Opeth: Mikael Åkerfeldt und Fredrik Åkesson im Interview

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(Bild: Atomic Fire)

Mikael Åkerfeldt liebt Überraschungen, die wundersamen „twists and turns“, die seinen Gehirnwindungen immer wieder entspringen: Auf dem neuen Opeth-Album kehrt er nach 15 Jahren zu den derben Kehlkopfgeräuschen (im Fachjargon Growls genannt) der früheren Veröffentlichungen zurück und transformiert mit ihnen die Story über ein verwirrendes Familienkonstrukt in harsche Prog-Metal-Klänge. Titel des Wunderwerks: ‚The Last Will And Testament‘, unterteilt in Songs mit den Namen ‚§1‘ bis ‚§7‘ und der anschließenden Ballade ‚A Story Never Told‘. Auf dem Album geht es um geheim gehaltene Vaterschaften, skurrile Nachlassverfügungen und um ein Geflecht aus mehrfachem Ehebruch und dessen Folgen für Erbansprüche. Es geht aber auch um den wohl anspruchsvollsten Metal, den man sich vorstellen kann. Und für den ist ebenso Sologitarrist Fredrik Åkesson verantwortlich.

Wir haben beide Musiker bei einem Opeth-Konzert im Dortmunder FZW besucht, uns ihr aktuelles Equipment zeigen lassen und anschließend mit ihnen die Hintergründe dieses spektakulären Werks aufgearbeitet.

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INTERVIEW

Mikael, hinter der vermeintlich tragischen Geschichte um einen Erbstreit steckt auch eine große Portion Humor, oder?

MA: Grundsätzlich ist Opeth eine ernsthafte Band, aber hinter der Art, wie ich phrasiere, wie ich Themen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchte, versteckt sich tatsächlich immer auch ein gewisser Humor. Allerdings finde ich, dass die Texte auf unserem letzten Album ‚In Cauda Venenum‘ noch etwas lustiger waren. Das Opeth-übliche Augenzwinkern findet man aber natürlich auch auf ‚The Last Will And Testament‘.

Mikael Åkerfeldt (Bild: Matthias Mineur)

Ist in der Story eine Botschaft inkludiert, vielleicht sogar eine Moral von der Geschichte?

MA: Zunächst einmal: Es ist wirklich nur eine fiktive Geschichte. Hat sie dennoch eine Lektion? Ja, in gewisser Weise, nämlich die, dass Dinge mitunter nicht so sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Daraus eine Moral abzuleiten, würde mir allerdings zu weit gehen. Es ging mir eher darum, dass Texte und Musik zusammenpassen.

Was war zuerst da, die Geschichte oder die Musik?

MA: Da muss ich kurz überlegen. Also: Als erstes sind einige musikalische Skizzen entstanden, anfangs nur so zum Spaß und noch ohne konkreten Inhalt. Ich muss aber gestehen, dass ich mich diesmal früher als sonst um die Texte gekümmert habe. Denn ich musste die Geschichte strukturell auf die Musik ausrichten, um ihre Chronologie nicht aus den Augen zu verlieren. Ich hatte die Story also immer im Hinterkopf, wenn ich an der Musik arbeitete. Es gab Momente, in denen ich überlegt habe: Hm, das könnte doch Song Nummer drei werden. Nach diesem Muster arbeite ich eigentlich immer, nur dass es im aktuellen Fall etwas länger dauerte, da ich mich halt an der Storyline orientieren musste.

Auf ‚The Last Will And Testament‘ gibt es erstmals seit 15 Jahren wieder Growls. Waren sie der Grund für die Story, oder war die Story der Grund für die Growls?

MA: Eine wirklich sehr gute Frage! Es gab dazu keine grundsätzliche Entscheidung, mich beschäftigte lediglich der Gedanke: Sollte Opeth noch mal zu den Growls zurückkehren? Letztlich war es die Story, die diese Entscheidung getroffen hat. Ich hatte den Eindruck, dass der Hauptcharakter des Albums diesen Gesangsstil geradezu einfordert. Grundsätzlich wollte ich wieder gitarrenorientiertere Songs schreiben, nicht so sehr eingängige Melodien, also weniger schöne, sondern eher hässliche Musik, um es mal so zu formulieren. Die Songs sollten stärker als bei den vier Vorgängerscheiben, zu denen Growls nicht passten, auf kantigen Riffs basieren. Auf ‚The Last Will And Testament‘ profitieren die Songs von den Growls anstatt wie ein – wenn man so will – Fremdkörper zu wirken.

Fredrik, was war deine erste Gefühlsregung, als Mikael dir das neue Konzept und die ersten Songideen vorgestellt hat?

FA: Mein allererster Impuls war: „Yesss!“ Ich erinnere mich noch sehr gut daran: Es war im Juni 2023 und Mikael spielte mir das Stück vor, das schließlich ‚#7‘ wurde. Es haute mich förmlich um. Mein Metal-Herz hüpfte vor Freude, weil Mikael zu Growls zurückgekehrt war. Ich denke, dass die Entscheidung für Opeth sehr wichtig ist, denn wir haben vier Alben ohne diese Gesangsart produziert, obwohl Growls früher ein wichtiger Aspekt der Opeth-Songs waren. Ich kenne Mikael seit vielen Jahren und weiß daher, dass dieser Wunsch nur von ihm selbst kommen musste, und nicht von außen. Vermutlich war seine Vision, wieder etwas rauer zu werden, womit die Growls fast automatisch ins Spiel kamen.

Fredrik Åkesson (Bild: Matthias Mineur)

Hatten die härteren Direktiven der neuen Scheibe einen generellen Einfluss auf deinen Spielstil und deinen Sound?

FA: Ja, hatten sie. Mit Ausnahme der Ballade ‚A Story Never Told‘, in der das Solo etwas länger und komplexer ist, sind die Soli der übrigen Songs vergleichsweise kurz und komprimierter als gewohnt. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich so viele Noten wie irgend möglich in den Soloparts unterbringen wollte, da zu wenig Platz vorhanden war, um auf langen Noten festzuhängen. Es war klar, dass, wenn ich vier stehende Töne spiele, das Solo schon fast vorüber ist. Es ist eine Art TikTok-Prinzip, das aber gleichzeitig sehr geschmackvoll bleibt. Dabei die richtige Balance zu finden war durchaus eine Herausforderung. Dies betrifft insbesondere Song ‚#5‘, denn hier wechselt die Atmosphäre mehrfach, worauf ich im Solo reagieren wollte. Deswegen gibt es im Solo sowohl einen Moment, den ich „happy Indian“ nenne, als auch einen Part mit einer völlig anderen Stimmung.

Auch die Rhythmusgitarren haben mehr Biss als zuletzt.

FA: In gewisser Weise klingen sie aggressiver als auf den vier Vorgängerscheiben. Mikael hatte klare Vorstellungen und spielte seine Rhythmusspuren überwiegend auf einer Telecaster. Wie immer gibt es zwei Rhythmusspuren, jeweils eine links und rechts. Als Gegenpol zu seiner Telecaster habe ich eine 1970er Fender Strat mit einem DiMarzio-FS1-Pickup gewählt, die ich vor kurzem von John Norum gekauft habe. Der Amp war ein Friedman mit einer alten Marshall-Box aus den Sechzigern, die dem Rockfield Studio gehört. Mikaels Tele und meine Strat passen klanglich hervorragend zusammen. Wir wollten diesmal keinen Humbucker-Sound, und ich finde, dass der Gesamtsound aufgrund der Single Coils etwas fieser klingt und sich sehr gut gegen den äußeren Rahmen der Songs durchsetzt. Dies liegt unter anderem an einem Variac-Transformer, mit dem wir die Spannung des Amps auf 200 Volt abgesenkt und dann beim A/B-Test festgestellt haben, dass es tatsächlich wärmer klingt. Ähnlich hat es ja auch Eddie Van Halen gemacht, er hat die Spannung von 120 Volt auf 90 Volt reduziert. Für uns war es eine sehr interessante Erfahrung, wie gut dieses Prinzip auch mit einem modernen Amp funktioniert.

Åkessons Rack mit dem Synergy SYN-5050 …
… und der dazu gehörenden Synergy-4x12er-Box

Erzähl bitte etwas über eure Gastmusiker! Ian Anderson ist nachvollziehbar, da du als ausgewiesener Jethro-Tull-Fan giltst.

MA: Ian hat seine Parts in seinem eigenen Studio aufgenommen. Ich habe ihn früher schon mal persönlich getroffen. Er ist mein absolutes Idol und – auch wenn es vielleicht zu Fan-mäßig klingt – für mich ein Gott! Ich glaube, was ihn am meisten gereizt hat, war die Tatsache, dass ich ihn nicht nach einem Flötensolo, sondern nach seiner Stimme gefragt habe. Konkret: Ich wollte von ihm gesprochene Worte. Ich schickte ihm meine Pilotstimme und er übernahm mit seinem einzigartigen dramatischen Timbre. Ich war überrascht, wie sehr sich Ian meine Zeilen zu eigen gemacht hat, wie ein ausgebildeter Schauspieler. Er hat tatsächlich den Hauptcharakter meiner Geschichte geprägt. Wenn ich jetzt an die Hauptfigur denke, sehe ich Ian vor meinem geistigen Auge. Anschließend fragte er mich: „Möchtest du auch ein paar Flöten?“ Was für eine Frage!? Natürlich wollte ich! Zunächst hatte ich noch keinen Part, zu dem ein Flötensolo gepasst hätte. Ich besaß lediglich den Song ‚#4‘, in dem es einen kurzen Moment des Durchatmens gibt, also schickte ich Ian diese Nummer. Nur wenige Tage später bekam ich ein grandioses Flötensolo.

Mit Joey Tempest hätte dagegen wohl kaum jemand gerechnet.

MA: Ich bin ein riesiger Europe-Fan, seit meine Schwester mir 1984 ‚Wings Of Tomorrow‘ vorgespielt hat. Sie stand auf Bob Marley und Europe und dachte, dass Europe auch etwas für mich sei. Ich liebe Songs wie ‚Dreamer‘, ‚Open Your Heart‘, ‚Scream Of Anger‘ und natürlich auch den Titelsong. Seither bin ich Fan, ich liebe sämtliche Europe-Epochen, vor allem die am Ende der Achtziger. Das Album ‚Out Of This World‘ ist einfach fantastisch, Joey ein grandioser Sänger. Es war eher Zufall, dass er auf ‚The Last Will And Testament‘ zu hören ist, denn eigentlich wollte ich den entsprechenden Part selbst singen. Ich fand meine Stimme für diese Stelle aber nur mittelmäßig und dachte, dass ich eigentlich jemand bräuchte, der es besser macht. Aus dem gleichen Grund habe ich ja auch Ian Anderson gefragt, denn das, was er und Joey abgeliefert haben, hätte ich in dieser Qualität nicht leisten können.

Es heißt, dass du Joey Tempest bei einem Abendessen in deinem Haus überredet hast.

MA: Tatsächlich war er bei mir zum Abendessen eingeladen und fragte plötzlich, quasi zwischen zwei Bissen: „Darf ich mal dein Studio sehen?“ Ich antwortete: „Kein Problem, allerdings gibt es da nicht viel zu zeigen, es ist klein und unten im Keller. Aber da wir gerade beim Thema sind: Hast du nicht Lust, ein paar Zeilen auf dem neuen Album zu singen?“

Motto: Ich zeige dir nur dann das Studio, wenn du dafür singst!

MA: Ja, so in der Art. Wir gingen also nach unten, und ich hätte Joey direkt verkabeln können, leider gab es noch keinen finalen Text für den Part. Ich sagte: „Tut mir leid, mir fehlt der Text und der ist sehr wichtig, denn er muss zum Konzept der Scheibe passen.“ Deshalb verschoben wir das Ganze und Joey nahm seine Stimme später in London auf. Zusammen mit Ians gesprochenen Worten ist an dieser Stelle des Songs eine Art Pingpong-Effekt entstanden. Um ehrlich zu sein: Ich kann es bis heute kaum glauben, dass Joey und Ian beide auf einem Opeth-Album und sogar im gleichen Song zu hören sind.

Mit welchen Gitarren habt ihr eure Parts eingespielt?

FA: Meine sämtlichen Soli wurden sowohl mit Röhren-Amps als auch mit einem DI-Signal aufgenommen. Für den Song ‚#1‘ habe ich eine Bernie-Les-Paul-Kopie gespielt, das Neal-Schon-Modell mit einem Fernandez-Sustainer. Das Solo besteht aus einem Legato-Lick und endet in einem hohen langstehenden Ton, deshalb der Sustainer. Einige andere Soli habe ich mit einer PRS Custom 24 mit Floyd Rose aufgenommen. Ich hatte kurz zuvor Candlemass bei einigen Shows ausgeholfen und brauchte für die Screams und Dive Bombs die PRS mit dem Floyd Rose.

Åkessons PRS P22
PRS P245 Brown
PRS P24 mit Floyd Rose
PRS P245 Black

Dabei habe ich diese Gitarre lieben gelernt, nachdem ich lange nicht mehr mit Floyd Rose gespielt hatte. Sie ist in den Songs ‚#3‘ und ‚#4‘, direkt nach Ian Andersons Flötensolo zu hören. In der Ballade und auch in Song ‚#3‘ habe ich die erwähnte 1970er Strat gespielt. Zusätzlich zu den Soli gibt es massenhaft Leadgitarren, also durchgehende Melodiegitarren, für die ich eine 1972er Gibson SG, eine 1971er Strat und eine 1955er Les Paul Junior mit P90-Pickup eingesetzt habe. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Gitarrenmelodien war es wichtig, mehrere Modelle zu nehmen.

Åkessons Pedalboard u.a. mit TC Electronic Plethora X3, Dry Bell Vibe Machine, Boss Octave OC-2, MXR Phase 95, MXR Sugar, One Control Tiger Lily Tremolo, Seymour Duncan 805 Overdrive, TC Electronic Flashback und Strymon Volante (Bild: Matthias Mineur)

Wie ungewöhnlich für dich, Mikael, dass du die Demos mit einer Telecaster eingespielt hast!

MA: Sie war einfach da und griffbereit, das ist der einzige Grund. Ich besitze die Telecaster schon seit Jahren, sie stand immer in meinem Studio, obwohl ich Teles eigentlich ziemlich hässlich finde.

Deshalb sieht man dich also nie mit Teles auf der Bühne.

MA: Ja, und weil wir von PRS endorsed werden und deren Gitarren natürlich vielseitiger einsetzbar sind. Aber die Tele stand nun einmal im Studio, ich musste nur meine Hand ausstrecken und hatte sie schon in den Fingern, um erneut festzustellen, wie toll sie klingt. Ich habe die Musik für eine Netflix-Serie namens ‚Clark‘ aufgenommen und dafür die Telecaster eingesetzt, was mir einfach sehr viel Spaß gemacht hat.

Åkerfeldts PRS Custom 24
PRS P24 Green
PRS P24 Custom Hardtail White
PRS P24 White

Die Gitarre hat einen Humbucker in der Neck-Position, und der Single Coil brummt fast überhaupt nicht. Sie war – neben zwei Akustikmodellen – das einzige Instrument, das ich für die Aufnahmen des neuen Albums mit ins Studio genommen habe. Meine sämtlichen E-Gitarrenparts wurden mit dieser Gitarre eingespielt.

Åkerfeldts Pedalboard mit dem Fractal Audio AX8 und Electro-Harmonix Nano Small Tone (Bild: Matthias Mineur)

FA: Für mich war das die folgerichtige Entscheidung, denn auf den vorherigen Scheiben hatten wir teilweise bis zu 20 verschiedene Gitarren im Studio und konnten uns kaum entscheiden, welche wir nehmen sollten. Wir hatten diesmal auch nur vier Topteile dabei.

Und zwar?

FA: Die Rhythmusgitarren wurden mit einem alten Friedmann BE-100, der noch von Dave Friedmann eigenhändig zusammengebaut wurde, und einem neueren Friedman BE-100 Deluxe eingespielt. Hinzu kam ein 1972er Marshall Plexi mit 50 Watt für sämtliche Soli, sowie ein brandneuer 20 Watt Marshall Studio Vintage SV20H, der fantastisch klingt und bei allen cleanen Parts zum Einsatz kam, zum Beispiel beim Intro der Ballade.

Bühnentechniker „Milly“ Milton Evans (Bild: Matthias Mineur)

Letzte Frage: Werdet ihr das neue Album komplett und als durchgehendes Konzept auf die Bühne bringen?

MA: Nein. Einerseits, weil wir das Publikum nicht überfordern wollen, andererseits weil die Stücke ohne Symphonieorchester nur schwer auf die Bühne übertragbar sind. Falls wir irgendwann das komplette Album spielen, dann nur im Rahmen irgendeiner Special-Performance. Für mich sind Studio und Live-Show zwei unterschiedliche Paar Schuhe. In unseren Konzerten wollen wir unterhalten, ohne unsere Egos in den Vordergrund zu stellen. Ich mag Konzeptshows sowieso nicht sonderlich. Wir haben das mit einigen unserer älteren Scheiben wie ‚Blackwater Park‘ oder ‚Ghost Reveries‘ gemacht, aber so richtig gefallen hat es mir nicht. Ich weiß, dass unsere Fans Songs von verschiedenen Alben hören möchten, und diesem Wunsch wollen wir natürlich entsprechen. Komplette Alben sollte man eigentlich nur bei älteren Veröffentlichungen spielen, insofern steht dies bei ‚The Last Will And Testament‘ erst in frühestens 20 Jahren an.

Dir ist also das Risiko zu groß?

MA: Nein, darum geht es nicht, ich kann sowieso nicht beeinflussen, ob ein neues Album bei den Fans gut oder weniger gut ankommt. Selbst wenn wir als Band ein Album lieben, ist das noch keine Garantie, dass es auch von den Fans angenommen wird. Zumal sich manche Dinge in Wellen bewegen: Es gibt Scheiben, die den Fans bei Veröffentlichung missfallen und die sie dann, 20 Jahre später oder so, plötzlich für sich entdecken. Für uns gilt: ‚The Last Will And Testament‘ ist genauso geworden, wie wir es wollten. Aber für die kommenden Bühnenshows hat dies keine Bedeutung, da geht es nur um gute Unterhaltung.


(erschienen in Gitarre & Bass 10/2024)

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