Der Volksmund trompetet: Eine Fingerpicking-Gitarre sollte klein sein, für Strumming und Flatpicking sei dagegen eher eine große Gitarre wie eine Dreadnought angesagt. Doch wer sich bei der Ausübung von Kunst streng an die Normen hält, läuft große Gefahr, wenig Individuelles hervorzubringen.
Zwei der einflussreichsten Fingerpicker der ersten Generation haben uns z. B. vorgemacht, dass Fingerpicking sehr gut auf allen der heute üblichen Gitarrengrößen funktionieren kann: Abb. 1 zeigt Blind Blake mit seiner No-Name Parlor-Gitarre, und in Abb. 2 ist Reverend Gary Davis mit seiner berühmten J-200 zu sehen. Mit diesem Format scheint übrigens die für Steelstrings maximal sinnvolle Größe erreicht zu sein, denn alles was darüber lag (siehe Abb. 3), starb früher oder später aus. Dennoch hat die Größe des Korpus natürlich auch eine Auswirkung auf den Klang. Im heutigen Workshop betrachten wir zunächst einmal sehr genau das Zusammenwirken der Gitarrendecke mit dem Rest des Bodys.
Nur eine schwingende Fläche
Die Akustik-Gitarre arbeitet nach dem gleichen Prinzip wie eine Lautsprecherbox: Die schwingende Membran des Speakers entspricht der Gitarrendecke, die Luft in der Box der im Gitarrenkorpus und die Bassreflexöffnung ist das Pendant zum Schallloch. Während aber eine Lautsprecherbox meist so gebaut wird, dass Gehäuseschwingungen möglichst unterdrückt werden, sind die Schwingungen von Zarge und besonders vom Boden der Gitarre nicht nur erwünscht, sondern so heiß ersehnt, dass für die zuständigen Hölzer (zum Teil unter Missachtung des Artenschutzes) Unsummen ausgegeben werden. Auch die richtig guten Gitarrenverstärker sind so konzipiert, dass nicht nur der Lautsprecher den Ton macht, sondern auch die Gehäuseschwingungen.
In eine Lautsprecherbox können Speaker für unterschiedliche Frequenzbereiche eingebaut werden, die Gitarre muss dagegen mit einer Decke auskommen. Möglichkeiten, das Frequenzspektrum der Decke mit zusätzlichen Schwingungsflächen zu erweitern, wären durchaus möglich, und mindestens einen Versuch hat es dazu auch schon mit dem „Virzi Tone Enhancer“ gegeben, den Lloyd Loar für die von Gibson unter seiner Regie hergestellten Instrumente einführte. Die Abb. 4 zeigt dieses in Italien für Streichinstrumente entwickelte Anhängsel, das sich langfristig weder bei Geigen noch bei Gitarren und Mandolinen durchgesetzt hat. Die Abb. 5 zeigt Gitarren von Steve Klein, der ein Beleistungssystem mit freischwebenden Anteilen entwickelt hat, siehe die Abb. 6. Auch mit dieser Konstruktion könnte man der Decke schwingende Flä- chen hinzufügen, dafür dürften sie hier allerdings zu dick sein. Diese beiden Beispiele erinnern von ihrer Funktion her an den Breitbandlautsprecher mit aufgesetztem Hochtonkegel in der Abb. 7.
Bassvolumen
Experten bitte ich um Nachsicht ob meiner saloppen, nun folgenden Ausführungen, denn der Lautsprecher spielt hier eigentlich nur eine kleine Nebenrolle. Also, je größer das schwingende Luftvolumen in einer Box ist, umso mehr kommt man damit theoretisch in die klangliche Tiefe. Wie tief runter es bei einem gegebenen Volumen geht, bestimmt der Speaker. Die technischen Daten des in der Abb. 7 gezeigten Speakers und zwei seiner größeren Brüder verdeutlichen das in der Abb. 8. Die Graphen geben keine absoluten Lautstärken an, sondern zeigen die Volumina an, bei denen die Frequenz jeweils unter den 3-dB-Punkt sinkt. Wenn die Box noch kleiner wird, bleiben die Bässe noch mehr auf der Strecke. Zusammen mit den Daten der Abb. 7 zeigt sich, dass der Kleinste trotz seiner vergleichsweise hohen Eigenfrequenz bei gleichem Volumen viel weiter nach unten kommt als die Großen. Natürlich treibt seine kleine Membranfläche die Box nur zu einer geringeren Leistung an, aber die tiefen Frequenzen werden dabei besser bedient. Die in der Abb. 8 dargestellten Werte wurden nach Formeln berechnet, bei deren Entwicklung man mit Annäherungen Kompromisse eingehen musste. Da wundert es also überhaupt nicht, dass der gleiche Lautsprecher in einer flachen Box mehr Mitten und weniger Bässe bringt als in einer gleich großen Box, bei der das Volumen wie bei einem Subwoofer vornehmlich nach hinten genutzt wird. Schauen wir uns nach diesem Exkurs einmal die Bäuche von ein paar Gitarren an.
Gleich groß, unterschiedlich dick
Abb. 9 zeigt links das aktuelle Modell der LOO von Gibson und rechts das gleiche Modell von 1995. Die Abbildung 10 zeigt rechts die um 12,5 Millimeter tiefere Zarge des älteren Modells, die ihr im Vergleich zu ihrer dünneren Schwester rund 13 Prozent mehr Luft in den Bauch und damit einen deutlich bassbetonteren Klang bringt.
Unterschiedlich groß und dick
Die folgende Tabelle zeigt die Bodymaße (in cm) von drei Martin-Modellen.
Auffallend ist, dass die Kleinste, die O, unten etwa 3,2 Millimeter dicker ist als ihre beiden nächstgrößeren Schwestern. Während die Double-O sich ausgesprochen mittenbetont gibt, klingt die Kleinste sehr ausgewogen mit gutem Bassfundament. Das verdankt sie dem günstigeren Verhältnis von Deckengröße und Body-Volumen und zum anderen dem „Subwoofer-Effekt“, bedingt durch ihre tiefere Zarge. Die TripleO legt dann wieder im Bassbereich zu, weil sich hier die größere Decke und natürlich auch das größere Volumen stärker bemerkbar machen. Sie ist nicht umsonst Eric Claptons erste Wahl, denn diese Bauform gilt in dieser Größe als eine der ausgewogendsten und damit vielseitigsten Steelstrings überhaupt.
Diese beiden Beispiele zeigen sehr eindrucksvoll, wie sich im Gitarrenbau Deckengröße und Body-Tiefe für einen bestimmten Klang variieren lassen, und wie deutlich ein auf Gitarrenklänge geschultes Ohr dabei schon geringste Veränderungen heraushört, viel deutlicher als es gemessene Werte ausdrücken … und dabei haben wir hier nur Größenverhältnisse bei Gitarren ähnlicher Bauformen berücksichtigt! In der nächsten Folge werden wir untersuchen, wie man mit der Beleistung der Decke und den Saiten Einfluss auf die „Box“ der Gitarre nehmen kann.
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toller Artikel, auch wenn ich bloß die hälfte verstanden habe. Muss man sich reinfuxxen