The Rolling Stones Workshop! Lick Of The Month & and Chords: Gimme Shelter
von Arnd Müller, Marian Menge, Artikel aus dem Archiv
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,Let It Bleed‘ von 1969 zählt mit zu den größten Alben der Rolling Stones. Seine Be- liebtheit verdankt es sicherlich der Nummer ,Gimme Shelter‘, die in puncto Atmosphäre vielleicht mit zum Besten gehört, was die Stones in ihrer über 50 Jahre währenden Karriere je geschrieben haben.
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Lick Of The Month
Der heimliche Star dieser Nummer ist Sängerin Mary Clayton mit ihrer souligen Einlage gegen Ende des Stücks. Keith Richards, laut Liner-Notes bei ,Gimme Shelter‘ der einzige Gitarrist, spielt ständig Fills und lebendige Zwischentöne, ab 2:20 steigt er dann mit einem richtigen Solo ein. Und das kündigt er mit dem knackigen Lick in den ersten beiden Takten an, das wir im Beispiel 1 sehen.
Über c geht‘s los mit einem Ganzton-Bending im 11. Bund der G-Saite – Achtung, Keith setzt erst auf der Zählzeit „2“ ein. Ab der „3“ folgen die Achtelnoten e, c , b und c . Die Moll-Terz e und die kleine Septime b (= dt. h) reiben sich bluesig an dem C -Dur- Akkord.
Über B wird diese Achtel-Kette zunächst wiederholt, die geschlängelte Linie über dem zweiten c zeigt an, dass hier die Note mit einem Fingervibrato versehen wird. Dies erklingt sehr kurz, die Achtel e, c und wieder e beenden den Takt. Ganz schön funky, wie Richards hier sein Solo beginnt! Und das mit nur einem Bending und drei Singlenotes.
Sound & Gear
Der Gitarren-Sound im Solo ist sehr präsent und warm. Um sich anzunähern reichen ein satter, cleaner bis minimal angezerrter Verstärkerklang und eine Gitarre in Richtung Semiacoustic à la Gibson ES-335 mit angewähltem Steg-Humbucker. Für den scharfen Rhythmus-Sound – speziell im Intro zu hören – benötigt man einen Tremolo-Effekt.
In einem Interview mit dem US-Magazin Guitar World (10/2002) wurde Keith Richards gefragt, wie er den Gitarrenton in ,Midnight Rambler‘, einem weiteren Klassiker auf ,Let It Bleed‘, hinbekommen hätte. Richards: „Der entstand mit einer voluminösen australischen Semi-Acoustic, einer F-Loch-Gitarre (der Hersteller lautet Maton; Anmerkung des GW-Redakteurs). Sie sah aus wie die australische Kopie von dem Gibson-Modell das Chuck Berry spielt. Ich habe sie auch in ,Gimme Shelter‘ gespielt. (…) Sie war komplett neu lackiert und ausgemalt, aber sie klang klasse. (…) Und auf der allerletzten Note von ,Gimme Shelter‘ fiel der gesamte Hals herunter. Du kannst es auf dem Original-Take hören.“
The Rolling Stones ‘Gimme Shelter’ live:
…and Chords
Wat? Sieben Kreuzchen? Muss das sein? Nein, muss es eigentlich nicht, denn so ein- deutig ist die Tonart von ,Gimme Shelter‘ vom 1969er-Rolling-Stones-Album ,Let It Bleed‘ gar nicht. Hätten die Rolling Stones damals statt des C#-Dur zu Anfang einen C#-Moll-Akkord gespielt, wäre die Sache klar: C#-Moll wäre die Tonika, vier Kreuzchen stünden dem Song voran, und B- und A-Dur wären die diatonisch korrekten Akkorde auf der VI. und VII. Stufe. Nun könnte man den reduzierten Vorzeichen zuliebe von dieser
Moll-Tonart ausgehen, dann wäre C#-Dur allerdings so etwas wie eine verdurte Tonika, was auch keine glückliche Lösung wäre. Möchte man also dem tonalen Zentrum der Nummer Rechnung tragen, das vom Höreindruck eindeutig dieser C#-Dur ist, muss man wohl oder übel die schwer lesbare Variante mit den vielen Vorzeichen wählen. Da führt kein Weg dran vorbei.
So ist es zugegebenermaßen schwierig, die in Beispiel 1 notierte Gitarrenbegleitung aus dem Intro (die auch im Refrain mit leichten Variationen verwendet wird) allein mithilfe des Notenbildes nachzuspielen, schließlich gibt es keinen einzigen Ton, der nicht durch ein Kreuz oder Auflösungszeichen verändert würde. Da braucht es schon die Unterstützung der Tabulatur, um der Unübersichtlichkeit des Notenbildes Herr zu werden. Aber diese Tabulatur zeigt wenigstens, dass das wunderbare Riff – wie sollte es bei Keith Richards auch anders sein – auf ganz gewöhnlichen Griffen und altbekannten Kombinationen basiert. Die drei Dur-Akkorde werden jeweils mit demselben Basis-Griff aus Quinte, Grundton und Terz auf D-, g- und h-Saite mittels eines kleinen Barré-Griffs gespielt. Dieses Voicing sollte zur besseren Orientierung jeweils im ganzen Takt gehalten werden, auch wenn die darüber liegenden Noten gegriffen und angeschlagen werden. Richards Gitarre läuft in diesem Part übrigens deutlich hörbar über ein schnelles Tremolo. Um den Smack des Original-Sounds zu erreichen, empfiehlt sich darüber hinaus ein Kompressor, der vor das Tremolo geschaltet wird.
Wie man in Beispiel 2, dem Leadsheet des Songs in der Studioversion, sieht, kommt ,Gimme Shelter‘ komplett mit den drei oben genannten Harmonien aus. Der Ablauf ist dabei relativ gewöhnlich:
Allerdings fällt auf, dass im Laufe des Songs die Refrains immer länger werden und je- weils zweigeteilt sind. Zuerst kommt immer die angesprochene Grundakkordfolge, darauf folgt ein Vamp auf C#. Man könnte die Länge der Refrains also folgendermaßen beziffern: Chorus 1: 8+4 Takte, Chorus 2: 8+8 Takte, Chorus 3: 12+4 Takte, Chorus 4: Wieder- holung bis zum Fade-Out. Durch diesen kompositorischen Kniff nehmen sich die Stones mit Verlauf des Songs immer mehr Zeit, um dem Kernsatz und damit der Aussage des Textes den nötigen Nachdruck zu verleihen: „War is just a shot away“ bzw. am Ende „Love is just a kiss away“.
Diese Transkription wurde bereits in einer G&B Ausgabe im letzten Jahr abgedruckt.
Schade, dass der Autor nicht darauf hinweist, dass Mr. Richards das Intro und die weitere Begleitung im Open-E-Tuning spielt. So wie hier im Standard-Tuning notiert, wird man meiner Ansicht nach dem Original nur sehr bedingt nahe kommen.
Diese Transkription wurde bereits in einer G&B Ausgabe im letzten Jahr abgedruckt.
Schade, dass der Autor nicht darauf hinweist, dass Mr. Richards das Intro und die weitere Begleitung im Open-E-Tuning spielt. So wie hier im Standard-Tuning notiert, wird man meiner Ansicht nach dem Original nur sehr bedingt nahe kommen.