Till & Tone: The Art of Aging

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(Bild: Mario Bok)

Neulich habe ich hier in Gitarre & Bass einen Test gelesen, bei dem ich erstaunt feststellen musste, dass darauf hingewiesen wurde, dass die Test-Gitarre „geaged“ war. Ein Feature, was „ja niemand zwingend braucht“, obwohl das doch – laut Tester Franz Holtmann – charmant aussieht und Vorteile hätte wegen Kratzer usw. … lieber Franz Holtmann, ich setze noch einen drauf: Ich brauch das unbedingt! Denn ich liebe Relic-Gitarren! Neue, glänzende, makellose Gitarren sind doch fürchterlich!

Pfui sind für mich: Curly Decken, 3-D Flame-Tops und Hochglanzfinish – da könnte ich mich schütteln! Die Liste der zum Teil diskriminierenden, stereotypischen Beleidigungen für solche Instrumente ist lang: Sissy Guitar, Zahnarzt-Klampfe oder Hochglanz-Möbellaute!

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Natürlich sind die Gegner des Relic-Looks ebenfalls nicht zimperlich und reden von Asi-Eierharfen, verunglückten Holzfäller-Gitten und verwarzten Frühstücksbrett-Pfannen. Es ist wie so oft in Deutschland: Das Verständnis für andere Geschmäcker und Vorlieben ist begrenzt. Gerne wird auch geheuchelt: Ich habe ja nun wirklich für vieles Verständnis, aber… Bullshit!

KEIN VERSTÄNDNIS!

Spätestens beim Wort „Verständnis“ kann man sein Gegenüber – egal, welches Thema – mit einem „nein, hast du nicht!“ unterbrechen, denn nach einem „aber“ in solchen Sätzen kommt nie etwas positives, schon gar nicht „Verständnis“. Und so rümpfen die Custom-Shop-Spieler hochnäsig die Nase über die Billo-Zupfer. Der Discount-Amp-Benutzer höhnt über den reichen Trottel, der mehr als das 8-fache für seinen handgeklöppelten Boutique-Amp ausgibt.

Beide sind sich allerdings einig, dass angeblich nichts widerlicher ist als die peinliche Kemper-Fraktion. Teure Effekte für knapp 300 Öcken kommen laut Aussage einiger Schlaumeier vom selben chinesischen Fließband wie die spottbilligen Copycat-Modelle für 45 Euronen. Und die billigen klingen exakt genauso wie die teuren! Natürnich! Mag sein, mag nicht sein. Ich glaube nur, was ich im direkten Vergleich als „besser“ heraushöre.

Was mich abgrundtief nervt ist dieses intolerante Geschwafel, hinterfotziger Neid und vermeintliches Besserwissertum, dass als „amtliches“ Wissen herausposaunt wird. Egal ob es um Amps, Pedale, Pickups oder das Aussehen von Gitarren geht.

ZERHACKT, VERMACKT, ENTLACKT – HARE KRISHNA!

Nochmal: Ich liebe Relic-Guitars! Das ist genau mein Ding und ich kann auch nichts Schlimmes daran feststellen. Andere Zeitgenossen schon – diese Fraktion argumentiert meistens so: „Dieses künstliche Aging ist ja fürchterlich! Man muss warten, bis die Macken und Abnutzungsspuren von allein kommen. Spiel die doch einfach 30 Jahre, dann sind die Lackrisse und Macken wenigstens echt! Und außerdem sieht keine alte Vintage-Gitarre so schrecklich aus wie diese auf alt getrimmten!“

Ja, und? Sorry, Leute, aber was geht mich euer Elend an? Ich habe a) keine Lust, dreißig Jahre darauf zu warten, ob der Lack Risse bekommt und b) keine Lust, dreißig Jahre dauernd dieselbe Gitarre zu spielen! Spielt ihr doch eure schönen Flametops, putzt die mit Poliboy schön sauber und wartet bis zum Eintorfen auf Lackrisse. Geschmack ist halt subjektiv – und das ist gut so! Erlaubt ist was gefällt.

Ich oute mich jetzt mal als talentierter Shredder. Mein bestes Aging-Erlebnis liegt schon über zehn Jahre zurück. Ungefähr 2011 erstand ich eine gebrauchte Gibson Historic Les Paul Goldtop, die wirklich sehr schön und ordentlich gepflegt war. Mir war sie zu schön. Als ich ein Foto von Snowy Whites abgerockter 57er Goldtop gesehen hatte, war es um mich geschehen.

Nochmal die Goldtop, allerdings vor meiner Relic-Behandlung. (Bild: Hoheneder)

Weil aber der Nitrolack von der Historic Paula so gummiartig dick war, dass er selbst nach 24 Stunden bei -25 Grad im Kühlhaus meines Kumpels nicht reißen wollte, schnitt ich die Risse kurzerhand längs mit einem Teppichmesser in den Lack (kann man auf den Fotos sehr gut noch erkennen). Dann habe ich mit der Poliermaschine den Lack vom Body bis auf eine dünne Schicht runtergeschmiergelt und drei Dosen Kältespray draufgehalten. Zusammen mit den Teppichmesserspuren sah das dann schön abgefuckt aus.

Als nächstes bin ich mit den Bodykanten und den Enden der Kopfplatte draußen über den roten Rauhklinker gebschubbert. Diese vermackten Stellen habe ich vorsichtig mit einer Tinktur aus Kaffeesatz und Nikotinsirup eingepinselt, damit das Holz alt aussieht. Die Hardware und Potiknöpfe mit feiner Polierwolle nach Gusto mattiert. Zwei Tage hatte ich großen Spaß!

Hinterher wurde noch eine Kopie der Hare-Krishna-Briefmarke, die George Harrison hinten auf die Kopfplatte von Claptons 64er ES-335 geklebt hatte, auf die Rückseite der Goldtop-Kopfplatte platziert. Die Gitarre sah killer aus und klang sensationell – wegen meiner Aging-Kur und des Hare-Krishna-Stickers – an der Stelle „Shout out“ an meinen Kumpel Karsten, der den Sticker reproduziert hat!

Die Hare-Krishna-Briefmarke im George-Harrison-Style musste natürlich sein! (Bild: Hoheneder)

Ernsthaft, der Sound war um Klassen besser als vor meiner „Behandlung“! Mein Buddy Gregor Hilden hat sie dann von mir gekauft, weil sie halt so gut klang. Wo sie dann gelandet ist… wer es weiß, bitte melden! Ich unterschreibe dieses Kunstwerk gerne!

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Jede Gitarre altert (nach intensivem Spielbetrieb!) bekanntlich doch ganz von selbst,da braucht man absolut nicht „künstlich“ nachhelfen!

    Dieser ganze hochgejubelte Hype um nachträglich künstliches „Aging“ bzw. „Relic“ saust seit jeher an mir vorbei,denn ich kaufe mir viel lieber neue und neuwertige Gitarren,die ausschließlich makellos und ohne häßliche Blessuren (die extra hinzugefügt wurden) angeboten werden.

    Der plausible Grund: wer würde sich denn beispielsweise einen neuen sehr teuren Luxus-Sportwagen einer renommierten Edel-Marke zulegen wollen,der vorher mutwillig vom Autoverkäufer brachial mit diversen Beulen,Dellen und zerschlagener Frontscheibe „verziert“ wurde? Dazu noch (nur gegen Aufpreis!) einige Lackkratzer an der Karosserie,und optischen Verunreinungen auf das Cockpit,den Ledersitzen und obendrein dilettantische Schnitzereien im Bereich der Edelholz-Verkleidungen gefällig???

    Und diese mittlerweile unhaltbaren Behauptungen,daß sich „künstliches Aging/Relic durch deutlich spürbare Auswirkungen zum optimalen Klangbild einer E.-Gitarre bemerkbar machen,gehört doch nun endgültig in die Märchenwelt der Fabelwesen!!!

    Sorry,ich persönlich kann mit diesem ganzen „Aging Schwachsinn“ absolut gar nichts anfangen,denn aus Neugier hatte ich selbst schon mal die Gelegenheit solch eine „traurige“ „geagete“ E.-Gitarre zu testen,-und war doch letztendlich sehr enttäuscht darüber! Meine Meinung.

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  2. Ah … hier ist jemand mal gut drauf und spricht in der “ich-Form” … klasse!

    Ja, das Ageing … klar ist: gut eingespielt und mit der persönlich angenehmen Halsrückseite passt die Gitte doch am besten.
    Die Lack-Art- & Dicken-Diskussion stammt vermutlich aus dem Violinen-Bau, da spielt das durchaus eine größere Rolle … aber bei ‘ner soliden Planke???
    Ne Stradivari würde verm. nicht besser klingen, wenn der Herr Garret sie mal ordentlich mit ‘nem Ziegelstein abbürstet …
    Warum die Mühen des Herstellers rückgängig machen, wenn es auch – “selbst ist die Gitarristin und der Gitarrist” – DIY-Bausätze und z.B. Rockinger-, …-, und Warmoth-Parts unlackiert gibt. ich mache das seit Jahren so und bekomme den Lack (oder eben nur Öl/Wachs-Finish) wie ich ihn mag. Hier habe ich alle Freiheiten und PUs die ich so mag … nicht perfekt ABER meins!

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  3. Der Schreiber hat offenbar noch nie ein Instrument gebaut.

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  4. Hier schwingen viel Neid und Missgunst mit, sowohl im Artikel wie in den Kommentaren. Lasst doch einfach die Zahnarztgitarren Zahnarztgitarren sein, genauso wie die Heavy Aged Murphy Labs oder whatever. Beides hat seine Berechtigung und seinen Reiz.
    Was ich mir aber doch nicht ganz verkneifen kann: Eine stark geagte Gitarre fühlt sich in der Regel schon sehr gut an; sie vermittelt das Gefühl einer Gitarre, die schon tausende von Stunden gespielt wurde. Sie klingt wohl kaum besser als eine ungeagte Gitarre, aber sie kann zu anderem spielen inspirieren, was wir manchmal vielleicht auch fälschlicherweise als «besserklingend» wahrnehmen wollen und vermitteln. Auf einer topverarbeiteten Nik Huber oder whatever kann aber genauso Spass machen, wenn man die Möglichkeit hat darauf zu spielen.

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    1. Dieses ganze Gelaber über Aging nervt schon gewaltig!!!
      Warum sollte ich eine mutwillig ramponierte neue Gitarre mit extra zugefügten häßlichen Lackabplatzern und Riefen kaufen?

      Ich kaufe generell nur neue hochpreisige Gitarren ohne Makel!
      Die Gitarren von deutschen Gitarrenbauern haben mich nie wirklich interessiert,weil sie zu altbacken,zu überteuert und kaum besser klingen,als die etablierten Markenhersteller aus dem Ausland!
      Wer heute wirklich noch glaubt,daß ausgerechnet Gitarrenbauer aus Germany besonders wertig sind,lebt in der Scheinwelt,denn das selbsternannte Siegel „Handmade in Germany“ ist schon längst überholt und unglaubwürdig geworden! Heute stammen etliche Zubehörteile (Hardware etc.) von Zulieferfirmen aus dem Ausland!
      Verschont uns daher zukünftig bitte mit Kommentaren,die ausschließlich lobhudelnd über einheimische Gitarrenbauer mit zusätzlichem „Aging-Faktor“ berichten!
      Herzlichen Dank! ❤️

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  5. Es ist wie oben schon beschrieben, die verlogen abgewetzte vergewaltigte Meister-Gitarre versetzt den mittelmäßigen Spieler in höhere Gefilde, denkt er…., dabei klingt das was er spielt immernoch genauso mittelmäßig…)

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  6. Lieber Till,

    ich empfinde den Ton Deines Artikels diesmal als ungewohnt aggressiv.
    Klar sind Geschmäcker verschieden – ist doch auch gut so, aber deshalb so ein Fass aufmachen?
    Du hast schon sensiblere Artikel geschrieben. Davon würde ich mir mehr wünschen.
    Schöne Weihnachten R.

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