„Die meisten Parts, die ich spiele, scheinen irgendwie in und unter den Songs zu verschwinden.“
Auf seinem neuen Album ‚The Other Side‘ wandelt Altmeister T Bone Burnett auf den Spuren von Johnny Cash, den Beatles und seinem großen Helden, Roy Orbison. Mit der Film- und Musikindustrie hat der gebürtige Texaner dagegen gebrochen. Hollywood, so der 76-Jährige, sei tot – er dagegen quicklebendig. Davon konnte sich Gitarre & Bass bei einem kurzweiligen Gespräch in Nashville überzeugen.
‚The Other Side‘ heißt das 14. Solo-Album eines Mannes, der in seiner fast 50-jährigen Karriere mit imposanten 15 Grammys ausgezeichnet wurde – für Tonträger, die er für Elton John, die Counting Crows oder Robert Plant/Alison Krauss produziert hat. Aber auch für seine originellen Soundtracks zu Filmen wie ‚The Big Lebowski‘ und ‚O Brother, Where Art Thou?‘, die mittlerweile schon ein Vierteljahrhundert zurückliegen. Seitdem vertont T Bone Burnett vor allem kleine, unabhängige Streifen statt Blockbuster – ein Ausdruck tiefer Enttäuschung.
Die empfindet der bullige, weißhaarige Mann mit der angewachsenen, schwarzen Sonnenbrille auch in Bezug auf die Musikindustrie und Streamingdienste. Deshalb schreibt er nur noch Songs, die in erster Linie ihm selbst gefallen. Ob er damit ein großes Publikum erreicht, ist dem Multitalent egal – weil er es sich leisten kann: Seine Scores für die Coen-Brüder fanden acht Millionen Käufer und machten ihn zur Musik-Institution, bei dem selbst Dylan und The Who Schlange stehen.
INTERVIEW
T Bone, deine letzten beiden Alben ‚Invisible Light I & II‘ waren eher elektronisch. Warum jetzt die Rückkehr zu traditioneller, akustischer Americana-Musik?
Na ja, ich war eigentlich gerade dabei, ‚Invisible Light III‘ zu schreiben – das Ende einer Trilogie über diese schrecklichen Albträume, unter denen ich seit Jahren leide. Ich wollte sie musikalisch überwinden. Doch plötzlich, als ich fast fertig war, strömten all diese anderen Songs aus mir hervor. Was absolut verrückt war – und immer noch anhält. Ich schreibe ständig und überall. (lacht)
Angeblich hast du dir dafür ein Arsenal an Gitarren gekauft, die diese Stücke regelrecht in sich getragen haben. Weißt du, wer die ursprünglichen Besitzer waren?
Leider nicht – aber es scheinen gute Musiker gewesen zu sein. (lacht) Denn sie haben Gitarren verwendet, die ich schon mein ganzes Leben besitzen und spielen wollte. Diesen Traum habe ich mir jetzt erfüllt. Wir reden von einer 1932er Gibson L-5 und einer 1949er Gibson Southern Jumbo, wie sie zum Beispiel Don Everly von den Everly Brothers gespielt hat. Dann ist da noch eine 59er Epiphone Texan, wie sie Paul McCartney auf ‚Yesterday‘ verwendet hat. Ich liebe den Klang all dieser Instrumente, konnte mich aber nie dazu durchringen, sie mir tatsächlich zu kaufen – weil sie nicht ganz günstig sind. (lacht)
Aber nachdem ich Los Angeles verlassen hatte und nach Nashville gezogen bin, habe ich damit angefangen, mich von vielen Sachen zu trennen, die sich über die Jahre angehäuft haben. Und die ich schlichtweg nicht mehr brauche. Dazu zählen meine alten Gitarren, die in irgendwelchen Lagern und hier zu Hause in verschiedenen Zimmern Staub fangen. Dabei hatte ich sie mal erworben, um damit Musik zu machen. Und sie einfach rumstehen zu sehen, macht mich traurig. Deshalb denke ich darüber nach, mich von ihnen zu trennen und sie Leuten zu übergeben, die sich um sie kümmern – die sie zu schätzen wissen und damit hoffentlich noch viele tolle Songs schreiben. Ich weiß nur noch nicht, wie ich das anstellen soll.
(Bild: © Dave Golden)
Wie wäre es mit einer Auktion, wie sie Mark Knopfler bei Christie‘s gestartet hat?
Das wäre ein Weg. Und es ist wirklich so: Wenn du ein bestimmtes Alter erreichst, willst du nicht mehr all diesen Kram mit dir herumtragen – du willst, dass ihn andere Leute nutzen und sich daran erfreuen. Deshalb habe ich vor, mich von vielem zu trennen. Auch von Gitarren – um Platz für ein paar Neue zu schaffen, die mir aktuell wichtiger sind; die ich schon immer haben wollte. Und die mir gerade so viel Spaß machen, weil sie mir so viel geben. Ich meine: Jedes Mal, wenn ich sie in die Hand nehme, entsteht ein Song. Ist das nicht irre?
Was so viel heißt, wie: Wenn man ein gutes Album schreiben möchte, braucht man nur ein paar richtig gute Gitarren?
Das würde ich so unterschreiben. Einfach, weil es wahr zu sein scheint. (lacht)
Wie umfangreich ist deine Sammlung mittlerweile?
Ich habe eigentlich nie gesammelt, sondern mir nur bestimmte Modelle für Projekte gekauft, an denen ich gerade gearbeitet habe. Von daher sind das alles Werkzeuge, die einen Zweck verfolgt haben. Insgesamt sind es vielleicht 30 oder 40 – etwas in der Art. Also Bässe und Gitarren.
Die du in erster Linie als Handwerkszeug erachtest?
Das sind sie. Jedes einzelne Instrumente vermittelt ein Gefühl, das sich für eine bestimmte Art von Musik eignet. Wobei akustische Gitarren außergewöhnlich gut klingen können – gerade im spanischen Tuning, dem Open-G-Tuning. Und meine Gibson SJ klingt im G-Tuning grandios. Also verändere ich daran auch nichts und verwende sie nur, um in diesem speziellen Tuning zu schreiben. Ich benutze meine Gitarren wie Farbtöne, die ich bestimmten Songs hinzufüge. Arbeite ich zum Beispiel an einem Film-Score, suche ich zunächst das passende Instrument dafür – mit der richtigen Klangfarbe.
Wie hat sich dein Spiel über die Jahre verändert? Welche Entwicklung stellst du da fest?
Es ist definitiv simpler geworden. Und ich habe mich ohnehin nie als Lead-Gitarrist verstanden. Ich habe Gitarren immer nur für den Klang und die Orchestrierung verwendet. Und das Witzige ist: Die meisten Parts, die ich spiele, scheinen irgendwie in und unter den Songs zu verschwinden. Sprich: Man hört sie eigentlich kaum heraus, doch wenn man sie entfernt oder weglässt, fällt alles in sich zusammen. Sie sind wie der Faden, der alles zusammenhält.
Die Magie hinter der Magie?
Ja, oder darin… Eben die Magie in der Musik. Die Stringtheorie besagt ja, dass alles, was wir sehen, Noten von Saiten sind, die im Dazwischen vibrieren. Was nichts anderes bedeutet, als dass wir alle aus Musik bestehen. Alles, was wir sehen, ist aus Musik gemacht. Und deshalb ist es die universale Sprache. Innerhalb der Musik sind alle möglichen Arten von Magie und Wundern verborgen.
Im Falle dieses Albums ist es so, dass es beim ersten Hören rein akustisch anmutet, aber sich bei jedem Durchlauf weitere Nuancen wie elektrische Zwischentöne offenbaren. Demnach verbirgt sich hinter der vermeidlichen Simplizität eine ausgesprochene Komplexität?
In der Tat. Und davon rede ich. Man hört es in den Intros oder im Fade-Out. Ansonsten ist es fast nicht nachvollziehbar.
Was spielst du lieber: Akustische oder elektrische Gitarre?
Ich liebe beide. Und es ist doch so: Sobald du ein Mikrofon vor eine akustische Gitarre stellst, ist es eine Elektrische. Im Grunde bin ich ein reiner Studiokünstler, der vor allem aufnimmt und weniger live spielt. Ich habe mein gesamtes Leben in Studios verbracht. Da geht es dann immer um den Ton, den man gerade für einen Song braucht – und nicht selten steckt er in der Gitarre, die direkt neben einem steht. Die man nur anschlagen muss… (lacht) Das ist wirklich so.
War es – wie bei vielen US-Musikern deines Alters – der Auftritt der Beatles in der Ed Sullivan Show, der dich zur Gitarre hat greifen lassen? Der dich zum Musiker gemacht hat?
Wahrscheinlich. Ich meine, das war der Moment, in dem ich erkannt habe, dass man überhaupt ein professioneller Musiker sein kann – also als Rock‘n‘Roller. Und die Beatles hatten einen gewaltigen Einfluss auf mich. Ich dachte: „Diese Typen meinen es ernst – sie leben, was sie spielen.“ Und: „Wenn ich meinen Lebensunterhalt mit Rock‘n‘Roll bestreiten könnte, wäre das bestimmt spannender als wenn ich Geologe oder etwas in der Art werde.“ Von daher habe ich mich entschieden, Künstler zu werden – ein Rock‘n‘Roll-Künstler.
Einige deiner Songs, allen voran ‚Come Back‘, weisen einen starken Country-Einfluss auf. Worin besteht die Faszination für dieses Genre – was bedeutet es dir?
Ich bin damit aufgewachsen. Wobei ich ‚Come Back‘ eigentlich für Ringo Starr geschrieben habe. Er hatte mich vor ein paar Jahren nach einem Song gefragt. Und ich weiß, dass er den Künstlernamen Ringo Starr gewählt hat, weil er als Kind Cowboy-Sänger werden wollte. Außerdem kenne ich die Geschichte, wie er die Handelskammer der Stadt Houston angeschrieben hat, um ein Haus in der Nähe von Lightnin‘ Hopkins zu finden. (kichert) Also habe ich mich entschieden, ihm eine Art Texas-Song zu schreiben. Ein Cowboy-Stück in der Manier von Gene Autry. Das war der erste Song, den ich für dieses Album am Start hatte – weil Ringo mich dazu inspiriert hat. Er kam aus der alten Gibson L-5, als ich sie das erste Mal gespielt habe.
Wie kommt es, dass du seit 2017 kaum noch an Filmsoundtracks beteiligt bist? Ist Hollywood tot, hat die Industrie Corona immer noch nicht überwunden?
Na ja, die Sachen, die da gerade passieren, sind halt nicht meins. Sie interessieren mich kein bisschen. Deshalb habe ich mich in den letzten Jahren lieber auf eigene Projekte konzentriert, die mir wirklich etwas bedeuten. Ich könnte es auch so formulieren: Ich fand es ermüdend, mir immer mehr Notizen machen und auf besondere Wünsche eingehen zu müssen. Ich meine, ich liebe Kooperationen, aber nicht diese Idee von wegen: „Ich gebe dir jetzt eine Note, der du folgen musst.“ Also, dass ich da fremde Vorstellungen und Ideen bediene. Das fand ich ermüdend – eben diesen Komitee-Prozess, bei dem einem Künstler gesagt wird, was er zu tun hat; unabhängig davon, ob man ihn damit einschränkt. Deshalb habe ich mir irgendwann gesagt, dass ich mich besser auf Dinge konzentrieren sollte, die mir wirklich wichtig sind und nicht solche, für die ich einfach nur bezahlt werde. Das habe ich immer zu vermeiden versucht – etwas nur für Geld zu machen. Das ist die falsche Motivation.
Was könnte dich umstimmen? Ein weiterer Film der Coen-Brüder – wie seinerzeit ‚O Brother, Where Art Thou?‘
Bei einem Coen-Brothers-Film würde ich sofort mitmachen – egal, was es ist. Aktuell sind es zumeist Projekte von Freunden, an denen ich mich beteilige. Einfach, weil das ein etwas angenehmeres, humaneres Arbeiten ist und man vernünftig behandelt wird. Ich habe zum Beispiel gerade erst bei einem kleinen Film namens ‚Downtown Owl‘ mitgemacht – und mit Ethan Coen eine Dokumentation über Jerry Lee Lewis produziert, die demnächst erscheinen soll. Von daher: Ich bin immer noch aktiv – aber auf einem anderen Level. Eben keine großen Hollywood-Sachen, sondern Projekte mit guten Freunden, bei denen ich weiß, dass man mir freie Hand lässt.
Was ist mit dem Produzenten, der Bob Dylan, Elvis Costello, Elton John und zwei Alben von Robert Plant & Alison Krauss betreut hat? Bekommst du noch Angebote – und was nimmst du an, was lehnst du ab?
Das ist heute weit weniger formell als früher. Und das Verblüffende ist: Ich bin trotzdem mehr beschäftigt denn je. Es landen täglich neue Sachen auf meinem Schreibtisch – Anfragen von Studios, Labeln und Künstlern. Aber das meiste interessiert mich nicht. Ich bin nicht mehr der professionelle Produzent, der ich einmal war. Ich kümmere mich lieber um meine Musik. Die ist mir – je älter ich werde – immer wichtiger.
Zudem spielst du – nach langer Pause – wieder live. Könntest du dir vorstellen, ‚The Other Side‘ auch auf europäische Bühnen zu bringen, vielleicht in Städten mit einem netten Golfplatz?
Das wäre ein Anreiz! (lacht) Ich liebe beides. Aber zunächst spiele ich ein paar Konzerte in Nashville und gehe nicht gleich auf Tournee. Ich trete in verschiedenen Hallen in der Stadt auf und versuche, wieder in Form zu kommen. Schließlich habe ich 20 Jahre ausgesetzt. Ich brauche erst einmal ein bisschen Übung.
Wann warst du überhaupt das letzte Mal in Europa?
Als Solo-Künstler? Gott, das muss in den 80ern gewesen sein. Ich erinnere mich nicht mehr genau – außer, dass ich Mick Ronson in meiner Band hatte. Ein fantastischer Gitarrist. Aber vielleicht komme ich ja bald mit Robert und Alison rüber – das steht noch zur Diskussion.
(erschienen in Gitarre & Bass 09/2024)