Element Of Crime Gitarrist Jakob Ilja im Interview
von Marian Menge,
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Die Berliner Band Element Of Crime braucht man niemandem mehr vorzustellen. Seit über 30 Jahren ist sie ein fester Bestandteil der deutschen Musikszene – und das ohne je nennenswerte Chart-Erfolge gefeiert zu haben. Mit seltsam traditioneller wie eigenwilliger Musik haben sie sich eine eigene Nische geschaffen, die sie bis heute ganz allein bewohnen. Und genießen damit den Luxus, gänzlich ohne Druck alle paar Jahre ein Album herauszubringen und in aller Ruhe auf Tour zu gehen.
Zugegebenermaßen fällt es nicht ganz leicht, sich nicht der wehmütigen Melancholie, dem Fatalismus und dem unterschwelligen Witz von Liedern wie ,Seit der Himmel‘, ,Weißes Papier‘ oder ,Delmenhorst‘ hinzugeben oder sich von der unaufgeregten Schwere der sparsam instrumentierten Songs einlullen zu lassen. Aber wenn man es schafft, beim Hören einmal vornehmlich auf Jakob Iljas Gitarre zu achten, dann offenbart sich ein herrlich ungewöhnlicher Kosmos.
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Denn der Mittfünfziger hat die Gabe, mit wenigen Tönen, filigranen Sounds und intensivem Spiel den musikalischen Kontext der Element-Of-Crime-Songs in ein neues Licht zu rücken und Texten wie Songwriting mit Unbekümmertheit und ebenso mit Tiefe zu begegnen. Schnörkellos, humorvoll, reduziert, melodiös – um im richtigen Moment dann auszubrechen und auch mal die Zähne zu zeigen. Die Herangehensweise an und die Sichtweise auf Musik war bei Element Of Crime immer schon eine andere, entspanntere als bei den meisten deutschsprachigen Kollegen.
In dem im Jahr 2000 zusammen mit der Jazzkantine veröffentlichten Song ,Das war’s dann‘ brachte Sänger und Texter Sven Regener vor allem die Arbeitsmaxime des Element-Of-Crime-Gitarristen in zwei Zeilen auf den Punkt: „Spiel nicht so wild, du hast doch Gehirn“, heißt es da, und später: „Spiel nicht so schön, du hast doch Geschmack“. Treffender könnte man die beiden Pole des Spiels von Jakob Ilja nicht beim Namen nennen: Auf der einen Seite die Zurückhaltung und das Bewusstsein, dass Melodien und Pausen gleichwertige musikalische Ausdrucksformen sind. Auf der anderen Seite der Sinn für das Ausgefallene und die Lust, auch mal zu stören.
Vor einem Konzert der Band im Rahmen ihrer „Lieblingsfarben und Tiere“-Tour in Düsseldorf hatten wir uns ursprünglich zu einem kurzen Equipment-Talk verabredet, Jakob Ilja nahm sich jedoch die Zeit für ein ausgedehntes Gespräch über Effektgeräte, über Gitarren und wie er damit Musik macht.
Pedale
Jakob, du hast ein riesiges Pedalboard auf der Bühne. Ist das über die Jahre so gewachsen oder steckt ein bestimmter Plan dahinter?
Das ist gewachsen, doch letztendlich beinhaltet es nur die drei Standards Verzerrung, Modulation und Hall. Vom Aufbau her ist es ganz klassisch: Am Anfang kommt ein Volume-Pedal, danach zwei Kompressoren und dann ein Booster. Diese Pedale sind alle allein dazu da, für die unterschiedlichen Gitarren dieselbe Lautstärke einzustellen, oder eine Gitarre auch mal zu boosten, wenn ein Stück so laut ist, dass sie sonst nicht mehr durchkäme.
Danach folgen mit Crunch, Overdrive und Fuzz drei Verzerrer, damit ich nicht immer wieder auf die Knie gehen und von Song zu Song die Einstellungen ändern muss. Die restlichen Effekte nehmen so viel Raum ein, weil ich für das Boss Rocker Wah und das Strymon Lex Rotary jeweils Line-Mixer verwende. Das Rocker Wah zum Beispiel ist zwar ein tolles Pedal, aber es schluckt einfach zu viel vom Sound. Grundsätzlich finde ich Klangverluste gar nicht so schlimm, denn der Sound ist eben wie er ist, nachdem er durch zehn Geräte gegangen ist, aber bei dem Pedal und beim Lex ist es mir zu stark.
Wäre ein gutes Multieffektgerät keine Alternative?
Multieffekte sind mir zu digital, auch wenn ich mit dem Eventide und dem Lex selbst welche dabeihabe. Das allerdings klingt für mich recht schön. Zwar kommt das Signal durch die AD/DAWandlung am Ende zweimal gewandelt raus, aber ich muss ehrlich sagen, ich höre das nicht. Das klingt immer noch nach meiner Gitarre und ich höre kein Zähneklappern.
Musst du während der Songs viel herumschalten?
Ja. Ich entscheide oft spontan, was ich als nächstes mache. Es kann sein, dass ich merke, dass gerade Raum für den Tubescreamer ist und dann schalte ich ihn an und drehe das Volume-Poti ein wenig zurück. So habe ich es selbst in der Hand, ob es angezerrt oder clean klingt. Das Expression- Pedal benutze ich nur für die Leslie- Simulation, damit es einen fließenden Übergang vom Clean-Sound in den Leslie- Effekt gibt. Und das Eventide liefert sehr schöne Echo-Halls, die ich teilweise nur für ein paar Noten an- und dann wieder ausschalte. Mein Haupteffekt ist aber eigentlich das Volume-Poti, mit dem ich in einer Spanne von 5 bis 10 versuche, den Sound den jeweiligen Parts anzupassen. Teilweise wechselt das von Lick zu Lick.
Dadurch kann man auch mit den Effekten sehr viel mehr machen. Natürlich könnte ich mir das alles auch anders organisieren, alle Effekte hinten auf die Bühne packen und mir eine Bank mit zwanzig Presets besorgen, die ich über MIDI steuere, aber dann wäre ich den Geräten ausgeliefert und könnte beim Spielen nicht mehr auf das, was ich höre, reagieren. Aber letztendlich ist das ganze Zeug auch austauschbar. Im Endeffekt könnte ich auch einfach einen Spiralhall nehmen, den Amp ein bisschen heißer machen und das Volume-Poti an der Gitarre zurückdrehen. Dann hätte ich auch alles, was ich brauche.
Auf dem aktuellen Album gibt es ein paar Nummern, in denen du für deine Verhältnisse in Sachen Sound und Spielweise recht rockig agierst …
Du meinst vermutlich die Stellen, die ich mit dem Fuzz eingespielt habe. Das Pedal habe ich bei diesem Album zum ersten Mal im Kontext von Element Of Crime eingesetzt. Es stammt von Theodoros Klissiaris, einem griechischen Bastler mit Sitz in Berlin. Kleissonic Screaming Skull heißt es, ein tolles Gerät, bei dem du mit einer Zusatzfunktion einstellen kannst, wie lange das Sustain ist und in welcher Form es abbricht. Dadurch kannst du auch Einstellungen wählen, bei denen du keine Kontrolle darüber hast, was die Gitarre macht. Das finde ich spannend, denn die meisten Fuzz-Pedale haben ganz klare Parameter und klingen dann auch so. Bei diesem Gerät muss man hören, was es macht und dann entsprechend reagieren.
Gitarren
Was muss eine Gitarre haben, damit sie dir gefällt? Oder anders gefragt: Was ist das Besondere an den Gitarren, die du hier dabeihast?
Meine Tele zum Beispiel ist aus den 60ern. Sie hat, wenn man sie unverstärkt spielt, einen wunderbar warmen, ausgewogenen Klang. Sie reagiert sofort auf die Stärke oder Art des Anschlags oder wie man mit der linken Hand agiert. Das war auch der Grund, warum ich sie gekauft habe. Ich hatte sie zunächst eine halbe Stunde lang ohne Amp gespielt und sie klang da schon so gut, dass es keine Rolle mehr spielte, dass die Pickups nicht wirklich gut waren. Bei ihr war es, wie wenn du zwei Handschuhe anziehst, die maßgefertigt sind. Zwar folgt auch diese Gitarre nicht immer dem, was ich mache und an manchen Tagen kann ich gar keinen Kontakt zu ihr herstellen, aber grundsätzlich ist sie wie ein verlängerter Arm. Und genau so muss es sein. Als wir in Nashville waren, habe ich einige andere Teles ausprobiert, die mir aber alle bis auf eine viel zu schwer waren. Diese eine habe ich mir gekauft und spiele sie jetzt auch live.
Ich habe auch eine Guild auf der Bühne gesehen.
Ja. Das war meine erste Gitarre. Die habe ich von einem Freund bekommen und fand einfach, dass sie gut aussieht. In die bin ich reingewachsen und seitdem tue ich mich schwer mit anderen Gitarren. Die letzte Gitarre, die ich mir gekauft habe, war eine Gibson SG, weil mein Backliner Uli Rummel meinte, die müsse ich unbedingt haben, da sie ein gutes Gegenstück zur Tele ist. Aber nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass eine SG technisch versiertere Gitarristen verlangt, als ich es bin. Wenn du schnell spielst, ist es eine super Gitarre, aber ich bin halt Tele-Spieler. Ein Stück Holz, bei dem du zugreifen und arbeiten musst, das mag ich einfach.
Wie lange hast du deine beiden alten Gitarren schon?
Schon mehr als 25 Jahre und ich habe viel an ihnen herumgeschraubt. Mir war es nie wichtig, Originalteile zu haben. Klar kann ein 60s-Pickup schön sein, aber wenn er zu dünn klingt und brummt: warum behalten? Diese Idee von Originalität halte ich für ein falsches Konzept. Gitarren sind Gebrauchsgegenstände und keine Ausstellungsstücke für die Vitrine. Sie müssen gespielt werden und kriegen dabei Macken oder der Lack geht irgendwann ab, weil es alter Lack ist. So ist das halt.
Musik
Inwiefern unterscheidet sich euer Ansatz als Live-Band von dem, was auf den Platten zu hören ist?
Es geht ja darum, die wichtigsten Aspekte eines Liedes zu transportieren. Und ein Lied besteht, simpel gesagt, aus den Akkordfolgen, der Gesangsmelodie und dem Text. Das ist es, was rüberkommen muss. Wenn man in der Live-Besetzung einen Song spielt und merkt, es fehlt irgend etwas, dann muss dieses Element eben einer von uns mit übernehmen. Für mich bedeutet das an so einem Abend viel Abwechslung und eine schöne Herausforderung.
Ihr könntet euch ja auch noch einen Organisten dazu holen …
Ja, aber wir sind eine Gitarren-Band. Ich liebe Keyboards und wir benutzen sie auch bei den Produktionen, aber letztendlich sind immer zehn Finger auf den Tasten und unser Klangbild entsteht auch durch die Lücken. Wir haben nicht das Gefühl, dass das Instrument fehlt. Und wenn wir es mal vermissen, dann haben wir mit Saxophon oder Geige Instrumente, die diese Rolle übernehmen können. Der Effekt von einem Refrain, der dicht wird, weil plötzlich die Orgel einsetzt, den kann man auch mit einem einzelnen Ton vom Saxophon erzeugen. Das ist sehr effektiv: Das Saxophon darf vorher einfach nicht spielen. In dem Moment, in dem es einsetzt, geht die Sonne auf. Wir haben die Sachen immer minimalistisch gehalten und ich glaube, niemand vermisst da etwas.
Eure Studioaufnahmen klingen angenehm direkt und „unproduziert“. Sind sie auch so aufgenommen?
Na ja, wir nehmen live auf und behalten die Instrumente, die den Take ausmachen, aber im Großen und Ganzen verwenden wir im Studio schon ein ziemlich großes Instrumentarium. Fast immer ist eine Orgel dabei, manchmal ein Streichquartett. Fast immer noch zweite, dritte und vierte Gitarren. Dann Percussion und teilweise Akkordeon und Saxofon. Der Prozess ist bei uns immer derselbe: Wenn wir zwei Stücke im Übungsraum fertiggemacht haben und Sven danach den Text geschrieben hat, gehen wir ins Studio und nehmen innerhalb von vier Tagen die beiden Titel auf. Dann kommen wir ein paar Wochen später wieder mit zwei neuen Stücken, hören uns die alten wieder an und wenn dann eins gealtert ist, wird es schnell nochmal aufgenommen und so sammeln wir über ein halbes oder dreiviertel Jahr zehn Lieder.
Und wenn alle fertig sind, werden weitere Musiker eingeladen. Und was ganz wichtig ist: Wir nehmen auf Tonband auf. Nicht aus dogmatischen Gründen, sondern weil im Tritonus-Studio, in dem wir immer aufnehmen, eine Bandmaschine steht und uns der Arbeitsprozess damit immer schon gefallen hat. In der heutigen Zeit mag das aufwendig scheinen, aber es bringt Momente von Kontemplation. Zumal diese Arbeitsweise die Fokussierung auf das Wesentliche ermöglicht, nämlich auf den Klang – und nicht auf die Optik eines Audioprogramms.
Bei euch ist es also nie so, dass ihr ein paar Wochen ins Studio geht und eine neue Platte aufnehmt?
Nein, das haben wir mal früher so gemacht, aber schon seit zehn Jahren nicht mehr. Das hat den großen Vorteil, dass man immer wieder frisch und der Kopf frei für die Musik ist. Ich glaube, jeder der mal sechs Wochen im Studio war, weiß, wie das am Ende ist. Da fällt einem die Decke auf den Kopf. Die Herangehensweise sagt aber nichts über die Qualität einer Platte aus. Es gibt Platten, für die die Leute ein Jahr lang in einen Bunker gehen und das Ergebnis ist super. Unsere Arbeitsweise ist eben anders und sie entspricht uns mehr.
Lass uns über deinen Stil sprechen: Auffallend ist dieses häufige Mischen von Singlenote-Linien mit Akkorden.
Die Soli entstehen immer spontan. Manche entwickele ich, indem ich Melodien zur Musik singe und diese dann mit der Gitarre nachspiele, oder ich lasse die Stelle offen und improvisiere bei jedem Konzert. Bei manchen Passagen überlege ich mir aber auch, an welcher Stelle es schön sein könnte, ein paar Akkordtöne hinzuzunehmen.
Interessant finde ich auch, wie fließend du oft den Übergang zwischen Begleitung und Solo hinbekommst. Oft greifst du in den Soli deine Begleitung auf und erweiterst sie bloß ein wenig.
Das ist vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass ich kein passionierter Sologitarrist bin.
…was aber auch nicht zu eurer Musik passen würde.
Wohl wahr. Zudem habe ich Mitte der 80er-Jahre mit der E-Gitarre angefangen, und da war das lange Gitarrensolo ziemlich verpönt. Es gibt nur wenige Sologitarristen, die ich wirklich mag und das sind meistens die, die melodiös spielen und ihre Technik nicht so raushängen lassen. Mich interessiert es mit Wenig eine Wirkung zu erzielen, das ist meine Welt und die Lieder, die wir mit Element Of Crime machen, entsprechen dem.
Wie motiviert man sich nach mehr als 30 Jahren und über 140 veröffentlichten Liedern noch neue Songs zu machen?
Es wäre ja traurig, wenn wir gar keine Platten mehr machen und nur noch unser OEuvre verwalten würden. Dann könnten wir auch auf Oldie-Parties spielen. Ich finde, Bands zeichnet aus, dass sie neue Platten machen. Und der Wunsch nach neuen Liedern hört ja nie auf. Das gilt, denke ich, für jeden, der Musik macht. Sonst könnte man ja auch fragen, warum junge Leute, die jetzt anfangen Musik zu machen, überhaupt noch Lieder schreiben sollten. Sind doch alle schon geschrieben worden, mit den immer gleichen zwölf Noten, die wir im europäischen Raum nutzen. Aber es gibt da dieses Wissen, dass es immer noch ein Lied gibt, das man noch nicht geschrieben hat – und dann noch eins und noch eins.
Natürlich sind es immer wieder Akkorde wie G, C und D, aber man überlegt eben, was da noch geht oder wie man sich dem noch nicht genähert hat. Das bleibt immer spannend. Aber klar, man muss das schon lieben. Es ist ein Klischee, aber wenn man es nicht liebt einen neuen Song zu machen oder auf die Bühne zu gehen, dann bringt das alles nichts. Für mich ist es tatsächlich so, dass jeder Abend, jedes Konzert ein Alleinstellungsmerkmal hat: Jetzt geh ich raus, jetzt geht’s um alles, jetzt beginnt das Stück! Anders würde es auch nicht funktionieren. Es geht schließlich darum, schöne Musik zu machen und wenn man da nicht mit Herz und Seele dabei ist, dann kann man es auch sein lassen.
Wie oft habt ihr schon ,Weißes Papier’ gespielt? Kann man das noch jeden Abend mit dem gleichen Herzblut machen?
Natürlich kann man das jeden Abend mit Hingabe spielen. Für das Publikum ist dieses Stück jedes Mal ein einzigartiger Moment. Ein Lied, das sie lieben und kennen und das für sie eine besondere Bedeutung hat. Für mich hat es die vielleicht nicht, aber das spielt keine Rolle. Es geht da eher um andere Sachen. Wie groovt es, wie klingt es? Wie dynamisch spielen wir? Das ist zwar scheinbar ein eher theoretischer Ansatz, aber letztendlich geht es ja darum, wie wir Emotionen erzeugen können. Ein Autopilot und damit Sicherheit im Spiel sind sicherlich gut, aber Dynamik und Spielfreude und ein immer wieder neues Interesse an dem, was das Stück ausmacht, machen mehr Spaß. Wenn es diese Herausforderung nicht mehr gäbe, dann wäre das alles vertane Lebenszeit.
Coole Überschrift: Element of Crome – klingt wie der Name für eine psychedelische Stoner-Rock-Band. ?
Eigentlich eine gute Idee! Hier war es allerdings nur ein Tippfehler! 😉 Danke für den Hinweis.