Im Interview

Mike Stern: If it works, don‘t fix it!

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(Bild: Angela Ballhorn)

Der Jazzrockgitarrist Mike Stern, mittlerweile 71 Jahre alt, ist immer noch fleißig. Nach bald fünf Jahrzehnten Karriere mit eigenen Projekten und so namhaften Sideman-Jobs wie bei Blood, Sweat & Tears, Miles Davis, der Brecker Brothers Band, Steps Ahead oder Jaco Pastorius, kam Mitte September sein 19. Album unter eigenem Namen auf den Markt.

Echoes And Other Songs‘ (Mack Avenue Records) ist das dritte Album nach einem fatalen Sturz, welcher der Musikerkarriere von Mike Stern ein abruptes Ende hätte setzen können. Der sechsfach für einen Grammy nominierte Gitarrist stürzte 2016 auf dem Weg zum New Yorker Flughafen und brach sich beide Oberarme. Vor allem an der rechten Hand leidet er immer noch unter erheblichen Nervenschädigungen und hat weiterhin nicht genug Kraft, ein Plektrum zu halten. Perückenkleber hält seinen Pick in Position.

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Für sein aktuelles Album hat er sich mit Antonio Sánchez (Schlagzeug), Chris Potter (Saxophon) und Christian McBride (Bass) Musiker ins Studio geholt, mit denen er bisher wenig bis nie gespielt hatte, was den Routinier erstaunlicherweise nervös werden ließ: „Gottseidank positiv nervös, sonst hätte ich wohl gekniffen!“

Mike, wie geht es deinen Schultern und Händen?

Es ist weiterhin schwierig, aber es wird besser. Ich brauche immer noch Perückenkleber, um mein Plektrum an meinen Fingern zu fixieren. Aber ich habe nicht vor, ohne Kampf aufzugeben. Ich gewöhne mich daran, ich kann wieder spielen.

Ich habe dich in der Zwischenzeit einige Male live erlebt, beim Zuhören gibt es kaum einen Unterschied, beim Hinschauen allerdings sieht deine rechte Hand nicht gut aus …

Das ist toll zu hören, weil es sich doch sehr anders anfühlt! Es gibt Dinge, die ich gerne machen möchte, die aber noch nicht gehen. Ich habe ja schon vorher viel mit Plektrum gespielt, so kann ich fast alles spielen. Mit den Fingern geht das nicht mehr, aber da finde ich sicher auch noch eine Lösung.

Glückwunsch zu einem weiteren tollen Album! Ist das Nummer 18 oder 19?

Ich glaube sogar Nummer 20, wenn ich das Album mit Jeff Lorber dazu rechne, bei dem ich Co-Leader war. Ich bin sehr glücklich, dass ich alle Leute, die ich für die Aufnahme haben wollte, auch zusammen bekommen habe. Ich war so nervös, mit den Typen zu spielen.

Ich hatte erst einmal mit (Bassist) Christian McBride gespielt, mit Antonio Sánchez (Drums) noch nie. Jim Beard (Keyboards und Produzent) hatte vorgeschlagen, etwas mit Antonio Sánchez, Christian McBride und Chris Potter (Saxophon) zu machen.

Jim hat alle meine Alben produziert, er war immer da und hat mir geholfen, er war ein Genie auf vielen Ebenen mit seiner Musik und seinen Kompositionen. Und er war mein Freund, mein Herz ist über seinen plötzlichen Tod im März gebrochen. Es war eine Ehre für mich, so lange mit ihm arbeiten zu dürfen.

Jim spielt unglaublich auf ‚Crumbles‘, der vielleicht outesten Komposition, die ich je geschrieben habe. Die Situation im Studio war ziemlich speziell, weil wir keine Zeit zum Proben hatten. Vor allem Christian ist dauernd auf Tour! Mit den anderen hatte ich mich eine Woche vorher getroffen, Christian kam einen Tag vor den Aufnahmen dazu. Aber er hat die Stücke gespielt, als wären es seine eigenen, er ist ein unglaublicher Musiker.

Dann hatte ich Dennis Chambers (Drums), Bob Franceschini (Saxophon) und Richard Bona (Bass) für drei Stücke. Das Projekt hat viel Spaß gemacht, auch wenn ich ein nervöses Wrack war. Ich bin immer nervös zu Beginn, aber hier war es extrem, weil ich mit diesen extrem guten Jungs gespielt habe. Alle haben mich sehr unterstützt und natürlich wusste jeder von meinem Unfall. Sie waren so cool.

Wir haben viel auf den letzten Drücker gemacht. Es kommt bei mir übrigens selten vor, dass ein Musiker etwas einspielt, ohne mit im Studio zu sein. Grundsätzlich nehme ich mit allen Musikern gemeinsam im Studio auf.

Also eine Art Live-Recording?

Ja, das brauche ich. Weil dabei so viel zwischen den Musikern passiert, vor allem wenn jemand Solo spielt, und du musst immer auf den Dialog zwischen Bassist und Drummer achten. Am Ende haben wir noch ein paar Sachen gefixt, wenige Overdubs gemacht, ein bisschen Rhythmusgitarre addiert.

Leni (Stern, Mikes Frau) hat auch ein paar Dubs mit der Ngoni (afrikanisches Saiteninstrument) gemacht. Ich wollte eigentlich, dass sie auch Gitarre auf dem Album spielt, aber das heben wir uns für ein späteres Album auf. Eines mit vor allem ihren Songs, das haben wir schon lange vor. Auf der Tour spielen wir ja auch ihre Kompositionen.

Mike Stern im Studio bei den Aufnahmen zum neuen Album. (Bild: Jack Frisch)

Früher wart ihr strikt getrennt auf Tour. Leni erzählte mir, dass ihr in der Pandemie entdeckt habt, dass ihr so gerne zusammen seid und spielt, dass ihr ab jetzt immer zusammen auf Tour geht.

Ich glaube, die Musik ist dadurch viel besser geworden. Ich mochte immer lyrische Sachen, aber auch Burning-Rock-Geschichten mit viel Energie. Jetzt spielen wir auch Lenis Stücke, die afrikanisch inspiriert sind, das bereichert meine Musik sehr. Auf dem Album spielt sie Ngoni, das macht sie auch live. Das wirkt wunderbar mit den Klangfarben. Es ist erstaunlich, wie sich der Charakter eines Stückes durch eine andere Klangfarbe ändern kann. Es bekommt sofort einen Weltmusik-Vibe. Leni ist eine wundervolle Musikerin, ich werde auf keinen Fall mehr Gigs ohne sie spielen, das ist sicher.

Ich wollte über ein paar spezielle Songs des Albums sprechen, weil sie eher untypisch für dich sind: Zum einen der ‚Gospel Song‘, das quirlige ‚Crumbles‘ mit der verrückten Melodielinie und Jim Beards tollem Klaviersolo hattest du schon angesprochen, und das Stück ‚Could Be‘ mit den Thelonious-Monk-Vibes.

Stimmt, die sind alle total unterschiedlich und sehr anders als meine „normalen“ Kompositionen. Ich habe schon früher neue Themen über Bebop-Changes geschrieben, Contrafacts heißt der Prozess. ‚Could Be‘ hat die Changes von ‚It Could Happen To You‘. Ich wusste, dass Christian, Chris Potter und Antonio dabei sind und bei dem Song abliefern würden. Außerdem wollte ich ein Stück haben, bei dem Christian McBride Kontrabass spielt. Er spielt großartig!

Der ‚Gospel Song‘ ist schnell und eigentlich für ein anderes Projekt entstanden. Jetzt hat er ein anderes Feel und ist eher eine Ballade. Balladen schreiben sich ein bisschen von selbst, finde ich. Ich habe den Arbeitstitel behalten, Gospel-Feeling hat das Stück auf jeden Fall. Ich möchte es gerne später nochmal mit Richard Bona aufnehmen, der auch singen könnte.

Die drei Stücke, die ich ausgesucht hatte, haben alle eine besondere Einleitung, die einen neugierig auf das macht, was danach kommt.

Wir haben die verschiedenen Intros erst am Ende der Aufnahmesession aufgenommen und dann vor die Stücke montiert. Es gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was passieren wird. Jim mochte die Idee und dann ging es ziemlich schnell. Leni spielt zum Beispiel bei zwei Song-Intros Ngoni. Auf einer Aufnahme habe ich so etwas noch nie gemacht, live schon, bevor das richtige Stück losgeht. Im Studio war es interessant, das umzusetzen.

Es hat etwas Geheimnisvolles, weil deine Kompositionen normalerweise gleich zu Beginn ein markantes Thema haben. So weiß man nicht, was kommt.

That‘s good to hear! Das war genau das, worauf ich gehofft hatte.

Gibt es irgendwelche Veränderungen bei deinem Equipment?

Nein, nicht wirklich. Ich verwende normalerweise Boss-Pedale. Richard Bona hatte mich dem Boss-CEO Masahiro Minowa vorgestellt, die Pedale hatte ich vorher schon immer verwendet. Deshalb wollte ich den Japaner treffen, ein total netter Kerl. Die senden mir cooles Zeug, manchmal kaufe ich auch was, weil ich nicht warten möchte. Aber ich bin kein ernsthafter Pedal Guy. Sachen, die gut funktionieren, behalte ich.

Auf dem Album ‚Trip‘ hatte ich schon den Multi Overtone verwendet, der Obertöne hinzufügt. Den in Kombination mit Distortion hörst du auf ‚Crumbles‘. Ich wollte das Stück schon für ‚Trip‘ haben, es ist John Abercrombie gewidmet. Dann ist er verstorben, bevor der Song fertig war. Leute, die John kannten, wissen, dass „Crumbles“ sein Spitzname war! Er war offen für alle Musikarten und diese Melodie hätte er bestimmt gemocht. Frei spielen fand er gut und konnte schnell auf alles reagieren. Er war wie eine leere Leinwand und konnte aus dem Nichts etwas Großartiges erschaffen.

Also kein neues Equipment. Du wechselst ja auch weder Gitarre noch Amp, weil du deinen Sound gefunden hast.

Ja, den verwende ich schon echt lange. Mein „Chorus“-Sound kommt aus dem Boss Multi Overtone, das ist ähnlich wie ein Chorus, aber macht den Sound besser und fetter, und es ist stereo. Bei dem Yamaha SPX90 mit dem Pitch Change hingegen musst du die richtige Balance zwischen Effekt und Gitarre finden. Den Sound verwende ich seit Ewigkeiten, weil er fast wie eine Stimme klingt.

Ich komponiere mit der Gitarre, singe aber oft die Melodie dazu, quasi wie ein Singer/Songwriter − auch wenn meine Melodien nicht einfach zu singen sind. Manche sind dennoch sehr singbar, deshalb hatte Richard Bona damals mein Album ‚Voices‘ angeregt. Egal, was für Effekte ich für die Gitarre verwende, der vokale Approach muss da sein.

Jim Hall ist da ein tolles Beispiel, er hatte einen singenden Sound, bei dem du das Plektrum nur hören konntest, wenn er das wollte. Sein Sound war sehr lyrisch, was auch seiner Jazzgitarre geschuldet ist. Ich liebe Rock, also brauche ich eine Solidbody-Gitarre. Das Yamaha-Mike-Stern-Signature-Modell verwende ich seit Ewigkeiten. Ich war sehr glücklich, als ich das Angebot bekam − sowas lehnt man doch nicht ab, oder? Sie haben meine damalige Telecaster kopiert und modifiziert.

Kurz gesagt: Nicht viel Neues, ich tausche selten Effekte oder Equipment aus. Manchmal zeigt mir jemand etwas Cooles, aber normalerweise bleibt es dann zuhause und geht nicht mit auf Tour. If it works, don‘t fix it!

Yamaha Mike Stern Signature (Bild: Jack Frisch)

Wie sieht es mit dem Amp aus?

Mal nur ein Amp, mal stereo, auf Tour ändere ich manchmal Sachen. Wenn du aufnimmst, bringst du alles mit, vor allem, wenn du Leute dabei hast, mit denen du noch nie gespielt hast. Dann möchtest du vertrautes Equipment um dich haben. Nicht zu viele Experimente, nicht noch mehr Aufregung, weil du dich wohlfühlen und genau die richtige Menge Energie haben möchtest, um gute Musik zu spielen. Keine Experimente mit neuem Spielzeug, das du gerade erst bekommen hast …

Mikes Pedalboard, das sich über viele Jahre bewährt hat: 3Leaf Audio Proton, Vemuram Jan Ray sowie Boss MO-2 Multi Overtone, DD-3 & DD3-T Digital Delay, BD-2W Blues Driver, SD-1W Super Overdrive und TU-3 Chromatic Tuner (Bild: Jack Frisch)

Gibt es Tourpläne für den Herbst?

Wir werden nach unserer langen Sommertour auch im Herbst unterwegs sein. Und im Frühling 2025 werde ich mit Darryl Jones (Bass) auf Tour sein, zusammen mit Leni, Keith Carlock (Drums) und Bob Franceschini (Saxophon).

Danke für das nette Gespräch!

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2024)

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