, John Scofield.

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Interview

Julian, ,Arclight‘ ist deine erste Aufnahme mit einer elektrischen Gitarre. Ist das ein neues Kapitel in deiner Karriere oder nur ein neuer Sound?

Ich sehe das als Weiterentwicklung meiner Besessenheit von der Gitarre, die jetzt elektrisch verstärkt wird. Für mich hat es sich immer seltsam angefühlt, über einen Verstärker zu spielen, weil ich nicht verstanden habe, dass ich Gitarre spiele und der Sound woanders herkommt. Aber mit der Telecaster, einem Instrument, das designt wurde, um die Verbundenheit mit einem Verstärker zu ehren, habe ich angefangen Gitarre und Amp als ein wunderschönes dynamisches Instrument zu sehen. Das hat sich wie ein neues Klang-Universum angefühlt, war aber auch irgendwie sehr geerdet.

Hattest du mit der Telecaster einen speziellen Ton im Sinn oder hat sich der entwickelt, nachdem du dich entschieden hast, ein solches Instrument zu spielen?

Das hat sich entwickelt, parallel dazu das Instrument spielen zu lernen und mein Spiel darauf zu übertragen. Ich bin aber auch ein großer Fan vom Sound von Jimmy Bryant, George Barnes und Roy Buchanan und vielen anderen Meistern der elektrischen Gitarre und versuche immer noch zu verstehen, warum sie so gut klingen!

Was für eine Tele spielst du?

Auf ,Arclight‘ spiele ich eine Danocaster von Dan Strain in Nashville mit Ron Ellis Pickups. Sie basiert auf einer 60s-Tele und wiegt ca 3 kg, ist also ziemlich leicht. In der letzten Zeit habe ich eine alte 1954er Tele gespielt, vom Ende der Blackguard-Ära, die ich sehr liebe. Die 50s-Teles sind in vieler Hinsicht etwas ganz anderes, sie erinnern mich sehr an eine alte Archtop.

Welche Saiten benutzt du?

Ich benutze D’Addario .012er Roundwounds mit einer umwickelten G-Saite auf der Platte, bin aber kürzlich auf der Blackguard-Tele zu einem.011er Satz mit umwickelter G-Saite gewechselt, weil sich die Gitarre irgendwie steifer anfühlt und die .011er sich fast wie .012er spielen. Dein Ton hat immer eine leichte Verzerrung.

Woher kommt die?

Das ist nur der Amp, der etwas anzerrt. Ich spiele über einen 1953er Fender Tweed Super mit 2×10“-Speakern. Ich liebe diesen Amp!

Keine Pedale?

Fast richtig; nur der alte Tweed Super und ein Strymon Flint Reverb, das ich verehre!

Wie habt ihr den Amp im Studio mikrofoniert?

Der Amp war in einem Extra-Raum mit einem Sony C37 vor dem Speaker und einem anderen C 37 ca. 1,5 Meter entfernt in 1,5 Meter Höhe als Raum-Mikro. Ich hatte auch noch ein Akustik-Mikro direkt an der Tele, aber das haben wir glaube ich am Ende nie benutzt.

(Bild: Justin Camerer)

Die Telecaster ist eher für Country und Rock-Musik bekannt. Siehst du sie als einen frischen Sound für Jazz?

Ich sehe sie eher als neutralen, ehrlichen Sound, der für alles funktioniert was du möchtest. Eine Sache, die ich an der Telecaster wirklich liebe, ist, dass sie immer nach demjenigen klingt, der sie spielt. Sie hat ihren eigenen Sound und ganz spezielle Ästhetik, aber fast immer ist sie absolut brillant darin, zu enthüllen, wie der Spieler wirklich klingt und spielt. Sie ist wunderbar transparent!

Stehst du auf bekannte Rock- oder Country- Tele-Spieler und hatte einer von ihnen Einfluss auf dein Spiel?

Klar, es gibt so viele tolle Rock- oder Country- Gitarristen, die eine Tele spielen, die ich liebe! Ich liebe Keith Richards, Muddy Waters, Paul Butterfield, Danny Gatton, Jimmy Bryant, Vince Gill, Jeff Beck … es gibt so viele Helden!

Du bist 29 Jahre alt und hast schon in einem sehr jungen Alter angefangen Jazz zu spielen. Was hat dich daran interessiert? Es war ja nicht gerade die typische Teenager Musik damals.

Ich habe mich per Zufall in den Jazz verliebt. Ich war ein Blues-Player, besessen von Stevie Ray Vaughan, Eric Clapton, T-Bone Walker. Als ich mich immer mehr mit der Gitarre beschäftigt habe, haben meine Lehrer oft gesagt: „Wenn du besser werden willst, solltest du Jazz studieren.“ Also habe ich das gemacht, weil ich dachte Jazz wäre ein guter Weg Modes, Akkorde und Technik zu lernen. Dann habe ich Jim Hall, Charlie Christian und Bill Evans gehört und mich total in die Musik verliebt.

Viele der Songs auf ,Arclight‘ haben eine Folk- /Americana-Feeling,. Was gefällt dir an solch klassischer, amerikanischer Musik?

Am liebsten mag ich an der alten amerikanischen Musik diese wundervolle Verbindung von Songwriting und Performance, sie klingt sehr locker und trotzdem extrem konzentriert. Es ist definitiv eine meiner Lieblingsmusiken.

In Deutschland schauen viele Jazz- Musiker auf Rock- und Folk-Musik herab, weil sie ihrer Meinung nach zu simpel ist. Gibt es dieses Phänomen auch in den USA und was denkst du darüber?

Ich finde nicht, dass sie zu einfach ist. Wenn es einfach und nicht interessant ist, ist das eine Sache. Aber wenn Musik simpel und elegant ist, ist das ein Traum! Wie wichtig ist Theorie in deinem Spiel? Ich war immer ein Theorie-Nerd, ich liebe es zu verstehen, wie die Dinge von einem theoretischen Standpunkt aus funktionieren. Aber ich mag es auch die Regeln zu ignorieren und einfach meinem Ohr zu folgen, soweit das geht.

Denkst du dann eher in Melodien oder mehr in Skalen/Akkordwechseln?

Das kommt auf die Situation an. Ich schmeiße Dinge an die Wand und schaue was hängen bleibt. Noch wichtiger ist es mit den anderen Musikern zu spielen und dadurch hoffentlich die Band besser klingen zu lassen.

Wie würdest Jazz jemandem beschreiben, der deine Musik nicht kennt?

Ich liebe dieses Zitat von Wayne Shorter: „Jazz bedeutet: Ich fordere dich heraus!“ Ich sehe Jazz als ein Reich, in dem alles möglich ist und du ermutigt wirst von der Klippe zu springen und du selbst zu sein. Aber das könnte man vielleicht auch von jeder anderen Musik sagen, von daher ist es schwer zu sagen …

Wie bereitest du dich auf eine Studio- Session mit dem Trio vor?

Die meisten Songs dieser Platte habe ich in den Wochen davor arrangiert. ,Stop Go Start‘ hatte aber gar kein bestimmtes Arrangement. Ich denke, es kommt darauf an, ob der Songs sich besser anfühlt, wenn er etwas unbebauter ist oder ob er nach mehr Infrastruktur verlangt…

Kristallisiert sich manchmal auch ein festes Solo, heraus, wenn du Songs eine Weile spielst?

Sie haben die Tendenz sich immer wieder zu verändern, aber es gibt definitiv gewisse Strukturen, die sich von selbst herausbilden, wenn du einen Song immer wieder spielst, die in Harmonie mit dem Song selbst stehen. Es ist wie verschiedene Flugrouten zu finden, die Sinn machen. Aber die können nur ein Startpunkt sein und manchmal auch komplett ignoriert werden.

(Bild: Justin Camerer)

Mein Lieblings-Song auf dem Album ist ,Nocturne‘: Kannst du mir ein bisschen mehr über das Stück erzählen?

Ich liebe diesen Song! Geschrieben wurde er von einem britischen Bassist und Komponisten aus den 20er- oder 30er-Jahren, namens Spike Hughes. Ich mag es, wie geheimnisvoll und gruselig die Melodie klingt und dass der Song auf einem Moll- Akkord anfängt. Ich bin immer wieder überrascht, wie schwer es ist, solche getragenen Songs in Moll aus dieser Zeit zu finden, das macht mich echt fertig.

Im Outro von ,Harlem Blues‘ spielst du auch diese simplen Akkorde über einen Pedal-Ton vom Bass, was fast ein bisschen nach Pete Townshend klingt …

Ich denke, das ist eine Quinte auf der G und H-Saite mit der durchklingenden offene E-Saite.

Im Gegensatz zu vielen anderen Jazz- Gitarristen ist dein Solospiel nicht so dicht, mit weniger durchgehenden Achtel- oder Sechzehntel-Linien. Versuchst du bewusst mehr Platz zu lassen und melodischer zu spielen?

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung … Ich mag dieses dichte Spiel, wenn es gut gemacht ist, aber ich mag auch das melodische Spiel, wenn es gut gemacht ist. Ich bin definitiv ein Schüler beider Welten und versuche die goldene Mitte dazwischen zu finden.

Was sind deine Zukunftspläne mit der E- Gitarre? Hast du deinen Stil schon gefunden?

Ich will einfach weiter die elektrische Gitarre erforschen und lernen sie zu spielen. Es gibt so viel zu lernen!


Aus Gitarre & Bass 11/2016

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