Liebe Gearheads, liebe Suchende des „guten, alten Tons“: Wer hat sie nicht schon mal gelesen, die anpreisenden und Kaufanreize schaffenden Formulierungen wie „ this pedal/amp/guitar is a faithful replica of the legendary…“ oder „a painstaking recreation of the famous XYZ“?
Ein Satz, der mich schon vor Jahren in die Schmunzelmonster-Ecke getrieben hat, war der Hinweis auf einer Webseite zu einem der tausend Tubescreamer-Klone: Dieses Gerät klingt genauso gut wie ein alter TS-808, der mir privat zur Verfügung steht! Na, dann! Schön, wenn dem so ist.
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Aber aufgepasst: jeder alte TS-808 klingt anders. Der eine hat mehr Gain, der andere höhere Level-Reserven und der nächste klingt irgendwie klarer, mit mehr Höhen! Ich hatte drei Vintage 808, eigentlich sogar 4, aber den alten Narrow Box TS-808 zähle ich nicht mit, da er nicht den berüchtigten JRC4558 Chip hatte, sondern zwei 1458 ICs. Aber meine drei alten Vintage-Grünschleudern klangen leider alle nicht so wie der 808 meines Kumpels Jürgen, den ich viel besser fand.
Somit taugen solche Aussagen wie „klingt genauso wie ein alter“ eben auch nur für das zum Vergleich bemühte Vintage-Original. Ein anderes Vintage-Teil kann schon wieder ganz anders klingen. Um diese These zu untermauern oder die „peinlich genaue Kopie des/der legendären XYZ“ zu bestätigen, habe ich mich im August bei heißen, sommerlichen 35° ins Auto gesetzt, um in Hagen meinem geschätzten G-&- B-Workshop-Kollegen Peter Fischer zu treffen.
Peter ist nicht nur ein erfolgreicher GIT-Absolvent, Studiomusiker und Gitarrenlehrbuch-Autor, sondern er besitzt auch ein paar eindrucksvolle Vintage-Amps, Effekte und Gitarren. Außerdem ist er ein netter Mensch und ein exzellenter Musiker mit „sehr feinen“ Ohren.
DIE FISCHER CHÖRE – DER FISCHER CHORUS!
Ich liebe ja den alten, großen Boss CE-1 Chorus. 1976 kam der oft als heiliger Gral Chorus bezeichnete Effekt auf den Markt, zahlreiche legendäre Aufnahmen wurden mit dem Teil eingespielt: Johnny Marr, Mike Rutherford, Andy Summers, Alex Lifeson, John Frusciante – sie alle waren und sind CE-1 User.
Aber groß, unhandlich und schwer ist das alte Boss-Schätzchen. Kein True Bypass und der nervige Stecker! Irgendwann hatte keiner mehr Lust, den alten Khaki-Backstein mitzunehmen. Der neue, kleine und blaue Boss CE-2 kam auf den Markt und stieß den alten König vom Thron.
Aber den Klang des CE-1 konnten viele nicht vergessen, also wird er seit ein paar Jahren von vielen kleinen Boutique-Herstellern „peinlich genau und detailgetreu“ nachgebaut. Wie zum Beispiel von Lukas Grobert aus Polen: Sein „The One Chorus“ ist so eine Kopie. Aber klingt der genauso wie Peters alter Boss CE-1?
In Peters kühlem Musikschul-Keller in Hagen bauen wir auf. Der war sogar so kühl, dass ich mir noch unter seinem verwunderten Gelächter ein zweites T-Shirt überziehen musste. Alles unter 25 Grad ist für mich nicht warm. Basta. Als Amp benutzten wir einen stinknormalen Fender Deluxe Reverb, seine 1966er Tele – und unsere Ohren.
Der Grobert wurde wie das Original mit Preamp/Buffer und somit ohne True Bypass (beide Optionen sind per Toggle-Switch wählbar) benutzt. Die ersten Akkorde perlten aus dem Deluxe: Das klang ganz klar nach CE-1 – Respekt, Lukasz Grobert!
Der The One Chorus klingt schön analog, warm, tief und „lush“. Level auf 2 Uhr und dann den Intensität-Regler langsam gesteigert. Beeindruckende 5 Minuten hörten wir zu, dann musste der alte, rüstige Herr Boss ran und zeigen, was er noch draufhatte: Der erste Akkord von Peter… und Holy Moly! Der alte Chorus stand so prall im Strumpf wie einstmals Mutter Beimer in Thrombose-Leggins!
Von allen Kriterien noch mal 10% drauf. Noch tiefer, dreidimensionaler und intensiver. So geil hatte ich meinen alten CE-1 nicht in Erinnerung. Fazit: Herr Groberts Chorus klingt großartig, Herr Fischers Vintage CE-1 out of this world! Ob ein anderer Vintage CE-1 genauso klingt wie Peters kann allerdings keiner garantieren. Aber nicht wenige CE-1 Fans, die ich kenne, würden garantiert den praktischeren und guten Grobert-Chorus auf ihr Brett nageln, um viel Geld für einen Vintage-Boss zu sparen.
BLAU VS. GRÜN!
Peter und ich starteten den nächsten Vergleich. Die ersten Fulldrives tauchten Mitte der 90er auf, da hatte Peters grüner Ibanez Tube Screamer schon 14 Jahre seinen Dienst geschoben. Mein Fulldrive FD-1 habe ich Ende 2022 gekauft. Das blaue, einfache Pedal. Zwar mit dem typischen Toggle-Switch für CC (Comp Cut), V (Vintage) und FM (Flat Mids), aber ohne die separat zu regelnde Boost-Funktion. Neu für 149 Euro gekauft. Peters alter ´81er TS-808 soll zurzeit laut diverser Verkäufer im Netz ab 1250 bis 2500 Euro bringen. Achduscheiße!
Meinen Narrow Box TS-808 habe ich vor Jahren für 280 Euro gekauft und für 580 vertickt. Egal. Es ist wie immer: Ja, so ein altes Pedal oder eine alte Klampfe sind so-und-soviel wert. Aber nur wenn, man sie verkauft und einen Käufer findet, der den gewünschten Preis zahlt. Wer nicht verkauft, hat kein Geld in der Hand oder auf dem Konto. Und nicht vergessen: Ein Sarg hat keine Regale!
ENDE IM GELÄNDE
Diesmal starten wir mit dem Original, dem berühmten Ibanez Mittennasen-Monster. Tele, Deluxe Reverb und TS-808 – eine Top-Kombi. Altbekannte Sounds, aber immer noch klasse – wenn man auf den klassischen Tubescreamer-Sound mit starker Mittennase und beschnittenen Bässen steht. Um Himmels Willen, da wird das Fulldrive wohl ganz schön abkacken im Vergleich.
Aber unsere Vermutung bestätigt sich nicht: Das FD-1 lässt sich in V-Stellung so tweaken, dass es zu 99,9% Prozent wie der gehypte Vintage 808 von Herrn Fischer klingt. Jedenfalls wenn Peter spielt. Wenn ich dresche, dann merkt man, dass das Fulldrive nicht so viele Bässe klaut und etwas mehr Grit hat.
Aber wenn Herr Fischer feingliedrig soliert: Mit Augen auf und 1 Meter vorm Amp stehend kann man das eine Prozent wahrnehmen. Ab 3 Meter, mit dem Rücken zum Amp ist Ende im Gelände. Da hören wir keinen Unterschied mehr. Geil – da lässt sich ´ne Menge Geld sparen, liebe Laubfrosch-Freunde.
Zumal das Fulldrive noch zwei weitere, sehr gut klingende Modi hat. In Flat-Mids Stellung klang es wie der Vintage TS-9 von Fischers Peter, nur mit mehr Gain-Reserven. 2 Vintage-Fliegen mit einer Klappe geschlagen, interessant. Das dürfte den Verkäuferexperten nicht schmecken, die uns weißmachen wollen, dass nur ein schweineteurer Vintage-Tube Screamer den amtlichen 808-VintageSound bringt.
Aber wieder gilt: Ob das mit einem anderen Vintage-Ibanez genauso ausgehen würde, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Fazit: Gut gebrüllt, Fulldrive!
IT RUNS IN THE FAMILY!
Mein lieber Freund Karsten und ich haben uns im Internet kennengelernt. Auf einer Art Tinder-Telecaster-Seite. Dort war ein Foto seiner Toploader Telecaster von 1959 zu sehen. Meine „59er“ Toploader Esquire (Blondie) ist eine Custom Shop Replica seines Models.
Aber würde meine mittlerweile auch schon 21 Jahre alte Fender Custom Shop Relic überhaupt den Hauch einer Chance gegen Karstens 65 Jahre alte Vintage Tele haben? Oder hat sie nach dem ersten Akkord auf Kies gefurzt?
Der Vergleich, erst mal optisch: Die alte Dame sieht etwas kleiner aus. Der Halsfuß ist minimal kleiner, der Body sowie die Kopfplatte sind etwas dünner und die Bodykanten sind runder. Das kann natürlich an der Handarbeit seiner Zeit gelegen haben. Vielleicht ist das Holz der Vintage-Gitarre im Laufe der 65 Jahre eingetrocknet und etwas zusammengeschrumpft.
Wenn man nur meine Gitarre sieht, denkt man noch: Yo, so sieht eine „alte“ Tele aus, das hat der Custom Shop gut hinbekommen. Aber wenn man Karstens „Alte“ aus dem Case holt, platzt der Eindruck wie eine Seifenblase.
Sofort wird klar: Shit, that´s the real deal! Einzig das Halsprofil meiner Reissue entspricht tatsächlich exakt dem 59er Original. Klanglich fällt Peters Fazit so aus: Die alte 59er ist laut mit einem sehr ausgewogenen Klangspektrum. Überhaupt hat die seltene Toploader Tele einen sehr schönen, milden Klang! Eine fantastische Vintage-Gitarre.
Und meine? Ich sag´s mal so: Meine ´59er Custom Shop Replica ist mit ihren 21 Jahren wahrlich keine neue Gitarre – und das hört man auch! Ebenfalls eine sehr gute Gitarre. Der Unterschied: Sie ist nicht so mild und hat mehr Attack. Das klingt durchaus ähnlich… aber es fehlt noch ein Happen Altersmilde & Mojo!
Der beste Vergleich wäre wohl: 59-jährige Großmutter mit ihrer 21 Jahre alten Enkelin. Familien-DNA nicht zu leugnen, große Ähnlichkeiten – it runs in the family! Mein Tipp – wenn Ihr Original vs. Replica vergleicht – die frisierten YouTube-Videos taugen höchstens als Anhaltspunkte. Behauptungen wie „klingt genauso“ immer kritisch betrachten. Am besten selbst checken und hören, so wie der talentierte Herr Fischer und myself!
PS: Danke an Lukasz, Peter und Karsten für die Hilfe zu dieser Kolumne!
(Bild: Hoffmann)
(erschienen in Gitarre & Bass 10/2024)
Kommentare zu diesem Artikel
Ronny
Hallo Till,
schöner Artikel. Wir alle haben ja diese kleine “klingt wie.. Macke” und das macht neben der eigentlichen Musik ebenfalls viel Spaß. Meine Erfahrung: wenn einer spielt wie… dann klingts auch wie…
Ich hab mal gelesen, daß Jeff Beck mal, gefragt nach einem Verzerrer, gesagt haben soll: “everything works…”
Ich lese Deine Beiträge gern – aber an Deiner Schuhmode musst Du noch arbeiten :-))))
schöne Grüße R.
….toller Artikel und nicht zu vergessen: Muss es denn immer klingen wie früher? Hauptsache is doch, dass es gefällt! Sch*** auf 3% Unterschied zum Original.
Danke Mitsch, du sprichst mir aus der Seele! Ich würde sogar noch viel weiter gehen: Wie schlimm wäre es denn, wenn die neuere Technik sogar zu wesentlich besseren Ergebnissen führen würde, was ja auch der Intention der Hersteller entsprechen würde und, im großen Ganzen der Realität?!
Vielen Dank für den tollen Bericht. Kurz und bündig. Prägnant auf den Punkt. Das ist besser als zu ausschweifend m.E. Aber ein bisschen mehr Text hätte mich persönlich auch nicht gestört. Aber wie gesagt, wenn ich die Wahl hätte, lieber deine würzige Kürze. 🙂
Merry Xmas
Toller, locker flockig geschriebender Artikel, der richtig Freude bereitet zu lesen. Allerdings, das mit der 59jährigen Großmutter und der 21jährigen Enkelin geht mir nicht aus dem Kopf. Das kriege ich biologisch nicht ganz auf die Kette. 😉
„Der alte Chorus stand so prall im Strumpf wie einstmals Mutter Beimer in Thrombose-Leggins!“ Das ist ja wohl die beste Formulierung, die ich je, egal welchem Zusammenhang, gehört habe! 😂😂😂
Großes Kino!
Vintage=Toll?
Die Gleichsetzung von alter Tontechnik mit qualitativer Hochwertigkeit ist für mich in sich fragwürdig. Einen Anteil hat sicherlich eine Art von Gewöhnung an die Sounds unserer alten Vorbilder, dem, was uns quasi musikalisch geprägt hat, dem wir nacheifern.
Ich frage mich, ob die alten Recken nicht heute eher mit neuester Technik (das taten sie damals), mit modernen Amps, Gitarren, Kempern, und, und, und..arbeiten würden, statt mit der charakterstarken Anhäufung von Fehlerhaftigkeiten und Mängeln.
Der Markwert alter Technik beruht öfter ausschließlich auf Seltenheit und historischer Verklärung, denn auf tatsächlicher Qualität (siehe die Höhenbedämpfung der Tele im Artikel, gebremste Schwingungsübertragung als Ideal? Ich dachte immmer ne Tele muß knallen!). Selbst wenn wir ein Tonideal in z.B. einem alten Marshall oder Ähnlichem finden, heißt dies ja auch nicht automatisch, daß sich dieses nicht auch auf modernerem Weg zu einem Bruchteil des Preises sowie des Platzbedarfes erzielen ließe.
Ich horte, wie viele meiner Mitstreiter auch, selbstverständlich jede Menge Gear. Der meiste Kram aus den 70er-, 60er- oder gar 50er- Jahren ist aber mittlerweile entsorgt oder sieht diesem Schicksal entgegen weil, taugt nicht wirklich, rauscht wie blöd etc.,etc.
Selbstverständlich ist jedoch eine merkantile Interessenlage für mich ein nachvollziehbarer Antrieb!
Hallo Till,
schöner Artikel. Wir alle haben ja diese kleine “klingt wie.. Macke” und das macht neben der eigentlichen Musik ebenfalls viel Spaß. Meine Erfahrung: wenn einer spielt wie… dann klingts auch wie…
Ich hab mal gelesen, daß Jeff Beck mal, gefragt nach einem Verzerrer, gesagt haben soll: “everything works…”
Ich lese Deine Beiträge gern – aber an Deiner Schuhmode musst Du noch arbeiten :-))))
schöne Grüße R.
„Und nicht vergessen: Ein Sarg hat keine Regale!“ – made my day😂.
….toller Artikel und nicht zu vergessen: Muss es denn immer klingen wie früher? Hauptsache is doch, dass es gefällt! Sch*** auf 3% Unterschied zum Original.
Danke Mitsch, du sprichst mir aus der Seele! Ich würde sogar noch viel weiter gehen: Wie schlimm wäre es denn, wenn die neuere Technik sogar zu wesentlich besseren Ergebnissen führen würde, was ja auch der Intention der Hersteller entsprechen würde und, im großen Ganzen der Realität?!
Vielen Dank für den tollen Bericht. Kurz und bündig. Prägnant auf den Punkt. Das ist besser als zu ausschweifend m.E. Aber ein bisschen mehr Text hätte mich persönlich auch nicht gestört. Aber wie gesagt, wenn ich die Wahl hätte, lieber deine würzige Kürze. 🙂
Merry Xmas
Toller, locker flockig geschriebender Artikel, der richtig Freude bereitet zu lesen. Allerdings, das mit der 59jährigen Großmutter und der 21jährigen Enkelin geht mir nicht aus dem Kopf. Das kriege ich biologisch nicht ganz auf die Kette. 😉
„Der alte Chorus stand so prall im Strumpf wie einstmals Mutter Beimer in Thrombose-Leggins!“ Das ist ja wohl die beste Formulierung, die ich je, egal welchem Zusammenhang, gehört habe! 😂😂😂
Großes Kino!
Vintage=Toll?
Die Gleichsetzung von alter Tontechnik mit qualitativer Hochwertigkeit ist für mich in sich fragwürdig. Einen Anteil hat sicherlich eine Art von Gewöhnung an die Sounds unserer alten Vorbilder, dem, was uns quasi musikalisch geprägt hat, dem wir nacheifern.
Ich frage mich, ob die alten Recken nicht heute eher mit neuester Technik (das taten sie damals), mit modernen Amps, Gitarren, Kempern, und, und, und..arbeiten würden, statt mit der charakterstarken Anhäufung von Fehlerhaftigkeiten und Mängeln.
Der Markwert alter Technik beruht öfter ausschließlich auf Seltenheit und historischer Verklärung, denn auf tatsächlicher Qualität (siehe die Höhenbedämpfung der Tele im Artikel, gebremste Schwingungsübertragung als Ideal? Ich dachte immmer ne Tele muß knallen!). Selbst wenn wir ein Tonideal in z.B. einem alten Marshall oder Ähnlichem finden, heißt dies ja auch nicht automatisch, daß sich dieses nicht auch auf modernerem Weg zu einem Bruchteil des Preises sowie des Platzbedarfes erzielen ließe.
Ich horte, wie viele meiner Mitstreiter auch, selbstverständlich jede Menge Gear. Der meiste Kram aus den 70er-, 60er- oder gar 50er- Jahren ist aber mittlerweile entsorgt oder sieht diesem Schicksal entgegen weil, taugt nicht wirklich, rauscht wie blöd etc.,etc.
Selbstverständlich ist jedoch eine merkantile Interessenlage für mich ein nachvollziehbarer Antrieb!
Interessant, aber ohne Resultat. “Klingt wie früher”? da spielt uns das Ohr sehr gerne immer wieder einen Streich.