Vitamin R(öhre)

Frische Apfelsinen: Orange Amplification AD200 und OBC410HC im Test

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(Bild: Orange Amplification)

Orange-Amps habe ich zum ersten Mal in Wiederholungen alter Beat-Club-Sendungen im Fernsehen wahrgenommen, in denen ab 1970 von Status Quo bis zu den gerade posthum in die Hall of Fame aufgenommenen MC5 viele Bands über die charakteristisch gestylten Amps spielten. Vor ein paar Jahren hatte ich schon mal den AD200B samt Boxen zum Test, der jetzt frisch überarbeitet vor mir steht.

Ade Emsley, der nicht nur ein begnadeter Mastering-Engineer ist (unter anderem für Iron Maiden), sondern auch technischer Direktor und Chefentwickler bei Orange, hat den Amp und die dazugehörigen Boxen einer Frischzellenkur unterzogen, die ihn zur seiner Meinung nach besten Version des AD200 macht.

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Der stolze Chefentwickler Ade Emsley mit seiner überholten Version des AD200 (Bild: Orange Amplification)

DAS TOPTEIL

Schick sieht es aus, das sauber mit robustem Tolex bezogene Gehäuse aus dickem Multiplex mit den schicken schwarzen Akzenten. Insgesamt bringt der AD200 26 Kilogramm auf die Waage. Eigentlich gar nicht so viel für ein ausgewachsenes Vollröhrentopteil, und sogar zehn Kilo leichter als ein Ampeg SVT.

Dass sich der Testkandidat dennoch sperriger anfasst, liegt am einsamen Riementragegriff oben auf dem Gehäuse. Aber ganz ehrlich, die seitlichen Klappgriffe passen zur grimmigen Optik des US-Boliden, aber nicht zur freundlichen britischen Südfrucht. Freundlich sind auch seit eh und je die Piktogramme, die die Funktion der Regler beschreiben.

Im Gegensatz zum Vorgänger sind sie auch nicht zusätzlich beschriftet. Die Eingänge dagegen schon, sie befinden sich in klassischer britischer Manier auf der rechten Seite. Es gibt einen Anschluss für passive Bässe und einen abgeschwächten für pegelstarke oder aktive Instrumente. Die beiden großen Regler sind für die Lautstärke zuständig, ganz rechts fürs Eingangs-Gain, links für den Ausgangspegel.

Dazwischen liegt die dreibändige, liebevoll bebilderte Klangregelung mit – von rechts nach links – Bässen, Mitten und Höhen. Zwischen Gain und EQ findet sich noch ein Minischalter, der Gain rausnimmt und als Clean-Switch gelabelt ist.

(Bild: Orange Amplification)

Große Schalter auf der linken Seite regeln die Stromversorgung, ganz außen der mit einem britischen Netzstecker markierte (und zur Sicherheit zusätzlich beschriftete) Netzschalter, daneben der Standby-Schalter und die selbstverständlich orangene Netzleuchte mit Facettenschliff. Zwei verchromte Bügelgriffe, die die Regler schützen und bei der Handhabung helfen, komplettieren die Front.

Die aufgeräumte, klar strukturierte Frontplatte soll vermitteln, dass auch die Schaltung auf kurze Wege und ohne Firlefanz aufgebaut ist, und so geht es auch achtern weiter. Fast ein bisschen zu spartanisch. Einen DI-Out sucht man vergebens, ebenso die mittlerweile eigentlich standardmäßigen Speakon-Buchsen.

(Bild: Orange Amplification)

Für den Lautsprecheranschluss gibt es stattdessen drei Klinkenbuchsen, die auf zwei Abgriffe am Ausgangsübertrager gehen. Am Acht-Ohm-Ausgang liefert der Amp die volle Leistung an eine Box oder Boxenkombination mit acht Ohm, die beiden Vier-Ohm-Buchsen sind dagegen nicht für zwei Vier-Ohm-Boxen gedacht, sondern um eine Vier-Ohm- oder zwei Acht-Ohm-Boxen zu versorgen.

Daneben gibt es nur noch die Buchse für Netzkabel mit Kaltgerätestecker und einen Slave-Out, that’s it. Ups, fast vergessen: Zwei von außen zugängliche Sicherungen schützen die Elektronik z.B. wenn eine Endröhre hopsgeht. Für den Betrieb auf 120V muss ein versenkter Schiebeschalter betätigt werden und die Sicherung in der Netzbuchse mit einem anderen Wert ersetzt werden.

Geschützt hinter einem soliden, U-förmigen Gitter stehen zwischen Ausgangsübertrager und Netztrafo die Röhren: zwei 12AX7 für die Vorstufe, eine 12AT7 als Treiberröhre und vier KT88 für die Endstufe. Nimmt man das Gitter ab und löst die vier Gewindeschrauben, die auch die dicken Gummifüße halten, kann das Chassis an Metallbügeln, die quasi die von der Vorderseite nach hinten weiterführen, herausgezogen werden.

(Bild: Orange Amplification)

Warum sollte man das tun? Ich für meinen Teil gucke mir furchtbar gerne Röhren-Amps „von innen“ an, vor allem wenn ich als Tester den sauberen Aufbau checken möchte. Hier gibt es auf der dicken Platine eine praxistaugliche Neuerung zu entdecken: Trimpotis lassen eine Bias-Einstellung getrennt für jede Endröhre zu.

Servicefreundlich: Erstmals gibt es eine individuelle BIAS-Regelung für jede der einzelnen Endstufenröhren. (Bild: Orange Amplification)

Versagt eine, kann eine gewiefte Technikerin oder ein Techniker eine beliebige KT88 einsetzen und mithilfe von Multimeter oder Bias-Master einmessen. Ein abgestimmtes Quartett, wie es ab Werk natürlich geliefert wird, ist nicht nötig.

Hintergrund ist laut Entwickler Ade Emsley, dass Röhren zunehmend teurer werden und teilweise schwer zu beschaffen sind. Die Demontage und der Wiedereinbau gehen so zügig vonstatten, dass das „on the road“ fast „on the fly“ erledigt werden kann.

DIE BOX

Auch bei den Boxen gibt es Neuerungen. Von außen sieht man das der OBC410HC nicht an: Fester Tolex in Orange mit schwarzem Bespannstoff vorne, schwarzes Piping, Metallecken, schwarze Skid-Leisten aus Holz – alles wie gehabt.

Im Inneren gab es zuvor zwei kreuzförmige Bretter zur Versteifung, die jeden Speaker quasi in eine eigene Kammer packten (aber nach hinten offen waren zur Bassreflexöffnung), jetzt gibt es nur noch ein Brett, quer.

Die OBC410HC kommt mit Pulse-XL-10.17-Lautsprechern aus dem Hause Celestion, speziell für Bass entwickelte Zehnzöller mit Stahlkörben und Keramikmagneten. (Bild: Orange Amplification)

Sorgen um die Stabilität mache ich mir trotzdem ganz bestimmt nicht. Die größte Veränderung ist der Wechsel von Eminence- auf Celestion-Speaker. Nach einigen Tests fiel die Wahl auf den erst dieses Jahr vorgestellten Pulse XL 10.17, einen speziell für Bass entwickelten Zehnzöller mit Stahlkorb und Keramikmagnet.

(Bild: Orange Amplification)

In der 410 stecken logischerweise vier davon, plus ein Horn, das am Anschlussfeld hinten ein-, aus- oder auf halbe Leistung geschaltet werden kann. Ansonsten finden sich hier Neutrik-Speakon/Klinken-Kombibuchsen. Knapp 42 Kilogramm bringt die Box auf die Waage, die beiden Metallgriffe sind überlegt platziert, zu zweit lässt sie sich gut tragen.

(Bild: Orange Amplification)

VITAMIN R(ÖHRE)

Und schlimmstenfalls auch alleine, auch Treppen hoch. Was tut man nicht alles als Tester … Mit beiden Händen an den Chrombügeln trägt es sich fast besser als am Griff oben. Während ich langsam wieder zu Atem komme und die Anlage vorglüht, bewundere ich noch ein wenig die Optik – so ein OrangeHalfstack hat einfach Stil.

Ein leichtes Brummen ist zu hören, ansonsten herrscht lüfterlose Ruhe. Daran ändert sich auch nach dem Umlegen des Standby-Schalters nichts. Komplett rauschfrei ist das nicht, aber zum einen ist es nicht sonderlich laut und zum anderen verschwindet das ganz schnell. Dann habe ich nämlich nur noch Ohren für den TON.

Meine Fresse … Warm, schon bei kleiner Lautstärke drückend und organisch. Der Sound steht wie dreidimensional im Raum, sodass sich das Gefühl einstellt, den Sound anfassen zu können. Dafür hat sich das Schleppen schon gelohnt. Je nach Gain-Einstellung und Input reicht die Klangpalette von komplett clean über „Edge of Breakup“-Sounds bis hin zu dreckigem Overdrive

– und das alles ohne Einbußen bei den eben beschriebenen Eigenschaften. Selbst in den Extremen sitzt der Bass fett im Gesamtsound. Die Klangregelung ist als passiver Tone-Stack interaktiv (die Einstellung eines Reglers beeinflusst also die beiden anderen mit) und lässt keine radikalen Änderungen zu. Was sie aber kann, ist ein weites Feld von Nuancen bereitzustellen.

Vom schmutzigen Preci bis zum ultra-cleanen aktiven Fünfsaiter setzt die Kombi alles musikalisch angefettet um. Die Einstellung des Horns macht einen feinen Unterschied im Höhenbereich. Ganz offen klingt es am modernsten, die halbe Kraft dürfte für die meisten reichen, und ganz ausgeschaltet klingt es für mich am schönsten, bei angezerrten Sounds, die richtig Spaß machen – Röhre vom Feinsten!

Über mangelnde Höhen muss man sich auch dann keine Sorgen machen, wenn nur die Celestions werkeln: das britische Treble-Klingeln setzen sie charaktervoll um, wenn der Regler entsprechend aufgedreht wird. Apropos Gain: Der Clean-Switch klart das Klangbild leicht auf – ich habe ihn in der Praxis eher als Dirt-Switch genutzt, um mit einem Klick eine kleine Schüppe drauf zu legen.

Beeindruckend sowohl bei Box als auch beim Amp ist der Umgang mit tiefen Bässen. Die OBC410HC setzt ohne zu flattern auch Fünfsaiter oder tiefe Stimmungen um, die der AD200 mit einer gehörigen Portion Schub präsentieren kann. Nicht nur wegen seiner souveränen Leistung, sondern vor allem dank des neuen Ausgangsübertragers, der bei 30 Hz die doppelte Leistung gegenüber dem Vorgänger verspricht.

So fühlt es sich auch an. Wie von Ade Emsley versprochen, flattern die Hosenbeine (noch) mehr. Die Kopplung der Box an den Boden durch die Skid-Leisten tut ihr Übriges für das Sound-Erlebnis. Um den Sound über die PA zu bekommen, kann man den Slave-Out bemühen, der nach dem Ausgangsübertrager abgegriffen wird, aber vom Master abhängig ist und keine Boxensimulation bietet. Oder man stellt ganz oldschool ein Mikro vor die Box.

RESÜMEE

Schwer! Teuer! Unpraktisch! Stimmt alles. Aber das Erlebnis, über ein solches Halfstack zu spielen, lässt einen all das vergessen. Was bleibt, ist das Gefühl druckvoll bewegter Luft und Sounds, die den Charakter des angeschlossenen Basses aufnehmen und röhrig unterfüttern, von klar über knurrig-rotzig bis hin zu fetzigem Drive.

Technisch ist das fein umgesetzt, die neue Bias-Regelung macht den Amp zukunftssicher und der neue Ausgangsübertrager macht ihn tiefgründiger denn je. Die mit Celestions bestückte Box gefällt mir ebenfalls ausgesprochen gut. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass hier alle Komponenten harmonisch zusammenwirken, um das beschriebene Spielerlebnis zu bieten.

Das aus dem AmpNamen gestrichene „B“ deutet übrigens an, dass der Amp auch als mächtige Clean- oder „not so clean“-Machine für Gitarre genutzt werden kann – mit entsprechend belastbaren Boxen macht auch das enorm Spaß … Wenn sich die Gelegenheit bietet, unbedingt anspielen! ●

PLUS

  • Sound
  • Leistung
  • Optik
  • BIAS-Regelung
  • Speaker
  • Ausgangsübertrager

MINUS

  • Topteil ohne Speakon-Anschlüsse

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2024)

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